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Die Ahnungen aber hatten dennoch recht bekommen sollen, der Tod hatte nach diesem starken und frohen Leben die knöcherne Hand ausgestreckt.
Sah zwar ganz harmlos aus der Tod, indem er in der Gestalt des Doktors Walz auftrat, des deutschen Arztes, der in Petersburg viel Ansehen genoß, über alle Kinderspitäler gesetzt war und sogar von Großfürstinnen empfohlen wurde, und er stellte die Sache auch ganz harmlos an, um dem knorrigen Altmärker beizukommen. Es wurde bloß ein kleines Pflästerchen in die Kniekehle gelegt, um die letzten Launen eines Rheumatismus auszutreiben, und niemand konnte auf den Gedanken kommen, daß es mit Gift und Grab gesalbt sei. Sowie der Tod aber einmal mit seinem Lemurenpflaster an Bismarcks Haut gekommen war, biß er sich ein und fraß sich ins Fleisch, mit Eiter und Schwären, verpestete Arterien und Venen und trachtete ihm an die Knochen zu fassen. Wie Hiob und wie Lazarus wurde er gequält, floh vor dem Tod in die Heimat, nach Berlin, nach Wiesbaden, nach Nauheim, und da schien es endlich, als sei der alte Bismarck wiedererstanden.
Kaum hatte er in sich einen Abglanz seines früheren Wesens gefunden, da trieb es ihn wieder in den Dienst nach Petersburg zurück. Aber der Tod hatte ihn bloß an langer Leine laufen lassen, und eben, da er sich im Gesunden glaubte, schlug die knöcherne Tatze nach ihm und warf ihn nieder.
Bei Belows auf Hohendorf hatten sich Sorge und Fieber einquartiert, und auf dem Dache saß der Tod, schlenkerte mit den Beinen und heulte bisweilen auf ostpreußisch in den Schornstein hinein. Aus Fensterladenritzen stach trauriges Krankenzimmerlicht in den nächtlichen Hof.
Flüsternd standen die beiden Frauen an der Tür. »Er hat gesagt«, wiederholte Frau von Below, »es sei eine Vereiterung der Lunge eingetreten … den lateinischen Namen habe ich nicht behalten.«
»Und … und«, drängte Frau Johanna. Ihre Augen baten um Wahrheit.
»Bei Ihres Mannes starker Natur … es wird gut ausgehen.« Ein ganz leises Zucken der Augenlider entging der angstvollen Frau nicht, mißtrauisch befürchtete sie Lügen des Mitleids. Morgen wollte sie selbst den Arzt beschwören.
»Schonen Sie sich«, bat Frau von Below, »lassen Sie die Wärterin wachen.«
Ihre Hand wurde gefaßt: »Sie Gute, Sie Gute! Wie soll ich Ihnen das danken? Gibt es so was auf der Welt, dann ist viel Sünde und Schlechtigkeit wettgemacht, und Gott hat auf lange keinen Grund, die Menschheit zu vertilgen. Das Unglück wirft Ihnen einen Kranken ins Haus, und Sie nehmen sich unser an, als seien wir Ihre Geschwister …«
Eine trockene, rauhe Stimme kam hinter dem dunkelblauen Bettvorhang wie auf Krücken hervor: »Ich weiß, er soll mir nichts weismachen. Es kommt aus der zerstörten Vene … ein Eiterklumpen ist durch den Blutkreislauf in die Lunge gekommen … das ist es … das Walzsche Pflaster frißt weiter.«
Johanna vergaß Gott und die Welt und eilte ans Bett. Bismarck lag wach, fingerte mit heißen Händen auf der Decke. Die Lippen waren zersprungen, die tiefblauen Augen lagen wie in weißen glanzlosen Schaum gebettet. Er warf den Kopf von links nach rechts: »Ich möchte mein Testament machen, Nanne … einen Vormund muß ich bestellen über unsere drei Würmer … aber der Staat soll mir nicht dreinreden dürfen. Ich pfeife auf die gesetzliche Vormundschaft. Schönhausen behältst du …«
»Otto … morgen … morgen. Es ist nicht nötig! Aber wenn du willst, sollst du morgen angeben dürfen, was du … ach Gott, jetzt ist es Nacht. Aber es hat doch keine Gefahr, Liebster …«
»Jetzt ist es Nacht!« wiederholte Bismarck, »jetzt ist es Nacht.« Die Lippen klafften, der Atem pfiff wieder, und jeder Zug schien tief drinnen schwere Klumpen Eiter zu heben, langsam drehten sich die Augäpfel dem oberen Lid zu. »Selbstgerecht«, flüsterte er geheimnisvoll, »selbstgerecht. Was soll denn das heißen? Sie sagen: ›selbstgerecht‹, gnädige Frau? Muß man nicht Grundsätze haben, gnädige Frau? In der Politik muß man ja leider die Grundsätze bisweilen zum Teufel jagen … aber die Gesellschaft kann ohne Grundsätze nicht bestehen. Hilft Ihr Mann nicht der österreichischen Post bei der Öffnung verdächtiger Briefe? Nun also …?«
Da war das Fieber wieder, und in seinem krausen Spiegel tanzte die Frankfurter Zeit. »Es ist sehr schade, daß Sie gestorben sind, gnädige Frau! Sehr schade. Wir haben Sie alle liebgehabt, alle, auch meine Frau hat Sie liebgehabt. Sie dürfen nicht glauben, daß sie etwa eifersüchtig gewesen ist. O nein. Meine Frau ist kein Zoon politikon … aber Sie … Sie … manchmal waren Sie Malwine und manchmal Frau von Staël. Sehr schade, sehr schade, daß Sie gestorben sind. Um so schöner von Ihnen, daß Sie mich hier besuchen … wenn ich auch selbstgerecht bin … ich, ich …«, undeutliches Gemurmel quoll aus den jetzt wieder zusammengekniffenen Lippen.
Johanna erhob sich lautlos, wechselte den Umschlag auf Bismarcks Brust, schwer lag ihr der heiße Körper in den Armen. Dann schob sie das Nachtlicht hinter den grünen Schirm, auf der Decke tanzte ein heller Kreis, Johannas Schatten war lang und schmal; nur von ihrer Hand, die an der Lampe schraubte, sank ein schwerer Klotz von Dunkelheit hinter das Bett. Ein unruhiger Griff zerrte am blauen Vorhang.
»Das mußt du sehen … alle Türme haben oben große Zwiebeln. Riesenzwiebeln, Johanna, in Rot und Grün und Blau und vor allem in Gold. Gold, man glaubt, die Sonne ist auf Türme genagelt. Solche Zwiebeln wachsen sonst nirgends … Bellin würde schauen, wenn in unserem Gemüsegarten plötzlich solche Zwiebeln wachsen … Napoleon … die Stadt ist ganz groß, vom Brand merkt kein Mensch etwas …«
Russische Bilder hatten Frankfurt verdrängt, dieses unheimliche Rußland mit seiner Pracht und seinem Elend nahm die Fiebergedanken ihres Gatten fort. Johanna fuhr auf, eine warme, feuchte Berührung ihrer herabhängenden Hand überraschte sie. Einer der Belowschen Jagdhunde, der bisher unbeachtet zusammengeringelt hinter dem Ofen gelegen hatte, war erwacht und hervorgekommen. Er stand neben ihr, stieß die Schnauze in ihre Handfläche und sah vertraulich zu ihr hinauf. Sie faßte ihn am Halsband und wollte ihn aus dem Zimmer ziehen. Er sträubte sich, und unter seinen gespreizten Beinen schob sich der Teppich in Falten. Da ließ sie ihn, war er doch ein Atmendes, ein Geschöpf Gottes, das Lebenskraft besaß und von dem vielleicht etwas Heilsames auf diesen Fiebernden überging.
»Jawohl, Exzellenz«, sagte der Kranke laut, »jawohl, Exzellenz. Wir wollen eine andere Chiffre wählen … ja, Chiffren welken auch und sterben ab wie Diplomaten. Man muß bisweilen andere pflanzen. Es ist mir lieb, zu wissen, daß die kaiserlich russische Regierung unsere alte Chiffre kennt. Reißen wir sie aus, legen wir sie aufs politische Mistbeet. Was aber Österreich anlangt … Graf Szachunyi tut mir leid, er ist ein netter Mensch …«, ein leeres Plappern erschreckte Johanna, »Österreich ist Bundesstaat … bitte, bitte, bitte, unsere Stellung, ja unsere Stellung, ich kann solche Äußerungen Ihres Mißfallens nicht zur Kenntnis nehmen, nicht offiziell zur Kenntnis nehmen …«, immer rascher haspelten die Worte ab, »unser Handel mit Österreich ist unsere Angelegenheit, deutsche Angelegenheit, Bundesangelegenheit, geht uns allein an, schreiben Sie: kann nicht zur Kenntnis nehmen, werden uns niemals bereit finden, was auch Frankreich beginnen mag …«
Heftiges Röcheln schwoll zu krampfhaftem Husten an, Luftnot färbte Bismarcks Gesicht blau, Schweiß quoll aus allen Poren. Johanna stützte rasch den Oberkörper des Mannes, führte ihm das Taschentuch an die Lippen, ein schwerer Schleimklumpen brach aus dem Mund. Jetzt lag er wieder erschöpft hingesunken, kaum ging der Atem, die Wangen hatten die Farbe des Bettleinens.
Der Hund ging mit leisen Tritten durchs Zimmer und blieb schnuppernd am Fenster stehen. Durch den Schornstein kam ein heftiges Heulen herab, das Nachtlicht flackerte hinter dem grünen Schirm. Frau Johanna trat neben den Hund ans Fenster, legte ihm die Hand auf den warmen Kopf, fühlte den Schädelknochen unter der beweglichen Haut. Darin waren Mensch und Tier gleich, sie trugen das Bild des Todes unter ihrem Fleisch, heißes Blut umspülte für eine Spanne Zeit das knöcherne Gerüst. Irgendwo, tief in der dunkeln Welt, schliefen drei Kinder in ihren Bettchen, die morgen vielleicht schon Waisen waren. Sie fühlte es, daß diese Nacht die Entscheidung auf schwarzen Flügeln trug.
Hell zinkte die Uhr zehnmal auf der braungebeizten Kommode, auf deren Türen Trommeln und Hellebarden in lichterem Holz kriegerische Abzeichen in Kränze von Lorbeerblättern zusammenlegten.
Knistern von Leinen und Ächzen der Bettfedern riß Frau Johanna herum. Der Kranke hatte die Beine unter der Decke vorgeschoben und war im Begriff, auf den Teppich zu treten. »Königliche Hoheit«, sagte er mit klappernden Zähnen, »ich bin da. Ich bin bereit zu allem. Ich werde Sie nie verlassen. Immer in Ihrer Schuld.«
Eilig drängte ihn Johanna unter die Decke, schob das zerwühlte Kissen zurecht, legte einen neuen Umschlag auf. Die Kälte des Wassers schien das Bewußtsein aus dem Wirbel des Fiebers zurückgerufen zu haben, die Augensterne sanken in den Spalt der verschwollenen Lider, ein sehender Blick erkannte Johanna. »Wie gut du bist«, murmelte Bismarck, »wie gut! Und immer bei mir, wenn ich dich brauche.« Seine Finger verbrannten die ihren fast: »Ich habe immer an dich gedacht, immer und überall.«
Es war eine Weile ganz still, irgendwo fern im Haus schlug ein Fensterladen heftig gegen die Wand, ein Hund bellte auf, mit knurrendem Laut antwortete der Freund im Zimmer. Bismarck lag mit geschlossenen Augen, in seinen Lungen gurgelte der Eiter. Er legte den Kopf nach links und wandte ihn dann nach rechts, als wolle er die Wangen auf den Kissen kühlen. Und nun wurde aus dieser Wendung eine regelmäßige Bewegung, die furchtbar anzusehen war, ein unablässiges Pendeln, als hänge dieser arme glühende Kopf an einer Uhr des Todes, als treibe er selbst unaufhaltsam den Zeiger weiter.
Gott, gib mir Kraft, das zu ertragen! rang Johanna. Sie versuchte den pendelnden Kopf zur Ruhe zu bringen; aber es war, als werde er von einer starken Feder geschnellt, seine Bewegung riß ihre segnenden und begütigenden Hände mit. Und dazu rann es ihm jetzt wieder stoßweise vom Mund: »Ich muß einen größeren Schreibtisch haben … ein Zylinderbüro wie deines … Troubetzkoi und Suworow richten sich mit Nußbaummöbeln ein … alle richten sich mit Nußbaummöbeln ein … wie verrückt sind sie mit Nußbaummöbeln …«, er kicherte, und Schaum flockte dabei vor seinen Lippen, »wir können verkaufen, wenn wir wollen … der Transport kostet dreißig Kreuzer der Kubikfuß … aber die Likörflaschen sind zerschlagen, Johanna, der ganze Nordhäuser fließt unten durch die Kisten …« Sein Gesicht verzog sich in Ärger, der Kopf blieb zur Linken gewandt auf dem Kissen liegen, Speichel floß zwischen den Zähnen in zähem Fluß hervor: »Wenn das Eis der Newa wieder trägt«, murmelte er, »dann pflanzen wir Straßenlaternen und Turmzwiebeln, Bellin!«
»Mein Gott, mein Gott«, stöhnte Johanna, »was ist der Mensch? Wie stand er vor dir, aufrecht und stark, mein Gott, vielleicht zu aufrecht; aber mußte er darum so furchtbar niedergeschmettert werden. Oh, Allerbarmer, sieh nicht unsere Schwächen an, sieh auf sein Herz, das ist gut und rein.«
Es war, als wären Johannas Gedanken wie lautere Engel durch die Fieberglut bis an die Seele des Mannes gedrungen. Sprach er nicht Bibelworte vor sich hin? »Es ist alles nur Heuchelei und Gaukelspiel der Zeit … was Preußen und Österreich? … Völker und Menschen, Torheit und Weisheit, Krieg und Frieden, sie kommen und gehen wie Wasserwogen, und das Meer bleibt. Gott allein ist die Ehre und die Herrlichkeit … Wenn die Maske von Fleisch fällt, dann wird zwischen einem Preußen und einem Österreicher eine große Ähnlichkeit eintreten.«
Johanna preßte die Hände an die Ohren, ging fassungslos auf und nieder, erschrak plötzlich vor einem weißen Gesicht, das war sie selbst, die aus dem Spiegel sah. Dann schämte sie sich ihrer Feigheit und nahm das Hören wieder auf sich. Halb elf! klinkte die Uhr. Johanna träufelte Medizin auf einen Löffel. Der Kranke öffnete den Mund, aber plötzlich schnappte er zu und packte den Löffel mit starkem Gebiß. Die Medizin rann auf das Hemd, der silberne Stiel ragte aus den gefletschten Zähnen und bebte leise.
Jetzt war es mit Johannas Mut zu Ende; sie lief zur Tür und faßte das Klingelband. Aber sie besann sich; nein, kein Fremder sollte an dieses Bett kommen, niemand konnte helfen als Gott, und Gott nur durch sie. Ihre Kraft und ihr Gebet umgaben den Geliebten, jeder fremde Atem legte Breschen in diesen Wall.
Aus Bismarcks Mund klirrte der Löffel zu Boden. Der Fiebernde stöhnte, sein Flüstern ging schneidend durchs Zimmer. »Was ist Wahrheit? … Ja, Sie haben recht, Gerlach, ich frage wie Pilatus … Was ist Wahrheit? … Hat die Wahrheit zwei Gesichter? … Oh, es ist ein Schmerz … Ich weiß, sie kann es nicht verwinden … die Politik verdirbt den Charakter … bin ich selbstgerecht? Ich weiß es doch … kann man mit der Wahrheit durch die Welt? … man zeige mir einen anderen Weg, und ich will ihn gehen … zeige mir einen anderen Weg, Johanna …«
Seine Fieberranken griffen nach ihr, umklammerten ihren Namen, selbst in diesen Nachtgärten des Grauens leuchtete er von Zärtlichkeit. ›Nie mehr, o Gott‹, betete sie, ›will ich an ihm zweifeln. Er soll seinen Weg gehen, was verstehe ich von seinem Weg, ich will ihn begleiten voll Vertrauen. Kann Gott nicht auf allen Wegen zum Guten wirken? Geht nicht aus aller Finsternis Licht hervor?‹ Sie war an der Tür auf die Knie gesunken, barg das Gesicht in den Händen. ›Ich stand nicht immer neben ihm, so eng, wie ich hätte stehen müssen. Er mußte von anderen holen, was er in mir hätte finden sollen. Mach ihn gesund, Gott, wenn es nicht wider deinen Ratschluß ist; sein Weg ist immer voll von deinem Wehen, ich habe dich nicht erkannt, o Gott, in ihm.‹
Kam da nicht in dieser röchelnden Stille jemand den Gang herab? Langsame, tappende, schlürfende Schritte den Gang herab, auf das Zimmer zu.
Im Bett schrie es schrill: »Auf Mensur! … Bindet die Klingen! … Gebunden ist! … Los!«
Johanna nahm die Hände vom Gesicht, Bismarck lag da, aufgebäumten Leibes, auf die Ellenbogen gestützt, wie im Krampf. Sie wollte aufspringen, ihn beruhigen, aber sie war lahm an allen Gliedern, nur das Gehör war geweitet, lauschte auf diese tappenden, schlürfenden Schritte, die den langen, einsamen Gang herab immer näher kamen. Wer wollte da mitten in der Nacht an dieses Bett, wer kam da …?
Der Hund, der sich wieder auf dem Teppich zusammengeringelt hatte, zuckte im Schlaf und hob den Kopf. Witternd stieß er die Schnauze vor, knurrte dumpf, leise löste er seinen schläfrigen Ring, stand stumpf da und machte ein paar Schritte gegen die Tür zu.
Noch immer tappten die Schritte den Gang herab, kam dieser Korridor aus dem Endlosen, war er ein Flur der Ewigkeit?
Johanna griff nach dem Hund, sie wollte ihn am Halsband zu sich ziehen, sein Leben an dem ihren fühlen. Aber er wies die gelben Zähne, wich zurück, und da sah Johanna die Haare an seinem Nacken steil aufstehen, wie sie es an ihrem armen Nero in Reinfelden erlebt hatte, ehe er wütend geworden war. Die Augen funkelten grün, Geifer tropfte vom Maul, das Hintergestell bog sich ein, als sei dem Tier das Rückgrat gebrochen worden. Und plötzlich lag der Hund auf dem Bauch und kroch winselnd davon, unter das Bett.
Draußen auf dem Gang tappten die Schritte vor der Tür, standen still …
Und vom Bett her rief Bismarck mit einer tiefen Stimme, die ihm ganz fremd war: »Das Bein muß amputiert werden!« O Gott, wessen Stimme war das, die da noch einmal dröhnend sagte: »Muß amputiert sein.«
Ein Schloß knirschte, ein kleiner Lichtblitz traf von der Seite Johannas Auge … ganz langsam wurde die Türklinke heruntergedrückt.
Es riß sie von den Knien empor, nicht Schlüssel noch Riegel war an der Tür, und immer tiefer wurde die Klinke gedrückt. Da warf sie sich an die Tür, stemmte sich mit dem Rücken dagegen und klammerte sich zu beiden Seiten an die Pfosten. Ihre Nägel verbogen sich im Mörtel, ihre Füße wurzelten in die Diele.
O Gott, o Gott, nimm mich! schrie es in ihr, nimm mich. Nicht ihn! Laß ihn seinen Weg zu Ende gehen. Du hast ihm Großes bestimmt, ich weiß es, ich will nie mehr zweifeln. Dein Wille geschehe, gnädiger Gott … aber sei barmherzig, nimm mich.
Sie fühlte mit ihrem Rücken die Türklinke, aber es war so, als sei ihr Leib etwas sehr Fernes, liege im Endlichen, das sie mit ihrer Seele verlassen habe, um in ein Reich vorzudringen, wo nichts Körperliches bestand. Und wie aus weiter Ferne erzählte ihr dieser Leib, daß die Klinke sich langsam nach oben bewege und mit einem leisen Knacksen einspringe … die tappenden Schritte wurden vor der Tür laut, schlürften zurück, langsam, den langen Gang hin, woher sie gekommen waren.
Ein Ächzen rief ihre Seele in den verlassenen Leib. Sie fand sich mit ausgebreiteten Armen an die Tür geheftet, ihr Körper brannte wie eine große, eiternde Wunde.
Bismarck lag leise stöhnend im Bett, der Krampf war gelöst, seine Glieder waren willenlos und schlaff in die Laken gewühlt. Johanna wankte zu ihm, ihre Hand fühlte auf seiner Stirn, seinen Wangen, seiner Brust einen kalten Schweiß in großen Perlen. Ruhiger ging der Atem, leise weinend sank Johanna vor das Bett und küßte die nasse Hand. –