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Dies war der Plan gewesen, den ich mir zur Befreiung Miß Franklins aus den Händen der Meuterer ersonnen hatte. Ich war mehr vom Glück begünstigt worden, als ich zu hoffen gewagt hatte. Wäre kein Wind gewesen, so würde ich einen Vorwand haben erfinden müssen, um die Abfahrt des Bootes in die Länge zu ziehen. Eine Verzögerung von vierundzwanzig Stunden hätte aber, wegen des launenhaften Charakters der Mannschaft oder infolge eines Wetterumschlags, dem ganzen Unternehmen verhängnisvoll werden können.
Als ich bei dem Oberlicht vorbeiging, in der Absicht, durch das Teleskop nach dem Boot zu sehen, hörte ich den Koch laut nach mir rufen. Ich ging hinunter und sowie er mich sah, flehte er mich an, ihm die Freiheit zu schenken; er gelobte mit den heiligsten Eiden, er wolle mir treu dienen.
»Ik bün noch tau jung, üm för mien ganzes Lewen inspunnt tau werden,« weinerte er. »Ik bün nich so'n slichten Kierl, üm in ein Fängnis sachten versmachten tau möten, denn ik bün nich schuld doran, dat ik Müderer worden bün. De annern hebben mi kein Rauh nich laten; sei wiern doch tau vel för mi un hädd mi jo woll umbröcht, wenn ik mi weigert hädd, de Sak mit tau maken, Sir.«
»Wenn du ehrlich an mir handeln und mir helfen willst, die Brigg in den Hafen zu bringen, so will ich dich frei lassen. Du hast jetzt Gelegenheit, wieder ein rechtschaffener Kerl zu werden, wenn du ordentlich Hand anlegst und dich treulich bemühst, die Arbeit zu verrichten, die dir zugewiesen werden wird. Zum Lohn dafür will ich dir dann ein so gutes Zeugnis ausstellen, daß kein Gericht dir etwas anhaben, dich keine Strafe für dein gesetzwidriges Verhalten treffen soll.«
Er dankte mir im demütigsten Ton für meine Güte, schwor, wie froh er sei, daß die Leute fort wären und ich die Brigg wieder genommen hätte, flehte mich an, seine Bande zu lösen, ihn auf die Probe zu stellen, und wenn er mich hinterginge, so wollte er u. s. w. u. s. w.
Wir konnten jedoch jetzt noch ohne ihn auskommen und es schadete ihm nichts, noch eine Zeitlang in Ungewißheit zu schweben. Ich sagte ihm deshalb, er müsse noch so lange liegen bleiben, bis ich mit Banyard gesprochen und mit diesem beraten hätte, was wir mit ihm anfangen wollten.
Ich hatte noch nicht Zeit, Miß Franklin zu besuchen, sondern eilte wieder auf Deck, wo ich fand, daß die Brigg gut segelte und Hardy sie vortrefflich steuerte. Das Langboot war weit hinter uns; es war nur noch ein so kleiner Fleck, daß ich kaum begreifen konnte, wie wir in der kurzen Zeit eine solche Entfernung zwischen uns gelegt hatten. Als ich es durch das Glas betrachtete, erkannte ich, daß sie das Segel niedergelassen hatten. Hieraus ersah ich, daß sie bemerkt hatten, wie wir davonfuhren und uns jetzt beobachteten, um zu sehen, was für einen Zweck wir damit verfolgten.
Noch konnten sie wohl kaum ahnen, daß sie verraten waren. Ich vermute, daß sie glaubten, wir hätten ein Kriegsschiff in Sicht bekommen. Sie mochten sich in schöner Angst befinden!
Ihre Gedanken waren mir indes jetzt ganz gleichgültig. Mit jeder Minute erschien uns die kleine Insel zarter und ätherischer auf der unbegrenzten blauen Fläche, und nach einer halben Stunde mußte das Langboot außer Bereich des Teleskops sein, selbst wenn ich dieses von der Mastspitze aus darauf gerichtet hätte.
Uebrigens waren die Leute durchaus nicht in grausamer Weise in die Welt hinaus gestoßen. Das Land war ihnen nahe, sie hatten Wasser und Brot, ein Boot, groß genug, um mit geringer Gefahr die Paumotu-Gruppe zu erreichen, falls es sich herausstellen sollte, daß Teapy unbewohnt wäre.
Ich verbannte sie aus meinen Gedanken und wandte meine Aufmerksamkeit unserer eignen Lage zu.
Banyard, welcher an der Schanzkleidung lehnte, rauchte seine Pfeife mit einem Gleichmut, der meinen Neid und meine Bewunderung erregte. Savings sah mich unverwandt an, und da es mir schien, als wünschte er mit mir zu sprechen, so ging ich zu ihm; er schlug indes sogleich die Augen nieder und sein Gesicht nahm einen verstockten Ausdruck an.
»Du gehörst zu denen, die freiwillig an der Meuterei teil nahmen. Du bist mitschuldig an des Kapitäns Tod und mußt dich darauf gefaßt machen, wegen Mords gehangen zu werden.«
»Maken S' rasch dormit, un sien S' verdammt!« antwortete er grimmig. »Aewer t' wier fründlicher west, Sei hädd mi mit de annern weggahn laten. Twei sün tau vel för ein'n, un ik hew Sei nicks unrechts nich dahn, dat Sei nau mien Lew nahm' wulln.«
»Was meinst du eigentlich?« rief ich. »Denkst du, ich will dich umbringen? Alles, was ich von dir fordere, ist dein Versprechen, mir zu helfen, die Brigg in einen Hafen zu führen. Wenn du das thun willst, wollen wir uns die Hände schütteln und kein Wort soll am Lande darüber verlauten, daß du bei der Meuterei beteiligt warst. Das soll mein Versprechen sein, wenn du das Deine hältst.«
Dies war etwas so gänzlich Verschiedenes von dem, was er erwartet hatte, daß er einige Augenblicke mich nur verblüfft anstarren konnte. Als er die Sprache wiederfand, schrie er:
»Wenn 't wider nicks is, wat Sei wulln, da is dat en anner Sak, dünn maken Sei mi los, un denn süll'n Sei seihn, ob ik arbeiten will oder nich!«
Da ich jetzt verstand, daß seine meuterische Wildheit nur dem Glauben entsprungen war, daß Banyard und ich nach seinem Blut dürsteten, schnitt ich sogleich die Stricke an seinen Händen und Füßen durch; ich war der Meinung, daß es einen guten Eindruck auf ihn machen würde, wenn ich ihm sofort die Freiheit gäbe.
Er sprang auf, streckte sich, schwenkte seine Arme und rief: »Seggen Sei, wat nau sien süll, Sir.«
»So is recht!« lobte Banyard, welcher jetzt herantrat und ihm einen freundschaftlichen Klaps auf den Rücken gab. »Unner jedwerein Flagg' is beter tau segeln as unner de swarze Flagg', Maat.«
»Gut, Pendel,« sagte ich, »sprechen Sie so weiter zu ihm, und wenn Savings Ihre Ansichten teilt, so wird keine rechtschaffenere Brigg auf dem Wasser schwimmen als die ›kleine Lulu‹.«
Ich ging hinunter und trat zu dem Koch, der auf dem Rücken lag so fest wie eine Mumie inmitten einer Pyramide. Er begann sogleich wieder in mich zu dringen, ihn in Freiheit zu setzen, beteuerte, daß seine Arme und Beine schon ganz blutlos wären und daß, wenn der Krampf seinen Magen ergriffe, wir ihn würden begraben müssen.
Um den Aermsten aus seiner Angst zu erlösen, schnitt ich die Bande an seinen Beinen und Handgelenken durch und erklärte ihm kurz und bündig, daß sein künftiges Schicksal von ihm allein abhinge, daß seine Führung entscheiden würde, ob er für den Mord von Kapitän Franklin und Mr. Sloe gehangen werden – oder straflos ausgehen sollte, um aufs neue wieder ein ehrliches Leben anfangen zu können. Ich gebot ihm dann, auf Deck zu gehen und Banyard und Savings zu sagen, daß er uns nach besten Kräften helfen wolle.
Er stolperte hinauf, so rasch seine noch ungelenken Beine es ihm erlaubten, und ich hörte durch das offene Oberlicht, wie er zu Banyard sagte, daß ich keinen Grund gehabt hätte, ihn niederzuschlagen und zu fesseln. Er wäre der Meuterei niemals übermäßig freundlich gesinnt gewesen und wäre herzlich froh, nun so leicht aus der kitzlichen Geschichte herausgekommen zu sein.
Savings erwiderte etwas, was ich nicht verstand, aber der Ton, in welchem beide sprachen, gab mir die Ueberzeugung, daß ich mich vorläufig auf sie verlassen könnte.
Voller Jubel und ohne meine körperliche Ermüdung zu achten, näherte ich mich Miß Franklins Kajüte. Sie kannte mein Klopfen, öffnete sogleich die Thür und sah mich in höchster Spannung mit angstvollen Augen an.
Ihr Anblick bewegte mich bis auf den tiefsten Grund meiner Seele. Die große Liebe, die ich für sie empfand, brannte in meinem Herzen; die Erinnerung an alle Angst und Sorge, die ich für sie ausgestanden hatte, stürmte auf mich ein, – und jetzt war es erreicht, – jetzt war sie sicher und die Brigg ihr Eigentum! Eine schreckliche Zeit der Gefahr lag hinter ihr; unverletzt, unbeschimpft und so frei von allem Schaden ging sie daraus hervor, als wenn die Kajüte, die sie bewohnt hatte, ihre geliebte kentische Heimat gewesen wäre. Alle diese Gedanken und Gemütsbewegungen drangen mit Macht auf mich ein und raubten mir einen Augenblick die Sprache. Ich reichte ihr meine Hand und sie nahm sie; aber mein Schweigen mißverstehend, fragte sie mit ersticktem Flüstern: »Ist Ihr Plan mißlungen?«
»Nein!« rief ich, »Gott sei Dank! Alle Sorgen sind vorüber, – Sie sind sicher und geborgen, – die Brigg segelt nach Haus!«
Sie that einen Freudenschrei. Ihr Entzücken über die Nachricht sprach aus der flammenden Röte, die ihr Gesicht bedeckte. Sie ließ meine Hand los, lehnte ihr Köpfchen an meine Brust und rief mit ihrer wunderbar lieblichen Stimme:
»Nach Haus, nach Haus, endlich nach Haus!«
»Sie haben Vertrauen zu mir gehabt, und ich habe es nicht getäuscht,« antwortete ich, indem ich auf ihr schönes Haar niederblickte und mit der Versuchung kämpfte, es zu streicheln; da aber auf einmal begannen meine Kniee unter mir zu zittern, und ich sank nieder auf den Kasten neben der Thür. Meine Hand an die Stirn pressend, mußte ich alle meine Kraft zusammennehmen, um das plötzliche Gefühl des Schwindels und der Schwäche zu bemeistern, welches mich zu überwältigen drohte.
»Sie haben sich zuviel zugemutet,« hörte ich sie sagen; dann verließ sie mich schnell, kam aber gleich wieder zurück und hielt mir ein Glas Branntwein an die Lippen. Der stärkende Trank war grade, was ich bedurfte. Ich dankte ihr und küßte die Hand, die sie ausstreckte, um das Glas wieder in Empfang zu nehmen.
Nunmehr holte sie ihr Kopfkissen, legte es auf den Kasten und bat mich, mich niederzulegen.
»Ich habe etwas aromatischen Essig,« sagte sie, »und werde Ihren Kopf damit baden. Ich werde Sie bald wieder gesund machen. Sie haben so lange, lange Zeit für mich gesorgt, – nun bin ich an der Reihe.«
Alle ihre Neugier zu hören, was geschehen, war vorüber oder wurde unterdrückt; sie hielt mich für krank, und zum erstenmal erkannte ich an dem erschreckten, angstvollen Blick, mit dem sie mich ansah, daß meine Liebe erwidert wurde.
Ihr, die ihr das lest und an das Langboot und seine Besatzung von Meuterern denkt, an die fragliche Treue der beiden, auf der Brigg verbliebenen Leute und an die Schwierigkeiten, die meinem Unternehmen entgegenstanden, diese Brigg von dreihundert Tonnen mit nur drei Männern und einem Knaben in den Hafen zu führen, – ihr werdet denken, daß dies nicht der richtige Moment war, eine Liebeserklärung zu machen; aber ich konnte dem Zauber nicht widerstehen, der mich ergriffen hatte. Sie stand bei mir und sah mit sinnenden Augen zu mir nieder.
Mit meinen beiden Händen faßte ich ihre Hand.
»Sie sollten mein Anteil des Schatzes sein, kleine Lulu, wenn wir die Insel erreichten und das Gold gefunden wurde,« flüsterte ich ihr zu. »Wir haben die Insel erreicht, aber da ist kein Gold und die Leute sind enttäuscht. Ist auch mein Anteil Täuschung? – oder habe ich meinen Schatz gefunden? – darf ich ihn nehmen, darf ich ihn behalten, den mein Herz schon solange ersehnt?«
»Ich gehörte schon Ihnen, lange bevor die Leute mich Ihnen zusprachen,« sagte sie.
Und was dann geschah? – Ich will es euch in einem Satz erzählen: sie lag in meinen Armen und meine Lippen waren auf die ihren gepreßt. Ich hatte sie gewonnen und sie schien glücklich, daß sie mein eigen war.
»Nun aber fröhlich an die Arbeit, mein Liebling!« sagte ich, ihre Hand haltend, und führte sie aus der Kajüte auf das Deck.