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Viertes Kapitel.
Die kleine Lulu.

Ehe der Tag zu Ende war, hatte ich den Entschluß gefaßt, am folgenden Montag nach London zu fahren, um mir dort eine Hängematte an Bord irgend eines Schiffes, das nach Indien oder China gefrachtet hatte, zu suchen. Ich war ganz fähig, einen tüchtigen Vollmatrosen abzugeben, denn groß und stark, gewandt im Takelwerk, kannte ich alle zu verrichtende Arbeit so gut wie meine Tasche.

Wenn ich mich als solcher verheuerte, hatte ich die Aussicht, drei Pfund fünfzehn Schilling im Monat zu verdienen, so daß ich am Ende einer zwölfmonatlichen Reise Geld genug haben konnte, um mich einige Wochen am Lande zu erhalten. Während dieser Zeit durfte ich dann hoffen, die Prüfung als zweiter Maat abzulegen und eine Anstellung als solcher zu finden. Nach Fassung dieses Entschlusses fühlte ich mich ruhiger.

Den Nachmittag brachte ich damit zu, mich weiter in der Stadt umzusehen und den Kirchhof zu besuchen, auf dem mein Vater begraben lag. Ich fand den Gram der Witwe in einem ganz erbärmlichen Stein und einem ebenso vernachlässigten Grabe ausgedrückt. Aber natürlich, zu Blumen für das Grab langte es ja nicht mehr, im Knopfloch von Lickwater machten sie sich besser, und dann, der Tote war ja keiner Empfindung, mithin auch keiner Dankbarkeit mehr fähig, der Aufwand für die Pflege des Grabes wäre also die pure Verschwendung gewesen. Da konnte das Geld denn doch nützlicher und angenehmer beim Fleischer oder im Wirtshaus ausgegeben werden.

Als ich den Kirchhof verließ, wünschte ich recht inbrünstig, daß mir Lickwater einmal auf See begegnete; – wie hätte ich ihn empfangen wollen! – Ich malte mir den Genuß in allen Farben aus.

Als ich in dieser liebevollen Stimmung dem Hafen zuschlenderte, bot sich mir plötzlich ein Schauspiel, das meine Gedanken völlig abzog. An der Ecke einer Straße, welche in die Hauptstraße mündete, lag ein gut aussehendes Gasthaus. Der Thür gegenüber hatten sich vier Negermusikanten aufgestellt. Einer hatte eine Flöte, zwei spielten die Geige und der vierte ließ sich auf der Guitarre hören.

Die Flöte und eine Fidel waren am meisten betrunken; letztere gehörte ausnahmsweise einem wirklichen Neger, die anderen hatten das Land der Schwarzen nie gesehen.

Ich blieb stehen, um zuzuhören, ein Haufe Seeleute verstopfte den Thorweg des Gasthauses und eine Menge Menschen stand auf der Straße.

Der Neger setzte den Bogen an, da er aber zu betrunken war, spielte er falsch und ohne Takt, gleich dem Flötisten, welcher unsicher auf seinem Instrument herumfingerte und wohl fühlte, daß keine Harmonie zu stande kam, doch aber zu benebelt war, um herauszuhören, wie er sie finden könne. Es lag etwas ungemein Komisches in dem Ausdruck dieser beiden Gesichter und in den zornigen Blicken, die ihre Gefährten ihnen zuschleuderten.

»Warum hältst du nicht Takt, du Dieb?« schrie der zweite Geiger den Neger an.

»Wie, du mich nennen Tieb?« erwiderte der Neger, der seine Geige in ihrer Lage behielt, aber den Bogen absetzte und mit rollenden Augen seinen Kameraden ansah.

Der Streit brach augenblicklich los. Der Neger schlug mit dem Bogen nach seinem Beleidiger, und der Guitarren-Spieler brüllte:

»Wat, du willst min Brauder murden!« – und krach, schlug er seine Guitarre dem Neger auf den harten Wollschädel, daß dieser auf der andern Seite wieder herausfuhr. Fast in demselben Augenblicke schwebte auch schon die andere Geige über dem unglücklichen schwarzen Haupt und sauste nieder. Ihr Boden brach ein und klemmte sich auf der Hirnschale des Negers fest. Nie gab es einen komischeren Anblick als diesen Nigger, in der Guitarre wie in einem Halseisen steckend und die Geige wie einen Hut auf seinem Kopfe. Aber der wenigst verwundbare Teil seines Körpers war attackiert worden; in einem Augenblick hatte er sich gebückt, dem einen seine Geige in die Rippen gestoßen und dem andern die Krone, die ihm aufgesetzt worden war, an den Kopf geschleudert. Hiernach entstand ein allgemeines Raufen; alle fielen zur Erde, sprangen aber gleich wieder auf, balgten sich weiter und bahnten sich hierbei, unter dem Geheul und Gelächter der Menge, einen Weg in das Gasthaus, wo das Geklirr zerbrochener Flaschen und Gläser die Fortsetzung des Kampfes hören ließ.

Der Wirt brüllte aus einem oberen Fenster nach der Polizei; das Volk drängte den Kämpfenden in die Thür des Gasthauses nach, um den Spaß weiter mit anzusehen, zerstob aber wie Spreu vor dem Winde, als der Neger mit dem Wrack der Guitarre um den Hals, verfolgt von seinen Genossen und einer ganzen Schar von Matrosen, herausstürzte. Alles stürmte nun die Straße entlang und in wenigen Augenblicken war der ganze Haufen meinem Auge entschwunden.

Bekannte in Bayport aufzusuchen, hatte ich keine Lust. Es genierte mich, daß mein Vater eine gewöhnliche Schneiderin geheiratet hatte; außerdem war ich aber so gut wie ein Bettler und konnte nicht wissen, welcher Empfang mir werden würde. Dieser Gedanke erschreckte mich.

Seeleute sind in der That die empfindlichsten Menschen der Welt, aus Gründen, auf die hier näher einzugehen mich zu weit führen würde, und ich war keine Ausnahme von der Regel.

So kehrte ich also nach dem Gasthaus zurück mit der Absicht, den Abend im Rauchzimmer zu verbringen. Am nächsten Tage wollte ich mir eine richtige Vorderkastell-Ausrüstung besorgen und mich am Montag nach den Ost-End-Docks begeben.

Als ich mich dem ›Weißen Hirsch‹ näherte, bemerkte ich die brünette Schönheit, deren Augen mich am Morgen bezaubert hatten, auf einem Balkon sitzen, der sich über den Fenstern des Kaffee-Zimmers befand. Sie hatte die Arme auf das Balkon-Geländer gelegt und sah mit nachdenklichen, träumerischen Blicken hinaus auf die See. Der laue Wind spielte in ihrem weichen dunklen Haar und Haltung und Gesichtsausdruck zeigten, wie tief in Gedanken sie verloren war.

Ich würde viel darum gegeben haben, in ihrer Gesellschaft sitzen zu können; es lag ein so zarter weiblicher Schmelz auf ihrem Gesicht, der unendlich ansprechend war. Es wäre mir eine Wonne gewesen, ihre Stimme zu hören, ihr Auge auf mein Gesicht gerichtet zu sehen und zu ihr über mich sprechen zu können.

Eine Landratte würde es anzufangen gewußt haben, mit ihr bekannt zu werden, ich aber war zu schüchtern, auch nur daran zu denken, daß eine Vorstellung am Ende zu erlangen wäre, wenn ich mich darum bemühte. Ganz jämmerlich fühlt man seine gesellschaftlichen Mängel, nachdem man lange Zeit auf See war.

Es giebt nichts Unbeholfeneres unter Damen als einen Seemann, der eben von einer längeren Reise zurückgekehrt ist. Er, der mit Kaltblütigkeit ein Schiff im Sturm beherrscht und in der dünnen Speiche eines Rades so vieler Menschen Leben in seiner festen Hand hält, wird selten eine Tasse Thee auch nur einen Meter weiter zu reichen vermögen, ohne dieselbe über das Kleid einer Dame auszuschütten oder über den Teppich zu stolpern und hinzuschlagen. Da kann es nicht wundernehmen, wenn Seeleute beim weiblichen Geschlecht nicht beliebt sind. Die Lieblings-Erzählungen unter Seeleuten, wenn sie einmal lachen wollen, behandeln in der Regel ihre Verlegenheiten und Ungeschicklichkeiten Damen gegenüber.

Ich fragte Transom, den ich hinter seiner Glasthür sitzen sah, um den Namen der Dame. »Wissen Sie, Transom,« sagte ich, »ich meine die Dame mit den braunen Augen und roten Wangen, die engelhafte Schönheit. Ihr Gefährte ist ein hübscher Mann mit braunem Bart.«

»Ach, ich weiß schon, wen Sie meinen,« entgegnete Transom, mußte aber schließlich, nach einigem Nachdenken, den Namen doch erst im Fremdenbuch suchen. Da stand derselbe verzeichnet mit: Miß Franklin.

»Wer ist ihr Begleiter?«

»Kapitän Lucius Franklin.«

»Ah! Wohl Bruder und Schwester?«

»Höchst wahrscheinlich. Er ist zu jung, um ihr Vater zu sein. Uebrigens finde ich sie auch sehr schön, aber du lieber Gott, unsereins muß dem Geschäft nachgehen und hat anderes zu thun, als sich die Gesichter seiner Gäste viel anzusehen.«

»Haben Sie ihren Taufnamen erfahren?«

»Erfahren grade nicht, aber ich glaube, daß sie ›Luise‹ heißt. Ich kann mich irren, mir ist aber so, als hätte er sie ›Lulu‹ genannt, als sie hierher kamen und Zimmer verlangten.«

Ich hätte gern noch mehr Fragen gestellt, z. B. wie lange sie schon im Hotel waren, woher sie kamen, was der Mann für eine Stellung bekleidete u. s. w., aber ich dachte, ich könnte mich, ohne einen bestimmten Grund für meine Neugier zu haben, doch leicht lächerlich machen. Außerdem mußte ich auch befürchten, meinen Freund in seinen geschäftlichen Angelegenheiten zu stören und mich ihm dadurch lästig zu machen; so dankte ich ihm also nur für seine Auskunft und ging meiner Wege.


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