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Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Ein zärtliches Bekenntnis.

Nirgends vergeht die Zeit so schnell wie auf der See. Die Einförmigkeit macht, daß die Tage schnell dahin eilen. Es schien mir, als wären wir gestern erst aus Bayport heraus bugsiert worden, und jetzt hatten wir die Linie schon hinter uns. Neue Sternbilder stiegen jeden Abend vor uns auf und jene Welten, die der heimsegelnde Seemann so liebt wie sein Leben, versanken immer mehr vor unsern Blicken.

Ich will schon jetzt bekennen, – denn das Geständnis läßt sich nicht mehr lange hinausschieben, daß ich begann, mich ganz verzweifelt in Luise Franklin zu verlieben. Bisher hatten ihre dunklen Augen und ihr holdes Gesicht sich nur als ein Zauber erwiesen, der wohl meine Bewunderung, aber noch kein tieferes Gefühl in mir hervorgerufen hatte. Das war, als ich noch vorn und sie hinten lebte, als die ganze Länge der Brigg uns trennte. Das Bewußtsein meiner bescheidenen Stellung, die Arbeit, die ich zu verrichten hatte, und des alten Windwärts Roheiten, welche ich schweigend ertragen mußte, ließen ein tiefer gehendes Gefühl gar nicht aufkommen. Ich dachte an sie wie an etwas ganz Fernes; der Teer, der mir anklebte, die Männer, welche meine Gefährten waren, die Niedrigkeit meiner Arbeiten waren wie eine Decke, unter welcher die Liebe so wenig brennen konnte, wie ein Licht im Bauche eines lebenden Stockfisches.

Aber jetzt hatten die Dinge ein anderes Aussehen gewonnen. Erstens, und vor allem, hatte die Veränderung meiner Stellung mein im Vorderdeck vernichtetes Selbstbewußtsein wieder gehoben. Ich konnte meinen natürlichen Charakter wieder annehmen, welcher mir im Vorderkastell nur böse Worte und Fußtritte von denjenigen Leuten eingemacht hätte, die Lust gehabt hätten, ihre Füße gegen meine Fäuste zu versuchen. Ich war wieder Jack Chadburn, Gentleman, allerdings rauh in Manieren und Sprache, aber doch berechtigt, wie ich glaube, mich in der Unterhaltung mit dem Mädchen auf gleichem Fuße zu fühlen, und im stande, des alten Windwärts grobes Anschreien in einer Weise zu erwidern, die mich in ihren Augen nicht herabsetzte. Das aber, nämlich ihre gute Meinung von mir, war alles, woran mir überhaupt gelegen war.

Dazu kam, daß ich viel mit ihr zusammen war. Oft wurden die ersten Wachen zu einem gemütlichen Gedankenaustausch mit ihr benutzt, wenn der alte Windwärts in seiner Koje schnarchte, der Schiffer unten war und die Brigg ruhig über die See dahinglitt. Ich hatte ihr alles von mir erzählt, von meiner Heimat, meiner Mutter, meines Vaters zweiter Heirat, von meinen Reisen und meiner Armut. Dabei ruhten ihre braunen Augen auf den meinen, und ihr liebreizendes, in der Dunkelheit blaß aussehendes Gesicht, zeigte Mitgefühl und Interesse.

Nach und nach erfuhr ich denn auch alles, was sie von sich erzählen konnte: daß sie eine Waise sei (wie ich schon vermutet hatte), daß ihr Bruder, nachdem er diese Brigg gebaut und sie ihr zu Ehren ›Die kleine Lulu‹ getauft, – »denn manchmal liebt und manchmal haßt er mich«, fügte sie lachend hinzu –, sie überredet hätte, mit ihm nach Australien und wieder zurück zu reisen; daß sie eigentlich nur eingewilligt habe, um der Langenweile des kleinen kentischen Dorfes zu entfliehen, in welchem sie ein Haus besäße, aber wie sie gänzlich ohne Ahnung gewesen sei von der entsetzlichen Einförmigkeit solcher langen Seereise auf einem so kleinen Schiffe. Nach den Beschreibungen, die man ihr von dem Leben der nach Indien und andern Weltteilen reisenden Passagiere gemacht hätte, welche sich die Zeit mit Musik, Tanz, Karten- und Theaterspiel angenehm vertrieben, habe sie sich das natürlich ganz anders gedacht.

Und wie stand es mit ihr? Ich konnte aus ihr nicht klug werden. Sie liebte meine Gesellschaft, das war gewiß. Oft fand ich sie noch am Tisch, nachdem ihr Bruder und der alte Windwärts schon fort waren, um mich zu empfangen, wenn ich herunter kam. Sie war unerforschlich, eine schwarzäugige, kleine Hexe, manchmal ernst, manchmal heiter, oft den blühendsten Unsinn, oft verständig wie das Alter sprechend, ein schwer lösbares, aber reizendes Rätsel für mich, über welches ich mir, wenn ich allein war, mit Entzücken und Qual den Kopf zerbrach.

Manchmal wollte ich mir die unruhigen Gedanken aus dem Kopf treiben: »Pah! sie mag dich gern, weil du der Einzige bist, mit dem sie sprechen kann. Sie langweilt sich tötlich. Ihr Bruder ist ihr keine Gesellschaft, der Maat ein Bär; sie macht dir damit kein großes Kompliment. Laß sie ans Land kommen, und sie wird nur noch mit Lachen an den schüchternen Jack denken, der sie bewunderte und den sie im Geiste ewig mit dem Fetttopf sehen wird, mit welchem er einst unter ihren Augen die Oberbramstangen schmierte.«

Ob sie wohl ahnte, daß ich sie liebte? Darüber vermochte ich nicht klar zu werden. Ich vermute, daß meine Gefühle ihr nicht ganz verborgen blieben, wenn die Dunkelheit mich zu empfindsamen Worten ermutigte, aber ich blieb doch schüchtern und zurückhaltend. Die ganze Fülle meiner Liebesgedanken strömte erst mit aller Macht aus, wenn ich allein war und das Ventil meines Herzens von der Gewalt derselben gesprengt wurde. Hierbei empfand ich nur die eine Gewißheit, daß weder der Kapitän, noch der alte Windwärts die leiseste Ahnung hatte von dem, was in mir vorging. Darin konnte ich mich nicht täuschen.

Unter diesen Schwärmereien hatten wir die Linie überschritten, und der fünfte August fand uns auf dem sechsten Grad, dicht am Kurs des südöstlichen Passat-Windes.

In einer Mittelwache saß ich auf dem Oberlicht, beobachtete eine Neigung der obersten Segel, sich zu füllen, und wartete nur noch auf ein entschiedeneres Anzeichen des kommenden Windes, um die Wache an die Brassen zu rufen.

Wir hatten die ganze letzte Zeit über, was man auf See ›Damen-Wetter‹ nennt, gehabt, d. h. glattes Wasser, ganz leichte Brisen und nachts einen Wind, der seinen Silberschein auf die weite Wasserfläche warf und die Segel der Brigg wie Perlmutter schimmern ließ.

Das Nachtglas lag an meiner Seite, denn vor wenigen Minuten hatte ich ein Segel in Sicht bekommen, für das bloße Auge freilich nur ein weißer Fleck auf dem im Mondschein glänzenden Wasser; aber das Glas hatte mich doch ein vollgetakeltes, nach Norden steuerndes Schiff erkennen lassen. Eben glitt es in den Schatten jenseits des silbernen Kegels, den der Mond auf die See warf. Es war eine Nacht voller Romantik in der Natur, – ein Idyll von Himmel und Ozean.

Eine Gestalt schlich das Deck entlang und auf mich zu. Am Gange konnte ich leicht erkennen, wer es war.

»Bist du es, Deacon?«

»Ja; ist das nicht eine schöne Nacht?«

»Gewiß, sehr schön; aber wie kommt es, daß du nicht schläfst?«

»Ich kann nicht schlafen, ich weiß nicht, woher es kommt, ich bin heut' ganz ruhelos.«

»Vielleicht ist der Mond daran schuld,« sagte ich lachend, mich gleichzeitig vom Oberlicht wegbegebend, da ich nicht wünschte, daß der Kapitän mich sprechen hören sollte.

»Ach was, der Mond stört mich nicht,« antwortete er. »Ich passe schon eine Stunde auf die Gelegenheit, um wieder einmal mit dir von jener Sache zu reden, die ich dir vor einigen Wochen anvertraute. Die Stunde scheint mir günstig, um noch einmal mit dir davon zu sprechen.«

»Es ist natürlich wieder deine Insel, die dir im Kopfe spukt, wie?«

»Im Kopfe spukt? – Pah, – du wirst schon noch anders darüber denken lernen. Allerdings, es ist die Insel, die mich zu dir führt. Ich erzählte dir mein Geheimnis, weil ich hoffte, deine Hilfe zu gewinnen. Es ist ein großes Ding, was ich dir da anvertraut habe, das sage ich dir, und deshalb nimm dich in acht. Es macht mir stets Sorge, daß ich es that; denn es giebt Menschen, die das Vertrauen eines Andern mißbrauchen und zu ihrem Vorteil verwenden. Das will ich nun gerade nicht von dir denken, aber mir sind Zweifel aufgestiegen, ob du zu mir halten und mir helfen willst.« – Während er dies sagte, ruhten seine Augen mit finsterem Blick auf dem Deck, und sein Gesicht zeigte einen ganz sonderbaren Ausdruck.

»Dein Geheimnis ist bei mir sicher, ob ich dir helfe oder nicht,« antwortete ich ungeduldig.

»Na, man kann keinem Menschen recht trauen,« entgegnete er, mich unruhig anblickend.

»Du hast mir aber vertraut, und jetzt ist es zu spät, es zu bereuen.«

»Was weißt du?«

»Was ich weiß? Nun, was du mir erzählt hast.«

»Was war das?«

»Gerechter Gott! Verlangst du, daß ich dir die ganze Geschichte wiederhole?«

»Ich frage, was es war – was ich dir erzählt habe?« rief er ärgerlich.

Ich blickte ihn verwundert an; denn er kam mir in diesem Moment wahrhaftig wie nicht ganz richtig vor, und ich antwortete ziemlich heftig:

»Zum Teufel! Du erzähltest mir von irgend einer Insel in der Südsee, in welcher du Geld und Gold im Wert von sechzig Tausend Pfund vergraben hättest; daß diese Insel drei Grad westlich von Teapy und genau auf dem dreißigsten Grade südlicher Breite läge.«

»So ist also richtig das Geheimnis meines Lebens in deinem Besitz!« stöhnte er, rasch atmend.

»So ist es, und ich bin folglich ein unsinnig reicher Mann. Grade so reich wie jener Mann, welcher bei niedrigem Wasserstande auf den Godwin-Sands stand und sagte: Hier unter meinen Füßen liegen die Wracks von Jahrhunderten, mit Gold genug, um die Nationalschuld abzuzahlen.«

»Was sollen solche Vergleiche? Spar' dir deine Spöttereien!« rief er sehr erregt. »Der Reichtum unter den Godwin-Sands ist allerdings für immer verloren und von so wenig Nutzen, als eine Goldmiene im Monde. Aber mein Gold liegt so greifbar da, wie irgend welche Frachtgüter, die zum verstauen bereit liegen.«

»Es ist eine sonderbare Geschichte,« sagte ich, da sein Ernst nicht verfehlte, auf mich Eindruck zu machen. »Mein Rat ist, du lassest dein Geheimnis nicht weiter dringen; da du das Geld gerettet hast, so behalte es. Es mag ebensogut in deiner Tasche aufgehoben sein, wie auf dem Grunde der See, wo diejenigen es vermuten, denen es eigentlich gehört.«

»Nun aber,« sprach er, seine Arme verschränkend, »was waren meine Gründe, daß ich gerade dich aus der ganzen Mannschaft als Teilhaber meines Geheimnisses auswählte?«

»Ich weiß, ich weiß,« fiel ich ein.

»Ich brauche ein Schiff, dieses Geld abzuholen,« fuhr er gereizt fort, »und einen Mann, der es an Ort und Stelle zu bringen versteht. Weil ich dich für diesen Mann hielt, habe ich dich zu meinem Vertrauten gemacht und dich aufgefordert, mein Partner bei dem Geschäft zu sein. Von den sechzigtausend Pfund, die da sind, sollen je zwanzigtausend mir, dir und der Mannschaft gehören.«

»Aber der Plan, den du dir da gemacht hast, riecht ganz verflucht nach Piraterie. Du sprachst davon, dich dieses Schiffes bemächtigen zu wollen. Glaubst du wirklich, daß ich dir zu einem solchen Unternehmen meine Hand leihen würde?«

»Warum nicht?«

»Weil ich kein Schurke bin.«

Er starrte mich mit blitzenden Augen an, während er mit den Fingern auf seinen verschränkten Armen trommelte, als ob er eine Klavierübung machte. Dann überflog sein düsteres Gesicht ein spöttisches Lächeln und er sagte im Flüsterton:

»Mir scheint, der Kapitän hat dich verdorben dadurch, daß er dich zum zweiten Maat machte und unserem Kreis entzog.«

»Du bist ein Narr; was veranlaßt dich zu dieser Annahme?«

»Die Brutalität des alten Windwärts und die Kaltherzigkeit des Schiffers vermögen nicht mehr, dich wild zu machen. Dein Herz ist gefangen, Jack, du steckst in den Banden des Mädchens, denkst nur noch an dieses.«

» Ihren Namen laß aus dem Spiel, Maat,« sagte ich streng. »Das Benehmen des Kapitäns und des Maats erregt meine Entrüstung noch ebenso, als da ich noch unter euch lebte; aber gleichviel welche Stellung ich auch an Bord eines Schiffes einnehme, so wirst du nie erleben, daß ich mich an einer Meuterei beteilige. Das erkläre ich dir.«

Nach diesen Worten standen wir uns kurze Zeit stumm gegenüber, ich, vor mich hin stierend, benommen von dem Gedanken, daß mein Geheimnis, welches doch dem Kapitän und dem alten Windwärts bis jetzt verborgen geblieben war, im Vorderkastell ganz offenkundig zu sein schien; er mit seinen Gedanken beschäftigt, das herabhängende Kinn mit seiner rechten Hand stützend. Um diese mir peinliche Situation zu enden, wollte ich meinen Gang auf Deck wieder aufnehmen, als er plötzlich mit dem Kopf in die Höhe fuhr und sagte:

»Ach, du Tugendbold, habe nur keine Angst um deine Moral, ich werde ihr keinen Schaden thun. Vor der Hand erinnere ich dich nur noch einmal daran, daß du Geheimhaltung geschworen hast.«

»Das hast du gar nicht nötig,« brummte ich verstimmt, und ohne ein weiteres Wort schlich er wieder leise nach vorn.


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