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Nach meiner Rückkehr ins Hotel begab ich mich auf mein Zimmer und legte dort meine Vorderdeck-Takelage an. Diese bestand aus einem Paar grober Zeughosen, einem farbigen ungestärkten Hemd, einem Gurt mit Messer, einer Jacke und einer Mütze. Diese Kleider waren alle neu, aber glücklicherweise waren sie nicht die Hüllen eines Neulings. Ich war soeben von einer längeren Reise gekommen, als selbst Kapitän Franklin sie vielleicht jemals in seinem Leben gemacht hatte und wenn meine Hände auch nicht so hart waren, wie sie ein Mann des Vorderkastells haben mußte, so hatten sie doch auch schon ihr Teil Arbeit an Bord verrichtet. »Fasse Mut, alter Junge,« sprach ich zu mir, »du machst nicht deine erste Reise und wirst ihnen zeigen, daß du etwas verstehst.« Ich ging nun ins Gastzimmer hinunter, um meine Rechnung zu bezahlen und Transom adieu zu sagen; ich fand ihn an seinem gewöhnlichen Platz, hinter dem Glasverschlag. Er betrachtete mich mit einem komischen Ausdruck des Erstaunens und rief: »Halloh! wollen Sie auf einen Maskenball?«
»Ja,« sagte ich, »ich habe eine Einladung erhalten zu einem, der auf dem Stillen Ozean stattfinden soll, ich vermute aber, daß, ehe ich dahin komme, ich schon manchen Reigen nach der Pfeife des Bootsmanns getanzt haben werde.« Darauf erzählte ich ihm, daß ich die Musterrolle für das Vorderkastell der ›kleinen Lulu‹ unterzeichnet hätte.
»Na,« sagte er, seine Ueberraschung unterdrückend, »der Mensch will leben, die See muß doch wohl nach Ihrem Geschmack sein, mir wäre ein Meter festes Land lieber, wie das größte Schiff der Welt. Also glückliche Reise, Mr. Chadburn, ich zweifle nicht, daß Ihr Mut seinen Lohn finden wird.«
Ich schüttelte mit Wärme seine mir entgegengestreckte Hand und fragte, was ich für mein Quartier schulde.
»Nichts als einen Brief, wenn Sie einmal Lust haben, mich mit einem solchen zu erfreuen und mich hören zu lassen, daß es Ihnen gut geht,« antwortete er.
Ich war durch seine Freundschaft sehr gerührt und fühlte dieselbe jetzt grade um so tiefer, da ich das Vaterland verlassen wollte und in der ganzen weiten Welt, mit Ausnahme dieses ehrlichen, guten Kerls, keine Seele wußte, die sich auch nur einen Pfifferling darum gekümmert hätte, ob ich wiederkehrte oder nicht. Da Widerreden doch nur verschwendet gewesen wären, nahm ich an, was er mir so freundlich bot, und schied von ihm mit herzlichem Dank. Auf dem Wege nach der Brigg aber trat ich in einen Juwelierladen, kaufte dort eine Busennadel und schickte ihm diese mit einer Karte, auf welcher stand: ›Bitte zu tragen, bis Jack Chadburn zurückkehrt‹.
Als ich an Deck kam, fand ich die Decks gewaschen und alles laufende Tauwerk klar. Die Mannschaft war unten, um sich zu reinigen. Meine Kiste war, wie ich sah, schon angelangt, ich begab mich also gleich nach der Vorderluke und warf einen Blick hinein.
»Halloh,« brüllte da sogleich eine Stimme von unten herauf, »heb ik etwa Ulenogen?«
Dieser zarte Wink für mich, aus dem Licht zu treten, kam von einem Mann, der seine Taugarn ähnlichen Locken vor dem Bruchstück eines Spiegels kämmte.
»Laß mich meine Kiste verankern, Maat,« sagte ich.
»Na, da giw her!« brummte er. Gleich darauf hatte der schwarze Schlund meine Sachen und mich verschlungen.
So befand ich mich nun in meiner Wohnung, dem Vorderkastell, einem Raum, der den ganzen vorderen, zwischen den Backen liegenden Teil des Decks umfaßte. Auf manchen Schiffen sind hochliegende Vorderkastells gebräuchlich, oder eigentlich Deckhäuser. Der Zugang zu ihnen ist ebensowohl durch Thüren vom Hauptdeck aus, als durch die Springluke von oben. Trotzdem sind sie aber kaum heller, als die unter Deck befindlichen Vorderkastells, da Bratspill, Fockmast, Langboot, Küche und dergleichen ihnen das Licht entziehen.
Das Vorderkastell der ›Kleinen Lulu‹ lag mit seinem Fußboden ziemlich seicht unter Deck. Man hatte durch diese Anlage eine Menge Platz im Kiel- und Bugraum zur Warenverstauung gewonnen. Eine Lampe, welche von einem ganz schwarz geräucherten Balken hing, brannte Tag und Nacht, und bei ihrem düsteren Schein bemerkte ich vier oder fünf Leute, die sich putzten, um noch ein paar Stunden die Freiheit am Lande zu genießen. Andere lagen rauchend auf ihren Pritschen und sahen der Beschäftigung ihrer Maats zu.
Glücklicherweise hingen keine Hängematten von der Decke, wir konnten uns daher ungehindert bewegen. Pritschen dagegen waren mehr als genug vorhanden, da der Zimmermann und Segelmacher, zugleich, wie ich später entdeckte, zweiter Maat und Hochbootsmann, ein ›nautischer Hans in allen Gassen‹, mit zwei Schiffsjungen und dem Koch in einem Raum hinter der Küche logierte.
Ich packte mein Bettzeug auf eine leere Pritsche, legte mich darauf und blickte im ganzen Raum umher. So interessant und angenehm mir dies auch sonst gewesen wäre, so hatte ich augenblicklich doch mehr Sehnsucht nach dem Fächeln eines Windsegels zur Einführung frischer Luft, denn bei dem rauchigen, matten Licht der Lampe vermochte ich weder die Leute noch sonst etwas im Raum recht zu erkennen. Wenn ich die Ausdünstung der sich waschenden Leute, den Geruch des brennenden Oels, den Gestank von Teerdecken, altem schmutzigem Bettzeug, modrigem Fleisch und faulendem Salzwasser, als die Hauptbestandteile der hier unten waltenden Luft nenne, so wird man die Lieblichkeit derselben ungefähr zu ahnen vermögen. Auf mein Wort, es war mehr, als selbst ein eingefleischter, ausgewitterter Seebär schön finden konnte.
Die Leute scherzten miteinander und ihre Zungen klapperten in den sonderbarsten Dialekten. Einige Spitznamen, bei denen sie sich nannten, und welche sicherlich zum Teil auch der Musterrolle beigefügt waren, klangen sehr merkwürdig. Wie viele von ihnen mochten schreiben können? Ihre Unterschrift bestand daher in einem Kreuz. Einer wurde ›Glücklicher Billy‹ genannt, ein anderer ›Kleiner Welchy‹, wahrscheinlich weil er ein Walliser war; dann hörte ich noch: ›Liverpool Sam‹, ›Schnarch-Jimmy‹ und ›Schöner Blunt‹. Daß diese Namen von ihren Müttern und Vätern herrührten, war kaum anzunehmen.
Die Sache ist die, daß Seeleute sich oft bei ihrer ersten Fahrt unter angenommenem Namen einschiffen. Den Grund davon habe ich nie erfahren. Geistige oder physische Eigentümlichkeiten verschaffen ihnen später Spitznamen unter ihren Schiffsmaaten, und diese kleben ihnen dann für ihr ganzes weiteres Seemannsleben an, während ihre Geburtsnamen vergessen werden.
Ich entfloh der Luft meiner Behausung, stieg auf Deck und sah zu, wie die Leute an Land gingen. Es war der letzte Abend auf lange Zeit hinaus, den sie so verbringen konnten, und in Rücksicht dessen war er kurz genug, denn um halb elf mußte alles wieder an Bord sein. Drei wollten ins Theater gehen und zu dem Zweck hatten sie sich besonders schön gemacht. Ihre Gesichter glänzten von Seife, ihr Haar von Oel, die Hände aber hatten aller Mühe und Anwendung des Fetttopfes gespottet, sie ganz von Teer zu befreien. Die reinen Hemden und schottischen Mützen ließen das aber übersehen. Jedenfalls gaben sie eine prächtige Gattung von See-Dandies ab.
Allmählich war die ganze Mannschaft fortgegangen, ausgenommen ich, der Koch und ein Schiffsjunge. Was mich betrifft, so bot mir Bayport keine Versuchung, das Schiff zu verlassen. Außerdem konnte ich in Abwesenheit der Leute am besten meine Sachen in Ordnung bringen, meine Lagerstätte herrichten und mich orientieren, in welche Art von Geschäft mich der Zufall geführt hatte.
Als ich es mir den Umständen nach gemütlich gemacht hatte, begab ich mich wieder auf Deck. Hier schloß sich mir der Koch an – ein fetter blasser Londoner –, der mir jetzt und später nur unter dem Namen Scum bekannt geworden ist. Ich versuchte, ihn über den Kapitän und den Maat auszuholen, entweder aber hatte er keine entschiedene Meinung über sie, oder er war nicht im stande, dieser Ausdruck zu geben. Er erzählte mir, daß die Brigg gut segele, kein Mann zu viel an Bord sei, und jeder rechtschaffen zu thun haben würde; denn alles wäre neu und das laufende Tauwerk arbeite schwer. Der Kapitän, meinte er, sei der richtige Neuengland-Mann, was das Antreiben beträfe, womit er sagen wollte, daß derselbe mit Vorliebe möglichst viel Segel setze. Außerdem erfuhr ich noch, daß die Ladung der Brigg aus Stückgütern bestehe, aber auch aus einigen Kisten Gewehren und Patronen für den australischen Markt.
Es war ein schöner Abend; der Mond stand im Süden und der Himmel war sternbesät. Als das Zwielicht verschwand, wurden die Maste und das Takelwerk undeutlich, die Raaen aber hoben sich in scharfen dunkeln Linien gegen die Sterne ab.
Die Lichter der Stadt glitzerten in dem stillen Wasser des Hafens und die Häuser lagen wie eine dunkle Masse darüber. Die Stimmen der Verkäufer, welche ihre Waren in den Straßen ausriefen, das Rasseln der am Hafen vorüberrollenden Wagen und die Klänge einer aus der Ferne herüberdringenden Musikkapelle unterbrachen die Stille des Abends in einer eigenen, aber ganz angenehmen Weise.
Ich blieb bis um halb zehn auf Deck, dann überlegte ich mir jedoch, daß ich wohl gut thun würde, schlafen zu gehen, da wir morgen früh schon um vier Uhr den Hafen verlassen sollten. Ich war im Begriff, meine Absicht auszuführen und nach der Luke zu schlendern, als ich auf einen Mann aufmerksam wurde, der den Hafendamm entlang taumelte und so betrunken war, daß ich jeden Augenblick erwartete, ihn kopfüber ins Wasser stürzen zu sehen.
Wenn der Mann zur Brigg gehörte, war es kaum anders denkbar, als daß er von der steilen Leiter, die den Hafendamm mit dem Stege verband, welcher zum Schiff führte, herunterfallen mußte. Das Wasser stand allerdings niedrig – wir lagen etwa zwölf oder dreizehn Fuß unter dem Hafendamm –, aber trotzdem konnte der Mensch doch ertrinken.
Ich blieb deshalb stehen, um ihn zu beobachten und ihm, falls nötig, Hilfe zu leisten, – und das war gut.
Als er stark schlingernd so daherkam, sprach er mit heiserer, lallender Stimme fortwährend mit sich selbst. Dicht an der Leiter hielt er an und neigte sich, wie scharf spähend, zur Seite. Offenbar war er in Zweifel, ob die Brigg sein Schiff sei. Vielleicht sah er zwei Briggs und wußte die rechte nicht herauszufinden.
Ich rief ihm zu, er solle sich nicht allein auf die Leiter wagen, ich würde herüberkommen, ihm zu helfen und ging, indem ich dies sagte, nach der Fallreeptreppe. Da knurrte er mich an:
»Wer bist du? Komm' mir nicht nahe, du Lump!«
In demselben Moment setzte er auch schon schnell den einen Fuß über die Seite, verfehlte die Leiter und stürzte hinab in die Tiefe. Ich hörte das starke Platschen, als sein Körper auf das Wasser schlug und dann war alles still. Im Nu warf ich meine Jacke ab, rief dem Koch zu: »Mann über Bord«, ergriff eine Taurolle, schleuderte das eine Ende derselben über die Schiffsseite, befestigte das andere und glitt am Tau hinab ins Wasser.
Die Brigg lag kaum sechs Fuß vom Hafendamm entfernt. Ich fürchtete, der Mann würde beim Hinabfallen mit dem Kopfe aufgeschlagen sein; als ich aber ins Wasser tauchte, stieß er im Aufsteigen gegen meine Füße. Ich packte ihn am Kragen, zog ihn hinauf und hielt seinen Kopf über der Oberfläche.
Er war besinnungslos und rührte sich nicht, ein Toter hätte nicht stiller sein kämen. Ich schrie dem Koch zu, mir eine Leine herunterzuwerfen. Als dies geschehen war, machte ich eine Schlinge und legte sie dem Kerl unter die Arme. Hiernach wurde er vom Koch so weit heraufgezogen als möglich und dann festgehalten. Eigentlich wäre ihm ganz recht geschehen, wenn wir ihn so eine Stunde hätten baumeln lassen, als ich aber wieder auf Deck war, hißten wir ihn mit vereinten Kräften doch herauf.
Wir rollten ihn nach vorn und ließen ihn dort triefend liegen. Der Koch beugte sich über ihn und sagte:
»Dat is de nige Matros', de desen Morn heuert würd; hei het naug Water sluckt, üm den Rum, den hei inladen het, tau verdünn'.« – Darauf ging er schlafen.
Auf See wird eben nicht viel Federlesens gemacht und kein Mitleid verschwendet.