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Sechsunddreißigstes Kapitel.
Ein See-Parlament.

Seit wir Bayport verließen, hatten wir fünf Mann verloren, Kapitän und Maat mit eingerechnet. Dies reduzierte unsere Zahl auf elf Köpfe, nämlich auf:

Voll-Matrosen: Sam, Suds, Savings, Blunt, Billy, Welchy.

Schiffsjunge: Hardy.

Koch: Scum.

Offizier und gleichzeitig Zimmermann, Hochbootsmann und Segelmacher: Mr. Banyard.

Kapitän: Jack Chadburn.

Passagier: Miß Luise Franklin.

Unsere Zahl war auf diese Weise etwas knapp bemessen. Der alte Windwärts hatte sich niemals zu stolz gezeigt, bei einem schweren Zuge mit seiner Kraft auszuhelfen, ja, er war sogar manchmal ins Takelwerk gestiegen. Infolgedessen war er so gut wie ein Voll-Matrose gewesen. Fünf weniger, machen eine große Lücke in einem kleinen Haufen, und nun lag es mir ob, die Brigg aus diesen stürmischen, in Eis erstarrten Breiten herauszuführen, so schnell ich nur irgend konnte, sollte nicht Krankheit unsere schwachen Arbeitskräfte noch mehr verringern.

Nach dem Frühstück hatte ich ein Gespräch mit Banyard und stellte ihm eine Vertrauensfrage.

»Ich halte Sie für einen ehrlichen Mann, Banyard, und werde offen mit Ihnen sprechen. Ich habe die Absicht, die Brigg zu bergen, d. h. wenn es mir gelingt, sie in einen Hafen zu führen. Wollen Sie das Schicksal der Mannschaft teilen oder wollen Sie mir beistehen?«

Seine ganze alte Schlauheit lag in seinen Augen, als er mich ansah.

»Wenn Sei de Brigg bargen künnt, so ward dat en schönes Geschäft sien; äwer ik müggt' woll weiten, wo Sei dat anfangen wullen?«

»Kann ich auf Ihre Hilfe rechnen, wenn sich eine Gelegenheit bietet?«

»Seihn Sei, Mister,« antwortete er langsam, »ik müggt nich girn en Slag up den Kopp kregen. Sei un ik, wi beide sünd nich stark naug för die annern all.«

»Ich beabsichtige auch nicht, mich auf ein Handgemenge einzulassen,« unterbrach ich ihn lachend; »aber ich habe mir einen Plan erdacht, der uns, wie ich hoffe, die Leute ohne Kampf vom Halse schaffen soll. Wenn die Zeit kommt, werde ich Sie einweihen. Was ich jetzt zu wissen wünsche, ist nur: welchem Ende der Brigg gehört Ihr Herz?«

»Frielich dem Achterdeck.«

»Das genügt,« sagte ich.

»Warten Sei mal en beten. Ich hew Sei schon mal erklärt, worüm ik mi up de Sak inlaten hew. Ich gah' ümmer dahen, wo de Hümpel am dicksten is. Aewer ik bün kein Perat nich. Ik bün för den Frieden un de Anstännigkeit. Da liggt en beten Geld in ein Sporbank, dat gehürt ein Mann, de sien Nam' mit en Kreuz unnerschrewt, un de Nam' von dese Mann is: ik. Peraten sünd dat äwer nich, de ehr Geld in Sporbanken leggen, un för ehre ollen Däg sorgen. Bringen Ser mi rute ut desen Swindel, un laten Sei de Polizei weiten, dat ik nicks dormit tau dauhn hadd hadd, un dese Arm' steihn tau Ehren Deinsten, un en schön Dank noch dortau.«

»Schon gut,« sagte ich. »Alles, was Sie jetzt zu thun haben, ist zu schweigen und auf das zu warten, was man ›gute Gelegenheit‹ nennt.«

Kein geborener Schotte hätte vorsichtiger sein können als Banyard, der alte Knauser. Er hatte den Leuten ihren groben Scherz und die allgemeine Mißachtung, die sie ihn fühlen ließen, noch nicht vergeben, und dies war mir eine Bürgschaft seiner Treue für mich; dazu kam noch sein ehrlicher Wunsch, sich von der Meuterei und ihren Folgen freizumachen.

Ich hatte ihn schon mehrere Tage beobachtet und bei verschiedenen Gelegenheiten ausgehorcht und glaubte seine Gesinnung genau zu kennen. Ohnedies würde ich wahnsinnig gehandelt haben, mich in seine Macht zu geben und mein Leben zu riskieren auf seinen guten Willen hin, mein Geheimnis den Leuten zu verschweigen.

Jetzt war es das Wichtigste für mich, zu erfahren, welche Gedanken Deacons Tod in den Leuten erzeugt hatte, und ihre Meinung über die Insel und das Gold kennen zu lernen. Daher ging ich nach vorn und meinen Kopf in die Luke steckend, forderte ich sie auf, nach hinten zu kommen und in der Kajüte mit mir eine Beratschlagung abzuhalten.

Um auf Deck zu stehen, war es wirklich zu kalt. Keine Hülle wäre warm genug gewesen, die Erstarrung des Körpers zu hindern, wenn man nicht die Beine stark bewegte.

In der Kajüte angekommen, nahmen sie am Tisch Platz und um sie in gute Laune zu versetzen, holte ich eine Flasche Rum hervor – eine von denen, die auf meinen Anteil gefallen waren – und schenkte der Reihe nach jedem ein Weinglas voll davon ein. Ihre Augen leuchteten ordentlich vor Vergnügen bei diesem Anblick. Halb verschmachtete, schiffbrüchige Seeleute hätten nicht gieriger nach einem Trunk frischen Wassers greifen können.

Ich setzte mich an das obere Ende des Tisches und an der Front schmutziger Gesichter und schwarzer Hände entlang blickend, denen Seife ein unbekannter Gegenstand zu sein schien, eröffnete ich die Debatte.

»Ich habe euch hierher gerufen, um zu hören, wie ihr jetzt über die Insel denkt, nachdem sich herausgestellt hat, daß Deacon wahnsinnig war.«

Nach kurzem Stillschweigen antwortete Blunt:

»Wi hebben uns dat äwerleggt un wi sünd der sülwigen Meinung as Sammy, dat Deacons Gschicht doch de Wohrheit sien künnt'.«

»Ik hew Sei dat all seggt,« sagte Sam zu mir.

»Das thatest du, aber das war, ehe Deacon tobsüchtig wurde.«

»Vertell em de Sach' von de oll Frau Lobb, Sam; dat ward em äwertügen,« schrie Suds.

»Ich habe auch das gehört,« sagte ich. »Was ich zu wissen wünsche, ist: habt ihr alle noch so viel Glauben an Deacons Geschichte, daß ihr entschlossen seid, die Reise nach der Südsee fortzusetzen?«

»Na,« schrie Blunt, »wo anners segeln wi denn hin? Wi wull'n dat Gold säuken un wi warden 't finn'n.«

»Schön, angenommen, es ist wirklich vorhanden, und angenommen, ihr findet es, was wollt ihr dann damit thun?«

»Na, wi nähen et in uns' Kledder, un denn lieden wi Schippbruch,« erwiderte der Schöne, »dit is doch nich unmäglich?«

Ein brüllendes Gelächter erhob sich und Blunt blickte triumphierend umher.

»Ihr werdet mich entschuldigen,« sagte ich sehr höflich, »wenn ich so viele Fragen stelle; aber bedenkt, mich betrifft diese Angelegenheit so sehr wie euch, und ich möchte wissen, was aus uns allen werden soll, wenn ich euch an das Ziel eurer Reise gebracht habe.«

»O, Sei künn'n fragen, so vel Sei lustig sünd,« knurrte der alte Sam und sog am Rande seines Glases, »wi wullen Sei allens seggen, wat wi denken.«

»Gut; wenn nun weder die Insel noch Gold zu finden ist, was dann?«

Dies war offenbar eine Annahme, auf die sie nicht Lust hatten, näher einzugehen; denn sie fingen alle zusammen an, zornig zu schreien und einer sagte:

»Wenn kein Insel nich da is, so warden wi blot weiten, dat Sei nich Lust hebben, ein' tau finn'n.«

»Wenn sie da ist, werde ich sie finden,« antwortete ich kalt. »Du hast kein Recht, so zu mir zu sprechen, Billy, bis jetzt habe ich dich noch nicht betrogen.«

Aber im stillen dachte ich, sogar während ich dem Kerl antwortete, »ob sie da ist oder nicht, finden werde ich sie für euch;« denn dies war die Voraussetzung, worauf ich meinen ganzen Plan baute.

»Nehm' wi an, de Sak is, as Sei seggen,« bemerkte Suds, »un et is nicks von Gold up de Insel, un allens sünd Lägen west, ei nu, denn warden wi Seeröwer. Dat sall en Leben warden! De Taschen vull Sülwer-Dollars, de nüdlichsten Dierns, den feinsten Grog un den besten Tobak.«

»Holt' dien Schnut, du dreimal destillirte mürderische Spitzbauw, von so'ne Plän!« schrie der alte Sam wütend. »Angenommen, Gold is nich tau finn'n; angenommen, de See is nich salzig; angenommen, dese Brigg is up den Grund gahn un wi liggen alle mang de Muscheln; ik segg, wartet mit Jug verfluchtigen Unsinn, bet wi weiten, wo de Sak steiht.«

In seinem Zorn schlug er mit der Faust heftig auf den Tisch.

»Mister,« wandte sich hier Savings freundlich grinsend an mich, »'t wier woll nich noch ne Buddel Rum in so 'ne Schuwlad' dort tau finn'n?«

»Nein,« erwiderte ich kurz, »mehr giebt es nicht. Wenn dein Magen noch einer Stärkung bedarf, so ist hier die leere Flasche; halt' sie dir unter die Nase und rieche daran. Nun,« fuhr ich fort, mich wieder an die andern wendend, »ich setze voraus, Deacon hat euch erzählt, daß seine Insel nicht auf der Karte zu finden ist?«

»Ja, ja, wi weiten allens,« schrie der Schöne.

»Wenn der Mann sich irrte in seiner Berechnung, so werde ich es natürlich nicht wissen, wenn ich auf die Stelle komme, wo er seine Insel vermutete. Nun, da seine Geschichte, wenn sie wahr ist, beweist, daß eine Insel in der Südsee ist, welche auf der Karte nicht verzeichnet ist, so können ebensogut auch noch andere da sein, die auch nicht eingetragen sind. Versteht ihr mich?«

»Je ja, ümmer wider.«

»Es könnte geschehen, daß wir in Sicht einer Insel kommen, welche vielleicht nicht Deacons Insel ist.«

Der alte Sam nickte.

»Ich bin nicht im stande, zu sehen, ob die Küste mit Deacons Skizze übereinstimmt, ohne die Brigg dicht ans Land zu segeln und vor Anker zu gehen. Dies würde aber außerordentlich gefährlich sein, weil wir vielleicht zu spät entdecken könnten, daß die Insel bewohnt ist oder daß ein Kriegsschiff in einer Bucht liegt. Es würde uns dann gehen wie jenem Manne, der sein Bündel in einer Höhle gelassen hatte und als er zurückkam, um es zu holen, einen Löwen darauf liegend fand, der während seiner Abwesenheit die Höhle zu seinem Ruheplatz erwählt hatte.«

»Wider,« rief Billy, »wi hüren tau.«

»Meine Meinung ist nun die: Wenn wir unsere Hälse nicht in Gefahr bringen wollen, so müssen wir sicher wissen, ehe wir anlegen, daß das Land, welches wir vor uns haben, Deacons Insel ist, daß es unbewohnt ist und kein Schiff in der Nähe ankert. Ist das richtig?«

»Je, mi dücht, dat dorgegen nicks tau seggen wier,« entgegnete Blunt.

»Wir müssen jede Vorsicht anwenden, um zu verhindern, daß jemand an Bord der Brigg kommt. Wenn das geschähe, so muß ich euch offen sagen, daß ich dann wohl kaum im stande sein würde, euch aus der Not zu helfen. Neue Schiffspapiere kann ich nicht schaffen, und jede erfundene Geschichte, die ich vorbrächte, würde Argwohn erregen. Man wird uns verhaften und ans Land bringen und vor Gericht stellen. Die Wahrheit wird sich aus dem einen oder andern schon herauspumpen lassen und dann Hurra für Jack Ketch, den Henker, und den Woolloomooloo-Kerker.«

»Je ja, wenn 't dortau käme, würd'n de Utsichten frielich slimm för uns stahn,« knurrte Blunt und blickte finster umher.

»Seggen Sei uns, Mister, wat Sei för Plän' hebben. Sei hebben en klauken Kopp dortau, un wi wulln Sei schön bidden,« sagte Savings.

»Ich habe mir die Sache überlegt und nun hört, was ich euch vorschlage,« antwortete ich und sah dabei mit einer Miene tiefen Nachsinnens auf des Schönen breitmäuliges Gesicht: »Dem ersten Stück Land, welches uns in der Nachbarschaft von Deacons Schätzung in Sicht kommt, wollen wir uns bis auf drei Meilen nähern, aber keinesfalls mehr. Wir werden die Brigg dort beidrehen und das Quarter-Boot mit ein paar leeren Wasserfässern niederlassen. Fünf von euch müssen dann hineinsteigen und ans Land rudern. Sollte die Insel bewohnt sein, so wird es den Anschein haben, als wenn ihr gekommen wäret, die Fässer mit frischem Wasser zu füllen. Ist sie nicht bewohnt und ihr glaubt, daß es Deacons Insel ist, so werdet ihr loten, und wenn ihr einen guten Ankerplatz für die Brigg gefunden habt, zurückkommen und es uns mitteilen.«

Die Leute sahen einander an und es entstand ein ziemlich langes Stillschweigen.

»Up de Ort wier allens seker, dat is wohr,« rief endlich der Schöne; »wer äwer sall in dat Boot, wer sall de Partie mitmaken?«

»Wählt untereinander; wenn ihr es wünscht, will ich mit euch gehen,« erwiderte ich; »jedenfalls aber muß der, welcher den Befehl über das Boot übernimmt, ein Mann sein, dem wir vertrauen können; er muß eine rasche Erfindungsgabe besitzen und eine freche Stirn haben, um, ohne Argwohn zu erregen, Fragen beantworten zu können, im Falle sich unvorhergesehene Schwierigkeiten ergeben sollten. Es ist nun an euch, zu entscheiden, ob ihr mir vertrauen wollt.«

Es entstand aufs neue eine Pause. Ich brachte sie von der Spur ab. Sie waren schlechte Taktiker, und wenn sie auch nicht gerade mit Worten gestehen wollten, daß sie mir nicht trauten, so gaben sie es doch durch ihr Stillschweigen zu erkennen.

Ich that, als ob ich nicht wüßte, was dies Schweigen bedeutete, und fuhr fort: »Auf einen Punkt muß ich jedoch eure Aufmerksamkeit noch lenken: Wenn ihr mich zum Führer des Bootes wählt, so wird das jedem Sachverständigen als ungewöhnlich auffallen. Es ist nicht Sitte, daß der Kapitän eines Schiffes, wie dieses, mit einer Wasser-Abteilung ans Land geht. Es würde dies der Dienst eines Maats oder Hochbootsmanns sein. Ein kleiner Funke in der Pulverkammer kann in einem Nu ein Schiff in die Luft sprengen, und das geringste Versehen in unserer Lage kann endloses Unglück herbeiführen.«

»So seih ik dat ok an,« sagte der alte Sam mit beifälligem Nicken.

»Der alte Banyard ist ein ehrlicher Mann, aber er denkt zu langsam und ist nicht schlau genug,« fuhr ich fort. »Man würde bei ihm rasch dahinter kommen, daß nicht alles richtig ist; den als Bootsführer zu wählen, würde ich euch also nicht raten.«

»Sei setten ümmer vörut, dat de Insel, de wi in Sicht kriegen, bewohnt is?« sagte der Schöne.

»Ja.«

»Un wenn sei dat nu nich is?«

»Dann laufen wir keine Gefahr.«

»Aewer wenn wi en Hus seihn oder Lüd, de ümhergahn, da dreihn wi üm un laten dat Landen bliewen.«

»Und ihr erregt Argwohn und werdet verfolgt! Nein, das geht nicht, Maat. Ihr müßt auch in diesem Falle, ohne zu zögern, ans Ufer fahren, eure Fässer füllen, harmlos euer Garn spinnen und wie 'ne ehrliche Schiffsmannschaft wieder weggehen.«

»Du mußt woll blind sien as en Swien unner Water, Schöner, wenn du dat nich inseihn kannst,« schrie Suds.

Blunt schwieg.

»Wer sall also de Führung hebben? Einer, de gaud reden un düchtig lägen kann. Dat is gewiß!« rief Savings.

»Blunt ist euer Mann,« sagte ich.

Er blickte mich an.

»Laßt ihn vorgeben, Hochbootsmann und zweiter Maat zu sein. Bis es so weit ist, werde ich wissen, was er sagen soll.«

»Ik ward dat schon sülwst maken,« entgegnete er trotzig. »Ik bün nich schreckhaft. Davör hew ik kein Bang nich. Ik ward schon antwurten, wenn sei frogen.«

»Ihr habt noch viel Zeit, meinen Plan zu überlegen,« sagte ich aufstehend. »Es ist noch keine Eile nötig. Ueberdenkt euch inzwischen die Sache, und wenn ihr einen besseren Ausweg findet, die Meuterei vor Entdeckung zu sichern, falls wir irrtümlich zu nahe an die unrechte Insel segeln sollten, nun, so kommt zu mir und wir wollen die Sache dann weiter besprechen. Gold ist etwas Herrliches und ich wünsche, daß ihr es findet; aber die Hoffnung, eure Taschen damit zu füllen, darf euch nicht dem Gefängnis oder dem Henker überliefern.«

Ich zitterte am ganzen Leibe, als sie mich verlassen hatten; so schwer war der Kampf gewesen, den ich zu bestehen gehabt hatte, die furchtbare Aufregung nicht zu verraten, in der ich mich befand; aber noch nie hatte ich auch so sehr gefrohlockt wie jetzt; denn wenn sie meinen Plan annahmen, so konnte ich die Geliebte samt dem Schiff retten und der Lotse werden, der sie aus allen Gefahren glücklich wieder in den Hafen der Heimat brachte.


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