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Siebenunddreißigstes Kapitel.
In der Südsee.

Das Horn von Osten her zu umsegeln, ist eine der unangenehmsten Aufgaben, die sich ein Seemann stellen kann. Die Stürme, welche zu gewissen Jahreszeiten von Westen her brausen, die hohen Wogen, die Menge der aus den antarktischen Regionen kommenden Eisberge, sowie die schneidende Kälte, das alles trägt dazu bei, die Reise ebenso beschwerlich wie gefahrvoll zu machen.

In unserem Falle waren wir so glücklich, die heftigen Winde hauptsächlich aus Süden zu haben, und wenn es irgend möglich war, glich ich den Unterschied zwischen einer flauen Brise und einem starken Winde aus, indem ich das große Ober-Bramsegel setzte und zwar sehr oft über ein dreifach gerefftes Topsegel.

Zweimal jedoch ging der Wind herum nach West und blies uns mit so furchtbarer Gewalt gerade in die Zähne, daß ich jedesmal die Brigg vor Top und Takel beidrehen mußte.

Im letzten Falle war die See so wild und schrecklich, wie ich sie bis dahin nie gesehen hatte und nie wiederzusehen wünsche, außer vom sicheren Lande aus. Am Nachmittag vierte der Wind und wehte so stark, daß wir genötigt waren, jedes Stückchen Leinwand aufzugeien und zu reffen. Trotzdem trieb die Brigg mit furchtbarer Gewalt über Berg und Thal. Als die Nacht herabsank, tanzte der Mond wie ein bleiches Gespenst hinter den vorbeijagenden Wolken und gab nur gerade so viel Licht, um den weißen Wogenkämmen Glanz zu verleihen.

Einen geringen Schutz gewährte die hohe Verschanzung; aber die Kälte war so groß, daß jedesmal, wenn Einem der Wind ins Gesicht blies, man das Gefühl hatte, als würde es von einem Messer durchschnitten.

In dieser Nacht legte ich mich nicht schlafen. Nachdem ich auf fünf Minuten hinuntergegangen war, um einige Züge Tabak zu rauchen und den Kreislauf meines Blutes in der wärmeren Luft der Kajüte wieder herzustellen, kehrte ich auf Deck zurück; ich war zu besorgt, um länger abwesend zu bleiben. Die Höhe und die Gewalt der Wogen machte unsere Lage zu einer äußerst gefährlichen. In einem Augenblick hilflos in die Höhe gerissen, stürzten wir in dem nächsten wieder in den pechschwarzen Abgrund, wo die drohend überhängenden Wasserwände uns wenigstens einen kurzen Schutz vor dem schneidenden Wind gewährten. Mit äußerster Anstrengung uns an den Seiten haltend, harrten wir atemlos bei jedem neuen Hinabschießen, ob die Brigg Kraft genug haben würde, sich schnell wieder zu heben, um die nächsten heranrollenden schwarzen Wasserberge zu übersteigen, welche aussahen, als wollten sie jeden Augenblick über uns zusammenbrechen.

Es wäre ein besonderes Unglück gewesen, wenn solches Wetter, wie dieses, angehalten hätte. Allmählich gelang es uns, herauszukommen, ohne weitere Eisberge zu erblicken. Als wir den achtzigsten Längen-Grad erreicht hatten, richteten wir den Kurs der Brigg nach Nord-Nord-West und steuerten mit dankbarem Herzen nach den milden Gewässern des Stillen Ozeans.

Die schwere Last der Sorge, die auf meinem Herzen gelegen hatte, war weder meiner Gesundheit noch meinem Aeußern vorteilhaft gewesen. Mein Gesicht war hager geworden, ich sah erschöpft aus und meine Nerven waren vollständig herunter. Hätte ich mich gehen lassen, wie man im gewöhnlichen Leben sagt, so würde ich mich zu Bett gelegt und wahrscheinlich eine schwere Krankheit durchgemacht haben; aber Unwohlsein war ein Luxus, den ich mir nicht gestatten durfte. Mit Aufbietung meiner ganzen Willenskraft hielt ich mich aufrecht und lieferte dadurch mir selbst den Beweis, was der Geist über den Körper vermag.

Die Leute hatten bei Umsegelung des Kap Horn auf Tod und Leben gearbeitet, und wahrhaftig, es war eine schwere Arbeit gewesen für eine so schwache Bemannung. Jetzt, da das böse und kalte Wetter vorüber war, thaten sie aber nichts außer steuern und Raaen brassen. Die Vernachlässigung des Schiffes war in seinem Aussehen deutlich erkennbar. Das stehende Tauwerk hing schlapp, die gegen die Reibungen aufgebrachten Schamvilungen waren reine Lumpen, die Masten sahen rauh und der Rumpf ganz braun vor Schmutz aus; es hätte für einen Walfischfänger gelten können, der, nachdem er sich drei Jahre unter den Südsee-Inseln herumgetrieben hatte, auf der Heimreise begriffen war.

Da wir uns jetzt jedoch den Breiten näherten, wovon die Leute seit den letzten zehn Wochen geträumt hatten, empfahl ich gewisse Vorbereitungen, und es gelang mir, durchzusetzen, daß sie ausgeführt wurden. Banyard als Zimmermann mußte das Langboot einer gründlichen Prüfung unterziehen, es fest und sicher machen und ihm auch durch einen Anstrich von Teer und Fett Glanz verleihen. Das Windezeug zum Herablassen des Bootes wurde in Ordnung gebracht und alles zum Ankerwerfen bereit gemacht.

Diese und andere Vorbereitungen, welche ich alle mit großem Eifer überwachte, so daß niemand meine wahren Absichten zu erraten vermochte, erfüllte die Leute mit einem neuen Geist. Es war, als wenn ihnen erst jetzt die Wirklichkeit des Unternehmens, in das sie sich eingelassen hatten, zum Bewußtsein käme. Sie begannen wieder ihre alten Scherze zu machen. Jeder Tag brachte uns in ein milderes und köstlicheres Klima.

An einem wunderschönen Morgen beredete ich Miß Franklin, mich auf Deck zu begleiten. Sie schrak zuerst vor dem Gedanken zurück; ihre Angst und ihr Abscheu vor den Leuten waren zu tief gewurzelt. Es gelang mir jedoch endlich, ihre Abneigung zu überwinden und sie die Kajütentreppe hinaufzuführen.

Sie drängte sich furchtsam an meinen Arm, als ihr Auge dem finsteren Gesicht des am Rade stehenden Blunt, und, nach vorn zu, mehreren Leuten begegnete, die rauchend und plaudernd auf einem Segel lagen, welches sie zur größeren Bequemlichkeit unter sich gebreitet hatten.

Nachdem sie die erste Angst überwunden, war es ergreifend zu sehen, wie sie mit kindlichem Entzücken auf die blaue See und die weißen Segel blickte und mit Wonne die herrliche Luft der frischen Brise einatmete. Seit sechs langen Wochen war sie nicht oben gewesen. Abgeschlossen von frischer Luft – im wahren Sinne des Wortes wie eine Gefangene, hatte sie nur das melancholische Knarren des Holzwerks gehört und die ganze Welt von Himmel und Wasser nur durch die kleine runde Glasscheibe ihrer Kajüte gesehen, welche sich eben so oft unter als über den grünen Wogen befand.

Die Leute sahen sie scharf an, aber das war alles. Ihren Arm in dem meinen, so schritten wir das Deck entlang. Als sie mir diesen plötzlich entzog, that sie das wohl aus Furcht, daß diese Art vertraulichen Verhältnisses zwischen uns die Männer vielleicht zu einer rohen, laut geäußerten Bemerkung veranlassen könnte. Ich sagte ihr aber, daß ich glaubte, mir dieses Vorrecht erworben zu haben, daß die Leute darin nichts Auffallendes finden könnten und sie sich also meine Führung schon gefallen lassen müsse.

Ihr ausdrucksvoller Blick war die beste Antwort, die ich mir wünschen konnte, und wir spazierten gravitätisch auf und nieder, wie ein Admiral mit seiner Frau.

Bei den ruhigen Wogen, dem lauen Wind, den trägen Bewegungen der Segel und in der Gesellschaft von Luise Franklin wäre ich zufrieden gewesen, wenn sich die Brigg in den fliegenden Holländer verwandelt hätte, denn dann würden wir immer jung, die Sonne immer warm und das Wasser immer ruhig geblieben sein.

Nachdem sie einmal ihre Furcht überwunden hatte, kam sie öfter auf Deck. Die Leute näherten sich ihr niemals, schienen überhaupt gar keine Notiz von ihr zu nehmen. Sie kannten die Hand, die sich zu ihrer Verteidigung erheben würde, falls ihr einmal irgendwie zu nahe getreten werden sollte. Ein noch stärkerer Grund für ihr Verhalten war aber wohl der, daß sie der Reise herzlich überdrüssig waren und sehnlichst wünschten, das ihnen vorschwebende Ziel endlich zu erreichen, ihre Taschen mit Gold zu füllen und die Meuterei samt den Gefahren derselben in Vergessenheit zu begraben.

In der That war jetzt die Meuterei ein Punkt, welcher ihnen Sorge machte, wie ich eines Tages deutlich erkannte, als wir ein Schiff in Sicht bekamen, das gerade auf uns zusteuerte. Sowie der Ruf erklang: »Segel ho!« stürzte alles nach hinten, das Glas ging von Hand zu Hand und die offenbarste Angst verriet sich.

Ob es wohl ein Kriegsschiff wäre, wurde ich gefragt. Ich glaubte das seiner Gestalt nach nicht. Indes stellte es sich heraus, daß es doch ein Kriegsschiff war, eine brasilianische Brigg, ein Dampfer unter Segel, welcher S.S.O. steuerte. Er fuhr in einer Entfernung von zwei Meilen an uns vorüber, seine Flagge an der Gaffelspitze zeigend.

Am selben Tage rief ich Blunt zu mir und fragte ihn, ob die Mannschaft andere Entschlüsse gefaßt hätte bezüglich unseres Verhaltens, wenn Land in Sicht kommen sollte.

»Ne«, sagte er, »wi warden dauhn, as Sei utsonnen hebben. Sam seggt zwor, dat em dücht', drei Meilen wier tau wied, üm dat Schipp bitaudreihn, wi hädd da söß Meilen hen un t'rügg tau raudern, ein Meil af, wier naug; da künnt' wi mit en Glas seihn, ob Hüser da wiern, un uns de Mäuh spor'n, dat Boot runner tau laten.«

»Wir können ja auch, wenn ihr es wünscht, bis auf eine Meile heranfahren,« antwortete ich, »aber bedenket, daß wir dann auch leicht den Teil eines bewohnten Landes anlaufen können, dessen Gebäude vom Deck aus nicht sichtbar sind. Nach meiner Ansicht wäre es Wahnsinn, die Brigg vor Anker zu legen, ehe wir aufs sorgfältigste rekognosziert haben, ob die Insel bewohnt ist.«

»Dit is ganz richtig!« rief er. »Ik bün dorför, dat Boot tau schicken, üm sik ümtauseihn; wi wulln blot nich söß Meilen raudern, wenn twei genaug sünd.«

Eine Entfernung von einer Meile würde meinen Zwecken nicht so gedient haben wie eine von drei Meilen, trotzdem gab ich scheinbar seinen Wünschen nach, gedachte aber schließlich doch zu thun, was ich wollte.

Keinem lebenden Wesen hatte ich bis jetzt meinen Plan anvertraut. Einmal hatte ich Lust gehabt, zu Miß Franklin davon zu sprechen, aber der bloße Gedanke, ihn auch nur flüsternd zu äußern, erschreckte mich schon. Alles Gelingen und höchst wahrscheinlich auch mein und Miß Franklins Leben, jedenfalls aber die Sicherheit der Brigg, hing davon ab, daß die Leute keinen Argwohn schöpften. Ich wagte kaum meinen eigenen Gedanken nachzuhängen, damit nicht durch mein Wesen oder den Ausdruck meines Gesichts Zweifel bei den Leuten erregt würden.

Mein Leben, meine Liebe, mein ganzes zukünftiges Glück standen auf dem Spiel, wenn die Kriegslist mißlang. Wahrlich, ein hoher Einsatz! Gott weiß, welche Anstrengungen, welche Verstellung es mich kostete, offen und unbefangen zu erscheinen, wenn die Leute den Horizont mit argwöhnischen Blicken absuchten, häufig nach hinten kamen, den Kompaß zu inspizieren, und oft von mir forderten, ihnen auf der Karte die Stelle zu bezeichnen, an welcher die Brigg sich befand.


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