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Zwanzigstes Kapitel.
Ich avanciere.

Der nächste Tag brachte mir einen Glückswechsel, der mir für eine ganze Zeit Deacon und seine Insel aus dem Sinn vertrieb.

Wir waren auf Deck mit Scheuern beschäftigt. Ein Schiffsjunge pumpte und Welchy wirbelte Kübel voll Wasser um unsere Füße. Wir hatten eine warme frische Brise gerade von hinten, und die Brigg segelte ruhig auf der stillen See mit aller Leinwand, die sie zu tragen vermochte.

Der alte Windwärts überwachte unsere Thätigkeit vom Oberlicht aus. Eben beugte er sich zu der Oeffnung nieder, um irgend etwas in der Kajüte Gesagtes zu beantworten. Darauf rief er mich zu sich.

»Der Kapitän will dich in seiner Kajüte sprechen,« sagte er. »Schlage deine Hosen herunter und ziehe dir Stiefel an. – Sei flink.«

Im geheimen etwas beunruhigt durch diesen unerwarteten Ruf und im Geiste mein Verhalten in letzter Zeit einer eiligen Prüfung unterziehend, um zu entdecken, was ich begangen haben könnte, um einen Rüffel zu verdienen, eilte ich ins Vorderkastell, machte mich sauber und ging nach hinten.

Der alte Windwärts sah mich, wie mir schien, mit besonders bösem Blick an, seine Augen hatten ja ohnedies nicht die Eigenschaft, dem, den sie anschielten, Selbstvertrauen einzuflößen; mein Herz sank daher bedeutend, als ich die Kajütentreppe hinabstieg, jedenfalls klopfte es stärker in mir, als mein Finger an die Thür des Schiffers klopfte.

Auf sein ›Herein‹ trat ich ein. Ich fand ihn am Tisch sitzend und schreibend; er legte die Feder nieder, wandte sich rasch nach mir um und fragte barsch:

»Können Sie als zweiter Maat dienen?«

»Ich denke das kann ich, Sir.«

»Ihr denken nutzt mir nichts, ich will genau wissen, ob Sie es können.«

»Ja, gewiß; ich besitze zwar kein Zeugnis darüber, aber den Dienst kann ich verrichten.«

»Warum sagen Sie das nicht gleich,« schrie er mich verdrießlich an; »so ein um den Brei gehen ist mir verhaßt, wenn eine Frage nur mit einem einfachen ›Ja‹ oder ›Nein‹ zu beantworten ist. Banyard ist ein Dummkopf; Sie wissen das vermutlich.«

»Ich bin nicht in seiner Wache, habe also kein Urteil darüber,« erwiderte ich.

»Die Leute erlauben sich Freiheiten mit ihm, und der Mann, welcher Autorität besitzen soll, aber mit sich scherzen läßt, ist nicht nach meinem Geschmack. Der Einfaltspinsel soll mir keine Meuterei an Bord meines Schiffes großziehen, weil er nicht versteht, seine Fäuste zu gebrauchen. Können Sie astronomische Beobachtungen machen?«

»Ja, Sir.«

»Haben Sie einen Sextanten?«

Ich bejahte auch diese Frage, da ich das Instrument wirklich zufällig bei mir hatte. Wäre ich so glücklich gewesen, eine Heimat zu besitzen, würde ich es jedenfalls dort zurückgelassen haben.

»Mit welchem Lohnsatz sind Sie geheuert?« fragte er, indem er seine Hand auf das Loggbuch legte.

»Mit drei Pfund zehn Schilling monatlich.«

»Gut, Banyard erhält vier Pfund, und die sollen Sie auch bekommen. Ich erwarte, daß Sie stets anständig aussehen werden, wenn Sie Ihren Dienst hier hinten thun, und verbitte mir alle ferneren Vertraulichkeiten und Späße, geschweige denn gar gegenseitiges Geschimpfe mit Ihren Maats; sollte ich Sie je dabei erwischen, werde ich kurzen Prozeß mit Ihnen machen.«

Sein Wesen war noch beleidigender als seine Worte. Ich biß mich auf die Lippen, um meine Aufwallung zu beherrschen, aber das Blut stieg mir denn doch zu Kopfe und ich blickte weg, damit er nicht die in mir kochende Wut und den Haß, der in mir aufstieg, in meinen Augen lesen sollte. Stolz ist an Bord eines Schiffes eben nicht angebracht, und Zorn nützt dem Menschen überhaupt nirgends etwas. Auf See muß man die Dinge nehmen, wie sie kommen. Ich wäre ein Narr gewesen, das sich mir bietende Glück zu verscherzen, indem ich dem Kapitän zeigte, welchen Eindruck auf mich die widerwärtige, verletzende Art gemacht hatte, mit welcher er für gut befand, mir seinen Antrag zu stellen.

Nachdem er eine Bemerkung in das Loggbuch gekritzelt hatte, befahl er mir, nach vorn zu gehen, um Banyard zu ihm zu schicken.

»Wo werde ich von jetzt ab mein Logis haben, Sir?« fragte ich.

»Nun, natürlich im Deckhaus. Ich habe Ihnen gesagt, daß Banyard Ihren Platz einnimmt.«

»Der Koch ist keine passende Gesellschaft für den zweiten Maat eines Schiffes wie dieses, Sir,« wagte ich zu sagen. Er sah mich nach diesem Einwand stirnrunzelnd an, trotzdem aber fuhr ich fort: »Wenn ich die Leute beaufsichtigen und Autorität haben soll, kann ich nicht in engem Verkehr mit ihnen leben. Die Mannschaft wird dem Offizier keinen Respekt bezeigen, den der Kapitän nicht ehrt; kein Kapitän aber, welcher seinen zweiten Maat ehrt, wird ihn zum Logisgefährten des Schiffskochs machen.«

Zu meiner Ueberraschung schien er hiervon betroffen zu sein; er sah mich mit einer Art an, die mir sein höfliches Benehmen im Hotel in Erinnerung brachte.

»Nun wohl, Sie sind ein Gentleman und können hier hinten leben. Es liegt Wahrheit in dem, was Sie sagen, und nach dem, was gestern vorgefallen ist, muß ich mich nach Unterstützung umsehen. Bringen Sie Ihre Sachen in die Backbord-Koje, neben der Vorratskammer, und schicken Sie Banyard zu mir.«

Damit entließ er mich.

»Welches mag ihre Kajüte sein,« dachte ich im stillen und fühlte, wie mein Herz klopfte bei dem Gedanken, daß ich von jetzt ab ihr nahe sein, am selben Tisch mit ihr sitzen, aller schmutzigen Arbeit überhoben und vor ihren Augen als der gebildete Mensch erscheinen sollte, als welchen mich zu fühlen ich sicher mehr berechtigt war als der alte Windwärts. Am Lande, sagt man, steckt eine Frau hinter allem, was geschieht; aber sonderbar ist es, dem weiblichen Einfluß auch am Aequator, in der Mitte des Atlantischen Ozeans, zu begegnen, im Vorderkastell einer kleinen Brigg zu hören, wie er die armen Teerjacken erfüllt, sie unzufrieden macht mit ihrer Lage, die ihnen fortwährend die Kluft zeigt, welche sie trennt von dem Wesen, unter dessen Augen ihnen die Arbeit zur Lust wird und für welches sie sich gern den Hals brechen würden, wenn es ihm zum Besten wäre.

Ich ging nach vorn. Klein-Welchy und die andern sahen mich scharf an, als ich vorüber ging; wahrscheinlich hatten sie erwartet, mich mit einem blauen Auge und einer gebrochenen Nase zurückkommen zu sehen. Als ich in das Deckhaus kam, rüttelte ich Banyard in seiner Hängematte, denn hier gab es keine Pritschen, und rief:

»Stehn Sie auf, Banyard, der Schiffer will Sie in seiner Kajüte sprechen.«

Sein wetterhartes Gesicht fuhr auf, wie von einer Sprungfeder in die Höhe geschnellt.

»De Schipper raupt mi, seggst du? Wat is all wedder lot?«

»Wenn Sie unschuldig daran sind, brauchen Sie sich nichts daraus zu machen.«

»Brauchen Sie sich nichts daraus zu machen? – So, wat sall dat bedüden?« schrie er.

»Es soll heißen, daß, falls der Schiffer denkt, Sie hätten versucht, das Schiff anzubohren, Banyard, so könnte das Ihnen gleichgültig sein, vorausgesetzt, daß nicht Suds und der alte Sam beschwören, sie hätten Sie mit einem Stangenbohrer nach unten gehen sehen,« antwortete ich, und ging eilig hinaus, um nicht in Lachen auszubrechen; denn nie hatte ich etwas Komischeres gesehen, als Pendels erschrockenes Gesicht. Er stürzte fort, noch ehe ich das Vorderdeck erreicht hatte, um sich möglichst schnell zu rechtfertigen. Angesichts seiner Absetzung ihn noch so zum besten zu haben, war eigentlich grausam; auf See wird man aber leicht herzlos.

Mit Hilfe von Scum, dem Koch, brachte ich meine Kiste nach meiner Koje im Hinterdeck; darauf kehrte ich zurück, um mein Bettzeug zu holen.

Die Mannschaft ging kurz vor acht Uhr zum Frühstück und jetzt war es beinahe so spät. Alles war deshalb auf den Beinen, und die Wache auf Deck, welche mit scheuern fertig war, kam eilig herunter, um Neues von mir zu hören und zu erfahren, warum ich meine Kiste nach hinten geschafft hätte.

»Ei, Jack is tweiten Maat worden,« schrie Blunt, als Antwort auf Suds Frage. »Banyard is afsett un kümmt för Jack tau uns; 't is en gauden Sprung, dat is 't, ik segg äwer nich, dat Jack sik nich för so 'n Posten schicken däd.«

»Ik hop, du wardst di nich gor tau sihr upspeelen,« murrte der alte Sam. »Du weitst, wo dat dauht, bi kein Mütz vull Wind, blot kaum Tiedvertrieb, in 't Takelwark herüm handtieren tau möten. Ik hew schon erlewt, dat einer vörnam worden is dörch so 'n Wechsel, äwer ik kann nich seggen, dat ik vel dorvon hollen däd.«

»Nun, Maats, laßt mich mal sprechen,« sagte ich. »Ich habe nichts dazu gethan, daß ich zweiter Maat geworden bin. Nennt es nicht Beförderung! Dies ist kein Kriegsschiff. Wäre ich statt dessen Koch geworden, so würde ich Kupfer putzen müssen und auch nichts dazu sagen. An Bord muß man eben thun, was einem befohlen wird. Sam will natürlich knurren, aber laßt ihn keinen Unsinn schwatzen. Es liegt doch wahrhaftig nichts Großes darin, ein Vorderkastell zu verlassen, um zweiter Maat einer so kleinen Brigg zu werden.«

»Jack ist ein Gentleman,« mischte sich hier Deacon ein, »und ik will doch leiwer ihn taum Vörgesetzten hebben, as einen unwissenden Zimmermann.«

»Wer seggt denn, dat hei kein Gentleman is,« brummte der alte Sam. »Is äwer etwa en Gentleman wat beteres? De Schipper näumt sik seker ok en, un dorbi is hei blot so 'n Ort Schinnerknecht.«

»Aewer Sammy, up weck Sid drückt di denn hüt de Leber,« schrie Klein-Welchy. »Mi sall de Düwel halen, wenn ik nich glöw, du ärgerst di blot, dat Oll-Windwärts nich in 't Vörderkastell versett worden is. Mi dücht, de ganz Sak kümmert uns nicks; 't is nich dat irst Mal, dat hei Maat is, un wenn hei blot mal Oll-Windwärts in en dustern Nacht äwer de Sid schubbsen will, denn will ik giern üm de ganz Welt mit em segeln.«

»Ich nehme keinen Abschied von euch,« setzte ich meine unterbrochene Rede fort, »denn es könnte da hinten einen Zank geben, der mich, ehe zwölf Stunden vergehen, wieder hierher zurückführt. Bleibe ich aber hinten, so soll euch niemals eine hilfreiche Hand bei einem schweren Stück Arbeit fehlen, und wenn ich den andern auch keine besseren Manieren beibringen kann, so sollt ihr euch doch über die meinigen nicht zu beklagen haben. Daß ihr mir meine Pflichten nicht schwerer machen werdet, als sie wahrscheinlich ohnedies schon sein werden, das hoffe ich von euch.«

Nachdem ich diese schönen Worte gesprochen hatte, schulterte ich mein Bettzeug und ging in mein neues Logis.


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