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Dreizehntes Kapitel.
Deacon.

Bis jetzt habe ich es unterlassen, den Leser mit einem Mann bekannt zu machen, welcher eine hervorragende Rolle in dieser Erzählung spielt.

Als ich das erstemal auf der Brigg war, hatte der Kapitän spottend von einem neuen Matrosen gesprochen, welchen er in Bayport geheuert hatte. Er sagte von ihm, er brauche nur Tonsur und Brille, um ein leibhaftiger Kaplan zu sein.

Es war dies derselbe Mann, der betrunken ins Wasser gefallen war. Sein Name war Deacon, aber die Mannschaft hielt diesen zu vornehm und hochtönend, und verwandelte ihn in Sniggers, eine Anspielung auf die Eigentümlichkeit seines Trägers, Gesichter zu schneiden, wenn er in Gedanken war. Ich werde aber unter seinem richtigen Namen von ihm schreiben.

Er war in der That eine bemerkenswerte Person: ein sehr tüchtiger Seemann, behend und waghalsig im Takelwerk; gewiß in jeder Hinsicht der gewandteste und gleichzeitig pfiffigste Matrose unter uns allen. Trotzdem aber bin ich nie einem Menschen begegnet, der äußerlich so gar nichts von einem Seemann an sich hatte. Seine Gesichtsfarbe war ein ungesundes Weiß, seine Stirn frei und breit, sein Haar schwarz und in der Mitte gescheitelt. Dies letztere war mir ein Wunder; denn da ich ihn nie einen Kamm benutzen sah, begriff ich ebenso wenig wie der Scheitel dahin kam, als König Georg begriff, wie das Mus in den Pfannkuchen gelangte.

Mit roter Nase, schwarz gekleidet, ein weißes Tuch um den Hals, war Deacon die vollendetste Karrikatur jener Klasse von Reisepredigern, die im Freien ihre Versammlungen abhalten und dort wimmern und plärren.

Trotz seines heiligen Aussehens war er aber durchaus nicht besser wie die andern, und eine ganze Woche, nachdem wir Bayport verlassen hatten, war er beständig betrunken, wenn auch nicht so, daß er seine Arbeit auf Deck nicht hätte verrichten können. Wir zerbrachen uns alle den Kopf, wo er sein Getränk her hatte. Einige glaubten, er wüßte einen geheimen Weg zu den Rumfässern, und Schnarch-Jimmy bewachte seine Bewegungen mit höchstem Eifer, aber ohne Erfolg. Der schöne Blunt deutete an, er möchte nach Art der Kameele, die doch einen Wasserranzen in ihrem Bauch mit sich schleppen sollten, einen Grogranzen haben, aus dem er söffe, wenn ihn dürstete.

In einer Nacht jedoch, als das Vorderdeck vom Schnarchen wiederhallte, sah ich, wie er zu seiner Kiste schlich, eine Flasche herausnahm und trank. Am nächsten Morgen erzählte ich, was ich gesehen hatte. Seine Kiste wurde aufgebrochen und sieben Flaschen kamen zum Vorschein, von denen vier leer und drei mit Rum gefüllt waren, die sehr sorgsam unter seinen Kleidern verpackt lagen. Sofort wurde natürlich unter allgemeinem Jubel auf seine Gesundheit getrunken und nicht ein Tropfen übrig gelassen, damit, wie Liverpool Sam zu ihm sagte, er nicht fürder in Versuchung geführt werden möchte, seiner Gesundheit heimlich zu schaden.

Deacon nahm die Plünderung seines verborgenen Schatzes sehr gutmütig auf. Er sagte, er freue sich, daß Jack Chadburn die Entdeckung gemacht hätte. Ich wäre sein Lebensretter, und mir gehörte alles, was er besäße.

»Worüm hest du denn äwer de gauden Droppen nich mit em deilt?« fragte der schöne Blunt.

»Weil ich mir nich Feinde aus euch andern machen wollte,« antwortete Deacon, ohne zu zögern. »Außerdem macht sich Jack Chadburn nich genug aus Rum, als daß ich ihm eine Freude damit gemacht hätte.«

»Da hast du recht, Sniggers,« sagte ich.

»Is dat nich eigendlich en lütten Deiwstahl?« erkundigte sich Welchy, das braune Naß auf dem Grunde seines Töpfchens betrachtend.

»Natürlich is es das,« antwortete Deacon. »Wenn ich euch vor den Richter bringen wollte, würde jeder von euch wenigstens vierzehn Tage lang, bei Haferschleim, über seinen guten Witz nachdenken können.«

»Herrgott! is dat en See-Avkat!« schrie der glückliche Billy.

»O ja, ich kenne etwas vom Gesetz,« erwiderte Deacon mit großer Wichtigkeit in Ton und Stimme. »Ich habe mir schon einmal durch meine Kenntnis desselben fünfhundert Pfund gemacht, Maats.«

Ich sah ihn an, als er so sprach, denn er hatte sich dabei mir zugewandt.

»Wie kam das?« fragte ich.

»Na,« erwiderte er, »wenn du deine Schnauze halten willst, Billy, so will ich euch erzählen, wie ich das anfing.«

»Also, Maats,« begann er, »ich war Vollmatrose an Bord des ›Monarch‹, eines Indienfahrers, voll von Passagieren und wertvoller Ladung. Ich hatte eine üble Angewohnheit, ich kann nicht sagen wie ich dazu gekommen bin, aber ich schnitt zum Zeitvertreib in alles Holzwerk, was mir gerade zur Hand war, meinen Namen und allerhand Figuren. Da seht mal, ich habe hier auch schon angefangen,« unterbrach er sich und zeigte dabei auf das Kopfende seiner Pritsche, auf welcher sein Name Jasper Deacon sehr hübsch eingeschnitten war.

»Also,« fuhr er fort, »eines Nachmittags stand ich am Rade, wir waren im Stiltegürtel, Windstille hatte das Schiff befallen, zu steuern gab es nichts, kein Mensch war in meiner Nähe; da nun, in Gedanken, ohne zu wissen was ich thue, ziehe ich mein Messer raus und fange an das Rad zu kerben. Ich war so emsig bei meiner Arbeit, daß ich nicht bemerkte, wie der Kapitän kam, und als der sieht, was ich gethan habe, fluchte er, schreit, es müsse ein neues Rad beschafft werden, und schwört, ich solle es bezahlen. Er hielt auch seinen Schwur, denn es wurden mir richtig zehn Pfund von meiner Heuer abgezogen. Anstatt aber in Kalkutta nun auch wirklich ein neues Rad zu besorgen, behielt er das alte, und das Schiff wurde mit diesem ruhig heimgesteuert. Das hatte mich natürlich geärgert, und ich ging deshalb gleich nach der Ankunft zu Hause zu einem Advokaten. Dem erzählte ich die Geschichte und fragte ihn dann:

»›Kann ich nicht gegen die Reeder klagen, weil sie mein Rad benutzt haben, das Rad, welches ich bezahlt habe?‹«

»›Natürlich können Sie das,‹ sagte der.

»›Gut,‹ fuhr ich fort, ›dann werden Sie auch meiner Meinung sein, daß, wenn der Kapitän nicht mein Rad gehabt hätte, er auch nicht das Schiff mit Ladung und Passagieren würde haben nach Hause steuern können.‹

»›Ganz richtig,‹ sagt der Advokat. ›Uebergeben Sie mir den Fall.‹

»Das that ich. Der Advokat verklagte nunmehr die Reeder wegen einer Schuld von tausend Pfund und der Richter, nachdem er die Sache nach allen Seiten gedreht und sich zurecht gelegt hatte, sah ein, daß das Schiff ohne Rad nicht hätte fahren können, und daß es mein Rad war, mit dem es gesteuert worden war; er erklärte den Sachverhalt den Geschworenen, und diese erkannten mir die Summe zu, die ich euch genannt habe.«

Ich führe diese Erzählung nur an als ein Beispiel von Deacons Sprechweise. Er war kein gewöhnlicher Mann, in dem Sinne, in dem es die andern waren. Er besaß eine Kenntnis des Lebens, oder vielmehr der Zustände am Lande und des Treibens in den Städten, wie man sie selten bei Seeleuten findet; und dies verriet sich auffallend bei allem, was er so bei Gelegenheit erzählte. Im allgemeinen sehen die Matrosen die Welt in ähnlicher Weise als ein Vorderkastell an, wie der Philosoph sie als eine Schaubühne betrachtet. Deacon war in Schiffen von allen Größen und Arten gesegelt; als Schiffsjunge hatte er seine Laufbahn auf einer Schmacke begonnen, mit der alleruntersten Sprosse der nautischen Leiter also angefangen; dann hatte er auf verschiedenen englischen Schiffen gedient, aber auch auf französischen und sogar auf einem Kriegsschiff. Oft erregte er unser Gelächter mit seinen trockenen, von Witz gespickten Beschreibungen französischer Seeleute; drastisch schilderte er ihre Gebete zur Jungfrau bei einem Sturm, ihre Tapferkeit bei Windstille, und mit viel Komik sprach er von ihren Knebelbärten, ihrem Geküsse, ihren Thränen, ihrer soupe und ihrem vin ordinaire.

Nachdem sich meine Aufmerksamkeit ihm erst einmal zugewandt hatte, blieb sie auch gefesselt. Ich will damit sagen, daß er mich sehr interessierte, und wenn er sprach, so hörte ich unwillkürlich hin und sah ihn an. Auf die andern übte er eine geringere Anziehungskraft aus, wiewohl sie ihm auch gern zuhörten und seine geistige Ueberlegenheit anerkannten. Mich berührte er wie ein Rätsel. Etwas gewissermaßen Magnetisches im Ausdruck seiner Augen und seines Gesichtes machte, daß ich ihn oft im stillen beobachtete und über ihn nachdachte.

Zuweilen sprach er so gut, daß mir der Gedanke kam, er habe das Ungrammatikalische, das Platt und See-Rotwelsch, mit welchem er manchmal seine Reden mischte, nur angenommen zum Zwecke irgendwelcher Täuschung. Dazu kam, daß er neben seiner, weit über das Maß eines Matrosen hinausgehenden nautischen Bildung auch, was zu damaliger Zeit sehr viel bedeuten wollte, gut lesen und schreiben konnte und auch französisch sprach.

Er hatte in seiner Kiste einige Bücher und lag oft und las, während die andern schliefen oder sich etwas erzählten. Zuweilen saß er mit einem offenen Buche in der Hand da, sah aber stier über dasselbe hinweg auf einen bestimmten Punkt und bewegte seine Lippen dabei, als ob er etwas auswendig lernte. Einst bat ich ihn, mir ein Buch zu leihen, und er warf mir den Band zu, welchen er in der Hand hielt. Es war ein altes Buch, schon vor hundert Jahren gedruckt und enthielt Hexen-Geschichten. Das ungeheuerliche Titelkupfer stellte eine alte Frau dar, die einer Katze die Haut abzog. Einer der Leute, der mir über die Schulter blickte, brüllte:

»Hallo! Hier is des alten Windwärts Wiw, de smort en Düwels-Braden wedder dat Heimkommen von de Brigg!«

Darauf schrie Deacon:

»Gebt gleich das Buch wieder her!«

Er sagte das so ernst und verdrossen, daß ich ihm sofort das Buch zurückwarf, um einen Zank zu verhüten.

Eine sonderbare Grille von ihm war seine Gewohnheit, mit Bleistift oder Kreide Figuren auf Papier oder auf das Deck zu malen. Sowie sie fertig waren, vernichtete er sie aber wieder. In solchen Momenten war sein Gesicht eine wahre Studie. Seine gerunzelte Stirn, sein verächtlich verzogener Mund, seine funkelnden, aufgeregten Augen und flüsternden Lippen deuteten einen Grad von Vertieftsein an, welcher geradezu unverständlich war.

Eines Morgens, als ich ihn wieder mit einem Bleistift auf einem Blatt Papier arbeiten sah – er besaß ein leeres Log-Buch und riß sich aus diesem immer die Blätter heraus – ging ich zu ihm und bat ihn, mich sehen zu lassen, was er zeichnete.

Er bedeckte das Papier mit seiner Hand, blickte mich zuerst zornig an und dann umher, um zu sehen, ob meine Bitte Aufmerksamkeit erregt hätte. Nach wenigen Augenblicken indes verlor sein Gesicht den ärgerlichen Ausdruck und er sagte:

»Du hast mir das Leben gerettet, Jack, und ich gehöre dir mit Leib und Seele.«

»Unsinn! Sei still davon. Ich will weder deinen Leib noch deine Seele,« antwortete ich. »Ich wünsche bloß zu wissen, wer es ist, den du immer verstohlenerweise porträtierst?«

Er schien einen innerlichen Kampf zu bestehen, während er mich aufmerksam ansah. Meine Neugier war aufs höchste erregt und ich ging nicht vom Fleck, um abzuwarten, was er thun würde.

»Da,« rief er, »du magst es ansehen,« und dabei reichte er mir das Papier.

Da springt der alte Sam auf, welcher rauchend mit geschlossenen Augen auf einer Kiste gesessen hatte, und schreit:

»Lat't uns seihn, Maat, lat't uns seihn!«

»Nein, nein,« antwortete ich, »ehrlich Spiel; dies ist für mich.«

Ich nahm das Papier ans Licht; aber alles, was ich sehen konnte, war dies:

Skizze

Sam jedoch war mir, ohne daß ich es gemerkt hatte, in den Rücken geschlichen, und als er das Gekritzel sah, brüllte er:

»Dat is jo gar kein Bild nich, dat is en Stück Ge-o-grafei.«

»Lat mi ok seihn, Sniggers,« schrie Klein-Welchy.

»Un mi, un mi,« stimmten die andern ein.

»Na, minentwegen, un lat Jug hängen,« ries Deacon, zog die Beine auf seine Pritsche und legte sich nieder.

Es war sehr komisch, zu sehen, wie die Leute das Papier mit ihren rauhen Händen zart anfaßten, es umdrehten, ihre Köpfe darüber beugten und das unterste zu oberst kehrten.

»Da is en Kompaß in de Eck,« sagte Billy.

»Ja, dat is würklich wohr, dat is en,« schrie der schöne Blunt; »äwer wat bedüt dat Ding, wat as en Kloß up en Stock utseiht, mit dat Handteiken von en Mann darunner?«

»Vielleicht is't en ganz nige Erfinnung von en Kriegs-Schipp, wat, Sniggers?« fragte ein anderer in schmeichelndem Tone, wodurch er wohl hoffte, eine Lösung des Rätsels zu erreichen.

Deacon rührte sich nicht.

»Ik segg, dat is en Stück Ge-o-grafei,« schrie der alte Sam; »so as dat, wornach de Kaptein de Brigg stüert. Hew ik nich recht, Sniggers?«

Keine Antwort.

»Du büst en Studierten, Jack,« sagte Billy zu mir. »Segg uns, wat et is, Maating.«

»Ich habe keine Ahnung.«

»Mi dücht, Sniggers weit sülwsten nich, wat't bedüden deiht,« brummt Sam verächtlich und kehrt nach seinem Platz zurück. Trotzdem gelingt es ihm aber nur schlecht, seine brennende Neugier zu verbergen.

»Wenn ihr fertig seid, gebt es her,« sagte Deacon.

Ich reichte es ihm, er zerriß es sofort und drehte sein Gesicht der Schiffsseite zu. Das Thema wurde fallen gelassen und gleich darauf hatten die Leute alles vergessen.


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