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Zehntes Kapitel.
Eine Ueberraschung.

Als wir auf Deck kamen, sahen wir die englische Küste wie einen blaß-blauen Nebel am Horizont liegen. Die Brigg lief bei der steifen Brise mit vollen Segeln und steuerte nach Süd-West. Ich war an der Reihe für das Ruder und ging nach hinten, um den dort seit sechs Uhr befindlichen Mann abzulösen. Dieser war zufällig derselbe, den ich am vorhergehenden Abend aus dem Wasser gezogen hatte.

Der alte Windwärts war mit dem Kapitän beim Frühstück und der Zimmermann, Mr. Banyard, ging auf dem Deck hin und her wie ein Pendel. Seine Augen waren beständig auf die Luvseite gerichtet; er hatte eine sehr selbstbewußte strenge Amtsmiene aufgesteckt und schien ganz durchdrungen von dem Gefühl seiner Wichtigkeit.

Von meiner Stelle aus konnte ich das ganze Schiff übersehen, zuweilen auch noch rechts und links auf die See blicken.

Die Brigg, obgleich unter starkem Segeldruck, lief ruhig; denn ihre Maste waren perpendikulär zum Kiel gestellt, anstatt mit einer Neigung nach hinten oder nach vorn. Ersteres halten Landratten für günstig zur Erzielung einer schnelleren Fahrt, während es in Wirklichkeit nur das Steuern erschwert, und letzteres verabscheut jeder verständige Seemann, weil es nur die Neigung des Schiffes zum stampfen und abfallen erhöht.

Von hinten längsschiffs betrachtet, sah die Brigg sehr hübsch aus; ihre Schwellung am Mittelschiff machte einen ebenso anmutigen Eindruck, wie ihre in angenehmem Verhältnis zunehmende Verjüngung nach dem Bugspriet zu. Die Raaen waren gut gestellt und zeigten große, wohlgespannte Segel, welche sich an den Mastspitzen gleich kleinen Wolken gegen den Himmel abhoben. Die gleichmäßige und schnelle Bewegung des Schiffes wirkte wie ein Stärkungsmittel auf die Nerven.

Hinter uns her kam ein Dreimaster mit aller Leinwand, die er tragen konnte. Bei einem Schiff seiner Größe konnten wir kaum hoffen, nicht überholt zu werden, ganz besonders, da es lange nicht so tief wie wir ging, und insofern auch noch besseren Wind hatte, als es nach leewärts von uns steuerte. Es war von Eisen, grau gemalt und hatte wahrscheinlich Auswanderer an Bord; denn sein Vorderkastell wimmelte von Menschen. Auf unsrer Steuerbordseite rauschte ein mächtiges Dampfschiff. Der ungeheure Kiel schnitt eine tiefe Furche in das Wasser, getrieben von jener geheimnisvollen Macht, welche der Mensch sich dienstbar gemacht hat, und die man doch nie ohne Staunen und Bewunderung betrachten kann.

Eine halbe Stunde, nachdem ich das Steuer übernommen hatte, kam jemand die Kajüten-Treppe herauf. Die weiße Hand einer Dame hielt sich an dem Messing-Geländer. Ein Gesicht mit brünettem Teint und rosigen Wangen, herrlichen, gedankenvollen braunen Augen und einem Kirschen-Mündchen, – kurz, Miß Luise Franklin, die Schwester des Kapitäns, meine Flamme aus Transoms Hotel, kam zum Vorschein. Ihr schwarzes Seidenkleid raschelte und die Federn auf ihrem hübschen Hut flatterten im Winde, als sie stehen blieb, um das große Auswanderer-Schiff zu betrachten, welches jetzt bis auf unsere Leeseite gelangt war.

Daß sie von London gekommen sei, um ihren Bruder nach Australien zu begleiten, – dieser Gedanke war mir nicht gekommen, als ich sie in Bayport sah. Seit ich an Bord war, hatte ich nicht mehr an sie gedacht, jetzt aber freute ich mich, sie zu sehen, als wäre sie ein alter Freund von mir gewesen. Ich fühlte, daß das Bewußtsein ihrer Anwesenheit auf der Brigg mein schweres Leben im Vorderdeck erträglicher machen würde, so, wie etwa Musik die ermüdendste Arbeit erleichtert und die langweiligste mechanische Beschäftigung zum Vergnügen macht.

Sie mußte an die See gewöhnt sein, denn sie verließ die Treppe und machte einen Spaziergang auf dem Deck mit so sicherem Schritt, wie ein alter Seemann. Wieder und wieder ließ sie ihre schönen Augen nach dem Schiff leewärts schweifen, welches jetzt seine Wetterbrassen nachgelassen und mit uns denselben Kurs eingeschlagen hatte, wenn auch schneller segelnd.

Pendel Banyard, wie ich den Zimmermann nannte, schielte nach ihr hin und belauerte sie, um unter allen möglichen ungeschickten Vorwänden eine Begegnung mit ihr zu vermeiden, wenn ihre Promenade um das Deck sie in seine Nähe brachte. Sie ging von einer Seite nach der andern, bald war sie hier, bald da. Sie kam mir vor wie ein Schmetterling, den der Wind auf die See verweht, und der sich ein Schiff zum Spielplatz erkoren hat.

Endlich kam sie auch nach hinten und betrachtete den Kompaß. Bis jetzt hatte sie noch nicht nach mir gesehen, als sie aber im Begriff war, wegzugehen, fiel ihr Blick auf mich und ich sah, wie ihre Augen einen sinnenden, erstaunten Ausdruck annahmen. Dieser verwandelte sich aber bald in einen heiteren, und sie lächelte. Sich am Oberlicht niedersetzend, sah sie wiederholt zu mir herüber; offenbar wurde sie nicht mit sich einig, ob ich in meinem Vorderkastell-Kostüm der junge Mensch sein könne, der sie im Kaffee-Zimmer des ›weißen Hirsches‹ mit so unverhohlener Bewunderung angeschaut hatte.

Jetzt erschien Kapitän Franklin und der alte Windwärts auf Deck. Der Schiffer ging zu seiner Schwester und diese mußte ihn sogleich über mich ausgefragt haben, denn er drehte sich um, um zu sehen, wer ich wäre. Dann sprach er zu ihr, und was das auch gewesen sein mag, jedenfalls veranlaßt es sie, noch einmal nach mir hin zu blicken.

Der alte Windwärts gab jetzt eine Probe seiner Manieren als Maat. Als er die Wache müßig herumstehen sah, wozu sie berechtigt war, da Banyard ihr keine Beschäftigung gegeben hatte, ging er unter sie und erhob einen Spektakel, wie ein eben geangelter Haifisch. Wenn er aber auch brüllte wie ein Löwe, so hatte doch weder seine Stimme noch sein Aussehen irgend etwas majestätisches, im Gegenteil, sein schiefer Blick und die Angewohnheit, sich beim Schimpfen stets so auf sein Bein zu schlagen, daß es klatschte, ließen nur den Wüterich in ihm erkennen. An Arbeit fehlt es auf einem Schiff ja nie, und im vorliegenden Fall mochte sich der Maat wohl ärgern, daß die im Hafen nur aufgebrachten Anker noch nicht vertäut waren. Im übrigen gab es eben noch hundert andere Arbeiten, vom Fetten der obersten Stangen ab bis herunter zum Schützen des unteren Tauwerks vor Scheuerung.

Der alte Windwärts stellte also die Wache gleich ordentlich an, aber überhaupt kam den ganzen Tag hindurch keiner von uns mehr recht zu Atem. Den vollen Nachmittag bis zum Dunkelwerden mußten wir samt und sonders arbeiten, obgleich beim Verlassen des Hafens und bei der Einteilung der Wachen, wie immer üblich, festgesetzt worden war, daß die Freiwache unter Deck sein und Ruhe haben solle. Dieser Maat erschien mir der reine Tyrann und Menschenschinder.


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