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Neununddreißigstes Kapitel.
Am Vorabend.

Als die Zeit zur Ausführung meines Planes sich näherte, stieg meine Angst und Aufregung. Den ganzen Nachmittag hindurch bis zum Anbruch der Nacht hielten die Leute unablässig Ausguck und kletterten immer von neuem in das Takelwerk. Die gespannte Erwartung machte sie völlig ruhelos und wirkte derart auf sie, daß sie nur noch leise miteinander sprachen. Das sonst so laute Gelächter, die lärmenden Possen und Neckereien waren verstummt; die herrschende Stille war wahrhaft unheimlich.

Wenn ich mich in ihre Lage versetzte, so verstand ich diesen Gemütszustand vollkommen. Die Reise war in gewissem Sinn beinahe zu Ende. Es war ihnen nicht mehr möglich, ihre bisherige sorglose Gleichgültigkeit am Vorabend des Tages zu bewahren, der die Entscheidung über ihr ganzes ferneres Leben bringen mußte, der ihnen offenbaren sollte, ob sie sich vergeblich zu schweren, dem Tode verfallenen Verbrechern gemacht hatten. Sie waren sich jetzt der Größe des Verbrechens, das sie begangen hatten, voll bewußt. Die Betäubung, in welcher sie bis hierher gelebt hatten, d. h. das Gefühl der Sicherheit, welches die unendliche Weite des Ozeans in ihnen erzeugt hatte, die sorglose Annahme, daß das Verbrechen in der großen ungeheuren Wasserwüste für ewig unentdeckt schlummern würde, hatte sie jetzt verlassen; ihr Gewissen fing an, sich zu regen. Sie waren niedergeschlagen, ängstlich und wachsam, und mit bangen Sorgen über den Ausgang des Unternehmens erfüllt.

Die Nacht ging still vorüber. Es war eine Nacht von unübertrefflicher Schönheit. Die Bewegung der Brigg war so unmerklich, daß sie auf der friedevollen See zu schlummern schien; indes so sanft der Wind auch war, so fanden wir doch jedesmal, wenn das Logg gehoben wurde, daß wir mit einer Geschwindigkeit von mehreren Meilen in der Stunde dahinglitten.

Es war meine Absicht, wenn möglich die Brigg ohne Blutvergießen wieder zu nehmen. Dies mußte ausführbar sein, wenn die Leute ihr Programm, welches ich ihnen selbst vorgezeichnet hatte, nicht änderten. Ich will gestehen, daß ich, trotz meines ehrlichen Abscheus vor ihren piratischen und mörderischen Thaten, doch eine freundliche Gesinnung für sie hegte. Sie waren meine Tischgenossen gewesen; ich hatte mich an ihren Scherzen beteiligt, über ihre Erzählungen gelacht; wir hatten viel schwere Arbeit und böses Wetter zusammen ertragen, und ich hatte gemeinsam mit ihnen unter einer widerwärtigen und unerträglichen Tyrannei gelitten. Die Art, in welcher sie an dem Kapitän und dem Maat Rache genommen hatten, war unmenschlich und barbarisch gewesen; aber mußte man nicht auch hier ihre rohen Naturen, ihre Unwissenheit, ihre Erbitterung, die durch keine Freundlichkeit je gemildert war, in Rechnung ziehen? Ihr Leben war, bei ärmlicher Bezahlung, eine Reihenfolge niederträchtigster Bedrückungen und harter Worte gewesen, Uebermut und grausame Behandlung hatten ihnen dasselbe oft zur Hölle gemacht. Dies alles in Betracht ziehend, mußte füglich auch der strengste Richter die angewandte Selbsthilfe nachsichtig beurteilen

Ist es nicht ebenso verbrecherisch, andere zu Verbrechen anzureizen, als selbst solche zu begehen? – Der Kapitän hätte seine Leute auf ehrlichen Wegen erhalten können, wenn er sie mit Güte behandelte. Statt dessen machte er sie durch sein hartes, liebloses, keiner milderen Regung fähiges Wesen zu Mördern. Sein Verbrechen war kaum kleiner als das ihrige.

Als Banyard um Mitternacht auf Deck kam, um mich abzulösen, blieb ich noch eine halbe Stunde im Gespräch bei ihm stehen. Nachdem ich meinen Platz so gewählt hatte, daß keine Silbe unserer geflüsterten Unterhaltung erlauscht werden konnte, erklärte ich ihm meinen Plan und bezeichnte ihm die Rolle, die er dabei zu übernehmen haben würde. Der alte Kerl war ganz begeistert von der Schlauheit, mit der ich alles bedacht hatte.

»Sei künn'n sik up mi verlaten, as wenn ik Ehr Schadden wier,« sagte er. »Blot äwer ein Deil von de Sak möten wi uns noch verstännigen: Wat sall ut mi würden, wenn Sei de Brigg taurügg nahmen hebben und wi an dat Land kömmen?«

Unter dem Eindruck, daß er für seine Hilfe eine Belohnung erwarte, rief ich:

»Ei, zum Henker, Mann! Ist es nicht genug für Sie, wenn Sie Ihren Hals sicher aus der Schlinge ziehen und in Ruhe zu Ihrem Gelde in der Sparbank zurückkehren können?«

»Ja, ja, dat is ganz wohr; äwer mit wat für ein Ort von Tügnis sall ik an't Land gähn? Dat müggt ik weiten.«

»Mit dem besten Zeugnis, das Sie nur verlangen können, mit dem Zeugnis, daß Sie mir geholfen haben, wertvolles Eigentum den Händen einer Rotte gesetzwidriger Meuterer zu entreißen.«

»Dat is genaug,« sagte er vergnügt. »Dormit bün ik taufreden. Mit dat Tügnis ward ik en anner Schipp finn'n. Holl'n Sei daran fast, Mister, un Sei warden mi as Ehren Schadden finn'n, wo Sei mi nödig hebben.«

Dies brachte unser Gespräch zum Abschluß, aber ehe ich nach unten ging, nahm ich das Nachtglas, stieg noch einmal ins Takelwerk und untersuchte sorgfältig die blasse Fläche der See. Darauf empfahl ich Banyard, scharfen Ausguck zu halten und mich augenblicklich zu rufen, wenn Land in Sicht kommen sollte. – Man kann seiner Berechnungen niemals ganz sicher sein. Die geringste Ungenauigkeit des Chronometers, des Kompasses oder Sextanten, kann Einen um viele Meilen irre führen und es würde ein schwerer Schlag für mich gewesen sein, wenn mir die Insel Teapy im Dunkel entgangen wäre.

Vier Stunden Schlaf war alles, was ich mir für die nächsten vierundzwanzig Stunden versprach; – und sogar diese kurze Zeit der Ruhe war mir versagt, denn meine Angst war groß, mein Gehirn so geschäftig, daß es vier Glasen war, ehe ich meine Augen schloß, und zwei Stunden darauf war ich wieder auf Deck.

Der Wind war nach Norden herumgegangen; die Brigg neigte ihre Masten über das stille Wasser, in welchem sie geräuschlos dahinglitt, ein Kielwasser von Blasen hinter sich zurücklassend.

Ich schritt auf dem Deck entlang, bis die Sterne verschwanden und der östliche Horizont sich zu färben anfing. Bald stieg die Sonne empor, der Wind wurde wärmer und stärker und unser scharfer Vordersteven schöpfte den weißen Schaum aus den krystallklaren Fluten.

Da ich den Schönen erblickte, der sich über das Vordergeländer beugte und seine Augen auf den Horizont gerichtet hatte, rief ich ihn zu mir, gab ihm das Glas und sagte, er möchte von der Vor-Oberbram-Raa aus nach Land ausspähen.

Nach langer und sorgfältiger Prüfung rief er: »Dor is nicks von Land, so wied ik kieken kann!« Wir warfen nunmehr das Logg aus, wobei Billy das Logg-Glas hielt. Die Messung ergab sieben Knoten Fahrt. Nach kurzer Berechnung sagte ich: »Hält die Brise an, so müssen wir ungefähr um zwei Uhr Land in Sicht bekommen.«

»Sei meinen doch de Insel?« sagte der Schöne.

»Gewiß,« antwortete ich; »welches andere Land erwartet ihr zu finden?«

»Un wenn sei nich da is?« fragte Billy kurz.

»Da sie auf der Karte nicht verzeichnet ist, habe ich nicht viel Hoffnung, daß sie vorhanden ist.«

»Nau seegen Sei nicks mihr dorgegen,« knurrte Blunt. »Sei stüern doch ok richtig dorup tau?« dabei schielte er mich mit gerunzelter Stirn argwöhnisch an.

Statt aller Antwort holte ich die Karte aus der Kajüte.

»Nun seht mal genau her und paßt auf!« sagte ich. »Hier ist die Brigg gegenwärtig. Dieses Bleistiftzeichen ist die Stelle, wo Deacon seine Insel finden wollte. Wie ist die Richtung von dem Zeichen nach dem Punkt, auf dem die Brigg sich befindet? Legt dieses Lineal darauf und denkt es euch verlängert bis zu dem Kompaß dort in der Ecke. Nun sagt, welche Richtung ist das?«

»West-Nord-West,« antwortete Billy, welcher den Kompaß lesen konnte, wenngleich Gedrucktes zu hoch für ihn war.

»Wie ist die Spitze der Brigg?« rief ich Suds zu, der am Rade stand.

»West-Nord-West«, lautete die Antwort.

Die Leute waren ganz zufrieden und sprachen mit leiser Stimme untereinander.

Einige kleine Wolken trieben von Norden her auf uns zu, und dies betrachtete ich als ein günstiges Zeichen dafür, daß die Brise anhalten würde.

»Es wäre gut,« sagte ich zum Schönen, »wenn die Mannschaft nach dem Frühstück nach hinten käme, das Quarterboot zum Niederlassen bereit machte und die leeren Wasserfässer hineinstaute. Es schadet niemals etwas, zu früh fertig zu sein; und was noch mehr ist, ich kann ja weiter gekommen sein, als ich wollte, oder Deacon kann sich um einige Meilen geirrt haben, so daß es möglich wäre, daß die Insel in jedem Augenblick zum Vorschein kommt. Wer soll denn mit dem Boot an Land gehn?«

»Ik ward de Führung äwernahmen,« antwortete Blunt.

»Hast du Deacons Zeichnung von der Insel?«

»Nein.«

»Ohne diese kannst du nicht gehen. Woran willst du erkennen, daß es seine Insel ist, wenn du nicht die Skizze von der Gestalt der Bucht bei dir hast?«

»Ik will mi hängen laten, wenn ik doran dacht hädd,« schrie Billy und sah die andern an.

»Ich werde sie gleich holen und euch ausführliche Instruktionen geben,« fuhr ich fort. »Aus wem wird die Besatzung des Bootes bestehen? – Versteht mich recht, – ich wünsche, daß ihr die Besten unter euch nehmt, – die Gescheitesten. Wir, die wir zurückbleiben, sind vollständig in euren Händen. Wenn die Insel bewohnt ist und einer von euch verrät sich, dürften wir rasch bewaffnete Leute hier an Bord haben.«

»Ik will niemand geraden hebben, Dummheiten tau reden,« sagte der Schöne mit leiser Stimme, während er funkelnden Auges seine Hand an das Heft seines Matrosenmessers legte.

»Wer sind deine Leute?« fragte ich.

»Da bün ik, un Welchy, un Billy. Wenn Jim noch am Leben wier, da wier de unser Mann,« antwortete Blunt. »Aewer Sam künn wi ok vertrugen, un nau bruken wi blot noch ein.«

»Savings?«

»Ne, wi wull'n Suds nahmen.«

»So wäre das also abgemacht,« sagte ich, und alle Feierlichkeit aufbietend, die ich nur irgend anzunehmen im stande war, und dabei meine Hand auf die Schulter des Schönen legend, fuhr ich mit Pathos fort: »Wir, die wir zurückbleiben, vertrauen dir, als dem Befehlshaber des Bootes, daß du uns vor Verräterei schützen wirst. Mein Leben, noch mehr als das der ganzen Mannschaft, hängt von eurer Ehrlichkeit ab. Wenn ihr gefragt werdet und einer von euch schwatzt, so muß ich zuerst büßen, denn den Kapitän, den die Meuterer gewählt haben, würden sie hängen, selbst wenn sie keinen andern hingen. Maats, ich vertraue mich euren Händen an. Ich habe ehrlich an euch gehandelt und euch sicher dahin gebracht, wohin ihr wolltet. Ich erwarte, daß ihr dessen eingedenk bleiben und darnach handeln werdet.«

»Paß up, Jack, wat ik segg,« rief der Schöne in einem düster drohenden Tone. »Wenn ein Mann unner uns wier, de sik as en Slang utwieste, so würd' ik sien Hart mit mien Metz finnen, un wenn dusend Schandoren üm em wiren. – Un wenn ik in en Afgrund springen müßt, üm em tau fangen, un wenn hei hunnert Leben in sien Liew hädd, sei süllt sei all hergewen.«

Diese wilden Worte erhielten noch ihren besondern Nachdruck durch die schauerlichen Flüche, mit denen er sie bekräftigte. Sie machten auf mich einen tieferen Eindruck, als er ahnen konnte, denn sie gaben mir einen Begriff von der Gnade, die ich zu erwarten hatte, wenn mein Plan mißlang und ich in ihrer Gewalt blieb.


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