Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechszehntes Kapitel.
Sturm.

Als ich eben meinen Fuß auf Deck gesetzt hatte, wurde ich beinahe über den Haufen gerannt durch Banyard, welcher herbeieilte, uns zu rufen. Es war nicht mehr so stockfinster wie vorher. Im Westen schimmerten Sterne, wenn auch zum Teil von Wolkenschichten überlagert, deren Ausläufer sich wie ungeheure Aeste gerade auf uns zustreckten.

Dies war das einzige, was zu bemerken ich noch Zeit hatte, denn gleich darauf traf der Orkan die Brigg.

Man stelle sich vor, aus der Stille eines Klosters plötzlich in die Höhle wilder Bestien zu geraten, von denen jede brüllt, so laut sie kann. Aber dieser Vergleich giebt noch kein Bild von dem wütenden Gebrüll, dem überwältigenden, sinnverwirrenden Geheul, mit welchem eine Bö, wie im Sprunge, ein Schiff packt. Das tobende Element ist keine einzelne Stimme, sondern ein wild rasendes Orchester, welches alle Register von den tiefen, dröhnenden, hohlen, donnernden Stimmen einer Orgel, bis zu den höchsten, schrillen, Entsetzen erregenden Tönen im Wahnsinn tobender Frauen zur Verfügung hat.

Der Stoß der Bö traf uns voll in die Seite. Er legte die Brigg so nach Lee über, daß ihre Schanzkleidung in gleicher Höhe mit der See lag und das vom Sturm aufgerissene Wasser die Luvseite so peitschte, daß ganze Schaumwände hoch am Takelwerk hinaufliefen. – Der schwarze Himmel senkte sich tiefer und wie Gespenster jagten die Wolken an ihm hin.

Würde die Brigg sich wieder aufrichten? – Sie lag da wie ein Baumstamm, den die Wut des Orkans gefällt hat; jeder Augenblick schien ein Jahr. – Auf der Wetterseite des Vorderdecks stehend, fühlte ich die ganze Kraft und Gewalt unseres Peinigers, und wahrhaftig, hätte ich das Geländer losgelassen, an welchem ich mich hielt, so würde ich über Bord geflogen sein wie ein Stück Papier.

Wenn der alte Windwärts Befehle gegeben hat, so kann ich eben nur sagen, daß ich sie nicht gehört habe. Welche menschliche Stimme hätte auch dieses Getöse durchdringen können, das an der sich aufbäumenden Oberfläche des Meeres entlang donnerte und noch verstärkt wurde durch das Aechzen, Stöhnen, Knarren und Krachen der Masten und ein entsetzliches Konzert im Takelwerk, wo jedes Tau eine gigantische Harfensaite bildend, den titanischen Fingern des Sturmteufels diente, seine satanische Sarabande darauf zu spielen.

Plötzlich hörte ich einen Knall, als wenn der Blitz eingeschlagen hätte. – In die Höhe blickend, bemerkte ich, daß das große Marssegel bis zum Reff mitten durch geplatzt war und in einem ungeheuren Spalt aufklaffte. Im nächsten Augenblick sah ich nur noch einzelne kleine Fetzen des Segels an seinem Umfassungstau wild flattern.

Wenn der Verlust des Segels auch ein Unfall war, so glaube ich doch beinahe, daß er das Schiff rettete, denn dasselbe fiel sofort ab und richtete sich auf. – Jetzt trug uns der Wind den Ton der Stimme des Maats zu. Sein Befehl führte uns an die Fockbrassen der Luvseite, wir holten die Raaen vierkant, und wie ein Pfeil vom Bogen schossen wir gleich danach vor dem Sturm her.

Dies war der schwerste Orkan, den ich bisher erlebt hatte. In der Bai von Bengalen hatte ich es einmal mit durchgemacht, wie ein Typhon das Schiff, auf dem ich war, mit seinem äußeren Rande gefaßt hatte, und wir hielten denselben für einen entsetzlichen Sturm; aber er dauerte nur etwa eine Stunde, und so heftig er war, war er doch nicht mehr als eine starke Brise im Vergleich mit dem Sturm, der uns jetzt jagte.

Kapitän Franklin stand am Kompaß und beobachtete die Richtung, in welcher wir getrieben wurden. Das schlimmste an diesen Orkanböen ist, daß sie sich zuweilen plötzlich legen, dann aber ebenso plötzlich mit verdoppelter Wut auf der entgegengesetzten Seite aufspringen und das Schiff zurückwerfen.

Inzwischen hatte der alte Windwärts einige Mann ins Takelwerk geschickt, um zu befestigen, was von dem großen Marssegel noch übrig war. Der Orkan peitschte direkt aus Westen, daher stürmten wir Hals über Kopf nach Osten. Als die Leute von der Raa wieder herunter kamen, war der Kapitän vermutlich mit seinen Berechnungen betreffs unsers Kurses fertig, denn wir wurden an die Starbordbrassen geschickt, um den Wind soviel Backbord zu bringen, daß wir Ost-Nord-Ost steuern konnten.

Durch dieses Manöver, welches uns ganz vor den Wind brachte, war die Wirkung des Sturmes auf das Schiff nicht mehr zu vergleichen mit derjenigen, als er es von der Seite traf, es umlegte und festhielt. Jetzt floh es vor ihm her unter dicht gerefftem Vormars- und Vorstengen-Stagsegel, bei einem Seegang, der unter den obwaltenden Umständen nicht der Rede wert war. Die Bö schien die schreckliche Dünung ausgeglichen zu haben; an ihrer Stelle waren es jetzt weißschäumende Wogen, die mit unheimlichem Schein durch die Schwärze der Nacht leuchteten.

Nach kurzer Zeit brüllte der Maat uns zu, das Vormarssegel zu beschlagen. – Das war ein böser Befehl. Es lag etwas in dem Tosen und der Gewalt des Orkans, was selbst die Erfahrensten unter uns in Schrecken versetzte. Das Beschlagen des Segels war eine verzweifelte Arbeit. Trotzdem an jedem Läufer die doppelten und dreifachen Kräfte gegen sonst zogen, brauchten wir alle zusammen doch eine halbe Stunde, um die Leinwand einzurollen. Der Bauch des Segels war wie von Eisen, wir schlugen mit unsern Fäusten dagegen und zerrten an den Seisingen mit fast übermenschlicher Anstrengung. Beinahe hätten wir die Sache als hoffnungslos aufgegeben, doch schließlich gelang uns das Werk.

Kaum, daß wir uns einigermaßen verpustet hatten, erschallte schon der neue Befehl, das gereffte Groß-Stagsegel wieder zu setzen. Das gelöste Segel kam nieder, die Brassen wurden nachgelassen und der Kurs des Schiffes nördlicher gerichtet. Hierdurch erhielten wir den Wind etwas schräg von der Seite.

Die See war allmählich schwerer geworden. Die mächtigen Wogen strömten in rascher Aufeinanderfolge auf uns zu, und das Deck schwamm fortwährend unter den Wassermassen, welche die Kämme der Wellen auf dasselbe warfen.

»Nun,« dachte ich, »wenn dieses Wetterchen noch eine Weile anhält, dann wird Miß Franklin wohl verstehen lernen, was die Leute damit meinen, wenn sie von berghohen Wellen sprechen.«

Der Kapitän befahl jetzt, beizudrehen. Infolgedessen wurde die Brigg dicht beim Winde gelegt und aller Segel entkleidet bis auf ein gerefftes Stagsegel.

Da lagen wir nun, gehoben von den schweren Seen, die jetzt heranrollten, gegen unsern Bug dröhnten, und Säulen von Gischt über uns ergoßen. Heulend, pfeifend, brausend fuhr der Sturm durchs Takelwerk, aber wir machten keine Fahrt, fast auf derselben Stelle blieb die Brigg liegen.

Kurz nach vier Uhr brach die Morgendämmerung beinahe hinter uns an, so daß unser Bugspriet jetzt direkt nach der Seite stand, aus welcher der Orkan gekommen war. Das dunkle schäumende Wasser, welches im Westen noch schwärzer und düsterer erschien, bot einen trübseligen Anblick. Wie ein bleiches Gespenst stieg die Sonne empor, ohne Wärme in ihrem Licht und ohne Kraft, der tobenden Wasserwüste einen Glanz zu verleihen. Noch waren wir alle Mann auf Deck, aber totenbleich vor Ueberanstrengung und Müdigkeit sahen wir aus, wie dem Meer entstiegene Geister, die für den Augenblick belebt waren, um einem schwer ringenden Schiff beizustehen im Kampfe gegen die Elemente. Durchweicht bis auf die Haut, Hosen und Hemden am Körper klebend, die meisten ohne Kopfbedeckung, mit triefendem Haar, hatten wir ein so elendes Aussehen, wie nur je eine Mannschaft, die dem Untergang ihres Schiffes entgegensieht.

Die Hälfte der Hühner unter dem Langboot war ertrunken; der eine Käfig war losgerissen und was von ihm noch übrig war, lag als ein Haufen Stäbe in den Speigaten. Das Deck war bestreut mit Taurollen und anderen Gegenständen, unter welchen das Wasser zischte und sprudelte. Oben sah alles erbärmlich aus. Die Taue waren schwarz von Nässe und peitschten nach Lee; die Segel, welche im Finstern beschlagen waren, saßen klumpig an den Raaen; Fetzen des zerrissenen Groß-Marssegels flatterten noch im Winde. Alles, wohin man auch nur sah, machte einen schlaffen, durchweichten, jammervollen Eindruck.

Der alte Windwärts, der, nach dem Ausdruck seiner Augen zu urteilen, sich durch verschiedene Schnäpse gestärkt hatte, begann jetzt aufs neue zu wirtschaften. Er befahl, das Pumpensood zu sondieren, und da ein Fuß Wasser gefunden wurde, mußte gepumpt werden, bis alles wieder klar war. Dann wurden einige Mann ins Takelwerk geschickt, die Segel wieder in Ordnung zu bringen, andere mußten das Deck reinigen oder Taljen an die Pardunen legen und in anderer Weise die Spieren sichern. Ich dachte wirklich einen Augenblick, der Maat wolle die Reulraaen abnehmen lassen, nach der Art, wie er auf sie schielte; ich war froh, daß der Befehl nicht gegeben wurde, denn das wäre ein Geschäft gewesen, zu dem ich wenigstens, bei meiner völligen Erschöpfung, nicht die nötigen Kräfte besessen hätte.

Bei diesem Sturm zeigte sich so recht, daß wir eine tüchtige Mannschaft waren und Mut hatten. Ich erinnere mich, daß ich damals im stillen dachte: wenn ich jemals den Befehl über ein Schiff erlangen sollte, würde ich mir nie willigere und fleißigere Leute wünschen können. Jedoch all unser Eifer fand keine Gnade in den Augen des Maats; denn jetzt, wo er uns sehen konnte, fluchte er wieder auf uns, nannte uns ein Pack fauler Lumpenhunde, stampfte mit den Füßen aufs Deck, schüttelte seine Fäuste gegen uns und bedrohte Klein-Welchy mit einem Splißeisen. Solche Behandlung hätte genügt, eine plötzliche Meuterei zu erregen, und nach der Stimmung der Leute zu urteilen, würde das unkluge Verhalten des Maats sehr verhängnisvolle Folgen gehabt haben, noch ehe die Sonne eine halbe Stunde höher gestiegen war, wenn wir nicht einerseits durch eine Art Apathie, infolge körperlicher Ermüdung, zurückgehalten worden wären, andererseits durch das Bewußtsein der Gefahren, in denen die Brigg bei dem anhaltenden wütenden Sturm noch immer schwebte.

Um sieben Glasen, als es auf Deck nichts mehr zu thun gab, wurden wir zum Frühstück entlassen. Wir verließen das Deck total ermattet, und, trotz der warmen Breiten, in denen wir uns befanden, durchschauert von Kälte, denn der Wind war beinahe eisig. Finster und murrend betraten wir die Luke.

Die Tyrannei des Maats, welche der Kapitän unterstützte, begann auf uns alle ihre Wirkung zu üben. Bisher war die Schwungkraft unseres Geistes wetterfest gewesen gegen eine Behandlung, die in wenigen Wochen alles überboten hatte, was in dieser Beziehung irgend einer von uns nur je erlebt hatte. Nun aber fingen wir an zu erlahmen, und die natürliche Leichtherzigkeit des Seemanns, welche selbst im Angesicht des Todes sich allen Gefahren überlegen zeigt, ging uns unter dem Despotismus dieser beiden Menschen allmählich verloren.

Schweigend genossen wir unser Frühstück, wechselten wir unsere Kleider und rauchten wir unsere Pfeifen. Einige streckten ihre erschöpften Glieder für eine kurze Zeit der Ruhe auf die Pritschen. – Jeder Mensch, und wäre sein Vorurteil gegen Seeleute noch so groß gewesen, hätte uns bemitleiden müssen. In den dunklen Raum, wo wir uns befanden, stürzte das Wasser eimerweise durch die Luke und nur eine erbärmliche Lampe, die an einem geschwärzten Balken schaukelte, warf ihren düstern Schein umher. Unsere Mahlzeit nach der Arbeit einer so schweren Nacht war derart, wie sie kein Bettler im Armenhaus auch nur angesehen haben würde. Dazu kam, daß einige unter uns keine trockenen Kleider besaßen, sich keinerlei Bequemlichkeit zu verschaffen vermochten, und uns allen bei der entsetzlichen, fortwährend stoßenden Bewegung des Schiffes nicht die geringste Ruhe vergönnt war. Bald fuhren wir gen Himmel, bald tauchten wir unter dem fürchterlichen Brausen, Zischen und Kochen des Wassers hinab in den schwarzen Grund der Wogen. Die unausgesetzte Notwendigkeit, sich an irgend einem festen Gegenstand mit aller Kraft anhalten zu müssen, machte unsere Knochen schmerzen bis ins Mark hinein.

Um acht Glasen wurde, gegen alle unsere Erwartung, nur die Wache auf Deck gerufen, und da somit die Backbordwache, zu der auch ich gehörte, Freiwache hatte, legten wir uns nieder und schliefen schließlich bei unserer Ermüdung auch wirklich ein. Als wir dann um die Mittagszeit die Steuerbordwache ablösen mußten, fanden wir zu unserer großen Ueberraschung blauen Himmel, eine frische Brise und die Wache beschäftigt, Segel zu setzen. Keine Spur des Ungewitters, dem wir beinahe zum Opfer gefallen wären, war noch vorhanden. Leicht und anmutig glitt die Brigg über die sich tummelnden grünen Wogen, deren schäumende Kämme das einzige Zeichen der Aufregung bildeten, in welcher die See sich noch vor kurzem befunden hatte. – Heller Sonnenschein lag freundlich lachend auf Schiff und Wasser.


 << zurück weiter >>