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Dreißigstes Kapitel.
Des Seemanns Fluch.

Während der ganzen Zeit war der Rum durch die Unterbettung in das Schlagwasser abgelaufen. Ich rechnete, daß das Faß in einer halben Stunde leer sein mußte, und wünschte danach noch soviel Zeit zu gewinnen als möglich, um den Geruch sich etwas verziehen zu lassen. Viel war in dieser Hinsicht übrigens nicht zu fürchten, da der Raum ohnedies schon von starken Gerüchen so erfüllt war, daß, wenn dieselben auch den Rumgeruch nicht gerade ganz übertäubten, er jedenfalls doch auch nicht hervorstechend sein würde.

Ich ging auf Deck und fand, daß der Nebel sich verzog. Der Wind blies stark und gleichmäßig, während die langen Wogen manchmal so starke Wassergüsse über den Wetterbug schleuderten, daß das Vorderdeck wie Eis im hellen Sonnenschein glitzerte.

Die Leute waren im Vorderkastell beim Frühstück, Welchy stand am Rade und Banyard trottete auf der Windseite einher.

Ich rief Deacon durch das Oberlicht zu, er möchte auf Deck kommen und dem Koch befehlen, das Frühstück für uns zu bringen, denn der Kerl war im Vorderkapell und wir standen in Gefahr, nichts zu essen zu bekommen.

»Schüttle es raus, Welchy!« rief ich, als ich bemerkte, daß das Gaffelsegel zuviel Wasser schöpfte, »wir werden gleich das Oberbramsegel setzen. Es ist eine weite Fahrt nach dem Kap Horn und wir müssen uns beeilen. Ich will die alte Wassertonne schon tanzen machen; der Teufel soll sie an die Bugsierleine nehmen, wenn sie ihre Fersen nicht zeigt.«

»So is recht, wi wull'n sei schon dörchtrecken,« lachte er und sah dabei wirklich wie der richtige Pirat aus in seiner Pelzmütze, seinem lodderigen Anzug und seinen behenden Bewegungen, wenn er in die Radspeichen faßte. »Old Windwärts ward scharp raudern möten, wenn hei uns inhalen will! in desen Agenblick warden sei woll beid schon tämlich seekrank sien, un all ehre Sün'dn warden sei dorbi infollen.« Während er so sprach, blickte er nach hinten und die rachsüchtigste Freude leuchtete in seinen Augen.

»Sag mal, Welchy, habt Ihr schon darüber nachgedacht, was mit der Brigg werden soll und wohin wir sie bringen werden, wenn wir das Gold verladen haben?«

In diesem Augenblick trat Banyard zu uns.

»Pah«, antwortete Welchy in der richtigen sorglosen Seemannsart, »wat kümmert uns dat up Stunn's, dat kümmt späder taurecht. Laten Sei uns blot ierst up de Insel sien, dann wull'n wi wider äwerleggen. Dat is 't, wat all Lüd denken.«

»Angenomm'n, wi finn'n da ein Kriegsschipp?« meinte Banyard.

»Angenomm'n, wi finn'n dat nich; tum Henker mit dien ›Annahm‹!«

»Wenn die Insel unbewohnt ist, dann ist auch die Anwesenheit eines Kriegsschiffes nicht zu befürchten,« bemerkte ich.

»Un denn,« schrie Welchy, »wer will seggen, dat Sei nich de Schipper sünd un dat wi Ladung hädd nah – nah –«

»Vancouvers-Insel,« half ich ihm ein.

»Un ut uns' Kurs verslagen sünd! Wat künnt natürlicher sien? Ick segg, wi bruken blot all'ns Jack äwerlaten, de ward sik schon utfinn', de is nich von gistern.«

»Da hast du recht, du Bösewicht,« dachte ich, »und wenn ich euch nicht noch alle überliste, so – –«

Ich wußte nun, daß die Leute sich noch keinen Plan gemacht hatten; nach Deacons Weigerung, mir klaren Wein einzuschenken, hatte ich mir das auch schon gedacht.

Das Frühstück in der Vorderluke schien jetzt beendet, denn nach und nach kam die Mannschaft auf Deck und lungerte herum. Ihr Benehmen zeigte deutlich, daß sie große Sehnsucht nach der Verteilung des Rums und Brantweins hatten.

Ich that, als ob ich das gar nicht bemerkte, sondern rief, mir vergnügt die Hände reibend und thuend, als ob ich vor Eifer brenne, meine Pflicht als Kapitän zu erfüllen: »Na, alte Kerle, nun aber mal schnell ans Werk, Vorbram-Segel und Großstag-Segel los! Immer frisch dran! Wir wollen das alte Mädchen drücken, daß es quietscht! Hurra!«

Mein lustiges Geschrei verfehlte seine Wirkung nicht; dadurch angefeuert, vergaßen die Leute ihre lüsternen Gedanken und legten sich scharf ins Zeug. Nach wenigen Augenblicken schlappte die Leinwand von oben schwer nieder und eine Stimme rief: »Holt an!« Auf diesen Anruf griffen alle Hände kräftig in die Brassen und Schoten, und unter dem üblichen Gesang kamen die Raaen herum und die Segel in den Wind.

Die Brigg spürte sogleich den Druck der verstärkten Segel und holte stark über. Der hoch aufspritzende Schaum zog auf der Leeseite einen so breiten Streifen, als wenn ein Schaufelrad ihn aufwürfe. Das Deck stand schräge wie der Abhang eines Hügels, und die unteren Raanocken der Leeseite hingen dicht über dem Wasser.

Es lag mehr in meinem Interesse als in dem der Leute, diesen Teil der Reise so schnell als möglich hinter uns zu bringen. Bei dem Kurs, den wir jetzt halten mußten, hatten wir nicht allein starke konträre Winde und schwere Seen zu erwarten, sondern es war auch auf dieser ganzen Seite des Horns keinerlei Aussicht auf Befreiung oder auf eine Gelegenheit, die Meuterei zur Anzeige zu bringen, während westwärts des Kaps, auf den sanften Gewässern des Stillen Ozeans, eine Windstille uns vielleicht nahe genug an ein Schiff bringen konnte, um mir die Möglichkeit zu gewähren, mich insgeheim mit ihm in Verbindung zu setzen; außerdem war auch der Fall nicht ausgeschlossen, daß wir einem Kriegsschiff begegneten.

Mein Welchy gegebenes Versprechen, den alten Wasserkübel vorwärts zu treiben, war daher ganz aufrichtig gemeint. So lange Wind war, sollte die Brigg alle Segel führen, die sie tragen konnte, und wenn ich das Kap nicht in vier Wochen umsegelt hatte, sollte die Schuld nicht an mir liegen.

Die Arbeit, an welche ich die Leute gestellt hatte, kostete Zeit. Als alles festgemacht und die Taue zusammengerollt warm, schickte ich sie an die Pumpen. Einige sahen sehr überrascht und finster aus bei diesem Befehl, aber demungeachtet griffen sie nach den Schwengeln und hielten die Pumpen in Gang, bis kein Wasser mehr kam. Es war allerdings wenig genug in der Brigg; sie war so dicht wie ein Suppenkessel, und das wenige Wasser, was drin war, war unzweifelhaft von oben hineingekommen.

»Nu also,« rief Blunt vortretend, als das Pumpen vorüber war, »wo steiht dat mit dat Gedränk?«

»Wir hier hinten haben noch nicht gefrühstückt,« antwortete ich. »Du hast es ja schrecklich eilig, Maat. Deacon!« rief ich, »treibe den Koch doch etwas an; Blunt, der eben einen Eimer Thee heruntergegossen hat, behauptet, er wäre am verdursten.«

Meine gute Laune, welche trotzdem mit einem Ton der Autorität gemischt war, hielt die Leute hin. Ich sagte ihnen, sie möchten sich inzwischen ihre Pfeifen anstecken, und wenn der Koch unser Frühstück gebracht und wir es verzehrt hätten, sollte das Getränk gleich zur Verteilung gelangen. Nach einiger Zeit erschien der Koch, und weil die Leute selbst Schinken bekommen hatten, erregten die zischenden, gebratenen Speckschnitten, die jetzt für uns über das Deck getragen wurden, keinen Neid.

Banyard und ich gingen nach unten, Deacon im Dienst auf Deck lassend. Die Leute kamen nach hinten, legten sich auf das Oberlicht oder da und dort hin; sie benutzten jetzt die ganze Länge der Brigg nach ihrem Gefallen. Bis jetzt ließen sie nur die Kajüte frei; aber ich war nicht sicher, daß sie auch bald in diese eindringen würden. Dem ersten Schritt in der Meuterei konnte leicht der zweite folgen, alle getroffenen Vereinbarungen konnten plötzlich mißachtet und über den Haufen geworfen werden.

Ich setzte das Frühstück für Miß Franklin auf ein Theebrett und trug es ihr hin. Sie schüttelte den Kopf, als sie das Essen sah, dankte mir für meine Güte, es ihr zu bringen, aber in einem so zurückhaltenden Ton, daß ich sehr schmerzlich davon berührt war.

»Mir scheint,« sagte ich traurig, »daß es mir doch nicht gelungen ist, Ihr Vertrauen zu gewinnen; ich hatte gehofft, Sie zuversichtlicher gestimmt anzutreffen. Wenn Sie in meinem Herzen lesen könnten, würden Sie mir gegenüber ein weniger furchtsames Wesen zeigen.«

»Ach, ich weiß ja, Sie sind gut,« erwiderte sie, mir ihre Hand reichend, »beurteilen Sie mich nicht falsch; ich bin aber augenblicklich nach allem Vorgegangenen noch nicht im stande, Angst und Furcht zu bannen; jeden Augenblick horche ich, was auf Deck vorgeht, und als Sie soeben die Thür öffneten, überkam mich ein Zittern; ich fürchtete, es könnte ein Anderer eintreten.«

»Sie haben recht, ich bin thöricht, es kann ja eigentlich nicht anders sein, Sie werden den nötigen Mut in Ihrer Lage erst allmählich finden lernen. Es ist eine angstvolle, schwere Zeit für Sie wie für mich; indessen ich blicke trotzdem mit leichtem und frohem Herzen in die Zukunft; denn ich bin überzeugt, daß zuletzt doch alles gut enden wird.«

Mit diesen Worten verließ ich sie, in der Hoffnung, sie einigermaßen beruhigt zu haben; aber doch quälte mich das Gefühl, sie möchte mich nicht für so ehrlich und ihr ergeben halten, wie ich es wirklich war. Hegte sie hierin auch nur den leisesten Zweifel, so that sie mir bitter unrecht; denn ich empfand allen Kummer tief mit ihr, sogar den Schmerz, der sie erfüllen mußte, wenn sie an ihren Bruder dachte. Ja, es gab in der That nichts, was mich nicht in ihrer Seele mit bewegte, nichts, was sie in ihrer Lage hätte denken können, was ich mir nicht auch schon ausgemalt hatte. Ich verstand vollkommen ihr Gefühl der Verlassenheit und die Gedanken an Schande und Tod, die ihr in ihrer mädchenhaften Angst wohl vorschweben mochten.

Als ich mit Banyard beim Frühstück saß, fragte ich ihn, wie es gekommen sei, daß er an der Meuterei teilgenommen habe. »Ich hätte Sie nie für einen Mann gehalten, der bereit sein konnte, sich in eine solche Sache einzulassen,« sagte ich.

»Ik ok nich,« erwiderte er in seiner dummen Art.

»Sie waren bei dem Klarmachen des Boots ebenso thätig wie die andern; wissen Sie, das hat mich gewundert.«

»Je jo, dat müg woll sien, äwer dat is bi mi nich anners; wat 't ok ümmer is, Mister, ik bün ümmer in den dicksten Hümpel tau finn'n, glikvel, wat ik doräwer denken dauh.«

»Ich habe Deacon zum Zeugen aufgerufen, daß ich keinen Teil an der mörderischen That gehabt habe.«

»Ik seih nich in, wat dat nützen künnt,« brummte er in den Bart.

»Das kann man nicht wissen; jedenfalls liegt für mich kein Grund vor, mich mit Euch allen hängen oder auf Lebenszeit einsperren zu lassen, weil Deacon sich in den Kopf gesetzt hat, einen Haufen Gold auf irgend einer Insel vergraben zu haben.«

»Dat Garn hal de Düwel!« rief Banyard.

»So glauben Sie es also nicht?«

»Dat glöwen? Na ik denk, dat ik dat nich dauh. Ik hew sei dat ok seggt, ik hew mi nich förcht. Deacon weit 't, dat ik nicks dorvon glöw.«

»Da haben Sie also den Leuten geholfen, sich der Brigg zu bemächtigen, um einen Schatz zu heben, welcher nach Ihrer Ansicht gar nicht existiert.«

Er sah mich mit einem Gesicht an, so störrisch wie ein Maulesel, und sagte:

»Glöwen Sei daran?«

Ich antwortete vorsichtig, daß ich noch wenig darüber nachgedacht hätte.

»Sünd Sei up Deck west, as de Schipper un de Maat in 't Boot set't würd'?«

»Ja!«

»Worüm hebben Sei da nich för sei kämpft?«

»Weil ich es mit der ganzen Mannschaft nicht aufnehmen konnte.«

»Un ik ok nich!« schrie er; »un dat is 't, worüm ik en mürderischen Seeröwer worden bün.«

Ich lachte über die Grimasse, mit welcher er diese Worte begleitete. In diesem Augenblick rief ihm Deacon durch das Oberlicht zu, er solle ihn endlich ablösen kommen, und fügte hinzu:

»Die Leute verlangen jetzt ihren Rum, sie sind es müde, noch länger auf die Beendigung des Kajüten-Frühstücks zu warten.«

Nach einigen Augenblicken begab sich Banyard auf Deck, Deacon kam herunter, setzte sich an seine Stelle und fiel mit Heißhunger über das Essen her. Seine Augen glänzten in einem ganz eigentümlichen Licht und ein Lächeln, welches jeder Beschreibung spottete, lag auf seinem Gesicht; denn nie sah ich ein sonderbareres Gemisch von Schlauheit, Verschmitztheit und Aufgeblasenheit.

Er aß mit großer Hast und fragte mich, wo Miß Franklin wäre.

»Da, wo sie sein muß,« antwortete ich, »und das geht nur mich an. Denk du an dein Gold und bekümmere dich nicht um meinen Anteil.«

»Gott, was für ein Ding ist doch die Eifersucht, dies grünäugige Ungeheuer, das immer nur mit Eifer sucht, was Leiden schafft. Verstehst du das?«

»Du wirst es mit dem Schönen zu thun kriegen, wenn du die Leute noch länger auf ihren Rum warten läßt,« erwiderte ich statt aller Antwort.

»Warum läßt du mich euch nicht verheiraten?« fuhr er in einem richtigen Bühnenton fort, indem er Messer und Gabel ruhen ließ und mich verschmitzt ansah. »Du hast mich noch nie Gebete lesen hören, was? – Ich versichere dich, es giebt niemand, weder auf der Kanzel, noch im Freien, der mich an Salbung zu übertreffen vermöchte. Das Gangspill würde einen vortrefflichen Altar abgeben, nichts wäre nötig als die Flagge darüber zu decken. Wir würden jeden Lappen Flaggentuch hissen und dann einen richtigen Seemannsball veranstalten. Suds würde die Musik liefern und Mrs. Chadburn sollte einige reguläre Seevergnügungen zu sehen bekommen: Hornpipes, Polkas, Lieder und allerlei lächerliche Geschichten. Was meinst du dazu, he?«

»Ich meine, daß du ein Narr bist und ich dir ernstlich rate, dich nicht um meine Angelegenheiten zu kümmern. Du weißt, was du versprochen, solltest du dein Wort einmal brechen, dann Gnade dir Gott!«

Er sah mich groß an, antwortete nichts und setzte sein Frühstück fort.

Ich ging auf Deck und sagte, daß jetzt vier Leute zur Verteilung der Flaschen herunterkommen sollten. Da keine Aussicht vorhanden war, sie von ihrem Entschluß, sich in den Besitz des Getränkes zu setzen, abzubringen, so war es die beste Politik, mir den Schein zu geben, als stimmte ich mit ihren Wünschen völlig überein.

Sie wählten Blunt, Welchy, Jim und Sam als Repräsentanten von jeder Wache. Außerdem trat der Koch hinzu. In feierlichem Zuge begaben wir uns nach der Kajüte. Sie wollten allerdings zuerst das Rumfaß auf Deck schaffen, da ich aber immer noch etwas mehr Zeit gewinnen wollte, um den Geruch sich mehr verflüchtigen zu lassen, beredete ich sie, lieber zunächst die Flaschen zu besichtigen und zu verteilen.

Alle Spirituosen, die zum Gebrauch der Kajüte bestimmt waren, befanden sich in der Speisekammer. Vier Gestelle, jedes achtzehn Flaschen enthaltend, war alles, was von dem ursprünglichen Vorrat übrig war. Die Flaschen enthielten: Rum, Brandy und Wacholderbranntwein. Da sie zur mäßigen Benützung für nur drei Personen bestimmt gewesen waren, so hätten sie über und über bis Sydney ausgereicht, jetzt sollte ein einziger Tag sie fast alle leeren.

Die Freude der Leute war groß, als sie die Aufstapelung sahen, sie schrieen und meinten, solche Ausstellung von Getränken ließe man sich gefallen; laut lachend und scherzend gratulierten sie der Reihe von Gesichtern, die mit gieriger Erwartung durch das Oberlicht herunterblickten.

»Hier is gaudes Gedränk naug, üm alle Trurigkeit tau ersupen,« schrie Welchy.

»Ja!« brüllte Jimmy, »un teihnmal sovel is noch unnen in't Faß, Jungs.«

Die Flaschen wurden nunmehr gezählt. Ich teilte dieselben nach der Zahl der Köpfe an Bord und rechnete unter diese auch Miß Franklin mit ein, damit die Leute wenigstens einige Flaschen weniger in die Hände bekämen.

Hiernach begann der Koch mit der Austeilung. Blunt sprang auf den Tisch und reichte die Flaschen durch das Oberlicht auf Deck. Es war widerlich anzusehen, mit welcher wilden Hast die Hände darnach griffen, und wie jeder seinen Anteil streichelte und zärtlich an sich drückte. Die Leute in der Kajüte steckten die Flaschen, welche ihnen zufielen, in die Taschen und den Busen. Diebe, welche Goldsäcke stehlen, können kaum gieriger ihren Raub ergreifen, wie es hier geschah.

Nachdem dieses Geschäft beendet war, befahl ich dem Koch, uns nach dem Rumfaß zu führen. Er zündete eine Lampe an und wir folgten ihm in den Vorratsraum. Der Geruch des Rums drang mir stark genug in die Nase, aber vielleicht waren meine Sinne durch das böse Gewissen geschärft, denn die andern schienen nichts zu merken.

»Kiek't, hier ist dat Rumfatt, Jungs,« rief der Koch, indem er es mit dem Fuß anstieß. Ein hohler Klang tönte zurück. Der Kerl erschrak und rüttelte an dem Faß; es war leicht.

»Nu, wat tum Düwel is denn dat?« murmelte er kopfschüttelnd und noch einmal den Klang probierend; aber derselbe hohle Ton von vorher hallte wieder. Er stürzte dabei an das andere Faß und klopfte auch an dieses mit dem Fuße. Es zeigte sich leer, gleich dem ersten.

»'s is uslopen, all'ns is weg!« stöhnte er.

»Scheer' di bi Sid!« brüllte nun der Schöne, schlug mit seinen Eisenfäusten wuchtig auf die beiden Fässer und zischte dann vor Wut mit einem schrecklichen Fluch: »Leer sünd sei, dat is seker.«

Ich erinnere mich noch heute des Bildes, welches sich nun in dem Vorratsraum bot. Die düstere, flackernde Laterne, die zornigen, enttäuschten Gesichter der Männer, die starken Stützen der massiven Deckbalken und die undurchdringliche Dunkelheit der nicht im Lichtkreis liegenden Winkel, ich höre noch heute das Stöhnen und Knarren des Holzwerks und das dumpfe, donnernde Getöse der an den Schiffswänden sich brechenden Wogen. Noch heute fühle ich das gewisse Gruseln, dessen ich mich damals nicht erwehren konnte, als ich mit meinem bösen Gewissen unter den wild fluchenden Männern stand.

Indessen, ich that, als wäre ich genau ebenso verblüfft und enttäuscht, wie jeder andere, und versetzte auch meinerseits dem Faß einen prüfenden Fußstoß, gerade so, als ob ich keinem andern Klange, als dem durch mich hervorgerufenen, glauben könnte. Darauf wandte ich mich scharf mit finsterem Blick an den Koch und fragte, ob er Betrug vermute.

Er blickte mit rollenden Augen auf die andern, welche ihn aufgeregt anstarrten, und verschwor sich, er wüßte nicht, was er denken solle, gestern wäre das Faß noch voll gewesen, das wäre alles, was er sagen könnte.

Darauf riß Munt ihm die Laterne aus der Hand und forderte die andern auf, das Faß umzukippen, um den Leck zu suchen.

Dies war schnell ausgeführt und jedes Bohrloch wurde sogleich entdeckt an dem klebrigen schwarzen Fleck, den der ausgelaufene Rum um dasselbe zurückgelassen hatte.

»Jetzt is mi all'ns klar!« schrie nun plötzlich der Koch. »De Schipper was gistern morrn hier unnen. Hei het den Rum anbohrt; hei möt en Vörgefäul hadd hebben von dat, wat kamen würd.«

»So wird es sein,« sagte ich. »Es muß schon längere Zeit her sein, daß das Auslaufen stattgefunden hat, oder könnt Ihr noch den Dunst riechen?« Dabei schnüffelte ich mit großem Eifer.

Als die traurige Neuigkeit oben bekannt wurde, daß durch des Kapitäns Bosheit das kostbare Naß alles vernichtet sei, brach sich die Wut hierüber in einem wahren Strom von Verwünschungen und Flüchen Bahn.

Da aber hiedurch schließlich die Fässer nicht wieder voll wurden, und außerdem jeder Mann seinen besonderen Trost bei sich trug, so schlug die Stimmung bald in die entgegengesetzte um.

»Hier is mihr, as ik jemals tau sluken hadd, sörredem ik en Musterroll unnerschrew,« schrie Welchy, indem er seine Flasche hochhaltend um das Deck tanzte.

»Mak glik en Pott heit Water, Polly,« feuerte Suds den Koch an, indem er ihn mit einem Stoß in den Rücken der Küche zutrieb, »ik bün för ein richtigen Punsch. Schipper!« rief er mir zu, »setten Sei uns vör acht Glasen irgendwo an Land, wo wi en poor Zitrons uplesen künn'; ik bün jetzt verdammten fein worn und müggt girn mien Punsch up de richtige Ort supen.«

Auf dem Deck umher springend, lachend und brüllend, verschwanden sie endlich in der Luke inmitten eines schweren Nebels, welcher die Brigg in diesem Augenblick einhüllte.

Mit bangen Ahnungen erwartete ich die Wirkung der Spirituosen auf die Leute. Sinnlos geworden durch ihre Unmäßigkeit, konnten sie in die Kajüte taumeln, wo Miß Franklin dann ihrer Willkür preisgegeben war, und auch die Sicherheit der Brigg gefährden durch ihre Unfähigkeit zu arbeiten, falls der Wind sich drehen oder stärker werden sollte.

Tief besorgt ging ich nach unten und trat bei Miß Franklin ein. Ich erklärte ihr kurz, was vorgegangen war, und beschwor sie, im Falle die Leute in die Kajüte kämen, ihren Mut zu bewahren, ihnen freundlich zu begegnen, keine Furcht zu verraten und sogar auf ihre Einfälle einzugehen; im übrigen würde ich wissen, das Schiffsvolk in die nötigen Schranken zu weisen und sie vor jeder Beleidigung zu schützen.

Das arme Mädchen war ganz entsetzt, kam auf mich zu, hing sich an meinen Arm, flehte mich an, sie nicht zu verlassen, und erklärte, daß wenn die Menschen in ihre Kajüte kämen, sie vor Schreck sterben würde.

Ich liebte sie in ihrer Furcht nur umsomehr und fühlte, wie mein Mut dadurch wuchs, aber ich sagte mir, daß gegebenenfalls ihre Schüchternheit meine Aufgabe, sie zu schützen, sehr erschweren würde. So, wie ich den Charakter betrunkener Seeleute kannte, sah ich voraus, daß die Bande sich durch ihre Angst beleidigt fühlen würde, dagegen war es sehr leicht möglich, daß ein ruhiges, gelassenes Wesen selbst den Trunkenen imponieren konnte.

Und doch, wenn ich ihr abgespanntes, bleiches Gesicht sah, mußte ich erkennen: da war kein Mut zu finden, auf den ich mich hätte verlassen können. Ich sah es kommen, daß ich würde kämpfen, für sie mein Blut vergießen müssen. Das war ja aber das wenigste, wenn ich sie dadurch nur zu retten vermochte. Ich hätte mich für jedes hilflose Weib in ihrer Lage in die Schanze geschlagen, hier aber war es noch die Liebe, die mich vor keinem Wagnis zurückschrecken ließ. Ich war vollständig bereit, mich für sie zu opfern.

In ihre sanften, schimmernden Augen blickend, schwor ich ihr, mit meinen Lippen an ihrem Ohr, daß ihr kein Leid widerfahren solle, solange ich noch einen Finger rühren könnte. Darauf geleitete ich sie zurück auf ihren Stuhl, und mit der geflüsterten Bitte, doch Mut zu haben, drückte ich ihr innig die Hand und verließ sie.

Als ich auf Deck kam, wurde ich von dem alten Banyard nicht sehr beruhigt, denn er teilte mir mit, daß die Leute beabsichtigen, sich einen Festtag zu machen.

»Das bedeutet,« sagte ich, »sie werden heute abend samt und sonders schlafen und es dem Wind überlassen, der Brigg die Segel zu kürzen, wenn eine Bö käme.«

»Dat ward woll so sien,« antwortete er.

Der Koch kam und meldete, die Leute wünschten zum Mittag Pudding zu haben.

»Wat ganz Extra's sall't sien, ein brennenden Pudding,« sagte er, »mit en ganzen Boddel Brandy doräwer.«

»Gut,« erwiderte ich, »nimm meinethalben ein ganzes Faß Mehl, mir soll es gleich sein; ich bin ja doch bloß euer Diener, es hat gar keinen Zweck, bei mir Befehle einzuholen.«

Ich erkundigte mich nach Deacon, worauf Banyard mir mitteilte, daß er im Vorderkastell sei und seinen Anteil dem allgemeinen Vorrat beigefügt hätte. Ich, für meinen Teil, war es ganz zufrieden, daß er dort war, und beschloß, für ihn Wache zu halten, wenn er nicht nach hinten kommen sollte, da mir der Gedanke, daß er betrunken in die Kajüte kommen könnte, ganz entsetzlich war. Und wirklich, er blieb vorn. Vielleicht suchte er die Gunst der Leute zu gewinnen, indem er mit ihnen trank, wahrscheinlicher aber noch war es, daß er ein gutes Geschäft zu machen hoffte, das heißt auf mehr Getränk rechnete, wenn er seinen Anteil zur Masse schüttete, als wenn er auf diesen allein angewiesen wäre.

Den ganzen Morgen über verhielten sich die Leute ruhig, manchmal tauchte einer aus der Luke auf, warf einen Blick umher und verschwand dann wieder.

Der Wind blies beständig, aber die langen Wogen überströmten das Vorderdeck bis zur großen Luke, und das Wasser sprudelte und schäumte in den Speigaten auf der Leeseite wie ein kleiner Wildbach.

Es schien, daß die Leute bis jetzt verhältnismäßig wenig getrunken hatten, denn erst nach dem Mittagessen begannen sie zu singen. Zunächst noch in ziemlich gehaltenen Tönen, bald aber artete der Gesang in ein wüstes, wildes Gebrüll aus, woran ich die Zunahme der Trunkenheit erkennen konnte.

Banyard war um acht Glasen nach unten gegangen und ich blieb auf Deck. Nur auf zehn Minuten verließ ich es, als der Koch unser Mittagessen brachte, um dieses für Miß Franklin zu präparieren und ihr hinzutragen, denn vorläufig hielt ich daran fest, daß niemand als ich allein ihr Gemach betreten sollte. Eilig erzählte ich ihr, daß soweit alles sicher sei, und bat um Entschuldigung, wenn ich mich gleich wieder entfernte, da ich die Wache übernommen hätte und die Leute im Auge zu behalten wünschte.

Als ich wieder nach oben kam, hörte ich alle schreien, was nur ihre Kehlen vermochten. Ich sah den alten Sam kommen, um das Rad zu übernehmen; seine Augen waren wie entzündet, er bewegte sich aber fest und sicher, und wenn sein Gehirn vielleicht auch etwas umnebelt war, so gab ihm der seemännische Instinkt doch Klarheit genug, um das Steuer richtig und fest zu handhaben; ja, er widmete seiner Thätigkeit vielleicht mehr Aufmerksamkeit, als wenn er ganz nüchtern gewesen wäre. So lastete wenigstens diese Sorge nicht auf mir.

Kurz nachdem Sam das Steuer übernommen hatte, wurde der Lukendeckel zurückgeschoben und die ganze Mannschaft kam auf Deck. In diesem Augenblick wurde die Brigg von einer Sturzwoge getroffen, die auf sie niederprasselte wie auf das Dach eines Hauses. Unter Flüchen, Gebalge und Gelächter schüttelten sie das Wasser wie nasse Pudel ab. Diese Begrüßung machte aber, daß sie anhielten, umherblickten und offenbar sehr unentschlossen waren.

Vier der Leute schienen schwer betrunken. Mit blassen Gesichtern, das Haar über die Augen hängend und in unordentlicher Kleidung taumelten sie umher. Die andern hatten verschiedene Stadien der Trunkenheit erreicht, und unter ihrem Einfluß, der ja, wie man sagt, die Wahrheit an den Tag bringt, konnte man die verschiedenen Charaktere erkennen.

Blunt, häßlich und finster, stieß roh und wütend jeden von sich, der bei dem Stampfen des Schiffes oder aus eigener Unsicherheit gegen ihn anprallte. Welchy grölte Lieder mit lebhaften Bewegungen der Arme und Beine. Suds grinste unaufhörlich, wenn er nicht laut lachte. Deacon predigte mit ausgestreckten Armen und Jimmy saß bitterlich schluchzend am Deckhause. Die meisten verrieten in mehr oder weniger manierlicher Art ihre liebenswürdigen Eigenschaften.

Es stellte sich heraus, daß sie auf Deck gekommen waren, um zu tanzen. Suds mit seinem einfältigen Gesicht stellte sich zwischen die Ohrhölzer am Bugspriet und begann, seine Harmonika zu martern; er entlockte ihr Töne, die wie das Miauen einer Katze klangen, welcher man in den Schwanz kneift. Aber betrunken, wie sie waren, getauft von der Sturzsee, welche sie vollständig durchweicht hatte, angeblasen von dem kalten Wind, gaben sie bei dem schrägen, schlüpfrigen Deck das beabsichtigte Vergnügen auf.

So schlichen sie also, lallend einander zurufend, wieder nach ihrer Höhle. Zuerst wurde Suds samt seiner Harmonika hinabgestoßen, ihm folgte der ganze wüste Haufen, sich drängend und stoßend, in wirrem Durcheinander, als, zu meinem unendlichen Vergnügen, eine neue Woge sich wie ein Wasserfall über sie ergoß.

Was hiernach bei ihnen weiter vorging, weiß ich nicht. Das letzte Bad veranlaßte sie, die Luke mittels des Deckels fest zu verschließen; es drang nun kein Laut mehr auf Deck. Ich blieb bis vier Uhr auf meinem Posten, dann weckte ich Banyard und forderte ihn auf, das Steuer zu übernehmen; als dies geschehen war, befahl ich Sam, die Wache aufzurufen.

Der alte Mann schob den Lukendeckel zurück, schrie und pochte, so laut er konnte, aber umsonst. Darauf stieg er hinunter, ließ jedoch von da ab nichts mehr von sich hören und sehen. Ich nahm jetzt Banyard das Rad ab und schickte ihn nach vorn, um sich von dem Zustand der Leute zu überzeugen. Er blickte, wie ich sah, in die Luke, konnte wohl aber bei der dort unten herrschenden Dunkelheit nichts unterscheiden und stieg auf einmal kühn hinab. Nach einigen Minuten erschien er wieder auf der Bildfläche und kehrte mit einem breiten Grinsen auf seinem ausdruckslosen Gesicht zu mir zurück.

»Ein liggt ümmer äwer den annern as wo dod,« sagte er; »äwerall trett man up zerbroken Boddeln, kein is mihr ganz. Sei hebben sülwst Sams Bramwien nich schont, un de flucht un ßakeriert nau ganz gottslästerlich, un schimpt sei Spitzbauws un Röwer; hei säukt dorbi ümher nah en Droppen, dreiht all'ns üm, finn äwer nicks.«

»Hängt die Lampe auch fest?« fragte ich.

»De is utgahn,« antwortete er.

»Dann, alter Kerl, werden wir beide allein die Brigg bedienen müssen, bis das Viehzeug nüchtern wird. Gott sei Dank, daß es nun nichts mehr für sie zu trinken giebt.«

»Dat segg ik ok,« stimmte er bei, während er seine Pfeife hervorzog.

Da der alte Sam jedoch nüchtern genug war, uns helfen zu können, bestand ich darauf, daß er seinen Dienst am Rade die vorgeschriebene Zeit über that. In dieser Weise hielten wir abwechselnd Wache bis Mitternacht. Um diese Zeit sprang der Wind herum und wehte gerade von der Seite. Der Himmel war so klar, daß kein einziger Schatten seinen mitternächtlichen Glanz verdunkelte, und die Sterne leuchteten wie elektrische Funken.

Jetzt half es nichts mehr, die Brassen mußten bedient werden, die Leute mußten raus. Ich begab mich deshalb nach vorn, ergriff einen Spillbaum, donnerte mit diesem auf die Luke, als ob ich sie sprengen wollte, und brüllte zugleich, so laut ich konnte, nach der Steuerbordwache.

Dieser Lärm, der selbst einen Toten hätte erwecken können, zeigte sich von Erfolg. In wenigen Augenblicken entstiegen drei Leute gähnend und murrend dem schwarzen Loche, und ohne ein Wort des Bedauerns, daß ich ihren gesunden Schlaf habe stören müssen, schickte ich sie ins Takelwerk, die Reffs aus den Topsegeln zu schütteln.

Darauf wies ich Sam an, einen Eimer zu nehmen und seine übrigen Maats mit Wasser zu wecken. »Es nutzt ihnen nichts,« sagte ich, »sie müssen herauf; kein Stück Leinwand darf fehlen, alle Segel müssen gesetzt werden, um jeden Preis muß die günstige Brise voll ausgenutzt werden. Ich habe keine Lust, wie der fliegende Holländer, mein Leben mit dem Versuch zuzubringen, das Horn zu umsegeln.«

Mit rachgieriger Freude unterzog sich Sam sogleich dem ihm gewordenen Auftrag. Mit freigebigen Wasserspenden erweckte er die noch übrigen Schläfer. Unter einer unmäßigen Verschwendung von Flüchen kamen die Trunkenbolde endlich alle auf Deck. Sie waren noch ganz umnebelt von dem Dunst in ihrem Gehirn, polternd und schaudernd rannten sie durch und gegen einander wie eine Herde Schafe.

Ihr Erscheinen war mir ein Beweis, daß die Orgie nun vorüber war. Ich erklärte ihnen, daß es an Wahnsinn grenzen würde, aus dem gegenwärtigen Winde nicht schnell jeden Vorteil ziehen zu wollen, da uns jeden Augenblick ein Sturm aus Westen in die Zähne blasen könnte. Hiernach schickte ich sie an die Arbeit und ließ sie Oberbramsegel, das Gieksegel, die Klüver und Leesegel setzen.

Unter dieser starken Vermehrung des Segeldrucks summte die ›kleine Lulu‹ durch das Wasser, wie eine Libelle durch die Luft; sie hüpfte von Woge zu Woge; jedes Tau sang, die Wetterbrassen standen straff, als wenn sie von Eisen wären, und unter der Gillung hervor stürzte sich ein Wirbel von Schaum in die Dunkelheit hinter uns.

Die Leute indes waren durch ihre Ausschweifung zu stumpf, um unsere Schnelligkeit zu bemerken oder den Gewinn zu begreifen, den sie durch dieselbe machten. Als alle Arbeit gethan war, erlaubte ich der Backbordwache, nach unten zu gehen; die Steuerbordwache aber sammelte sich leewärts von der Küche, um dort noch einmal Schlaf zu suchen und die Branntweindünste völlig los zu werden, die sie jetzt noch verdummten.

So endete dieser ereignisreiche Tag.


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