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Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Ich lausche.

Die Zeit ging hin und die Brigg steuerte nach Süden. Eine andere Temperatur bezeichnete die Breiten, die sie jetzt durchschnitt, und andere Sternbilder erhoben sich am Horizont. In den regelmäßigen Passatwinden war ein Tag wie der andere: die Brigg, unter allen Segeln, strich mit ihrer Kerbe im Wasser, die oberen Kanten der Segel zitterten, das Tauwerk auf der Leeseite hing schlaff, auf der Luvseite aber war es straff gespannt wie Eisendraht; die vom Druck der Segel geneigte Lage des Decks, das dumpfe Rauschen des Wassers auf der Leeseite, die in dem sie überflutenden Wasser grün schimmernden Fenster, all dies war uns so vertraut wie das Geräusch der Schraube in einem Dampfschiff. Kein Wetterwechsel veränderte die Scene. Beständig zogen die weißen Wolken über den tiefblauen Grund nach Nordwesten, und die unendliche Fläche des grünen Meeres war mit ungestümen Wogen bedeckt, welche sich auf der Windseite bis zum Horizont in schneegleichen Reihen brachen.

Manchmal frischte der Passatwind zu einem Sturm auf, so daß wir die obersten Segel einnehmen mußten. Sowohl der Kapitän wie der Maat jagten das Schiff förmlich vorwärts. Der alte Windwärts war ein solcher See-Jockey, daß, wenn Extra-Windstöße kamen und die Brigg ihre Püttings in den Wellen begrub, so, daß man auf der Leeseite das Wasser mit der Hand berühren konnte, er vor Vergnügen auf dem Deck herumstampfte, sich die Hände rieb und in seinem Entzücken dem dahinfliegenden Schiffe in seiner Weise alle möglichen Aufmunterungen zurief: Ho, immer vorwärts, vorwärts alte Schachtel! Verdammt, kannst du nicht besser laufen, soll ich dir nachhelfen? – So, – schön, – gieb Dampf, mein Liebchen! Ich weiß ja, du hast den Satan im Leibe etc., – gerade so, als wenn es ein lebendes Wesen wäre, welches er durch seine Zurufe zu größeren Anstrengungen anspornen könnte.

Der Schiffer, wenngleich sein Vergnügen nicht in so lärmender Weise äußernd wie der Maat, war doch auch sehr erfreut über das rasche Vorwärtskommen. Kein Schiff, mit dem ich je gesegelt, hüpfte, selbst bei konträrem Wind, elastischer über die Wogen. Es glitt über dieselben hinweg mit der Sicherheit eines Eisberges und der Geschwindigkeit eines Vogels. Bei solcher Fahrt drangen wir schnell nach Süden vor. Parallele nach Parallele ließen wir hinter uns, jeden Mittag hatten wir durchschnittlich volle zweihundertfünfzig Seemeilen zurückgelegt.

Eines Tags kam ich während der zweiten Hundswache (Mitternacht) auf Deck, um eine Pfeife zu rauchen. Bei der steifen Brise, welche quer vom Hauptsegel pfiff, wurde es mir nicht möglich, ein Streichholz in Brand zu setzen: ich trat deshalb in die Küche.

Der Koch war auf dem Vorderdeck; ein schwaches Feuer flackerte im Ofen, und nachdem ich meine Pfeife angesteckt hatte, war ich im Begriff, wieder hinaus zu gehen, als ich Stimmen von Leuten hörte, welche auf der Leeseite der Küche vor dem Winde Schutz gesucht hatten.

Deacon sprach gerade, und das, was ich vernahm, veranlaßte mich, stehen zu bleiben und zu horchen.

»Sößtig düsend, segg ik Jug. Hest du Jim, dien Lebdag schon sößtig dusend Pund in Gold sahn?«

»Ne, dat is mi noch nich vörkamen.«

»Also, ik mak den en Büdel up, um henein tau kieken, 's wiren blot ein dusend drin, äwer ok dat is en Summ, de jeden Minschen lüstern scheelen maken kann, wenn sei in blankem Golde vör em liggt. Stell di vör, du steckst de Hand henein bis an dat Handgelenk un fäulst de harten Guineen glatt un rein in dien Hand. Wat, dat is wat? Dat australische Pund is geeler, as dat englische, – 't süht ut wo pures Gold, blot dat 't keinen hübschen Stempel het, äwer de Farb gefällt mi, Jim.«

»Stopp mi man de Taschen vull dormit, – mi dücht, de Farb ward mi tämlich egal sin.«

»Aewer de Goldbarrn, Maat! – Hest du all mal en Goldbarrn sahn?«

»Dat hest du mi schon einmal frogt. Wo tum Kuckuck hädd ik sülln Goldbarrn seihn? Denkst du, ik bün in 'n Bargwark up de Welt kamen?«

»As wi sei von de Schipp wegdrogen, packt' ik sei Tommy up de Arm', acht up einmal. Keiner von uns künnt' mihr dragen, un as ik em einmal ein' mihr uppackt', let hei allens follen, wil 't tau swer wat, un dorbi was Tommy en hellschen starken Kierl.«

»Ik wullt', ik künnt' mi so vel dorvon behöllen, as ik in stann wier, tau sleppen,« sagte mürrisch eine andere Stimme, welche ich sogleich als die von Sam erkannte.

»Wenn ik en poor von de Goldbarrn hädd, weitst du wat ik dormit maken däd? Ik würd' mi en Gastwirtschaft köpen. Dit hew ik all för en gauden Brod ansahn, as ik irst drei Faut hoch war,« bemerkte wieder ein anderer. »Mi liggt nicks an Blaumen up den Disch un an upgetakelten Dierns mit Locken up de Stirn, weck, statt de Kunnschaft tau bedein', sik mit Zierbengeln in de Eck setten un de Tied mit scharmautzieren verbring'n. Ne, ik bün för de Gemäudlichkeit; de Seemann sall bi mi sien Toback roken, sien Grog supen, un ungestürt sing'n känen. Seiht Ji, dat wier wat för mi.«

»Dorbi sünd mi tauvel Füerdag bi so 'ne Ort von Lewen,« brummte der alte Sam. »Mien Vörstellung von ein gauden Lewen is en lütt Hus un en Fedderbedd, en Armstaul un en Wirtshus in de Nahbarschaft mit en Goren dorachter, wo ik Sündags in de Schummerstunn mit en por achtbor'n Seelüd en richtig Garn spinn'n künnt.«

»Je ja, dal künnt mi ok all sihr gefallen, äwer leiwer köpt ik mi en Tiater, en Tiater blot mit Fiedeln und Fläuten, nich mit so 'ne verdunnerten Trumpeten dormang. Ne, de richt'ge naut'sche Musik möt 't sien, ein' Musik, de einem de Fäut zappeln makt vör Vergnäugen. Langwil'ge Stücks würd ik nich upführn laten, ne, blot danzt süllt warden, blot danzt von Seelüd un smucke Dierns, ik ümmer vörweg. Allens süllt sik dreihn. Ne, wat denn? Wat meint Ji? Dat wier nich slicht.«

»Un dit allens künnt Ji hebben, Ji brukt blot taugriepen, Maats,« sagte Deacon.

Hiermit hatte ich genug gehört; ich verließ die Küche schnell, da schließlich doch einer hätte hereinkommen und mich bei meinem nicht schönen Geschäft des Horchens überraschen können. Was sollte ich nun aber von Deacon denken, der nach dem Aufhebens, was er mir gegenüber von seinem Geheimnis gemacht hatte, jetzt auf einmal die ganze Mannschaft in sein Vertrauen zog?

Vielleicht war seine ganze Geschichte doch nur eine reine Erfindung; indessen Lügen ohne Beweggrund sind undenkbar, und daß er sich sein ganzes Gewebe nur zum Scherz ausgesponnen haben sollte, erschien mir nicht glaubhaft.

Dies erwägend, sagte ich zu mir: »Es läßt sich kein rechter Grund erkennen, weshalb die Geschichte erlogen sein sollte; welchen Zweck könnte er dabei verfolgen? Wenn sie wahr ist, kann er nichts besseres thun, als seine Zurückhaltung endlich aufzugeben und seine Schiffsmaats ins Vertrauen zu ziehen; ohne Hilfe kann er das Gold nicht holen und die ersten Leute, die er dazu findet, sind die Besten.«

Aber dies war mir alles nichts, meine Gedanken gingen weiter. Er hatte mich aufgefordert, mich der Brigg zu bemächtigen. Angenommen, er machte denselben Vorschlag der Mannschaft? Schlechte Behandlung hatte sie in Zunder verwandelt und hier war der glühende Funke, welcher zünden, d. h. eine Erhebung hervorrufen konnte. Diese konnte Reichtum bringen und gleichzeitig Rache üben lassen.

Aber das war ja wieder nur so eine Grillenfängerei von mir. Ich war nicht der Mann, mich mit bloßen Möglichkeiten zu quälen. Ich klopfte die Asche aus meiner Pfeife und begab mich nach der Kajüte, im ganzen mehr amüsiert als erschreckt durch das Gespräch, welches ich erlauscht hatte.


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