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Neunzehntes Kapitel.
Deacons Geheimnis.

Wir gingen auf den Platz zurück, den wir vorher verlassen hatten. Es war jetzt etwas mehr Wind, die Segel standen voller, rauschend schlugen die Wellen gegen die Backen, die Masten hatten eine hübsche Neigung angenommen. Dies war doch wenigstens ›segeln‹ zu nennen. Noch einige Tage solche Fahrt weiter und die südöstlichen Passatwinde mußten uns durch das Takelwerk pfeifen.

»Hast du dir den Namen des Schiffes gemerkt,« fragte Deacon.

»Gewiß, die ›Königs-Eiche‹ war es genannt.«

»Ich war Hochbootsmanns-Maat an seinem Bord.«

»Du?«

»Ja, ich; warum nicht? Ich war damals vierundzwanzig Jahre alt.«

»Die Zeitung sagt, daß man niemals wieder von ihm hörte, nachdem die Neuseelands Bark ›Emilie‹ es getroffen hatte. Du wurdest also gerettet, und hast den Reedern niemals Bericht erstattet?«

»Das ist mein Geheimnis,« sprach er feierlich.

»Ein Schiffbruch! Ist das alles?« rief ich sehr enttäuscht, denn dies schien mir doch genau die Geschichte vom Berge und der Maus.

»Wer sagt, daß das alles ist? Allerdings handelt es sich um einen Schiffbruch, dabei aber doch noch um etwas mehr.«

Er rückte nunmehr ganz dicht an mich heran, sah mir scharf ins Gesicht und begann mit flüsternder Stimme:

»Wie ich dir schon sagte, war ich Hochbootsmann an Bord der ›Königs-Eiche‹. Sie war ein Schiff, registriert mit fünfzehnhundert Tonnen, ein Schiff, so lenksam und leicht zu steuern, wie mir nur je eins vorgekommen. Es machte herrliche Fahrt und hielt sich mit seinen Masten so grade wie eine Herzogin in dem Ballsaal einer Königin. Wie es ins Unglück kam, weiß Gott allein. Kohlenschiffe, die vor achtzig Jahren gebaut wurden, haben es überlebt und schleppen noch heut' ihre Kohlen, aber die See ist unberechenbar, und –«

»Mein Gott, ja,« fiel ich ein; »aber das ist doch keine Geschichte, die –«

»Bist du aber ungeduldig! So höre doch nur weiter. Also wir verließen Sydney am ersten Dezember und hatten bei gutem Winde alle Segel entfaltet. Die Brise war uns günstig bis Sonnenuntergang, dann aber sprang sie um und wir mußten lavieren. So ging es einige Tage, während welcher wir keinem Schiff begegneten außer einer kleinen Barke, die von Neuseeland kam, und mit der wir auch Signale austauschten. Es war allen Leuten bekannt, daß Geld an Bord war, Geld und Gold, irgendwo hinten weggestaut, wieviel aber, das wußte keiner von uns. Wir machten uns wohl übertriebene Vorstellungen davon, denn es hieß, wenn man den ganzen Haufen gleichmäßig zwischen Passagieren, Offizieren und Mannschaft teilte, so würden auf jeden Kopf viertausend Pfund kommen. Danach rechneten wir aus, daß der Wert zweihundertvierzigtausend Pfund betragen müßte. Wieviel in Wirklichkeit vorhanden war, hast du ja nun aus der Zeitung ersehen. Alles ging gut, bis eines Morgens, so etwa gegen zwei Uhr, der Wind nach Süden umschlug. Wir befanden uns zu der Zeit etwa um den einhundertzwanzigsten Grad westlicher Länge, die Breite habe ich nicht erfahren können, und hielten Kurs Südwest. Es blies zunächst nur mäßig stark, aber so kalt, daß es einem ordentlich ins Gesicht schnitt. Nachher, um die Morgenwache, frischte der Wind mehr auf, und bei Tagesanbruch wurde er so heftig, daß die obersten Segel beschlagen werden mußten.

»Dem Kapitän gefiel das Aussehen des Himmels gar nicht; es war wahr, derselbe sah sonderbar aus, so wie ich ihn noch nie gesehen hatte, etwa wie wenn man durch ein Stück Eis auf etwas Blaues sieht. Immer mehr nahm der Wind zu. Die Oberbram-Raaen wurden getoppt und mehr und mehr Segel gestrichen. Um zwei Uhr nachmittags hatten wir den richtigen Orkan mit einer richtigen Kap Horn-See. Wir liefen nur noch mit ein paar dicht gerefften kleinen Segeln. Zum erstenmal lernte ich hier die Wogen des Stillen Ozeans kennen. Man sagt immer, die höchsten wären nicht über dreißig Fuß, aber ich will ewig ein Lügner genannt werden, wenn es nicht wahr ist, daß die Wogen hier die Höhe des Besanmastes erreichten. Wenn das Schiff in die Tiefe glitt, befand es sich zwischen Mauern grünen Wassers, die so hoch aussahen wie die Klippen bei Dover; es war so schrecklich, daß man hätte graue Haare kriegen können. Ich dachte immer, das Schiff müsse unter dem furchtbaren Anprall der Wogen in Trümmer gehen.

»In dieser Weise hielt der Sturm eine ganze Woche an und jagte uns direkt nach Norden oder vielleicht ein wenig Nordwest. Der Schiffer suchte ein mutiges Gesicht zu zeigen, aber obgleich er ein ziemlich guter Seemann war, so war er doch nicht sehr kräftig; er sah immer kränklich aus.

»In der Kajüte wurden besondere Gebete abgehalten, wozu auch die Passagiere des Zwischendecks erschienen. Diese hatten es sehr schlimm, da sie stets bei geschlossenen Luken im Finstern, ohne etwas Warmes für den Magen, sitzen mußten, weil in der Küche kein Feuer angemacht werden durfte.

»Als der Sturm nachließ, befanden wir uns einige hundert Meilen nördlich von unserem Kurs. Der Kapitän nahm am Ende der Woche Messungen vor und bezeichnete die Breite so etwa auf sechsundvierzig bis siebenundvierzig Grad. Es war eine schreckliche Fahrt.«

»Aber Mensch,« fuhr ich nun heraus, »komm jetzt endlich zu deiner Geschichte; es werden heilig noch acht Glasen, ehe du mich aus diesem Sturm herausbringst.«

»Na, jede Geschichte hat doch ihre Einleitung, und so auch die meinige. Was ich bisher erzählte, gehört zu ihrem Verständnis; wenn ich kleine Einzelheiten überspränge, würdest du sagen, ich hätte das ganze Abenteuer erfunden. Du sollst schon bald staunen. Also, als wir dachten, der Sturm wäre vorüber, und Gott für unsere Erhaltung dankten, erhob er sich aufs neue, und zwar diesmal aus Westen. Neun Tage und neun Nächte tobte und wütete er, als wollte er uns von der See wegblasen. Wahrhaftig, die ›Königs-Eiche‹ war ein gutes Schiff, aber selbst, wenn sie eine Insel gewesen wäre, hätte ihr bei solchem Wetter etwas passieren müssen.

»Am siebenten Tage des zweiten Sturmes meldete der Zimmermann fünf Zoll Wasser im Kielraum. Wir pumpten, aber bis zum nächsten Tage gelang es uns nur, das Wasser auf gleicher Höhe zu erhalten, und den darauffolgenden Tag stieg es alle zwei Stunden einen Zoll. Jetzt verminderte sich zwar der Sturm, aber alle Arbeit während desselben, und dann das Pumpen hatte uns vollständig erschöpft. Wir weigerten uns weiter zu pumpen, wir sagten, da wir das Schiff doch nicht erhalten könnten, wollten wir die Boote rüsten. Der Kapitän verlor den Kopf und rannte umher wie ein Wahnsinniger. Infolgedessen entstand eine Panik, die meisten von uns stürzten sich auf die Boote, wir kämpften um dieselben wie wilde Tiere um eine Beute. Hierbei schlug mich einer, mit Gott weiß was, über den Kopf, so daß ich bewußtlos zusammenbrach.

»Als ich wieder zur Besinnung kam, war es dunkel. Ich konnte mich zuerst nicht besinnen, wo ich mich befand, wurde aber sehr bald völlig ernüchtert, denn das Wasser stürzte über mich, als wenn ich unter einer Traufe läge; ich sprang auf und blickte umher. Es regnete stark genug, um einen Walfisch zu ersäufen, auch ein starker Wind wehte, ich kann aber nicht sagen von welcher Seite. Das Schiff trieb vor Tob und Takel mit dem Stern voran. So schwach ich war, überwältigte mich doch die Angst, allein auf dem sinkenden Schiff zu sein. Die Furcht gab meiner Kehle die nötige Kraft und ich schrie:

»›Halloh, ist niemand hier?‹

»›Ja,‹ antwortete eine Stimme, und als ich nach der Richtung hinsah, bemerkte ich eine Gestalt in der Besanwant.

»›Wer bist du?‹ fragte ich.

»›Tommy Leech‹, erwiderte er, worauf ich mich zu ihm hinschleppte, denn ich fühlte mich wunderbar getröstet.

»Der Gedanke, allein auf dem Schiffe zu sein, würde mich wahnsinnig gemacht haben, jetzt aber, wo ich fand, daß ich Gesellschaft haben würde, wenn es zum Ersaufen käme, erschien mir meine Lage weniger verzweifelt.«

Deacon machte hier eine Pause und versank in Nachdenken.

Ich rüttelte ihn aber wieder auf und sagte:

»Na, immer vorwärts, bring deine Geschichte endlich zu Ende.«

Den Kopf erhebend fuhr er hierauf fort:

»Tommy erzählte mir, daß das Schiff verlassen sei. Offiziere, Mannschaft und Passagiere hätten sich in die Pinasse und Boote geworfen und wären fortgetrieben. Das Boot, in welches er und mehrere Frauen gestiegen, sei durch das Aushaken des einen Läufers beim Herunterlassen kopfüber gegangen, ihm allein wäre es gelungen, sich zu retten. Durch eine Woge an die Püttingen geschleudert, hätte er vermocht, diese zu ergreifen und dadurch wieder an Bord zu kommen.

»Wir überlegten nun, was wir thun sollten. Das Schiff schlingerte durch das Wasser im Kielraum fürchterlich. Das einzige zurückgebliebene Boot war das Langboot, welches durch die darauf verstauten Spieren von uns allein aber kaum flott zu machen war. Sollten wir uns ans Werk machen, ein Floß zu bauen? Wir waren beide zu schwach dazu. Um uns zu stärken, holten wir uns etwas zu essen und zu trinken und das belebte uns. Darauf beschlossen wir, zu versuchen, ob das Schiff noch Segeldruck vertrüge; wir brachten deshalb die Brassen in Ordnung, kreuzten die Raaen und setzten einige Segel. Der Erfolg zeigte sich sehr bald, denn es gelang uns vor den Wind zu kommen. Das Ruder mittschiffs gestellt, fuhren wir nun auf gut Glück los. Wir hofften, vielleicht irgend eine Insel zu erreichen. Wo wir eigentlich waren, davon hatten wir natürlich keine Ahnung, aber wir dachten, es würde besser sein, nach Norden als nach Süden zu steuern, und daher ließen wir das Schiff diese Richtung nehmen.

»Nachdem wir dies alles mit äußerster Aufbietung unserer Kräfte bewirkt hatten, waren diese völlig zu Ende; ich fiel nieder und schlief wie ein Säugling. Als ich erwachte, war es heller Tag; ich hatte die ganze Nacht hindurch geschlafen. Ein frischer Wind blies und die See ging schwer. Das Schiff stand wieder ganz verkehrt, aber nicht tiefer im Wasser als zur Zeit, wo wir es flott gemacht hatten. Diese Entdeckung machte mich fast unsinnig vor Freude. Ich rief nach Tommy, erhielt aber keine Antwort. Auf Deck war er nicht zu finden, als ich aber, ihn weiter suchend, nach der Kajüte kam, fand ich ihn, umgeben von einer ganzen Menge Flaschen, liegend. Er war sinnlos betrunken, all mein Schütteln und Zerren erweckte ihn nicht, er war wie tot. Ich ging also wieder auf Deck, setzte das Steuer hart über, das Schiff gehorchte, drehte sich, das große Topsegel fing den Wind, und die ›Königs-Eiche‹ jagte förmlich durch die tosenden Wogen. Hörst du auch zu?«

»Ja, ja, fahr' nur fort.«

»Was den Leck gestopft hatte, ich weiß es nicht, schließlich aber bin ich auf den Gedanken gekommen, daß das Gewicht des Wassers das Loch mit durchweichter Wolle verstopft haben mag. So wird es wohl auch gewesen sein. Zwei Tage trieben wir so vor dem Winde. Wir bekamen weder Schiffe in Sicht, noch erblickten wir Land. Aber Hoffnung beseelte uns beide, denn das Schiff hielt sich wacker, und jede Stunde konnte uns Erlösung bringen. Wir hielten abwechselnd Wache. Tommy betrank sich nicht wieder. Er sagte, er hätte geglaubt, das Schiff würde in jener Nacht sinken, und da hätte er getrunken, um sich zu betäuben. Das war seine Entschuldigung und man kann ihn nicht gerade tadeln. Am Lande gebrauchen die Menschen Chloroform als Betäubungsmittel für Schmerzen, und so denke ich, hat der Seemann das Recht, seine Empfindung zu ertöten, ehe er ertrinkt, wenn er Zeit dazu hat. Es ist doch ein häßlicher, grauenvoller Tod, das Ertrinken, und Gebete sprechen kann man nicht, wenn das Salzwasser im Halse brennt.«

Er hielt an, um zu hören, ob ich etwas sagen würde, ich sagte aber nichts, denn ich war ungeduldig, sein Geheimnis endlich zu erfahren; ein Wortstreit hätte die Sache nur verzögert.

So fuhr er also fort:

»Am Abend des vierten Tages legte sich der Wind und es blies nur noch eine schwache Brise. Das Schiff schien kaum von ihr bewegt zu werden. Der Horizont hatte sich weit zurückgezogen und lag ganz klar. Ich sagte zu Tommy: ›Ist das ein Nebelstreif auf unserm Backbordbug?‹ Er meinte, es wäre eine Wolke. Aber in der Hoffnung, es möchte etwas anderes sein, nahm ich das Teleskop, stieg ins Takelwerk und sah richtig Land. Es lag ganz deutlich da. Ich stieß einen Freudenschrei aus, stieg Hals über Kopf wieder herunter, eilte ans Ruder, nahm die Richtung auf, ehe es ganz dunkel wurde, und steuerte darauf zu. Drei Stunden blieb ich am Rade, dann löste Tommy mich ab; zu schlafen vermochte ich aber nicht, obgleich ich mich auf das Gitter am Stern niedergelegt hatte; ich war in steter Angst, Tommy könnte am Lande vorbeisegeln.

»Als der Morgen anbrach, lag dasselbe dicht vor uns, kaum zwei Meilen fern. Ich beratschlagte nun mit meinem Maat, wie wir handeln wollten. Der Bug-Anker war vertäut und zu schwer für uns; daß der kleine Strom-Anker das Schiff halten würde, konnten wir nicht hoffen, wenn überhaupt es uns gelang, ihn aus den Fockrüsten herauszuholen. Nach vielem Hin- und Her-Ueberlegen beschlossen wir also endlich, das Schiff an dem Gestade vor uns auflaufen zu lassen.

»Das Glück begünstigte uns, denn die von hinten kommende Brise frischte mit der höher steigenden Sonne auf, und um uns noch mehr Anlauf zu geben, setzten wir das Focksegel. Darauf trat Tommy an die Spitze des Schiffes und blickte in das klare Wasser, um mir als Lotse zu dienen und uns vor dem Auffahren auf Felsen zu wahren. So liefen wir nach einer Weile mit gutem Anlauf und, unterstützt von den langen Wogen mit aller Kraft das Brustholz tief in den Sand eingrabend, in dem schönen Ankergrund auf. Wir lagen fest und waren gerettet.«

»Wer tum Hageldunnerwedder knurrt denn hier immertau as en Hund? wat soll denn dat verdammte grugliche Gemürmel? wer is denn dat olle Gespenst, wat nich Rauh hollen kann? Büst du 't etwa, Snigger's?«

»Schon gut, schon gut,« antwortete Deacon. Er rückte mir noch etwas näher und seine Stimme noch mehr dämpfend, fuhr er fort:

»Wir hatten den ganzen Tag vor uns, zu überlegen, was wir nun zunächst thun sollten. Vor allen Dingen nahmen wir ein gutes Frühstück ein und dann suchten wir nach Waffen. In der Kajüte des Kapitäns fanden wir ein paar Revolver. Darauf stieg ich auf die große Oberbram-Raa und rittlings darauf sitzend, mit dem Rücken an den Mast gelehnt, blickte ich lange durch das Glas. Am hinteren Ende der Insel erhob sich ein mäßig hoher, bewaldeter Hügel, von uns bis zu ihm hin war das Land aber flach. Eine reiche Vegetation bot sich dem Auge und durch das Grün schimmerte stahlblau ein kleiner Fluß oder vielmehr eine Buchtung der See, die wie ein Fluß gestaltet war. Die ganze Insel mochte nach meiner Schätzung ungefähr eine Meile breit und drei Meilen lang sein. Von der Mastspitze aus konnte ich den sie umgebenden Ozean ringsum erkennen.

»Wieder auf Deck zurückgekehrt, erzählte ich Tommy, daß der Ort eine Einöde zu sein schiene, und daß kein anderes Land weit und breit zu sehen wäre. Von der Oberbram-Raa aus hätte ich solches auf dreißig Meilen erkennen müssen.

»Wir kamen dann überein, soviel Lebensmittel und Wasser an Land zu bringen, als wir konnten, für den Fall, daß das Schiff in Stücke gehen sollte, ebenso beschlossen wir, das Langboot auszuräumen und mit allem, was dazu gehörte, flott zu machen. Tommy sprach zu mir von dem Golde. Ich hatte ja selbst schon an dasselbe recht viel gedacht, dennoch aber riet ich ihm, keine Unklugheit zu begehen, denn wir wären doch reine Narren gewesen, wenn wir kostbare Zeit damit verloren hätten, etwas zu landen, was nicht Körper und Geist zusammenhielt, falls das Schiff zertrümmerte. Zuerst, sagte ich, laß uns zusammen häufen, was zur Erhaltung unseres Lebens unentbehrlich ist, und dann das Langboot zu Wasser bringen. Wie wollen wir sonst daran denken, noch einmal von hier fortzukommen, um entweder bewohntes Land, oder irgend ein Schiff zu finden, welches uns aufnimmt? – Nein, nicht eher, als bis das alles geschehen ist, dürfen wir das Gold bergen.

»Wir brachten also den ganzen Tag damit zu, Vorräte zu landen. Am nächsten Tage räumten wir das Boot aus, ließen es zu Wasser und takelten es auf. Dann steuerten wir es herum nach der Buchtung, die ich entdeckt hatte, und ankerten es dort fest. Darauf gingen wir zum Schiff zurück und fuhren fort, alles an Land zu schaffen, von dem wir glaubten, daß es uns von Nutzen sein könnte. Dies kostete uns eine ganze Woche schwerer Arbeit. Wir begannen stets mit Tagesanbruch und hörten nicht auf, bis es dunkel war. Aber das Klima war herrlich. Ich konnte dort fünfmal soviel Arbeit verrichten, als irgend wo anders, und dazu kam, daß wir für unser Leben arbeiteten. Die ganze Zeit über war das Wetter schön, bei schwachem oder gar keinem Winde.

»Wir fanden das Gold in Kisten, welche mit eisernen Platten und ebensolchen Bändern versehen waren. Es waren »zwei davon vorhanden. Aus der ersten Kiste, deren Oeffnen einen ganzen Vormittag in Anspruch nahm, hoben wir die Sovereigns in Leinwandbeuteln, jeder derselben enthielt tausend Stück. Es war daher ein leichtes, sie aufs Vorderdeck und von dort ans Ufer zu schaffen. Zwanzig Beutel trugen wir hinüber. In der andern Kiste befanden sich Goldbarren, einer über den andern gepackt, wie Seifenstangen. Sie sahen aus wie Kupfer, waren schmutzig und ohne Glanz, ihr Gewicht aber verriet ihren Wert. Wir trugen einen nach dem andern ans Land, bis sie alle in einem Haufen auf dem Sande lagen.

»Was sollten wir nun mit unserm Schatz beginnen? Darüber hatte ich schon einen Entschluß gefaßt, noch ehe ich die Kisten gesehen hatte, die ihn enthielten. Ich sagte deshalb zu Tommy: wir wollen das Gold vergraben und wenn wir mit dem Leben davonkommen, müssen wir fest zusammenhalten, immer auf demselben Schiffe segeln und eine Gelegenheit abwarten, es abzuholen und zu teilen. Ich holte eine Bibel aus der Kajüte des Kapitäns und wir schworen auf diese uns gegenseitig zu, das Geheimnis des Schatzes zu hüten, immer zusammenzuhalten, einander niemals untreu zu werden, einen günstigen Moment abzuwarten, wo wir auf einem kleinen Schiffe davon gehen könnten und das Geld unter dem Deckmantel irgend welcher Fracht, die wir einnehmen könnten, nach England zu bringen. Am nächsten Morgen gingen wir aus, einen passenden Platz zur Bergung unseres Schatzes zu suchen. Wir wählten das Ende der Buchtung, welches so ziemlich in der Mitte der Insel lag; dort gruben wir ein weites Loch an einem hervorragend großen Kokosnußbaum, welcher, wie ich rechnete, dort noch hundert Jahre stehen konnte. Mit Korallenstücken, Steinen und Felsstücken mauerten wir das Loch aus, so gut wir konnten. Hiermit wollten wir einerseits ein Senken des Goldes verhindern, falls einmal eine längere Zeit der Nässe kommen sollte, andererseits ein Einstürzen der Seitenwände verhüten. Darauf stauten wir die Barren, legten die Beutel oben darauf und füllten die Grube wieder aus. Den Baum betrachteten wir als unser Merkzeichen.

»Einige Tage, nachdem wir diese Arbeit ausgeführt hatten, blies ein starker Wind gerade aufs Ufer zu und die dadurch erzeugte schwere See schlug das wie eingerammt im Sande liegende Schiff in Stücke. Die hierbei ans Ufer geschwemmten Wollballen bildeten an demselben einen förmlichen Wall, aber die meisten Vorräte, welche wir noch an Bord hatten, waren weggespült worden. Dies veranlaßte uns, da es auf der Insel nichts anderes als Kokosnüsse zu essen gab, nunmehr in See zu stechen, ehe unsere Lebensmittel zu Ende gingen. Wir beluden daher das Boot, rüsteten es mit Mast und Segel aus, stießen ab und steuerten nach dem Kompaß, den wir mitgenommen, direkt nach Nordost. Dieser Kurs, rechneten wir, würde uns nach der Küste von Südamerika bringen, etwas nördlich von Patagonien. Am Abend verloren wir die Insel aus Sicht und wurden von einem Sturm nach Norden verschlagen. Wenn ich das Steuer geführt hätte, würden wir wohl hierbei unsern Untergang gefunden haben, aber Tommy war ein Mann aus Deal, verstand die Sache, und brachte uns glücklich durch.

»So,« rief Deacon und that einen langen Atemzug, wobei er mit dem Rücken seiner Hand über seine Stirn fuhr, »nun ist das Geheimnis heraus. Wie es uns im Boote erging, ist für die Sache von keiner Bedeutung, doch will ich dir's noch kurz erzählen. – Wir wurden ganze vierzehn Tage umhergeworfen, ohne jemals etwas zu erblicken, was einem Segel ähnlich gewesen wäre; das Wasser fing an knapp zu werden und Tommy wurde krank. Er lag auf dem Boden des Boots und stöhnte eine ganze Nacht hindurch. Gott weiß, was ihm fehlte, aber am nächsten Morgen war er tot. Ich behielt seine Leiche der Gesellschaft halber, bis sie so häßlich wurde, daß sie mich entsetzte, da warf ich sie über Bord. Nun trieb ich umher, ein Spiel der Wogen, bis ich schwächer und schwächer wurde, und es mir kaum mehr gelang, bis zu dem kleinen Wasserfäßchen zu kriechen. Ich glaubte zu sterben und legte mich nieder, um den Tod wie ein Mann zu erwarten. Das war das letzte, dessen ich mich erinnere, bis ich erwachte und mich an Bord eines Walfischfängers fand, der nach Boston segelte.«

Jetzt hielt er inne und beugte sich vor, um mir ins Gesicht zu sehen und zu erkennen, welchen Eindruck seine Geschichte auf mich gemacht habe. Als er dies that, glühten seine Augen vor Aufregung derart, daß mir ganz unheimlich wurde.

»Das ist allerdings eine merkwürdige Geschichte,« sagte ich, und sie erschien mir auch nicht unwahrscheinlich. »So ist also die Skizze, welche du immer zeichnest, die Insel?«

»Das nördliche Ende derselben, denn wir ließen das Schiff auf der westlichen Seite auf den Strand laufen und ruderten das Langboot, um den Ankerplatz zu erreichen, nach Osten.«

»Wenn du das so genau weißt, weshalb zeichnest du da deine Skizze beständig von neuem auf?«

»Nun, das ist so eine Art Vorsicht von mir, ein Mittel, die Insel in meinem Gehirn so fest zu verankern, daß ich sie auch selbst, falls ich einmal in eine schwere Krankheit verfallen und dabei mein Gedächtnis verlieren sollte, nicht vergessen könnte. Durch mein Verfahren erhoffe ich, meinen Geist mit der Sache allmählich so zu verweben, daß meine Hand schließlich mechanisch, selbst bei eingetretener Gedächtnisschwäche, die Skizze zeichnet; ich sollte meinen, auf diese Weise könnte mir doch die Erinnerung an die ganze Begebenheit niemals verloren gehen.«

»Glaubst du, daß das Geld noch da ist?«

»St!« flüsterte er, sich ängstlich umsehend. »Natürlich ist es noch da. Bedenke doch, daß außer mir nur Tommy darum wußte, und der ist tot!«

»Was hast du den Walfischfängern über dich erzählt?«

»Als ich die Besinnung zurückerlangte und wieder zu denken anfing, fürchtete ich, sie möchten durch das Boot, oder auf irgend eine andere Weise, die ich übersehen hätte, vielleicht den Namen des Schiffes erfahren haben, und das wünschte ich, sollte kein lebender Mensch wissen. Um mich deshalb zu vergewissern, wieviel sie entdeckt hätten, stellte ich mich, als ob ich das Gedächtnis verloren hätte, und klagte, ich könne mich gar nicht auf den Namen meines Schiffes besinnen. Sie konnten ihn mir auch nicht sagen, und nun wußte ich natürlich, daß weder ich noch das Boot ihnen etwas verraten hatte. Sie erzählten mir, daß sie mich unter 35 Grad Breite und 92 Grad Länge besinnungslos in dem halb mit Wasser gefüllten Boot angetroffen hätten. Am Lande berichteten sie dann, ich wäre ein Mann, der sein Gedächtnis verloren hätte. Als ich von ihnen los war, fand ich bald ein Schiff und verließ Boston.«

»Wo herum liegt die Insel?«

Er antwortete in leisem Tone, sehr geheimnisvoll:

»Ich habe ihre Lage, so gut ich konnte, im Vergleich des Kompaß mit dem Horizont, berechnet, also ohne regelrechte Messungen, und deshalb behaupte ich auch nicht, daß meine Rechnung ganz genau ist, aber ich würde die Hälfte alles vergrabenen Goldes verwetten, daß, wenn ich in die Nähe der Stelle käme, wo ich glaube, daß die Insel sein muß, ich sie von der Vor-Oberbramraa aus, irgendwo auf der Back- oder Steuerbordseite in Sicht bekommen würde. Verstehst du mich?«

»Ich vermute, du meinst, daß, wenn du dich auch in deiner Berechnung irrtest, dies doch nur um einige Meilen der Fall sein könne. Wo denkst du also, daß das Eiland liegt?«

»Drei Grad westlich von der Insel Teapy, gerade auf dreißig Grad südlicher Breite.«

»Ja, wo zum Henker ist die Insel Teapy? Der Name klingt gewissermaßen nach dem chinesischen Meere.«

»Nein, nein. Ich bin meiner Sache ganz sicher. Teapy liegt in der Südsee. Jeder Südsee-Mann würde dir sagen, wo sie ist.«

»Ist sie auf der Karte zu finden?«

»Nein.«

Ich schwieg, und vermutlich glaubte er, daß diese seine Antwort mich an der ganzen Geschichte zweifeln lasse.

»Es muß überall einen ersten Entdecker geben,« rief er eifrig. »Was für eine ungeheure Fläche ist der Stille Ozean? Will da jemand behaupten, daß schon jedes Stückchen Land bekannt und verzeichnet ist?«

»Daran dachte ich nicht. Warum hast du den Reedern nicht Bericht erstattet, als du nach Hause kamst? Du konntest dein Geheimnis für einen guten Preis verkaufen. Außerdem hast du Anspruch auf einen bedeutenden Bergelohn.«

»Was,« rief er hitzig, »sollte ich das Ganze für einen Teil hingeben? Das sollte mir einfallen.«

»Aber was nützt dir denn das ganze Geld, wenn es in einem Loche auf irgend einer unbekannten Insel des Stillen Ozeans steckt? Vielleicht haben die Kannibalen es schon ausgegraben und Ringe für ihre Nasen daraus gemacht.«

»Ach Papperlapapp, es ist da und wird noch in tausend Jahren da sein, wenn ich es nicht hole.«

»Wie willst du das anstellen?«

»Wenn ich nicht so arm wäre, würde ich das schon wissen; ich würde ein kleines Fahrzeug mieten. Aber ich konnte niemals das Geld erlangen, d. h. ersparen meine ich, um die Miete zu bezahlen.«

»Na, du erzähltest uns doch vor kurzem, daß du fünfhundert Pfund durch deinen Prozeß, wegen des Rades, gewonnen hättest.«

»Das ist allerdings richtig, aber der größte Teil dieses Geldes wurde mir von einem Weibe in einem Logierhaus in Liverpool abgenommen. Denkst du, ich würde hier in dieser lumpigen Brigg als Vollmatrose mit dir sprechen, wenn ich es behalten hätte? Sicherlich nicht. Ich erlangte dieses Geld zwei Reisen vorher, ehe ich mit der ›Königs-Eiche‹ segelte. Damals ahnte ich natürlich nicht, daß ich es einst so nötig brauchen würde. Was ist Geld in der Tasche eines Seemanns am Lande?«

»Aber was veranlaßt dich, mir dein Herz zu öffnen? Wie kann ich dir helfen? Von uns beiden vermute ich, bin ich der ärmere Mann. Ich werde verteufelt lavieren müssen auf meinem Kurse, ehe ich auch nur zu geringen Mitteln komme. Zu dem Unternehmen gehört ja aber ein ganzes Vermögen.«

Er lehnte sich zurück und schüttelte den Kopf. Dabei blickte er zuerst auf die Segel und dann ringsum.

»Dies ist das Schiff,« flüsterte er, »welches das Geld heimtragen soll.«

»Beabsichtigst du, den Kapitän ins Vertrauen zu ziehen?«

»Ihn? Wahrhaftig, du sprichst wie ein Kind. Ich beabsichtige, dich zum Befehlshaber der Brigg zu machen, du sollst mich zu meiner Insel führen.«

Ich brach in ein Gelächter aus, wurde aber bald wieder ernst, denn der Kerl war in der That so feierlich wie ein Richter, der ein Todesurteil verkündet.

»Willst du damit andeuten,« sagte ich mit leiser Stimme, meinen Mund fast dicht an seinem Ohr, »willst du damit andeuten, daß du und ich uns der Brigg bemächtigen wollen?«

»Ja.«

»Beim heiligen Popanz, wie Pat sagt, das nenne ich eine Sache kaltblütig nehmen. Was willst du denn mit den Offizieren und der Mannschaft anfangen?«

»Die Mannschaft würde auf ein Wort von mir zu uns übertreten. Ich biete jedem Mann fünfhundert Pfund.«

»Und der Schiffer und der Maat, wo bleiben die?«

»Da, wo wir sie aussetzen.«

»Ah so.« Ich starrte ihm eine Weile wie geistesabwesend ins Gesicht, und dann sagte ich:

»Sag' mal, wer von uns beiden ist eigentlich verrückt, du oder ich?«

Er lachte und antwortete:

»Das zu überlegen, ist noch viel Zeit; vorläufig haben wir noch den ganzen Südatlantischen Ozean vor uns.«

»Halloh! Auf ihr faulen Burschen! Hierher an die Backbordbrassen!« brüllte plötzlich der alte Windwärts durch die Nacht.

Wir sprangen auf, eilten an unsere Plätze, und nach einigen Augenblicken hallte das Deck wieder von unsern Stimmen und dem Gequiek der Blockscheiben.


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