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Einundzwanzigstes Kapitel.
In der Kajüte.

Ich brauchte nur wenig Zeit, meine neue Koje einzurichten. Ich borgte mir von dem Koch einen Spiegel und da ich vermutete, ich würde Miß Franklin beim Frühstück treffen, so machte ich aus mir, wie Jack es elegant bezeichnet: »einen regulären, aufgedonnerten, polierten Stutzer«.

Glücklicherweise für meine Eitelkeit war die Reise noch kurz und meine Kleidung infolgedessen noch ziemlich gut. Meine Narrheit ging so weit, daß es mich einen Kampf kostete, meine Weste nicht mit meiner Uhrkette zu schmücken, aber ich fürchtete zu sehr des Maats boshaftes Auge. Daher steuerte ich klar von Juwelenschmuck und beschränkte mich auf den einfachen Anzug von: schwarzer Hose, Lotsen-Jacke und wehendem, seidenem Halstuch.

Es war jetzt acht Glasen; ich ging daher hinauf, um den Maat abzulösen. Er starrte mich mit häßlichem Grinsen an, und nachdem er mir den Kurs des Schiffes angegeben hatte, fragte er mich, wo ich meine Mahlzeiten einnehmen würde.

»In der Kajüte,« sagte ich.

»Ah, große Ehre,« höhnte er, und sein Lachen verzerrte sein Gesicht derart, daß es bei seinen Runzeln und seiner Farbe einer Wallnußschale glich.

»Es genügt vollkommen, einen so einfachen Menschen wie mich, eitel zu machen, wenn ihm das Glück zu teil wird, Mit-Offizier eines so wohlerzogenen Gentleman zu werden, wie Sie es sind,« sagte ich.

»Da haben Sie ganz recht; Sie, junger Fant, werden noch viel von mir lernen können, besonders auch Manieren,« erwiderte er.

»Davon bin ich überzeugt,« antwortete ich, »und da ich die Gesellschaft von Damen sehr liebe, würden Sie mich außerordentlich verpflichten, wollten Sie die Güte haben, mich über die Art und Form zu belehren, wie man sich denselben angenehm macht. Sie haben darin ganz sicher große Gewandtheit und Uebung, wie ich aus Ihrem Wesen und Ihrer Sprache schließen darf.«

Er warf mir einen finstern, vernichtenden Blick zu, sagte aber nichts weiter und wandte sich, um nach unten zu gehn. Ich hielt ihn jedoch auf, indem ich bemerkte:

»Ich habe noch nicht gefrühstückt, Mr. Sloe; vielleicht lösen Sie mich ab, wenn Sie fertig sind.«

»Wen mistern Sie hier?« schrie er. »Sie fangen früh an, sich aufzuspielen, Bursche. Ich bin Maat hier und Ihr Master – Ihr Vorgesetzter, verstehen Sie mich, Sie frecher Bube. Erlauben Sie sich nicht, in einer Weise mit mir zu sprechen, als ob Sie mir gleich ständen.«

»Ich habe, meines Wissens, ja nur eine bescheidene Bitte auszusprechen gewagt,« entgegnete ich, wobei ich mein Aeußerstes that, meine Selbstbeherrschung zu bewahren. »Ich setze voraus, daß hier dieselbe Etikette herrscht, wie auf großen Schiffen.«

»Hol' Sie der Teufel mit Ihrer Hetikette! Ich verbitte mir solche Worte, – sprechen Sie englisch, wenn Sie mit mir reden, das merken Sie sich, oder Sie werden bald wieder verstehen lernen, was ich meine, wenn ich Ihnen den Befehl gebe, mit einem Fetttopf ins Takelwerk zu steigen.«

Damit ging dieser Hausknecht herunter.

Wie ich mir schmeichelte, war es mir gelungen, ihn zu ärgern, und deshalb fühlte ich keinen Zorn, sondern nur erhöhten Abscheu gegen diesen rohen Kerl. Ich fand mich m meiner Stellung auf dem Hinterdeck ganz in meinem Element; denn vorn war ich mir bei meinem Bildungsgrad immer sehr vereinsamt vorgekommen. Ich schritt stolz das Deck entlang, blickte bald aufs Takelwerk, bald auf den Kompaß, und stellte mit dem denkbar größten Wohlbehagen die Wache zur Arbeit an. Es liegt gewiß keine Eitelkeit darin, wenn ich sage, daß die Uebernahme meines neuen Dienstes mir keinerlei Schwierigkeiten verursachte. Das in meiner Natur liegende ungezwungene Benehmen kam mir hierbei sehr zu Hilfe, denn dieses war, mir ganz unbewußt, unter den obwaltenden Verhältnissen auch sehr politisch; die Leute beobachteten mich natürlich zuerst scharf; sie redeten mich vertraulich an und sprachen von mir unter einander, manchmal mit lautem Lachen, wohl in der Erwartung, daß dies ein ermunterndes, freundliches Zunicken meinerseits hervorrufen, in mir das Bewußtsein meiner Kameradschaft mit ihnen aufrecht erhalten und mich die ganze Sache nur als einen zeitweiligen guten Spaß betrachten lassen sollte.

Hierin aber hatten sie sich sehr geirrt. Sie fanden mich meiner neuen Würde ganz bewußt; umgänglich genug, um mich nicht grade in ihren Augen hochmütig erscheinen zu lassen, aber auch reserviert genug, um ihnen die Veränderung in unsern Beziehungen immer gegenwärtig zu erhalten. Das Länge und Breite von der Sache war: ich hatte meine seemännische Erziehung auf großen Schiffen erhalten und dort gelernt, wie die Disziplin gehandhabt wird. Die alten Gewohnheiten frischten sich in mir wieder auf und kamen mir nunmehr zu gut. Ich ahmte in meinem Benehmen gewissen Vorbildern nach, an die ich zurückdachte, und so, glaube ich, schadete ich Kapitän Franklin wie Mr. Sloe, indem ich unbewußt der Mannschaft einen Kontrast bot zu dem kalten Despotismus des einen und der gemeinen Brutalität des andern.

Ich kehre zurück zu dem Augenblick, wo der Maat nach unten ging. Durch das Oberlicht blickend, als ich das Deck entlang schritt, sah ich den Schiffer an der Spitze des Tisches sitzen, neben ihm Miß Franklin und dieser gegenüber den alten Windwärts. Ich hörte den Maat meinen Namen nennen und vermutete, daß er dem Kapitän wohl eine Beschreibung meiner neuen feinen Manieren zum besten gab.

Es war ein herrlicher Tropen-Morgen. Die glühende Hitze war durch den Wind gemäßigt und lustig spielten die schaumgekräuselten Wellen unseres Kielwassers. Es war ein Morgen, der Körper und Geist erfrischte und belebte. Das von der Sonne getrocknete Deck glänzte wie gebleichte Leinwand, das Messing blitzte bei den Bewegungen des Rumpfes. Während um Mittag – in der Breite, unter der wir uns befanden – die Strahlen des Tagesgestirns unsern Schatten senkrecht unter unsere Füße legten, zeichneten jetzt die Segel schwarze Linien quer über die Planken. Die unter dem Langboot in ihren Käfigen von der Hitze leidenden Hühner gaben ihrer Unbehaglichkeit in jämmerlichen Klagetönen Ausdruck. Ein buntes, malerisches Bild boten die auf dem Deck beschäftigten Leute. Da war der schöne Blunt mit seinem dunklen Gesicht und rotem Hemd, der alte Sam mit dem eisengrauen Haar und Teerhosen und Jimmy in seiner schottischen Mütze. Andere hantierten mit nackten Armen, bloßen Füßen und weit über der kräftigen Brust zurückgeschlagenem Hemd. Alle trugen ihre Matrosenmesser um die Hüften geschnallt. Das Bild erinnerte an das sonderbar gekleidete Volk, welches man auf alten holländischen Seestücken erblickt.

Nachdem der Maat eine halbe Stunde unten gewesen war, kehrte er auf Deck zurück, und mit ihm kam der Schiffer.

»Jetzt können Sie frühstücken gehen, aber denken Sie gefälligst daran, daß ich Sie nur vertrete und daß ich seit vier Uhr auf Deck war.«

Ich ging mit klopfendem Herzen herunter, ich will das nur gestehen, denn ich glaubte Miß Franklin noch am Tische zu finden. Ihr Platz war jedoch leer, und der Koch, welcher den Dienst des Steward versah, war beschäftigt, die Teller und angebrochenen Gerichte wegzuräumen. Er brachte mir ein Stück Schinken, und dieses mit einer Tasse Kakao und gutem weißen Zwieback lieferte mir das beste Mahl, welches ich seit meinem letzten Bissen im Hotel in Bayport genossen hatte.

Während ich in dieser Weise angenehm beschäftigt war, trat Miß Franklin aus der Kajüte, welche neben der ihres Bruders lag. Ich stand sogleich auf und verbeugte mich, aufs neue von ihrer Schönheit und den dunklen Augen bezaubert, welche im Schatten ihres Hutes glänzten. Sie sah erfreut und amüsiert zu mir herüber.

»Bitte, vergeben Sie mir, wenn ich Sie nach Ihrem Namen frage,« sprach sie.

»Jack Chadburn,« antwortete ich und setzte mich wieder an mein Frühstück, denn den alten Windwärts durfte ich nicht warten lassen.

»Mein Bruder sagte, Sie hießen ›Chadwick‹.«

»›burn‹, nicht ›wick‹,« verbesserte ich.

Sie lachte. »Ich denke, Sie werden lieber hier als bei den Leuten sein,« bemerkte sie.

»Ja, das weiß Gott,« sagte ich nachdrücklich, mit einem Blick in ihre braunen Augen.

»Das sind ja ganz schreckliche Menschen; Mr. Sloe werfen sie zu Boden und schlagen ihm die Nase blutig, und meinen Bruder bedrohen sie mit Dolchen! Wo nimmt er unter solchen Umständen noch den Mut her, weiter zu fahren? O, wollte er sich doch bewegen lassen, umzudrehen und heimzureisen, wie ich es so sehr wünsche. Ich habe ihn darum gebeten, aber er hört ja kaum auf mich. Ach, ich habe die See so schrecklich satt! Möchten Sie es nicht einmal versuchen, ihm zur Umkehr zuzureden?«

»Das kann und darf ich nicht,« erwiderte ich, den Kopf schüttelnd und im stillen überlegend, ob sie etwa erwarte, daß ich über ihren Einfall lachen solle.

»Aber ich fürchte mich, mit solchen Leuten in einem Schiff zu sein. Mein Bruder meint, es wäre eine furchtbare Rotte Menschen, es sei die schlechteste Mannschaft, die er je an Bord gehabt hätte.«

» Sie haben keinen Grund, vor ihnen Angst zu haben, Miß Franklin.«

»Aber ich fürchte mich. Es ist doch entsetzlich, von geschwungenen Dolchen zu hören.«

Ich gab keine Antwort. Nach kurzem Stillschweigen sagte sie, mich freundlich anlächelnd:

»Ich freue mich so sehr, daß mein Bruder Sie vom Vorderkastell weggenommen hat; ich sagte Ihnen schon neulich, daß Sie dort nicht auf Ihrem richtigen Fleck wären.«

»Wahrhaftig, Sie werden mich eitel machen; wenn Sie das sagen, muß ich es doch glauben.«

Jetzt wurde das Oberlicht von des alten Windwärts Kopf verdunkelt und mit seiner Stierstimme brüllte er herunter:

»Na, wird's bald? Wie lange soll ich noch auf Sie warten?«

Ich stand sogleich auf und ging nach der Treppe; im Vorbeigehen sagte ich aber zu Miß Franklin:

»Es ist nicht die Mannschaft dieses Schiffes, welche Sie zu fürchten haben, sondern die Männer sind es, welche die Mannschaft befehligen.«

»Sie haben ganz recht,« antwortete sie rasch, und mit einem Ernst, der mich bei ihr überraschte, fügte sie hinzu: »Ich habe meinem Bruder schon dasselbe gesagt. Wenn die Geduld gebildeter Menschen ihre Grenzen hat, so muß dies doch erst recht der Fall sein bei so rohen Naturen, wie sie das Vorderkastell birgt.«

Als ich auf Deck ging, wünschte ich, daß der Kapitän ein wenig Einsicht von seiner Schwester lernen möchte. Er hielt sich während der ganzen Zeit meiner Wache auf Deck auf, selbstverständlich um zu beobachten, wie ich mich den Leuten gegenüber benehmen würde. Dies war sehr unangenehm für mich, denn Miß Franklin saß am Oberlicht und ich hatte gehofft, mit ihr plaudern zu können. So lange sein Auge auf mir ruhte, durfte ich aber nicht wagen, mich diesem Glück hinzugeben.

Dafür hatte ich in anderer Weise eine Entschädigung. Wunderbar genug, bot sich mir nämlich sehr bald Gelegenheit, zu zeigen, daß ich meinem neuen Dienst vollkommen gewachsen war.

Mit dem zunehmenden Morgen wurde die Brise stärker und unter voll gerundeten Segeln verfolgte die Brigg schnell ihren Kurs. Gerade um zehn Uhr, ohne Warnung, ohne die geringste Andeutung am Himmel, sprang der Wind plötzlich nach Süden herum. In einem Nu schlappte die Leinwand gegen die Maste, die Raaen schaukelten, die Brigg lag wie ein Klotz auf dem Wasser und ein scharfer Wind pfiff uns um die Ohren.

Das war eine Gelegenheit, mich auszuzeichnen und meine Gewandtheit vor Miß Franklins bewundernden Augen leuchten zu lassen. Auf der Stelle, ohne irgend eine Ueberraschung zu zeigen, gab ich die nötigen Befehle. Der Kapitän konnte keinen solchen aussprechen, dem ich nicht schon zuvorgekommen war. Ich hatte sofort alle Mann aufgerufen, die Backbord-Vorderbrassen bemannt, die Leesegel auf der Leeseite einholen, die großen Brassen abfieren, das Gaffelsegel aufgeien und die Schoten der Vordersegel steif anholen lassen. Die Brigg hatte sich auf dem Fuß des Hinterstevens gedreht wie ein Kreisel. Ich sprang den Leuten bei der Arbeit bald da, bald dort bei und zog mit ihnen um die Wette an den Brassen. Die flinksten Leute aus meiner Wache, deren Ehrgeiz ich noch obendrein durch schlaue Bemerkungen über des alten Windwärts Leute anspornte, schickte ich ins Takelwerk, die Leesegel-Spieren einzuholen.

Innerhalb einer Viertelstunde nach dem plötzlichen Umschlagen der Brise waren die Raaen scharf beim Winde gebraßt, die Segel neu gestellt und die Brigg furchte mit frischer Kraft die mit weißen Kämmen geschmückten Wogen, daß der Gischt an unseren Backen hoch emporstaubte.

Der Kapitän erteilte mir kein Lob, das war von ihm nicht zu erwarten, aber der eifersüchtige, finstere Blick, welchen der alte Windwärts, der ebenso wie alle anderen auf Deck gestürzt war, mir zuwarf, verriet mir, daß ihm jedenfalls ein günstiges Wort über mich zugeflüstert worden war. Es ist ein böser Wind, der niemand etwas Gutes bringt, und die Wirkung, die dieser Stoß aus Süden hatte, war, daß der Schiffer erfuhr, daß ich den Pflichten meines Dienstes gewachsen war. Von nun an überließ er die Brigg meinen Händen, und ich hatte stets klares Deck, meine Arbeit darauf zu verrichten.


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