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Fünfzehntes Kapitel.
Gewitter.

Da ich keinen Gefallen daran fand, mich an den echt seemännischen Segenswünschen zu beteiligen, die noch fortgesetzt den Lukenraum durchschwirrten, zündete ich mir meine Pfeife an und ging auf Deck. – Bald darauf kam mir Deacon nach. Er setzte sich neben mich, indem er sagte: »Der Himmel will mir nicht gefallen, er deutet auf schlimmes Wetter, vielleicht Sturm. Ein so trügerisches Blau habe ich auch schon in Weiberaugen gefunden, die mir Unheil brachten.«

»Du kannst recht haben, und ich wundere mich schon lange, wie der Kapitän bei diesem furchtbaren Schlingern des Schiffes noch einen solchen Turm von Leinwand stehen lassen kann.« Meinen Worten wurde in diesem Augenblick durch ein ganz außergewöhnlich starkes Ueberholen der Brigg ein gewisser Nachdruck gegeben. Die Segel schlugen dabei so wütend gegen die Masten und das Takelwerk, daß ich vor Schreck einen Moment ganz starr war, denn ich dachte nicht anders, als wir gingen ganz über.

»Donnerwetter, das war nicht übel,« rief ich aufatmend, als sich die Brigg wieder hob.

»Sag' mal, dies ist wohl deine erste Reise, die du auf dem Vorderdeck machst?«

»Ja.«

»Verstehst du die Schiffahrt?«

»Gewiß.«

»Auch alles, was dazu gehört? z. B. Längen- und Breiten-Bestimmungen zu machen?«

»Du stellst mir ja wahrhaftig Fragen wie ein Examinator beim Steuermanns-Examen,« lachte ich und sah ihn überrascht an. »Wahrscheinlich verstehst du von der Seefahrkunst mehr als ich.«

»Glaube das nicht,« antwortete er, »ich habe mich niemals mit der Rechnerei recht befreunden können, von Logarithmen vermochte ich mein Lebtag weder Kopf noch Schwanz zu finden. – Könntest du ein Schiff nach irgend einem Teil der Welt bringen?«

»Mit einer guten Karte, – warum nicht? – Vielleicht würden mir in der chinesischen See Schwierigkeiten erwachsen, so um Loo-Choo herum z. B., und den Inselgruppen – – –«

»Ach was, wer will denn so weit nördlich?« fiel er mir ins Wort, mich dabei mit einem sonderbaren Ausdruck seiner Augen anstarrend. »Der Stille Ozean, das ist das richtige Wasser, – da ist Platz, sich zu bewegen, – Abenteuer zu erleben, – neues Land zu entdecken, Land, mit Gold in seinen Eingeweiden, mit neuem glänzendem Gold, – vielleicht sogar gemünztem, – wer weiß! – Kennst du das Wetter am Kap Horn?«

»Ich segelte vor einigen Jahren einmal, im April, bei starkem Westwind um das Kap.«

»Wie mag es mit dem Eise im August dort stehen?«

»Das weiß ich nicht, ich war damals noch zu jung, um mich um so was zu kümmern, und später kam ich nicht mehr in die Gegend, da führten meine Reisen mich nach Indien und China.«

In diesem Augenblick kam Suds, welcher die Ziehharmonika spielte, auf Deck und ließ sich auf diesem angenehmen Instrumente los. Etwas Gräßlicheres, als seine musikalischen Leistungen, kann sich niemand vorstellen. Ein Lied besonders kann ich heutigen Tags noch nicht hören, ohne das Vorderkastell der Brigg vor mir zu sehen und den ihm eigenen Geruch in der Nase zu spüren. Nur dieses eine Lied konnte er bis zum Schluß spielen und wiederholte es deshalb bis zur Erschlaffung, alle anderen Melodien ergänzte er bald nach den ersten Takten aus eigener Erfindung. Diese Kompositionen waren derart, daß mir im Vergleich mit ihnen ein Konzert der vereinigten Katzen und Kater eines ganzen Stadtviertels eine Erholung gewesen wäre. Die übrigen Matrosen dagegen fanden sein Spiel herrlich. Die Pfeife im Munde saßen sie, aufmerksam lauschend, im Kreise und folgten mit Bewunderung den Fingern ihres Maats; mochte er hundertmal dasselbe spielen, sie waren es zufrieden und ermüdeten nie.

Diese Musik brachte Deacon zum schweigen. Ich dachte noch eine Weile über seine sonderbaren Fragen nach und vergaß sie dann.

Wir befanden uns in Breiten, wo die Dämmerung von kurzer Dauer ist. Die Sonne sank wie ein runder, scharf geränderter, glühender Schild allmählig ins Meer. Unbeschreiblich war das Bild, welches in ihrem feurigen Schein die mächtige rollende Dünung gewährte, wenn jeder Wasserberg, den blutroten Widerschein passierend, seine blaue Farbe in Gold verwandelte.

Als schließlich die Sonnenscheibe ganz verschwunden war, brach die Dunkelheit rasch herein, und am Himmelsgewölbe erschienen spärlich einige Sterne.

Auch wenn kein Witterungswechsel eintrat, war doch jedenfalls eine dunkle Nacht zu erwarten, denn wir hatten keinen Mondschein.

Als es acht Glasen schlug und die Steuerbordwache den Deckdienst übernahm, wurde mir der Ausguck auf dem Vorderdeck überwiesen. Das heftige Stampfen der Brigg war kaum mehr zu ertragen; die fortwährende Anstrengung, das Gleichgewicht zu erhalten, ermüdete den Körper in ganz außergewöhnlicher Weise. Mit ebenso großer Sehnsucht wie der Kapitän selbst, sah ich nach dem ersten Anzeichen von Wind aus.

Ich kann nicht erklären, woher es kam, daß sich in der allgemeinen Dunkelheit die Schwärze des Wassers doch noch dem Bewußtsein ausdrängte. Schrecken erfüllte mein Herz, wenn ich an den unendlichen Raum dachte, welcher sich Meilen und Meilen um uns her erstreckte. Jedesmal, wenn die Brigg hoch gehoben wurde, um gleich darnach wieder in die fürchterliche Tiefe hinabgezogen zu werden, überschlich mich unwillkürlich ein Grauen vor der unsichtbaren Macht, die hier waltete.

In unmittelbarer Nähe des Schiffs phosphoreszierte das Wasser, weiter ab aber war kein Leuchten zu sehen. Feurige Ströme ergossen sich aus den Gaten, sobald es sich von der einen Seite auf die andere legte; mehrere Fuß tief schnitt sein starker Vorsteven in den feurigen Schaum, wenn die Roller bis zur Höhe des Außenklüvers stiegen. Auch ein weniger phantasiereiches Auge als das meinige hätte in dem glitzernden Figurenspiel zauberische Gebilde zu sehen vermocht.

Liverpool-Sam, welcher, wie es schien, unten keine Ruhe hatte finden können, tastete sich zu mir und räsonnierte auf den Kapitän, weil dieser nicht die Segel hatte kürzen lassen, solange es zu der Arbeit noch hell genug war.

»Dat is justement hüt de richtige Ort Nacht, üm bi so' an sackermentsche Arbeit äwer Burd tau gahn,« knurrte er, »un wenn einen dat passiert, ward hei womäglich nich hürt, nich sehn, hei kann versupen, ahn dat einer 'nen Finger rögt, em tau helpen. Duntaumalen, as ik noch en jungen Kierl war, da was dat beter, da smeten sei bi so en Gelegenheit en lüchtende Boje in 't Water, dunn hadd doch so 'n arm Luder wat, an wat hei sik hollen künnt.«

»Es ist doch ein Barometer an Bord,« sagte ich, »und das Quecksilber versteht mehr von dem, was kommen wird, als du oder ich. Das wird wohl dem Kapitän gesagt haben, daß er ruhig die Segel oben behalten kann. Aber mir gefällt freilich das Aussehen des Himmels auch nicht, ich verstehe die Bedeutung dieser fürchterlichen Wogenberge nicht.«

»Quecksülwer!« rief der alte Mann im Tone tiefster Verachtung. »Wat sall woll dat Quecksülwer mit dat Weder tau dauhn hebben? Dat hürt in de Afteike. Ik hew Lüd kennt, sagg ik di, de hebben dat Weder ut düt konträr gegen all Baromeiters. Ik segelte einmal unner en Kapteihn, de seggte: ›Dat Glas is fallen, dat bedüd slicht Weder, äwer de Himmel süht mi nich dornach ut, ik ward all Segel baben laten!‹ Un sühst du, de Kapteihn hadd recht, un de Baromeiter hadd logen. – Quecksülwer! Wenn wi kein beter Wedertüken hädden, denn müggt dat vel Wracks mihr gewen.«

Sam gehörte zu jenen konservativen Seeleuten, welche streng an der Vergangenheit festhalten, bis herab zur Zeit ihrer Großväter. Sie hassen alle Neuerungen und nehmen keine Verbesserungen an. Wenn sie nicht behaupten, daß Noahs Arche das einzige Fahrzeug war, welches sich für die See eignete, so ist dies nur, weil Noahs Arche eben ein wenig vor ihrer Zeit gebaut wurde. Wäre aber Noah ihr Großvater gewesen, dann hielten sie ganz sicherlich seine Arche für das Musterschiff, von dessen Bauart abzuweichen, reine Ketzerei gewesen wäre.

In der Regel sind diese Leute gute Matrosen, arbeiten aber nie, ohne zu schimpfen. Jede Art von Verbesserung des Tauwerks, jeder patentierte Apparat, welcher Art immer er auch sei, gleichviel, ob ihnen selbst auch eine ungeheure Wohlthat, ist ihnen ein Gegenstand steten Aergernisses. Eigensinnig drehen sie ihre Prim im Munde und sprechen von »vor fünfzig Jahren, als die Kapitäne noch Männer waren, die ihre Sache verstanden und nicht bloße Kohlenschiffer, wozu sie heutzutage der Dampf gemacht habe; vor fünfzig Jahren hätte der beste Kapitän nicht lesen können und keine Handelsgerichts-Gelehrsamkeit bedurft, um sein Schiff gut zu führen.«

Ich war im Begriff, einige bescheidene Entschuldigungen für das Quecksilber vorzubringen, als Sam, plötzlich nach oben zeigend, erschreckt rief:

»Maat kiek, – Gott bewohr uns, ik will nie wedder en Droppen driinken, wenn dit nich en Komposant is.«

Ich sah auf und erblickte, was ich noch nie gesehen hatte, obgleich den meisten Seeleuten etwas ganz bekanntes, eine kleine blaue Feuerkugel, welche über dem Ende der Vorbram-Raanoke schwebte.

Sie blieb einige Augenblicke unbeweglich an dieser Stelle, obwohl man hätte annehmen sollen, daß das Schwanken des Schiffes sie über oder unter die Spiere hätte bringen müssen, darauf verschwand sie. Nach einem Augenblick erschien sie oder eine andere wieder, und zwar diesmal auf der Fock-Raanoke, direkt über unsern Köpfen. Dies sehend, rannte Sam, mir zurufend: »Lat di nich belüchten, dat is Düwelslicht, dat bringt Unglück,« so schnell er konnte, davon, und stürzte sich Hals über Kopf in die Luke.

Da ich des alten Mannes abergläubische Furcht nicht teilte, sah ich mir das Ding sehr aufmerksam an. Sein Glanz war sehr matt, obgleich es einen Hof hellen Nebels ausstrahlte. Es sah mir aus wie entzündete Luft, wiewohl ich nicht verstehen konnte, warum es dann so lokalisiert blieb und weder größer noch kleiner wurde. Dann dachte ich, daß es doch eine Verwandtschaft mit den bekannten Irrlichtern haben müsse, deren Entstehen man den Gasausströmungen der Sümpfe zuschreibt, und glaubte daher, die hier auftauchende Erscheinung sei durch Elektrizität hervorgerufen. – Späterhin machte ich die Bemerkung, daß das Licht hauptsächlich auf dem oberen Eisenwerk des Schiffes erschien und selbst beim heftigsten Winde ruhig leuchtete. Der abergläubische Seemann betrachtet diese Feuerkugeln mit Angst, da er sie für übernatürliche Verkünder von Glück oder Unglück hält, je nachdem sie von der Stelle ihres Erscheinens steigen oder fallen.

Ich wurde in meinen Betrachtungen durch den alten Windwärts unterbrochen, der mir zurief:

»Wo ist der Kompreesant Das Wort schreibt sich wahrscheinlich von corpus sancti her, oder ist vielmehr die Matrosen-Aussprache des Lateinischen. hingegangen?«

»Er verlöschte, Sir.«

»Wo zeigte er sich, nachdem er auf der Vorbram-Raa gewesen?«

»Auf der Fock-Raanoke.«

Nach einer kurzen Pause brüllte er:

»Große Obermars- und Bram-Segel aufgeien! – Außen-Klüver niederholen!«

Diese Befehle, welche so unmittelbar der Erscheinung des geisterhaften Lichtes folgten, erregten bei den Leuten ein Gefühl unheimlichen Grauens, welches schließlich auch mich überkam. Einige stiegen schweigend in die Wanten, um die Reuls zu beschlagen. Ich stellte mir vor, wie sie in der Dunkelheit in das schwer erkennbare Takelwerk schielen mochten, jeden Augenblick in der angstvollen Erwartung, das geisterhafte Licht wieder erscheinen zu sehen.

Der nächste Befehl lautete, das Vorbram-Segel festzumachen.

»Da süht man wedder, wat dat för en Hundsfott is,« fluchte einer von den Leuten, »so lange as 't hell was, würd nicks anrührt, un up stunns wo't so dunkel is, dat man sien eigen Näs' nich seihn kann, heit 't Segel körten.«

Der Mann hatte nicht unrecht. Die Arbeit war unter den obwaltenden Umständen eine ganz außerordentlich mühsame und gefährliche. Der Himmel war von einem Dunst überzogen, welcher das schwache Licht der Sterne vollständig verhüllte; es herrschte eine totale Finsternis. Nur die Lampe im Kompaßhäuschen warf einen schwachen Schein durch die schwarze Nacht auf den Mann am Rade.

Nachdem der Klüver niedergeholt und die oberen Segel beschlagen waren, standen wir, – nämlich die Wache, – in einem Haufen beisammen und warteten auf weitere Befehle.

»Dit is so die richtige Nacht für'n Feuer an Bord eines Schiffes,« erklang die Rabenstimme Deacons. »Gott, was müßte dat für 'n Anblick sein: Meer und Himmel rot von dem flackernden Rumpf und den hoch auflodernden Flammen an Masten und Segeln! Maats, ich könnt' mir den jüngsten Dag nich feierlicher vorstellen.«

»Gotts ein Dunner, holl dien entfamtes Mul, Sniggers!« fuhr Klein-Welchy ihn an. »Uemmer snakst du von dat jüngst Gericht, – ja dat dauhst du, – un wenn du dat uns taum Possen dauhst, so segg ik, du büst en slichten Kierl, denn du hest grad ierst so gaud as wi de Kompersanten sahn, un ok hürt, wat sei bedüden.«

»Na, wenn etwa eins Lust hebben süllt, äwer de Korpslichter tau lachen, denn will ik em wat vertellen, wornach hei vellicht anners äwer sei denken ward,« sagte Billy; – und ohne weitere Aufforderung seine Geschichte zum besten gebend, fuhr er fort:

»De annern Monat sünd't vierteihn Johr, da segelt' ik an Burd von en Barkschipp. Wi wiren in de Nordsee, un de eine Nacht blus't swer. En Mann, hei näumte sik Jim Herring, steiht dichting neben mi, un schreg up einmal: Slag mi blag, Billy, wenn dor nich en von de lüchtenden Kompersanten is, un wenn sei ok utseihn dauhn, as wiren sei von Füer, so hew ik doch hürt, dat sei gor nich brenn'; ik will verdammt sien, wenn ik nich glik gah un ehm fange. Hei stört also in Hast baben rupe, leggt sik vörlängs up de Vorbram-Raa, reckt sik nah Möglichkeit, un grad as hei dicht dran is un darnach griepen will, set sik dat gesegnete Ding up sin Faut. – Hei nu wedder runner up de Paarde, – dat Licht wedder in de Höcht; – Jim nau wedder up de Raa, – de Kompersant hinäwer nah Backburd, – Jim ümmer hinnerdrein. Hei hädd grad so gaud versäuken künn, en Sternsnupp tau fang'n. – Ik hürt' em im Dustern schandiren un ßackeriren, wowoll 't nich so dunkel was, dat wi em nich von unnen hädd seihn künn', un as hei nau wedder up de Vorbram-Raa wider kröch, üm den nah de Raanok äwersprungen Kompersant tau griepen, ßackerirt hei so, as ik't noch gor nich hürt hew. Ik segg, Jug Maats, 't was würklich gruglich, den Jim so tau seihn un tau hür'n. Nu was hei ennlich wedder in de Näh von dat Ding kam, un dor denkt Jug, wo ik mi verfihren Erschrecken. ded, as grad, as hei mit de Hand nah em griept, ik mit desen mien liwhaftigen Ogen seih, wo de Gestalt von en Fru mit Flüchten Flügel., as en Geist, äwer de Mastspitz erscheint, un de Kompersant sik up ehr Stirn set. Ik hürt' Jim upschriegen, un denn, Maats, so wohr ik lew, stört hei von de Raa dal. Ik seih em, mien Seel, noch hüt, wo hei de Hänn in de Luft werfen ded. – Ik schreg: Herrgott, hei is en doden Mann. – Wi horkten nau alle, üm tau hür'n, ob hei in't Water oder up Deck slagen würd, äwer ik will mi up de Stell Kierl holen laten, wenn wi ok nur den lies'sten Ton hürt'n –. ›Hei is in Tauwark hangen bliewen‹, rep einer; – wi störten also rup, em tau helpen, äwer hei was nirgend tau seihn. Wi sahn up de Mars, wi söchten in de Salingen, wi repen em so lud, as wie künnt', äwer allens was ümsüd; – ik swör's Jug –, hei was furt; 's was, as hädd em de Wind wegblusen; – hei was nich in't Water follen un hei was nich up Deck; – wo was hei?«

Totenstille folgte dieser Frage.

»Ik frag, wo was hei? wat was mit em gescheihn?« rief Billy.

»Segg's uns,« bat Welchy mit unsicherer Stimme.

»Na, natürlich mitnamen, – weghext von de Fru, de tau den Kompersant hürt hadd; – wat süs?«

»Aewer wat künnt sei von em wullen?« fragte Suds.

»Suds, du büst en Dummbort, wo kannst du so wat fragen? wo sall ik weiten, wat sei von em wullt? – Wat ward ut de Doden? – Ik glöw, 't is keiner unner uns, de nich weit, dat de Kompersanten Geister sün, de nah ehren friegen Willen jede Gestalt annam'n künn'n. – Hew ik doch en Mann kennt, de verswor sik hoch und dür, dat einer von desen Geistern, den en Kompersant as en Og up de Stirn lüchten ded, einmal versäukte, em von 'ner Paarde tau stödden, un dat hei in den fasten Glöwen, hei müßt nau starben, wil dat hei gegen en Geist nicks maken künn, anfung dat ›Vadderunser‹ hertauseggen, üm Gott sien arm Seel tau emfehlen. Dese Psalm was nämlich dat einzig, wat hei von so 'ne Saken wüßt; – äwer Maats, dit het em nützt, denn de Späuk let' em in sülwigen Ogenblick lot un verswand.«

»Dunnerwetter, is dat äwer en Murdsfinsternis,« sagte Welchy mit einem unruhigen, ängstlichen Blick ins Takelwerk, »ik hew nie begriepen künn, wotau de Dunkelheit eigentlich da is. Mi dücht fö de Minschen is sei nich ersunn'. Tau wat wieren uns de Ogen gawen, wenn wi sei de halfe Tied nich bruken sülln?«

Aber dunkel, wie es war, konnte ich doch noch eine schwärzere Stelle unterscheiden, die sich im Westen erhob. Sie war nicht zu bemerken, wenn man direkt auf sie sah, sondern nur, wenn man den Himmel rechts und links von ihr betrachtete.

»Von da wird der Sturm kommen,« sagte ich, nach der Stelle hinzeigend.

»Na, denn noch en Pip Tobak, eh't lotgaht,« meinte Suds, und stieg in die Luke hinab.

Um Mitternacht wurde die Backbordwache abgelöst. Der dunkle Fleck im Westen hatte jetzt den ganzen Himmel überzogen und es war leicht, diese neue Wand bewegungsloser Wolken von den höheren Schichten zu unterscheiden, die zuerst die Sterne verhüllt hatten.

Der Zustand der Erwartung in dieser ägyptischen Finsternis war unangenehm, ja kaum erträglich. Es war unmöglich, in die Nacht hinein zu blicken ohne Grauen. Ein jeder empfand eine dringende Sehnsucht nach irgend einer Veränderung der totenähnlichen Stille, und ein lebhaftes Verlangen nach Erlösung von diesen entsetzlichen, schaurig-geräuschlosen Wogen, welche die Brigg wie ein Spielzeug umherwarfen.

Keiner von uns hielt es der Mühe wert, sich auszukleiden, da wir erwarten mußten, im nächsten Augenblick auf Deck gerufen zu werden. Ich legte mich auf meine Pritsche und hatte mehr, als zu irgend einer andern Zeit meiner Reisen, das Bewußtsein der Unsicherheit des Lebens auf See. Die Vorstellung von der Geringfügigkeit des Schiffes im Vergleich zu der Welt von Wasser, die es trug, der Anblick der Unendlichkeit des sturmbeladenen Himmels und der Gedanke an das Nichts, welches wir unter ihm bildeten, machte mich ganz kleinlaut.

Ich dachte: eigentlich vollzieht sich doch an jedem Schiff ein Wunder, welches nach einer langen Reise den Hafen wieder glücklich erreicht. Denkt man an die Gewalten, die sich den Schiffen entgegenstellen, an die Tücke der Meere mit ihren Sandbänken, Strömungen und Wogen und an die Wut der Stürme, welche ihre ganze Kraft an ihnen versuchen, so kann man nicht darüber erstaunt sein, daß viele Schiffe untergehen, sondern nur darüber, daß überhaupt welche in den Hafen zurückkehren, von dem sie ausliefen.

Die Hitze war im Vorderkastell so drückend, daß ich nicht schlafen konnte. Die mit Elektrizität übersättigte Atmosphäre hatte meine Nerven erregt; ich horchte gespannt auf jeden Ton, der mir das Kommen des Sturmes verkünden würde.

Bald hörte ich Banyards Stimme. Tauwerk wurde auf dem Deck umher geworfen und das Groß-Bramsegel gestrichen. Kurz darauf erschallte der Befehl, das Vormarssegel doppelt zu reffen und die Klüverfalls loszuwerfen. Die Wache hatte alle Hände voll zu thun.

Plötzlich wurde die Luke von einem bläulichen Schein erhellt; nach längerer Pause folgte das Rollen des Donners; darauf ein neuer, viel hellerer Blitz.

»All Mann Segel körten,« schrie Banyard, unter starkem Pochen, zu uns herunter.

Kaum hatte ich das Deck erreicht, als der Himmel sich von Nord bis Süd öffnete, gespalten von einem so furchtbar blendenden Blitz, daß ich unwillkürlich meine Augen mit der Hand bedeckte; ihm folgte ein betäubender Donnerschlag; es war, als ob Lucifer eine ganze Welt am Himmelszelt herunter rollte. Alle standen momentan wie gelähmt da; die Brigg erzitterte in ihren Fugen, und sogar die Dünung schien zusammengefallen zu sein von dem Krachen und dem Echo dieser entsetzlichen Entladung.

Hernach begann der Regen in wenigen warmen Tropfen zu fallen, um sich gleich nach dem nächsten Blitz wie aus geöffneten Schleusen auf uns zu ergießen. Aehnlich einer Flut schoß das Wasser über das Deck, schäumend und brausend stürzte es durch die Gaten.

»Groß-Marssegel-Falls los! – Segel doppelt reffen! – Die Fock beschlagen! – Schnell, ihr Burschen, ehe der Wind kommt! – Refftaljen anlegen! – Blak an Blak! – Immer vorwärts, Kerle, – rauf mit euch, der Blitz thut euch nichts!«

Dies waren die Kommandos, die der alte Windwärts mit kleinen Pausen hinein brüllte; bei dem Rauschen des Regens und dem Grollen des Donners verstanden wir sie kaum. Wir arbeiteten schweigend und mit fast heiliger Scheu. Wer konnte wissen, ob nicht der nächste Blitz die Masten traf und das Schiff in Brand setzte? – Das Leuchten der Blitze war uns keine Hilfe, – im Gegenteil, das grelle, blaue, nur einen Augenblick zuckende Licht blendete die Augen dermaßen, daß die Dunkelheit hinterher uns undurchdringlicher erschien als zuvor.

Der über uns rollende Donner glich dem Feuer einer mächtigen Artillerieaufstellung. Sein fürchterliches Krachen betäubte uns förmlich und verhinderte uns, die Befehle zu verstehen, welche der Kapitän und der Maat durcheinander schrien. Wo es nur Eisen gab, – an den Raanoken, an den Ankern und Ankerketten, – überall ringelte sich schlangengleich das elektrische Fluidum. Wir waren bis auf die Haut durchweicht und so gewaltig war der Guß, daß mittschiffs uns das Wasser bis zu den Knieen reichte und manchen von uns auf den Rücken warf, wenn es beim Ueberholen des Schiffes wie ein Wasserfall über uns stürzte.

Der Kapitän, noch nicht zufrieden mit doppelten Reffs, befahl, daß die Topsegel ganz gerefft werden sollten. Als wir, bei dieser Arbeit, die Leinwand soweit zusammengerollt hatten, daß wir sie festmachen konnten, ließ das Unwetter nach. Es blitzte nur noch in größeren Zwischenräumen und nur noch knurrend; wie ein verwundetes wildes Tier, umkreiste der Donner den Horizont. Trotzdem blieb unsere Lage noch immer eine sehr unheimliche, denn die Windstille hielt noch immer an, während der Regen in unverminderter Stärke von dem pechschwarzen Himmel auf uns niederströmte.

»Die Backbord-Wache kann abtreten, hält sich aber für den ersten Ruf bereit,« schrie der Maat; was für uns soviel hieß wie: von schlafen ist keine Rede. – Wir benutzten die Gelegenheit, uns trocken anzuziehen, und dabei konnte man den wahren Charakter einer Teerjacke kennen lernen. Die eine Gefahr war glücklich vorübergegangen, aber noch drohte uns eine weit größere, wenn der schreckliche Orkan plötzlich losbrach. Das kümmerte jedoch die Leute nicht, sie machten ihre Witze, steckten sich ihre Pfeifen an und trieben Possen, als ob die Brigg bei herrlicher Brise auf blauem Wasser schwämme.

Nackt bis auf die Hosen und sich trocknend an allem, was ihm in die Hände fiel, fand Suds seine Kiste, das oberste zu unterst gekehrt. Dies gab Veranlassung zu einigen handgreiflichen Scherzen. Der schöne Blunt, ein großer breitschulteriger, breitmäuliger, häßlicher Kerl, setzte sich auf die Kiste und machte es dadurch Suds unmöglich, sich anzuziehen. Suds, welcher glaubte, daß seine Kiste aus Bosheit umgestürzt worden wäre, geriet in Zorn. Harte Püffe wurden ausgeteilt; Suds flog dabei gegen Schnarch-Jimmy, – dieser fiel hin und verbrannte sich im Fallen mit der heißen Asche aus seiner Pfeife; – wütend hierüber gab er Suds einen solchen Stoß mit den Füßen, daß dieser auf den schönen Blunt zuflog. Der, in der Meinung, daß er ernsthaft angegriffen würde, sprang auf und wollte zupacken, stürzte aber bei dem heftigen Anprall von Suds, welcher über einen ihm wahrscheinlich absichtlich vorgehaltenen Fuß gestolpert war, sofort mit demselben zu Boden. Ein starkes Ueberholen des Schiffes warf über das daliegende Paar noch einen dritten Mann und zum Ueberfluß fiel auch noch Suds Kiste um, mit ihrem Inhalt den Knäuel überschüttend.

All der Lärm bei dieser fürchterlichen Verwirrung wurde plötzlich durch ein pfeifendes, heulendes Sausen übertönt. – Ich horchte einen Augenblick, – dann rief ich: »Hallo, der Sturm!« und stürzte zur Luke hinaus.


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