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Elftes Kapitel.
Der französische Schoner.

Die frische Brise begleitete uns bis zum Abend. Darauf ließ sie nach und schraalte nach vorn; hieraus ließ sich annehmen, daß sie sich bald ganz legen würde. Matt schleppten wir uns, mit südlichem Kurs, durch das Wasser hin; doch durften wir uns bis jetzt nicht beklagen, denn wir hatten nicht weniger als hundert Seemeilen in dreizehn Stunden zurückgelegt.

An diesem unserem ersten Abend auf See, hatten wir eine kleine Abwechslung durch eines der tausend Erlebnisse, welche die Einförmigkeit des Seelebens verkürzen.

Es war einer jener milden, köstlichen Abende, welche nur den englischen Breiten eigen sind. Die Atmosphäre war durchsichtig, die Luft lieblich wie im Frühling, der Himmel in seinem tiefen und doch zarten Blau schien dem Mittsommer anzugehören.

Mit Sonnenuntergang war das Fetten, Reffen, Theeren, Scheuern und Polieren endlich vorüber, – eines langen Tages Arbeit war gethan. Die Backbord-Wache hatte den Dienst. Von der Freiwache waren einige Leute unten, einige oben; letztere lagen, mit den Pfeifen im Munde, lang ausgestreckt auf dem Deck. Miß Franklin saß hinten in der Nähe des Kompaßhäuschens, ihr Bruder, eine Zigarre rauchend, neben ihr. Der alte Windwärts schritt ungeduldig auf der Leeseite des Decks einher, blickte bald nach oben, bald in die Runde, um den Wind zu suchen und einen Vorwand zu finden, Befehle hinauszuschreien. Baynard paffte indeß eine Wolke nach der andern aus seiner Pfeife; er saß, den Rücken dem Hinterdeck zugewandt, gegen den Mast gelehnt und auf diese Weise vor der Beobachtung von jener Seite aus gedeckt.

Es war einer jener herrlichen Momente auf See, wo bei wolkenlosem Himmel und stillem Wasser der Duft des Tabaks köstlich erscheint, wo die rauheste Stimme wie Musik klingt und das leise Schlappen der Segel und das Plätschern des Wassers um die Backen und unter der Gillung ein ganz eigenes Gefühl der Behaglichkeit erzeugt. Ich saß rittlings auf dem Geländer des Vorderdecks und sah nach den Sternen, welche wie goldene Funken am Himmelsgewölbe leuchteten. Von diesen schweiften meine Blicke zu jenem irdischeren und mir näheren Stern, Luise Franklin. Wir befanden uns beide auf der Luvseite, und deshalb war mir ihre in Gedanken versunkene Gestalt deutlich sichtbar. Freilich war sie mir zu fern, um bei dem abendlichen Düster ihre Gesichtszüge unterscheiden zu können; doch war meine Bewunderung für sie so tief, daß mein geistiges Auge ihr die idealsten Züge verlieh.

Der alte Liverpool-Sam lehnte mit seinen Armen auf dem Buggeländer, paffte aus seiner schwarzen Pfeife und stierte in die weite Ferne. Auf einmal hörte ich ihn knurren:

»Wat is dat da? Süht mi ut as en Segel.«

Ich drehte mich um und erkannte mit meinen scharfen Augen, ungefähr vier Meilen von uns entfernt, eine kleine Brigg oder einen Topsegel-Schoner; welches von beiden, darüber war ich ungewiß.

Um acht Glasen ging die abgelöste Wache nach unten. Es wehte nur ein leiser Luftzug, gerade genug, um die obersten Segel voll zu halten, und die Brigg schlich träge durch das Wasser. Bei langsamer Fahrt konnten wir unseren jetzigen Kurs die ganze Nacht beibehalten, wenn sich der Wind nicht änderte.

Der Mond erhob sich aus der See rot wie ein glühender Ofen, aber höher steigend blaßte er ab und übergoß das Himmelsgewölbe mit seinem Silberlicht. Bei diesem bemerkte ich, nach vorn blickend, daß wir dem Schoner näher gekommen waren.

»Segel voraus!« rief ich.

»Ich sehe es,« antwortete der Kapitän. Darauf ließ er das Ruder nach Steuerbord umlegen und brachte dadurch den Schoner breit zu unserem Steuerbord-Bug. Hiernach kam er mit dem alten Windwärts nach vorn, einer mit einem Teleskop, der andere mit einem Nachtglas.

»Der sieht ja wunderlich aus,« sagte der Maat; »seine Nase steht grade gegen den Wind; es steht wahrhaftig aus, als wäre er nicht bemannt.«

»Beidrehen!« schrie der Kapitän dem Steuermann zu. »So, immer sachte, gut, stopp.« Er hatte offenbar vor, zu sehen, was mit dem Schoner eigentlich los wäre.

Wir fuhren noch in bequeme Anrufsweite von ihm, und dann, als wenn der Wind sich in einer letzten Anstrengung erschöpft hätte, um Kapitän Franklin gefällig zu sein, erstarb er vollständig und die See wurde glatt wie Oel.

»Schiff ahoi!« brüllte der alte Windwärts mit einer Stimme, von der man hätte annehmen können, sie würde bis halbwegs nach Penzance gehört. Nichts rührte sich. Es lag eine unheimliche Stille auf der See. Sogar die Segel der Brigg schienen ihr schwaches Schlappen eingestellt zu haben. Der einzige Ton, der durch die Grabesruhe drang, war das Gurgeln des Wassers am Brustholz.

Noch einmal ließ der Maat sein Gebrüll erschallen. »Ich will mich braten lassen,« sprach er, »wenn dort jemand an Bord ist.«

»Lassen Sie das Backbord-Boot zu Wasser führen, Mr. Sloe,« befahl der Kapitän, »und sehen Sie, was mit dem Schoner ist.«

Während der Maat ging, um die nötigen Anordnungen für den ihm erteilten Befehl zu treffen, betrachtete der Kapitän den Horizont ringsum, nach den Anzeichen einer Brise suchend, er vermochte aber nichts zu entdecken. Nicht ein Hauch war zu spüren; groß und klar standen die Sterne am Firmament bis hinab zum äußersten Horizont.

Auf den Ruf des Maat hallte das Deck wieder von dem Getrampel unserer Stiefel. Jeder von uns wollte die kleine Enter-Partie mitmachen. Ich hatte das Glück, ein Ruder zu erlangen; außer mir waren noch drei andere ins Boot gesprungen; der alte Windwärts hatte sich auf die Ruderbank am Stern gesetzt und machte das Steuer klar. Wir wurden hinabgelassen, plumpsten aufs Wasser und stießen ab.

Die Windstille hatte die Brigg nicht eine Viertelmeile vom Schoner befallen, und so war unser Rudern ein sehr kurzes.

Der Schoner war ein niedriges, schwarz angestrichenes Fahrzeug von ungefähr hundert Tonnen. Wir konnten bei der Mondhelle die Worte ›Marie-Brest‹ in großen weißen Buchstaben an seinem Stern erkennen. Alle seine Segel waren gesetzt, aber ohne Ordnung; die Schoten hingen schlaff herunter, die Topsegel-Raaen waren backgebraßt, die Bramsegel standen nach Steuerbord und die Klüver schlappten wie ein alter Weiberrock am Leibe einer Straßenkehrerin.

Der Mond schien so hell, daß man dabei eine Zeitung hätte lesen können. Das Deck war daher deutlich erkennbar, aber kein Mensch darauf zu sehen.

»Still!« rief der Maat, als wir längsseit kamen; wir hoben die Riemen aus.

»Horkt mal!« flüsterte der kleine Welchy.

Wir lauschten. Stimmen schlugen an unser Ohr; es waren die eines Mannes und einer Frau; wir unterschieden bald, daß beide einen hitzigen Wortkampf ausfochten.

Der Maat stieß ein heiseres Lachen aus.

»Was, zum Henker, ist das für ein Kauderwelsch?«

»Französisch, Sir,« antwortete ich, da ich einige Worte verstanden hatte.

»Wir wollen aufentern,« sprach er, »und uns den Spaß ansehn.«

Der kleine Welchy blieb zurück, um das Boot zu hüten, und wir anderen drei kletterten auf Deck.

Ein Oberlicht dicht hinter dem Hauptmast stand offen, und da es gerade über der Kajüte lag, erlaubte es uns zu sehen, was unten vorging. Eine Handlampe brannte auf einem Tisch. Auf einer Seite desselben stand ein verhungert aussehender gelber Mann, dessen ganze Lebenskraft in der Produktion eines ungeheuren Schnurrbartes verausgabt zu sein schien. Eine rote Zipfelmütze schmückte sein Haupt und Ohrringe, ungefähr dreimal so dick als gewöhnliche Trauringe, glänzten in seinen Ohren. Sein offenes Hemd ließ die nackte Brust vom Halse bis zur Taille sehen, und ein Paar Hosen, gehalten durch eine um die Hüften geschlungene rote Schärpe, vollendete seinen Anzug. Ihm gegenüber befand sich ein stämmiges, von der Sonne stark gebräuntes Weib. Ihre ungeheure, fächerartige Haube war ihr bei den heftigen Bewegungen, die sie mit dem Kopfe machte, über die Stirn gerutscht. Im übrigen bestand ihre Kleidung – nein, ich will diskret sein –; genug, wenn ich sage, daß ein Flanell-Unterrock und ein schokoladefarbenes Tuch ihre äußere Umhüllung bildeten.

Der Lärm, den sie machten, war jetzt, wo wir uns in nächster Nähe befanden, erstaunlich. Ihre Sprache, ein fürchterliches patois, war ein wahrer Strom von Worten, rasch, heftig, keifend, kreischend, schnarrend. Sie rasselten beide zugleich so aufeinander los, daß es mir nicht gelang, auch nur entfernt eine Idee von dem zu gewinnen, um was der Zank sich drehte.

Kein Wunder, daß sie uns nicht hatten kommen hören. Es hätte schon ein guter Donnerschlag dazu gehört, ihr Geschrei zu übertönen. Ihre Gestikulationen zu sehen, ohne zu lachen, war unmöglich, und der erste, welcher herausplatzte, war der alte Windwärts, in dessen Gewieher wir sogleich einstimmten.

Der Mann erschrak und sah auf; das Weib kreischte und stand stockstill; ihre fuchtelnden Arme fielen wie plötzlich gelähmt an ihren Seiten nieder.

»Plagt Euch der Teufel, einen solchen Lärm zu machen?« schrie der Maat. »Was ist das für ein Schoner? Wo ist die Mannschaft? Warum, zum Henker, habt Ihr nicht geantwortet, als wir anriefen?«

»Es sind Engländer,« zischelte der Mann auf französisch der Frau zu. Dann, seinen Bart fassend, fragte er in gebrochenem Englisch: »Werr sein Ihr? Woherr Ihr kommen?«

»Na, von unserem Schiff natürlich. Wir hielten das Fahrzeug für verlassen und kamen her, um zu sehen, was passiert sei. Die Mühe hätten wir uns nun freilich sparen können, wie ich sehe; denn gesund scheint Ihr ja zu sein, wenigstens Eure Lungen und Zungen. Euer Geschrei könnte ja auf vierzig Meilen in der Runde jeden Schnarcher aus dem Schlafe schrecken,« polterte der alte Windwärts.

In diesem Moment warf das Weib einen Blick auf ihr Kostüm und einen Schrei ausstoßend, schlug sie schnell das Tuch über ihre Reize und entfloh.

»Wartet, ik kommen auf die Deck,« sagte der arme kleine Parlezvous, setzte seine Mütze auf, schürzte seine Schärpe und kam die Kajütentreppe herauf. Als er im Mondschein auf uns zutrat, erschien er als die jämmerlichste Figur, die man nur sehen konnte. Er machte uns eine tiefe Verbeugung, und als sein Auge auf die Brigg fiel, sagte er: »Ah, das sein Ihre Schief?«

»Ja, das ist es,« antwortete der Maat; »wo stecken Ihre Leute? Liegen sie alle betrunken im Nest?«

»Ik nich verstehn,« sagte der kleine Kerl, wobei er seinen mit der Nachtmütze bedeckten Kopf schüttelte.

»Ob Ihre Leute alle betrunken sind? Wo Ihre Mannschaft ist, meine ich,« brüllte der Maat, als wenn er einen Tauben vor sich hätte, wobei er auf das Vorderkastell deutete.

»Ah, die Leute! Non, sie sein nicht ier. Sie sein fort.«

»Fort?«

» Mais oui, in zwei Boot,« und er hielt zwei Finger in die Höhe und wies auf die Davits, an deren Taljen noch die Falls, mittelst welcher die Boote herunter gelassen worden waren, bis aufs Wasser herabhingen.

»Weshalb verließen sie das Schiff?« fragte der alte Windwärts.

»Wir aben gemußt Bumben, ein-zwei-dreimal, – da sie schrien: ›Wir ßink, wir ßink!‹ und verließen mich und meine Frau. Mais mon Dieu! Was that das? Ik sagen: Ihr gehen zum Teufel, makt Euch fort, s'il vous plait, – aberr dann mir kommen nich wiederr – allons!« Er zuckte dabei so stark mit den Schultern, daß sein Kopf zwischen ihnen verschwand und nur seine Zipfelmütze noch vorguckte.

»Wie heißen Sie?« fragte der Maat.

» Alphonse Duprès, Serr. Ik sein die Kapitäne.«

»Woher kommen Sie?«

»Douvres.«

»Doove?« rief der alte Windwärts. »Wo ist das? In Afrika?«

»Er meint Dover,« sagte ich.

»Und wohin geht die Fahrt?«

»Brest.«

»Und wollen Sie sagen, daß Sie diesen Schoner allein bis Brest führen wollen?«

» Mais oui. – Warum nicht? Meine Frau sein stark wie zwei Mann, und jetzt ist es Sommer.«

»Da soll mich doch der Narr beißen, wenn ich so was schon mal gehört habe!« schrie der Maat, und starrte die kleine Gestalt ganz entsetzt an. »Aber Sie werden sich einander ja die Kehle abschneiden, ehe Sie nach Brest kommen – was? – etwa nicht?«

Der Franzose richtete sich würdevoll auf und schwenkte seine Hand.

»O, wir ßank nur ein wenik. Alle Damen ßank. – Messieurs, woll Sie trink ein Glas Wein?«

»Nein, danke Sir,« erwiderte der alte Windwärts, und trat an die Schiffsseite. »Wenn wir Ihnen in irgend einer Weise helfen können, soll's uns freuen.«

Monsieur dankte, seine rote Mütze in der Hand, sehr wortreich; versicherte, daß er und seine Frau sehr gut imstande wären, das Schiff zu bedienen, und verbeugte sich, mit der Hand auf seiner nackten Brust, vor jedem einzelnen von uns, als wir über die Seite kletterten und ins Boot stiegen.

Eine halbe Stunde später erhob sich eine Brise aus Norden. Die Raaen der Brigg wurden gestellt und wir steuerten wieder unsern Kurs. Den Schoner verloren wir im Nebel des Mondscheins schon nach kurzer Zeit aus dem Auge, aber als die Brise aufsprang, hörte ich den Kapitän, welcher durch ein Nachtglas sah, zum Maat sagen, daß der Franzose und seine Frau die großen Raaen umgebraßt hätten und den richtigen Kurs auf Brest steuerten.

Dieses kleine Erlebnis lieferte dem Vorderdeck manchen Scherz und es dauerte lange, bis die Leute, welche mit auf dem Schoner gewesen waren, aufhörten, von dem zankenden Ehepaar zu sprechen und von der Ruhe, mit welcher Mosjeh daran dachte, sein Schiff nach seinem Bestimmungsort zu bringen.


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