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Siebzehntes Kapitel.
Ein derber Scherz.

Nach vierzehn Tagen günstigen Windes gelangten wir in jene äquatorialen Breiten, wo unbeständige Luftströmungen herrschen und Gewitter und Windstillen die Qual des Seemanns bilden.

Der Kapitän und der Maat gönnten uns gar keine Ruhe. Von morgens bis abends drehten wir an den Raaen, setzten Leesegel, nahmen sie wieder ab, und mühten uns am laufenden Tauwerk, bis unsere Hände voll Blasen waren. Sobald sich die glasige Oberfläche des Wassers nur im geringsten kräuselte, wurden wir an die Brassen geschickt, obgleich auch jeder Laie hätte sehen können, daß der Luftzug nichts weiter als ein vorübergehendes Fächeln war, welches wahrscheinlich im nächsten Augenblick grade aus der entgegengesetzten Richtung den Wasserspiegel streifen würde.

Die Leute murrten häufig und bitter, bis jetzt drang dies aber noch nicht bis nach hinten. Nur Banyard ließen wir unsern Unmut fühlen. Nach den gemessenen Instruktionen des Kapitäns durfte er um keinen Preis den geringsten Luftzug unbeachtet lassen; hierunter litt er jämmerlich; denn er fürchtete den Zorn des Kapitäns bei einer Versäumnis und wollte es auch mit uns nicht verderben, indem er uns zuviel Arbeit gab. So befand er sich immer zwischen Thür und Angel.

Als er einmal die Mittel-Wache hatte, war eine Windstille, die kein Zeichen einer Unterbrechung zeigte. Die Raaen waren gebraßt, die Brigg lag fest wie eine Boje, ihre weißen Segel schimmerten in der Dunkelheit und die Oberfläche der See glitzerte vom Wiederschein der Sterne. Der Mann am Steuer schien eingenickt. Vorn lagen beide Wachen auf Deck, da es unter der Luke wie in einem Backofen war.

Banyard saß auf dem Oberlicht mit abgenommener Mütze und beugte sein Ohr tief nieder, um zu horchen, ob der Kapitän sich etwa rühre. Das Resultat seines Lauschens schien befriedigend gewesen zu sein, denn er zog seine Pfeife heraus, stopfte sie und steckte sie am Kompaßlicht an. Hiermit fertig, nahm er seinen Sitz wieder ein und paffte behaglich und bedächtig. Aber es war eine Nacht voll magnetischer Einflüsse. Das schwache Spülen des Wassers unter der Gillung, welches das Ruder grade nur stark genug traf, um ein leises Klirren seiner Ketten zu bewirken, war wie das einschläfernde sanfte Summen einer Mutter an der Wiege ihres Lieblings; das flimmernde Sternenlicht traf ermüdend die Augenlider, und das leise Rauschen der leichten Segel klang in der Dunkelheit wie ein Flüstern, welches die Ruhe eines Schlafsuchenden nicht stören will. Die Pfeife fiel Banyard aus dem Munde; er nahm sie nicht auf; bald hörte man ihn friedlich schnarchen.

Vom Rade aus ließ sich ein leises, vorsichtiges Pfeifen hören; offenbar war dies ein verabredetes Zeichen; denn sofort erhoben sich zwei von den auf Deck liegenden Leuten und schlichen behutsam auf den Fußspitzen nach hinten; einer trug, wie es mir in der Dunkelheit schien, ein aufgerolltes Tau; er kletterte ins Takelwerk des Großmastes. Ich sah dem allem erstaunt zu und war gespannt, zu entdecken, was für ein Unheil die beiden da brauten. Der Mann, der ins Takelwerk gestiegen war, kam bald wieder herunter; er stellte sich an den Fuß des Hauptmastes. Inzwischen hatte der andere sich bei dem ahnungslosen Banyard zu schaffen gemacht; jetzt gesellte er sich zu seinem Gefährten. – Eine kurze Pause, – ein gellender Schrei, – Banyard schwebte in der Luft, – die beiden Leute stürzten nach vorn.

»Was habt Ihr gethan?« schrie ich, indem ich aufsprang.

Sie gaben keine Antwort; Hals über Kopf stürzten sie an mir vorüber nach der Luke, in welcher sie verschwanden. Durch meinen Ruf waren die andern erwacht und fragten, was los sei.

»Kommt schnell,« rief ich, »Banyard ist gehängt worden, seine Leiche schaukelt an der Gaffel.« Mit diesen Worten eilte ich nach hinten, gefolgt von den andern.

Als wir an den Ort der That kamen, genügte ein Blick, um zu erkennen, daß der Hals hier mit dem Hängen nichts zu thun hatte. Der alte Pendel (wie ich ihn immer nannte) baumelte an einem Block einige Fuß unter der Briggsegel-Raa. Die Schelme hatten, während er schlief, eine Leine unter seinen Achselhöhlen durchgezogen, ihn aufgeholt und festgemacht. Dies war einer von den gemütlichen seemännischen Scherzen. Hätten sie ihn an den Fersen, mit dem Kopf nach unten, aufgehißt und ihn so schaukeln lassen, so würden die Leute den Witz noch viel köstlicher gefunden haben.

»Lat mi dal, lat mi dal, – äwer sachten,« schrie das arme Opfer. »Wer het mi dat dahn? dat müggt ik weiten. – Wollt Ji mi glik runner laten, Ji Lumpen-Gesinnel! – Wenn wat reißt, bün ik en doden Mann, ik wiege dreiteihn Stein.«

Es war grade genug Bewegung in der See, daß der alte Kerl hin und her schwang und sich drehte, wie eine Hammelkeule am Bratenwender; was die Leute aber am meisten kitzelte, das war die lächerliche Angst, die sich in der Haltung des Mannes ausdrückte; denn sein Gesicht war natürlich nicht zu sehen. Er hielt sich vollständig steif, weil er glaubte, dadurch leichter zu sein, und sah infolgedessen genau wie eine Vogelscheuche aus.

»Süng uns en Lied, Maating, du weitst all, wat wi girn hürn, Herr tweiter Offzier,« höhnte einer der Leute und fing das Lied an; im selben Moment flüsterte aber ein anderer: »Verflucht, de Schipper,« – und fort waren wir. – Im Schatten der Küche duckten wir uns nieder, um zu sehen und zu hören, was aus der Geschichte werden würde.

Wir sahen den Kapitän nach dem Kompaß gehen, – dann blickte er umher. Den Offizier vom Dienst vermissend, rief er: »Mr. Banyard!«

»Hier! Kapteihn. – Ach Gott, ik bün jo hier baben, Sir, – die Düwel hebben mi uphißt; – i bün all halw dod!«

Der Kapitän sah verwundert in die Höh, und offenbar in dem Glauben, der arme Mann erlaube sich einen unziemlichen Scherz, befahl er ihm wütend, sogleich herab zu kommen.

»Wenn de Wind kommt,« hörten wir nun wieder den armen Pendel durch die Finsternis wimmern, »warden sei mien Tau ganz seker ut Verseihn lotlaten, ik kenn jo de niederträchtige Bande, un dann is 't ut mit mi. – So laten S' mi doch endlich dal, Kapteihn, is dat woll en passende Sitwatschon för einen von Ehr Offziers?«

Der Kapitän näherte sich nunmehr dem Großmast, tastete nach dem Tau, machte es los und ließ es nach. Nicht zu unterdrückendes Gelächter begleitete Banyards Niederfahrt, und dieses verwandelte sich in ein wahres Gebrüll, als Mr. Franklin das Tau, boshafter Weise, schon losließ, wie Banyard noch etwa vier oder fünf Fuß über dem Deck schwebte. Hierdurch schlug derselbe mit solcher Gewalt nieder, daß er sich nunmehr allerdings, bei seinem schweren Gewicht, den Hals hätte brechen können.

Der Kapitän sagte jetzt weiter nichts, er schrie uns nur zu, den Block herunter zu holen, und dann ging er wieder in die Kajüte. Das war für uns ein Zeichen, daß er in dieser Nacht keine weitere Notiz von der Sache nehmen wollte.

Dafür stürzte nun aber Banyard wutschnaubend unter uns.

»Wo sünd de Hundsfötter, de mi uphängt hebben?« schrie er, »un wenn 't twintig wieren, – ik will einen nah den annern so gerben, dat em dat Fell von Liew geiht, – un wenn 't dörtig wieren, wullt ik sei wisen, wo ik so 'n Gezücht von ßackermentschen Seekrabben tausaum slahn dauh. Nau, seggt wer was 't? – Du, Billy, oder du, Jim, oder du oder du?« – So fragte er jeden einzelnen.

Wir leugneten alle, waren entrüstet, daß wir etwas davon wissen sollten, und drückten laut unser Mißfallen aus über seine Unverschämtheit, uns so etwas zuzutrauen. Die Beleidigtsten von allen waren natürlich die beiden Schuldigen. Der alte Sam indessen geriet in einen ehrlichen Zorn, als er befragt wurde.

»Sei däd'n beter, nich tau seggen, ik hädd 't dahn,« schrie er, mit wild funkelnden Augen Banyards Gestalt von oben bis unten messend.

»Na, wer ded 't dann?« schnaubte Banyard.

»Ja, wer ded 't? – Finn'n Sei 't ut. – Denken Sei, ik ward tau dese Nachttied in't Takelwark herümkrauchen? – Wenn Sei seggen, ik wier 't wesen, so sünd Sei en verdammten Lügner.«

»Wat, du näumst mi en Lügner?«

»Ja, ik näum Sei en Lügner; – worüm süll ik dat denn nich? – Wer förcht sik denn vor Sei? Ik künnt en betern Kierl as Sei taum Frühstück freten un würd nich mal weiten, dat ik wat in mien Mag hädd.«

»Na also, Bully, oller Pumpen-Unnersäuker,« fuhr ein anderer fort, »Sei seihn, hier is nicks för Sei tau halen, gähn Sei leiwer wedder nah hinn'n un denken S' an Ehr Geschäften; – in de Kapteihns Kajüt is Storm, da giww 't velliecht wat för Sei tau reperirn.«

Diesem Einfall folgte unmittelbar eine Flut von Hänseleien und rohen Neckereien, denen gegenüber der arme Pendel sich kurze Zeit mannhaft behauptete, zuletzt aber doch die Flagge streichen mußte.

Am nächsten Morgen donnerte Banyard mit einer Wandspeiche auf die Luke und rief: »Alle Mann nah hinn'n taum Kapteihn.« – Dieser Befehl bezog sich natürlich, wie wir uns sagen konnten, auf den Schabernack, der dem Zimmermann gespielt worden war, und im Gefühl unserer Unschuld marschierten wir trotzig nach dem Hinterdeck.

Der Kapitän, nahe am Oberlicht stehend, sah uns mit bösem Blick stirnrunzelnd an; er dachte wohl, uns damit einzuschüchtern. – Dann, als wir alle vor ihm standen, schrie er: »Wer von euch hat es gewagt, sich in letzter Nacht an Mr. Banyard zu vergreifen?«

Keine Antwort.

»Ich erwarte, daß diejenigen, welche es thaten, sich auf der Stelle melden,« fuhr er drohend fort. »Ich sage euch, ich will es erfahren, nehmt euch also in acht.«

Tiefes Schweigen, wie vorher, war die Antwort.

Er trat nun dicht an uns heran und fragte jeden einzelnen: »Hast du es gethan?« – Jeder einzelne antwortete mit einem festen ›Nein‹. – Dieses fortwährende ›Nein‹ in den verschiedensten Tonarten und mit einer absichtlich zur Schau getragenen Gemütsruhe abgegeben, war über alle Begriffe komisch, besonders, wenn man dabei in das vor Wut zuckende Gesicht des Fragestellers sah.

»Nun gut,« sagte der Kapitän, blaß vor Zorn, nachdem er die Reihe herum war, »nicht eine Unze Lebensmittel werdet ihr mehr erhalten, bis ich die Schuldigen kenne.«

Nach diesen Worten trat auf einmal, zu unserer aller Ueberraschung, Klein-Welchy vor.

»Weiten Sei, Kapteihn,« rief er, »ik will manierlich mit Sei reden; Ehre Schuld würd's sien, wenn ik 't nich däd. Da bün ik un noch anner unner uns, de von de Sak nicks weiten, un wenn Sei uns' Ratschon t'rügg behöll'n wull'n, so segg ik, dortau hebben Sei kein Recht.«

»Halt's Maul, du aufsässiger Hund, und pack' dich nach vorn, wenn du nicht gleich wieder eine Tracht Prügel haben willst,« brüllte der Kapitän.

Die Erinnerung an das Vorkommnis, welches seiner Zeit Welchys Gefühle so unsäglich verletzt hatte, brachte ihn in die äußerste Wut. Mit einem Ruck hatte er sein Matrosen-Messer gezogen, schwenkte es in der Luft und rief:

»Bi Gott, ik mak hier en annern tum Kummandür von de Brigg, – wahrhaftig, dat dauh ik, – wenn Sei mi anfaten, Schipper. – Hänn' weg! Wi sünd kein Kulies.«

Der Kapitän, wenn auch ein Grobian, war doch kein Feigling; mit einem Satz sprang er auf den Mann los; doch ehe er ihn erreichte, halten einige von uns im Nu das erhobene Messer den Händen Welchys entwunden und ihn vom Kapitän getrennt.

Letzterer brüllte: »Legt den Kerl in Eisen!« – aber keiner von uns rührte sich. Er stürzte nach dem Oberlicht und rief nach dem alten Windwärts; dieser erschien auch sofort, nur mit Hemd und Hosen bekleidet.

»Holen Sie die Eisen, damit wir diesen Schuft fesseln können,« rief ihm der Kapitän, auf Welchy deutend, zu.

Dieser Befehl gelangte nicht zur Ausführung. – Noch ehe man bis Zehn zählen konnte, war ein heftiges Handgemenge entstanden. Windwärts hatte einen Mann niedergeschlagen und lag jetzt selbst mit blutender Nase, zappelnd auf Deck. Als er wieder auf die Beine gekommen war, fuhr er unter uns wie ein wütender Stier. Aber was konnten zwei gegen eine ganze Mannschaft ausrichten? Der ungleiche Kampf dauerte nicht lange. Der Kapitän und der Maat ergriffen schließlich die Flucht.

Das Blut der Leute war jetzt in Wallung. Die schlimmsten Leidenschaften arbeiteten in ihnen. Das machte mich bedenklich wegen Miß Franklin und ich sagte deshalb: »Nun ist es aber genug, der Maat hat seine Prügel weg und der Kapitän seinen Lohn empfangen. Laßt uns zeigen, daß wir Mäßigung kennen.«

»Ik rög keine Hand mihr, ahn mien Frühstück,« sagte Sam.

Gerade in diesem Moment kam Banyard mit den Eisen. Das reizte die Leute von neuem. Mit wahrem Wutgeheul stürzten sie sich auf ihn, entrissen ihm die Fesseln und warfen sie über Bord. Der dicke Mann selbst wurde niedergeworfen und geknufft. Darauf traten wir alle in der Mitte zusammen. Der Kapitän und der Maat standen hinten und berieten mit einander.

Nach einer Weile kam der alte Windwärts an uns heran und schrie in seiner gewöhnlichen Weise:

»Was hockt ihr hier alle auf einem Fleck? schert euch nach vorn, wo ihr hingehört!«

»Wi verlangen uns' Frühstück,« lautete die Antwort.

»Erst sagt, wer sich die Frechheit mit dem Zimmermann erlaubt hat.«

»Dat weiten wi nich, un wenn wi 't ok wüßten, würd wi 't nich seggen,« entgegnete Welchy, den Maat blutdürstig anblickend.

»Mit dir rede ich nich,« brüllte dieser wieder zornglühend los, abschreckender und scheußlicher wie je aussehend, mit seinem funkelnden Schielauge, seinem blutbefleckten Hemd und vom Kampf zerrissenen Hosen. »Augenblicklich nach vorn mit euch! nicht einen Schluck, nicht einen Bissen bekommt ihr, bis sich die Buben gestellt haben.«

Damit gieng er weg, wir aber liefen hinter ihm her. Er riß ein Splißeisen heraus und drehte sich nach uns um. Alles schrie nun durcheinander, jeder so laut er konnte. – Er drohte mit dem Eisen und rief: »Ruhe! – Wollt ihr eure Mäuler halten. – Entweder ihr bekennt, oder es giebt kein Frühstück, kein Mittag, – nichts mehr; ja, selbst riechen sollt ihr kein Essen mehr, ihr niederträchtigen, meuterischen Halunken, und wenn ihr ein Jahr wartet.«

»Wenn Sei dat iernstlich meinen, wat Sei da seggt hewwen,« donnerte jetzt Blunt, vortretend, »dünn ward ik Sei nau mal uns' Meinung seggen: entweder, wi bekamen, wat uns taukümmt, oder wi warden de Brigg namen, un sei nah London t'rügg bringen.«

»Ha, also das ist es, was ihr vorhabt?« rief der Maat aus und schimpfte uns Piratenbande, Raubgesindel u. dergl., bis der Kapitän ihn abrief. – Uns befahl derselbe gleichzeitig, nach vorn zu gehen, indem er hinzufügte, er würde uns seine Entscheidung zugehen lassen.

Wir gehorchten; während wir aber nach der Luke gingen, hörte ich einige Leute schwören, daß wenn sie binnen einer Viertelstunde nicht ihren Zwieback und Thee hätten, sie sich der Brigg bemächtigen und sich selbst mit dem versorgen wollten, was sie in ihr finden würden. Ich zweifelte nicht im geringsten, daß, sie ihre Drohung ausführen würden und war daher von Herzen froh, als wenige Minuten später Banyard hinkend zu uns kam und sagte, wir möchten zum Frühstück gehen.

So endete schließlich noch in Frieden ein Tumult, welcher nahe daran gewesen war, zur vollständigen Meuterei zu werden, und zwar, aller Wahrscheinlichkeit nach, zu einer blutigen. Die entfesselten Leidenschaften der Leute hätten jedenfalls der Tyrannei des Kapitäns und des Maats ein erschreckendes Ende bereitet.


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