Gottlieb Conrad Pfeffel
Poetische Versuche
Gottlieb Conrad Pfeffel

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Der Philosoph und sein
Schneider

An Herrn Hofrath Metzger in Colmar.

            Einst wollte sich ein Philosoph
Nach eigener Erfindung kleiden.
Ein Schneider, welcher Stadt und Hof
Bediente, ward, den Rock zu schneiden,
Herbeygeholt. Er zog sein Maas
Bedeutungsvoll aus einer Ficke.
Ey! rief mit einem Seitenblicke
Der Philosoph, was brauch ich das?
Hier ist mein Riß, der soll euch leiten.
Der Schneider bringt Bedenklichkeiten
Und kunsterfahrne Gründe vor.
Thut meinen Willen, sprach der Weise,
Der gerne die Geduld verlor;
Ein Doctor, der schon sieben Preise
Bey der Akademie gewann,
Wird doch ein Kleid zu zeichnen wissen.
Der Schneider gieng. Bey solchen Schlüssen
Verstummt ein blöder Handwerksmann.
Er folgt dem Riß. Nach wenig Tagen
Bringt er das Meisterstück getragen.
Der frohe Doctor paßt es an;
Es war auf englisch ausgenähet
Und ausgebügelt, doch zu weit.
Der Doctor spiegelt sich und schmähet
Derb auf den Pfuscher. Herr! das Kleid,
Das schwör ich euch beym Gott der Mode,
Entspricht dem Muster auf ein Haar,
Sprach jener und bewies es gar
Nach mathematischer Methode;
Doch kann ich, wenn es euch gefällt,
So schloß er mit verbißnem Lachen,
Den weiten Sack euch enger machen.
Nein, rief der Doctor, um kein Geld!
Ich werde täglich fetter werden:
Nur noch ein Jährchen oder zwey,
So hab ich, ohne Pralerey,
Den stattlichsten Habit auf Erden.
So trug ers bis ins dritte Jahr,
Allein sein Bauch blieb wie er war
Und das Gewand fieng auf den Falten
Schon an, sich überall zu spalten.
Nun wuchs der Bauch allmählich an;
Doch der Habit fuhr fort zu reißen
Und als er paßte, mußte man
Die Fetzen auf die Gaße schmeißen.

Freund! wird der Constítution
Die uns die Philosophen geben –
Ich denk es oft mit leisem Beben –
Dereinst nicht gleiches Schicksal drohn?


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