Gottlieb Conrad Pfeffel
Poetische Versuche
Gottlieb Conrad Pfeffel

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Buch

Epistel

an Göckingk.

                  Heut saß ich im Cypressenhaine,
In dessen Schatten, Freund, auch ich
Um einen kleinen Liebling weine,
Und meine Schwermuth wiegte mich
In schwarze martervolle Träume.
AN ihrer Hand gieng ich zurück
Zu meines Daseyns erstem Keime,
Und fragte mich: Ists wohl ein Glück
Zu seyn? Warum bin ich auf Erden?
Um eine Wallfahrt voll Beschwerden
Ins grauenvolle Grab zu thun?
Ach! ist im Schoos des Nichts zu ruhn
Nicht beßer, als gebohren werden?
Ich dacht es noch, so sank mein Haupt,
Vom Grübeln matt, in einen Schlummer,
Den bange Furcht und stiller Kummer
Mir lange, lange schon geraubt.
Ich schwung mich mit verneuten Sinnen
Ins unbegränzte Sternenfeld,
Und sah auf des Olympus Zinnen
Den Vater Zevs in seinem Zelt.
Sein Odem hauchte junge Seelen,
Um sie zur Fahrt in unsre Welt,
Mit Menschenkörpern zu vermählen.
Da glitt ihm eine durch die Hand,
Als er den ersten dünnen Schleier
Von lichtem Aether um sie wand,
Den weder Grab noch Leichenfeuer
Verzehren kann. Sie warf sich hin,
Und sprach: O Vater, darf ichs wagen,
Nach der Bestimmung dich zu fragen,
Zu welcher ich ersehen bin?
Ich sollte deinen Vorwitz rächen;
Doch nein, dis Glas befriedigt ihn,
Rief Zevs, es wird statt meiner sprechen,
Und dir das bunte Schattenspiel
Des Lebens treu vor Augen malen.
Er schweigt, und öffnet ihr Gefühl
Mit seinem Finger dem Gewühl
Der Seligkeiten und der Qualen,
Die Sterblichen bereitet sind.
Jetzt blickt der Neuling in den Spiegel,
Und sieht mit Lust als frohes Kind
Sich auf der Jugend Rosenhügel;
Er hüpfet, gleich dem jungen Reh,
Im Morgenroth auf weichem Klee,
Und spielet mit der Zukunft Siegel.
Allein der Horen leichter Flügel
Eilt schnell mit diesem Bild davon.
Der Eltern Grab tritt an die Stelle;
Aus einem Schlunde speyt die Hölle
Ein Heer Gespenster, die ihm drohn.
Sie heißen Elend, Hunger, Blöße,
Und ihr Gefolg ist Gram und Hohn;
Sie schleppen ihn durch Frost und Näße
Und Dornen, bis vor Hymens Thron,
Der sie verscheucht. Die bange Scene
Verschwindet. Eine holde Schöne
Legt ihm der Liebe Ketten an.
Itzt athmet er nach langem Leiden
Der reinen Wollust Götterfreuden,
Die nur der Weise schmecken kann.
Ein Knabe, heiter wie die Sonne,
Umhüpft ihn. Doch Morbonens Hauch
Zerstöhrt auf einmal seine Wonne;
Sie steiget aus des Orkus Bauch,
Und reißt das Kleinod seiner Seele
Von seinem Arm. Er seufzt, er weint,
Gleich der verlaßnen Philomele,
Auf ihrer Urne. Schnell erscheint
Ein edler Freund, der kaum die Lücke
In seiner Brust zu füllen wagt,
Als eine Hyder voller Tücke,
Sie heißt Verläumdung, ihn verjagt.
Nun suchet er mit naßem Blicke,
Die letzte Stütze, seinen Sohn,
Und findet ihn am Acheron.
Er eilet, sich ihm nach zu stürzen;
Doch Charon weigert ihm den Kahn;
Umsonst ruft er die Parzen an,
Den schwarzen Faden abzukürzen;
Ihr Ohr ist für Bedrängte taub;
Nur langsam sinkt er in den Staub.
O Zevs, rief hier der neue Bürger
Der Unterwelt in Thränen aus,
Welch ein Verhängnis voller Graus!
Ha! wird mich lieber gleich dem Würger
Aus Mitleid in den kalten Schoos!
Von allen, die auf Erden wohnen,
Fiel keinem ein so schweres Loos.
Du irrst, sprach Zevs, von Legionen
Trift einen kaum ein beßres Glück;
Die meisten werden dich beneiden.
»Doch, Vater, was für ein Geschick
Erwartet sie nach diesem Leiden.«
Den, welcher mit gestähltem Blick
Des Lebens Ungemach bekämpfet;
Nichts wünschte, was ich ihm versagt;
Die Triebe der Natur gedämpfet;
Und nie gemurrt, und nie geklagt,
Wenn ich durch Trübsal ihn geläutert,
Erwartet ein Elysium,
Wo seine Tugend nicht mehr scheitert,
Und Seligkeit und Heldenruhm
Ihn krönt. Hier blieb der Schatten stumm.
Doch schnell rief er: Wie, keine Krone,
Als auf dem Weg zum Marterthum?
Zevs, ich entsage meinem Lohne,
Behalte dein Elysium,
Und schaff entweder mich zum Wurme,
Der kaum sein Daseyn ahndet, um;
Wo nicht zum Halbgott, der dem Sturme
Mit stillem Muthe trotzen darf.
Der Mensch, versetzt Kronion weiter,
Füllt auf der großen Wesenleiter
(So wills der Plan, den ich entwarf)
Die Lücke zwischen den Dämonen
Und Bestien: und dir mißfällt
Die Kette, welche seit Aeonen
Das Schöpfungsall zusammen hält?
»Ich tadle nicht den Plan der Welt;
Doch daß auch ich hinein gehöre,
Das quälet ich! denn bin ich nur
Ein Lückenbüßer der Natur,
Und nicht beglückt in meiner Sphäre,
O Zevs, so lehrt ich mein Verstand,
Die Mitgift deiner eignen Hand,
Daß es, mir Armen, besser wäre,
Aus der Natur vertilgt zu seyn.«
So sey es, fiel Kronion ein:
Er sprachs, und eine Handvoll Blitze
Zerstiebt die neue Menschenskitze,
Doch nicht den Geist. Betäubt und stumm
Durchgleitet er des Äthers Fluthen,
Und, was kein Priester wird vermuthen,
Er fand sich im Elysium.

Ich sehe deine Seele bluten:
O Freund! wie wallet meine Brust,
Daß einer lebt, der mich verstehet,
Und meine Klage nicht zur Lust
In eine Blasphemie verdrehet.
Der kannte, traun! die Menschheit nie,
Der meine Hausphilosophie
Als eine Misanthropin schmähet,
Von einer Mänas des Cocyt,
Und einem zweyten Heraklit
In einer Todtengruft gebohren.
Ich weis es, Freund, man lernet sie
Nicht in den Büchern der Doctoren;
Auch nicht auf der Academie;
Noch in dem Schöpfungsideale
Der heitern Dichterphantasie;
Nicht bey dem Klange der Pokale,
Noch auf dem seidnen Kanapee,
Am Busen einer Danae,
Noch in dem goldnen Opernsaale
Vergötterter Sardanapale;
Auch nicht beym Wilden: sorgenlos
Liegt er auf seinem Thron von Moos,
Wo er beglückt, weil er nichts brauchet,
Sein Leben in Tobak verrauchet.
Da lernt man nicht der Menschheit Loos:
Nein! aber bey den Hekatomben,
Die der Erobrer würgen läßt;
Und in den weiten Katakomben
Des blassen Hungers und der Pest;
Und in den dunkeln Magazinen
Des Geizes, in Potosis Minen,
Wo jährlich der Natur zum Spott,
Ein Heer von Märtirern verschmachtet,
Durch deren Hand er seinen Gott,
Dem er schon eine Welt geschlachtet,
Der Hut des Cerberus entrückt;
Und in Meßinens Feuerschlünden,
Wo Kinder, halb vom Schutt erdrückt,
Sich ächzend um die Mütter winden,
Bis sie der Schwefeldampf erstickt;
Und bey der Kirche Brandaltären,
Die festlich den zu Staub verzehren,
Der anders, aber redlich glaubt,
Indeß sie noch aus Gottes Worte,
Dem Armen, an der Todespforte,
Den letzten Trost, die Hoffnung, raubt.
Ach Freund, die Hoffnung! – Ich verstumme! –
Mein Herz reißt seine Bande los! –
Es bricht! – und dennoch nannt ich blos
Die kleinste Ziffer von der Summe
Des Elends, das die Menschheit plagt.
Wer zählt die Menge, die in Zellen,
Pallästen, Hütten und Kapellen,
In Kerkern und auf Gräbern klagt?
O wahrlich, unter Millionen,
Die hier auf Gottes Erde wohnen,
Vom unschuldvollen Säugling an,
Der kaum den Kelch des Lebens fasset,
Und schon am Mutterhals erblaßet,
Noch eh er Mutter stammeln kann,
Bis zu dem Dulder an der Krücke,
Der sein Jahrhundert überlebt,
Und seinen letzten Freund begräbt,
Betreten wenige die Brücke
Der Ewigkeit, die vor dem Thron
Des milden Vaters der Geschicke
Nicht für ihr blosses Daseyn schon
Entschädigung erwarten können.
Ist dieses Irreligion,
So mag die Inquisition
Mein Evangelium verbrennen.
Genug, wenn meine Stunde schlägt,
So wird schon einer meiner Lieben,
Indem er in den Sarg mich legt,
Mirs unter meinen Nacken schieben.


 << zurück weiter >>