Gottlieb Conrad Pfeffel
Poetische Versuche
Gottlieb Conrad Pfeffel

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dritter Theil

Erstes Buch

Epistel
an
Schlosser.

                Freund, der mir oft im stillen Schoose
Der göttlichen Philosophie
So traulich seine Finger lieh,
Um eine Wahrheit, wie die Rose
Aus Dornen, keck hervorzuziehn!
Wie kömmt es, daß von Anbeginn
So viele Räthsel in dem Lose
Des Erdensohns verschlossen sind?
Scheint er dir nicht sein kurzes Leben
So recht von hinten anzuheben?
Noch ist er an Vernunft ein Kind,
So muß er seinen Glauben wählen,
Und kennt oft das, was er gewählt,
Erst aus den Zweifeln, die ihn quälen,
Wenn er vier Lustern weiter zählt:
Zu glücklich, wenn sie, wie Harpien,
Nicht jeden Bissen ihm entziehen,
Womit sich seine Seele nährt;
Zu glücklich, wenn er sie zerstreuet,
Und eh er in die Grube fährt,
Sich endlich ein Kapellchen weihet,
In dem er froh die Gottheit ehrt.
So trift er auch die Wahl des Standes,
Der ihn zu seines Vaterlandes
Verderber oder Schutzgott macht.
Noch ehe sein Verstand erwacht,
Stutzt sich der Schüler seine Haare,
Und ist im Geist schon Reichsprälat;
Allein am Mittag seiner Jahre
Verwünschet er den Cälibat,
Entsaget reuig dem Talare,
Und stirbt am Abend als Soldat.
Zu diesem war er gleich geboren,
Und jede Stunde gieng verlohren,
Die er bey seinen magern Horen
Um düstern Chore zugebracht.
Doch seiner schwärmerischen Jugend
Schien nur des Kläußners Faschingstracht
Und seine rohe Fakirstugend
Der Gnade sichrer Talisman.
So lenkt ein Irrwisch unsre Schritte,
Und erst in unsers Lebens Mitte
Steckt die Vernunft ihr Lämpchen an.
Ja selbst der wildste seiner Triebe,
Des Menschen Seelenrausch, die Liebe,
Ergreifet ihn, wie ein Orkan
Und reißt sein morsches Boot in Stücken,
Eh er die Straße kennen lernt,
Die von dem Strudel ihn entfernt.
So saugt aus eines Lais Blicken
Der weiche Jüngling Minnebrand:
Er reicht, mit wallendem Entzücken,
In Hymens Tempel ihr die Hand:
Er preist sein Schicksal: Jung gefreyet,
Hat, sagt das Sprichwort, nie gereuet.
Das Sprichwort lügt. Der Unbestand,
Die Herrschsucht der verschmitzten Dirne,
Ihr Kriegsgeschrey, das ihn betäubt,
Und mehr als alles, seine Stirne
Sagt ihm, daß nichts ihm übrig bleibt,
Als eine Kugel durchs Gehirne,
Wo nicht, die Flucht. Der arme Tropf
Verschonet weislich seinen Kopf,
Und rettet sich in fremde Lande.
Hier findet er, mit bitterm Schmerz,
Ein holdes Weib, an Geist und Herz
Sein Ideal. Doch ehrne Bande
Von väterlicher Despotie
Aus Geitz geschmiedet, fesseln sie
Gleich ihm, und machen allen beyden
Den süssen Zug der Sympathie
Zum steten Zunder neuer Leiden,
Den blos des Todes Hauch erstickt.
O wohl uns, Freund, daß unsre Herzen,
Die sonst so mancher Gram gedrückt,
Mit diesem größten aller Schmerzen
Der Vorsicht Huld verschonet hat!
O wohl uns, daß sich gleich die Seelen,
Die, müßten wir noch einmal wählen,
Wir wählen würden, uns genaht! –
Ja, Lieber! führte das Geschicke
Als Knab auf meinen Pilgerpfad
Mich, meines Ichs bewußt, zurücke;
Ich würde, mit verneutem Blicke,
Zuerst nach meiner Doris sehn:
Und dürft ich mir mein zweytes Leben
Aus lauter goldnen Farben weben,
So müßte Doris Hand sie drehn.
Vergönne mir ihn auszuträumen,
Den Plan der irren Phantasey:
Sie faselt ärger oft in Reimen
Als in des Fiebers Raserey.
Nimm an, daß ich Berlicke riefe,
Und flugs mich eine gute Fey
Zu allem, was ich wünschte, schüfe;
So würd ich, für des Lebens May,
Den dunklen Stand des Hirten kiesen,
Und bald auf buntgestickten Wiesen,
Bald am krystallnen Schmerlenbach,
Mit meinen frohen Lämmern spielen:
Bald, unter meinem Ulmendach,
In Doris Arm die Wonne fühlen,
Die Amors heil'gem Kelch entquillt,
Wenn ihn die Hand der Unschuld füllt.
Bald sängen wir zu meiner Flöte,
Im Rosenstrahl der Abendröthe,
Den Lenz und unsre Seeligkeit:
Bald des Philemons schönes Ende,
Der, noch als Eiche, seine Hände
Der Linde Baucis kosend beut.
So würden unsre Zwillingsherzen,
Gesättigt mit Zufriedenheit,
Gewiegt von Freuden und von Scherzen,
Des Daseyns kurze Morgenzeit
In unserm Paradies verleben:
Und bräche dann der Mittag an,
So würd ich meinen Flug erheben,
Und auf der Weisheit steiler Bahn
Nach Schätzen der Erkenntniß streben.
Nicht skeptische Metaphysik,
Nicht unverdaute Hypothesen
Vom Ursprung und vom Zweck des Bösen;
Die Schöpfung und ihr Meisterstück,
Der Mensch, doch nicht so wohl sein Wesen,
Als das Bedürfniß, als das Glück
Des hohen Fremdlings; diese wären
Das erste Ziel für meinen Blick:
Und stieg ich in die obern Sphären,
So thät ichs, blos um wonnestumm
Die Wunder Gottes zu verehren.
Oft würd ich aus Elysium
Den Geist des Sokrates beschwören,
Um mein bescheidnes Heiligthum
Mit seinem Nachlaß auszuzieren.
Oft müßte die Philosophie
Mich in die Bildergalerie
Der ernsten Weltgeschichte führen.
Hier würd ich die Ökonomie
Des Menschensstaats, vom rohen Scythen,
Der Eicheln fraß, bis zu dem Britten,
Der sich mit Butting mästet, spähn;
Und das Maschienenwerk entfalten,
Durch das die Reiche sich erhalten,
Und wenn es stocket, untergehn.
So würden alle Nationen
Und alle Götter und Dämonen
Mit Nimben, Infeln oder Kronen
Im treuen Lichte vor mir stehn.
So würd ich aus der Menschen Thaten
Den Trieb, der sie gezeugt, errathen,
Und in dem Schicksal alter Staaten
Das Horoskop der neuern sehn.
Ein Philosoph muß gut regieren,
Wie König Fritz bewiesen hat.
Das Ding möcht ich wohl auch probieren,
Doch erst wenn sich mein Herbst genaht.
Allein wie würd ich Potentat?
Ey nun, wie man es sonst geworden!
War nicht der erste Monokrat,
Wie wir, aus dunkelm Bürgerorden?
Kurz! dafür ließ ich meine Fey
Und ihre Zaubergerte sorgen:
Sie müßte meiner Schwärmerey
Ein Stück der östlichen Türkey
(Man theilt sie doch heut oder morgen)
Zu Staatsexperimenten borgen.
Ich sag ein Stück; denn find ich schon
Auf meinem Pädagogenthron,
Wie schwer es ist, nur fünfzig Seelen
Mit weiser Sorgfalt zu befehlen,
So würd ich, der Vernunft zum Hohn,
Gewiß kein großes Reich mir wählen.
Du müßtest, Freund, mein Sülly seyn,
Und mich mit deiner Weisheit leiten:
Sie kann zum Antonin mich weihn,
Und meiner Völker Glück bereiten.
Du hülfest mir mit Löwenmuth,
Doch nie mit Inquisitorswuth,
Die Hyder Vorurtheil bestreiten.
Das Himmelskind, die Toleranz,
Müßt uns mit ihrem Sternenkranz
Zum Kampfe leuchten. Mein Exempel,
Und nicht der Thurm auf meinem Tempel
Bewiese meiner Nation
Den Vorzug der Religion,
Die ich bekenne. Den Prälaten
Vertraut ich Rauchfaß und Altar,
Doch nie die Kasse meiner Staaten.
Der Cönobiten bunte Schaar,
Die Ketzer und die Renegaten,
Selbst Maurer und Illuminaten
Behielt ich ohne Furcht im Land,
Nur Zöllner nicht und Advokaten
Und keinen stolzen Ritterstand.
Ich schnitzte mir wohl auch Soldaten
Doch nicht aus jedem Unterthan:
Und wollt ich ja durch Heldenthaten,
Als Muster eines Tamerlan,
Im Buche der Zerstörer glänzen,
So steckt ich alle Residenzen
Von mehr als tausend Häusern an,
Sie die uns die Apostel senden,
Die lachend unsre Töchter schänden,
Und unsrer Söhne Mörder sind.
Du siehst, ich kann auch reformieren,
O Freund, das lernet sich geschwind,
Fängt man nur erst an zu regieren.
Doch, lieber Herr Geheimer-Rath,
Was machen wir mit den Poeten,
Die Platon ausgemustert hat?
Ich dächte, sie und die Propheten,
Samt ihren Vettern, den Hermeten,
Vertrügen wir in unserm Staat,
Wenn sie dabey nur graben können:
Man muß dem Käfer in der Saat
Sein Bischen Leben nicht misgönnen.
Der Exorcisten finstre Zunft
Und alle Proselytenmacher
Verbannten wir als Widersacher
Der allgemeinen Volksvernunft.
Sonst folgten wir, um aufzuklären,
Dem leisen Gange der Natur:
Der Waitzen auch der fettsten Flur
Treibt anfangs Gras, und dann erst Ähren.
Die Sklaven machten wir zwar frey,
Doch, was noch klüger ist, wir gäben
Den Freigelaßnen auch zu leben,
Sonst ist die Wohlthat Barbarey.
Die Galgen, welche die Verbrechen
An rohen Übelthätern rächen,
Ließ ich (man nenn' es Tiranney)
Auf ihren düstern Hügeln stehen,
Bis wir mit eignen Augen sehen,
Daß Mörder, die am Schiffseil gehen,
Zum Ruhm der neuern Policey,
Zu guten Bürgern sich bekehren.
Das biedre Landvolk würden wir
Nach deinem Katechismus lehren,
In ihm den ersten Stand verehren,
Und nie von seinem Marke zehren.
Fern sey von uns, ihm sein Glas Bier
Und sein Stück Fleisch zum Mittagessen
Physiokratisch vorzumessen.
Besitzt der Bauer Überfluß,
So theilt er ihn mit seinem Magen
So gern als der Canonicus.
Im Krug vergißt er seine Plagen,
Das Trinklied übertönt die Klagen,
Die Fidel hebet seinen Fuß
Auch dann, wenn Fesseln ihn zernagen
Und diese Kinderfreuden muß
Ein Landesvater nie versagen;
Da sie selbst den Anthropophagen
Mit Königsmasken nichts verschlagen.
Nein, Freund! nie will ich im Genuß
Des Lebens meine Bürger stören,
Und hüpfen sie in muntern Chören
Um meinen unbewachten Thron,
So misch ich mich in ihre Reihen,
Um mit den Frohen mich zu freuen:
Dieß sey dann meiner Arbeit Lohn.
O Freund, das Glück der Menschheit gründen,
Und dieses Glückes Zeuge seyn;
Ist mehr als eine Welt erfinden,
Ist süsser als der Sternenschein
Dem Auge des geheilten Blinden:
Und diese Wollust würden wir
Am Abend jeden Tags empfinden.
Ich theilte brüderlich mit dir
Die heil'gen Lorbeern die wir pflückten,
Die Freudenthränen der Beglückten,
Um ihres Seegens Zauberthon.
Doch nichts währt ewig hier auf Erden.
Auch uns, Freund, werden die Beschwerden
Und Launen später Jahre drohn.
Dann suchest du die weise Stille
Und schreibest unsern Lebenslauf
Mit deinem goldnen Griffel auf:
Und ich, vergieb mir meine Grille,
Ich füge meiner Träumerey
Noch eine kurze Scene bey:
Wenn Runzeln meine Wangen kerben,
Wenn meines Geistes Kräfte fliehn,
Und ich zu nichts mehr nütze bin,
So wünsch ich noch als P . . st zu sterben.

 << zurück weiter >>