Gottlieb Conrad Pfeffel
Poetische Versuche
Gottlieb Conrad Pfeffel

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Das Chamäleon.

                  Zween Wanderer vom Kennerhaufen
Begegneten sich vor Athen,
Nachdem sie Land und See durchlaufen
Und alles in der Welt gesehn,
Vielleicht auch nichts gesehen hatten,
Sie warfen matt vom langen gehn
Sich längs in einer Ulme Schatten
Und schwatzten viel von Washington,
Von Alikan und den Maratten,
Vom Basilisk und Scorpion,
Von Hottentoten, Irokesen
Und endlich vom Chamäleon.
Es ist ein sonderbares Wesen,
Rief einer aus, halb Fisch, halb Molch;
Sein Schwanz ist spitzig wie ein Dolch;
Im Gang ist gegen ihm die Schnecke
Ein Windspiel; seine Haut ist grün . . . .
»Halt Freund, die Haut ist Karmosin:
Ich sah es lang in einer Hecke,
Worein die Abendsonne schien;
Es schnapte Luft, denn andre Speise
Genießt es niemals.« Es ist grün,
Ich schwör es, grün; auf meiner Reise
Nach Ormus fand ich es im Gras.
»Es ist doch Karmosin.« Zum Teufel
Ihr lügt! »Ein Schurke sagt mir das!«
Die Zänker hätten ohne Zweifel
Sich lahm und blutig demonstriert,
Hätt ihr Geschrey nicht einen dritten
Betagten Mann herbeygeführt.
Ihr Herrn, worüber wird gestritten?
»Freund, über das Chamäleon:
Könnt ihr uns seine Farbe sagen?«
Ey, warum das nicht, lieber Sohn?
»Wir hätten bald uns drum geschlagen:
Mein Nachbar meint es wäre grün
Und ich behaupte, Karmosin.«
Ha, lasset besser euch belehren,
Das Thier ist weder roth noch grün;
Schwarz ist es, schwarz, das kann ich schwören;
Ich habe gestern eins gekauft
Und es beym Licht genau besehn.
Die beeden Streiter wollten gehen.
Wenn ihrs nicht sehen wollt, so lauft,
Ich hab es hier zum größten Glücke
In meinem Schnupftuch, sprach der Greis.
»Weist her!« Er zog es aus der Ficke
Und siehe da, das Thier war weiß.

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