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Gedanken eines Zivilisten

Herr Minister Groener hat jetzt durch einen Erlaß festgestellt, daß Nationalsozialisten Angehörige der Reichswehr werden können. Die einzige Partei, der es verwehrt ist, ihre Leute in die Reichswehr zu schicken, ist also die KPD. Genauer gesagt: da die Rekrutierung der Reichswehr bisher ziemlich ausschließlich von der rechten Seite her besorgt wurde, so bestätigt der neue Erlaß Groeners nur einen alten Zustand. Überraschend ist also nur die sehr schroffe Form der Verfügung und der Zeitpunkt. Gute Menschen sind bisher der Meinung gewesen, der Reichswehrminister befinde sich in vollem Kampf gegen die Nationalsozialisten, so wie etwa zur Zeit des Scheringer-Prozesses. Wie kann man indessen die Reichswehr den Anhängern eines Mannes sperren, mit dem es sich so angenehm frühstücken läßt? Groener und Schleicher standen in einem lebhaften Konflikt zwischen ihren Pflichten als Amtspersonen und als Gastgeber, und schließlich siegte der Gastgeber. Von jetzt ab frühstückt die ganze NSDAP mit, und unter dem Tranchiermesser liegt die Deutsche Republik.

Zuerst hatten uns die Herren Sozialdemokraten und Demokraten gesagt, man muß Herrn Groener nur gewähren lassen, auch wenn sein Tun manchmal merkwürdig anmutet. Denn im Grunde meint er es gut, und er und sein Schleicher wollen die Naziführer nur in eine Falle hineinfrühstücken. Heute läßt sich diese gutmütige Lesart nicht mehr so leicht aufrechterhalten. Die innenpolitische Präponderanz des Reichswehrministeriums ist offensichtlich. Minister Groener fällt in seinen Erlassen Verdikte über politische Gruppen, die ihm nicht zusagen. Minister Groener läßt durch die Zensur in Rundfunk und Presse Stimmen unterdrücken, die ihm den Wehrinteressen nicht zuträglich scheinen. Minister Groener sichert einer Deputation unsrer jüdischen Mitbürger großmütig Schutz zu, weil ja auch die Juden im Kriege für Deutschland geblutet haben. Man beachte dies köstliche »weil«! Die ganze verquere Welt- und Staatsauffassung eines Berufsmilitärs liegt darin.

Kurzum, der Diktatur Hitlers zu entgehen, sind wir allgemach unter die Diktatur Groeners gerutscht. Die bürgerliche Republik wird damit zu einem etwas ungepflegten Supplement des militärischen Ressorts. Die liberalen und sozialistischen Bürger nehmen diesen Zustand wie eine Art Fatum hin, und selbst das Reichsbanner protestiert schwächlich genug gegen jenen Erlaß Groeners, in dem diese friedfertige Gemeinschaft mit den langen Messern von Boxheim auf eine Stufe gestellt wird. Dabei ist kaum jemals in Deutschland eine politische Richtung, der schließlich hunderttausende angehören, die täglich in Versammlungen und Proklamationen ihre Treue zu dem Staat versichern, dessen Minister Herr Groener ist, in einer so grobschlächtigen Weise nach Hause geschickt worden. Deutlicher konnte es der Herr Minister nicht sagen, daß ihm die Staatstreue keinen Pfifferling gilt. Wir wollen nicht mit dem Reichsbanner hadern, das sich solche Behandlung gefallen läßt, nur unsre Verwunderung aussprechen über einen Minister, der sich so unklug decouvriert. Herr Groener gehört in Deutschland trotz seinen fleißigen Rundfunkreden nicht zu den populären Männern. Für die breiten Massen ist er nur ein Bureaugeneral, eine Art von Obergendarm ohne besondres und eignes Gesicht, Diener eines fatalen und reaktionären Ordnungsbegriffes, der immer wieder in Gegensatz geraten muß zu dem lebendigen Freiheitswillen des Volkes, das zwar nicht grade einheitlich fühlt und denkt, sich in der Abneigung gegen den Obrigkeitsstaat alten Musters dennoch begegnet.

Herr Groener ist heute in legalster Form Inhaber aller Gewalt, wie es vor ihm nur einmal der General von Seeckt gewesen ist. Aber 1923 wußte man, daß dieser Zustand ein zeitlich begrenzter war und mit der zunehmenden Stabilisierung sich selbst aufheben würde. 1932 sind alle andern konstitutionellen Autoritäten erschüttert, der Reichstag ist nur noch ein Schatten seiner selbst, und gegen die gemäßigte Diktatur der Reichsregierung stehen die Ansprüche des Fascismus auf eine höchst ungemäßigte. Groener kann sich also für längere Zeitdauer einrichten und damit wird auch die Frage nach dem Sinn und Zweck dieser Diktatur akut.

Neben dem italienischen Fascismus oder den Diktaturen in Polen oder Ungarn nimmt sich die Groener-Diktatur bis auf weiteres natürlich noch recht zahm und leidlich zivilisiert aus. Zugleich aber wird offenbar, daß sie, in Parallele gestellt mit andern Diktaturen, die ödeste und sinnloseste ist. Während selbst die Horthy, Pilsudski oder Zivkovich doch mehr oder weniger einem volkstümlichen politischen Gedanken dienen oder zu dienen vorgeben, entbehrt die Diktatur Groeners völlig eines solchen höhern Motivs. Sie ist nicht mehr als eine reine Ressort-Diktatur. Sie kennt kein höheres Ziel, als die Sonderansprüche der Reichswehr möglichst geräuschlos und als Allgemeininteresse getarnt durchzusetzen. Sie dient nur dem Zweck, das Expansionsstreben des militärischen Kanzleibetriebs möglichst schnell und sicher zu fundamentieren. Mehr nicht als eine sehr energische, sehr rücksichtslose Interessenwahrnehmung, kein geistiges Motiv, kein erregender politischer Gedanke und erst recht kein Ziel. Der in den Mittelpunkt gerückte Kriegsminister benutzt die günstige Gelegenheit, um aus dem Staat herauszuholen, was nur herauszuholen ist, und zugleich mit den Mitteln des Staates diejenigen beiseite zu schieben, die diesen megalomanen Ressortansprüchen noch immer Widerstand leisten oder wenigstens auf Kontrolle dringen.

Es ist nicht zu leugnen, daß diese Taktik beste Tradition hat. In den meisten Ländern fühlt sich ja die Armee als das Zentrum aller Dinge, als der vornehmste Stand neben den Pygmäen im Zivilrock. Wenn, sagen wir, ein Postminister die Behauptung aufstellen wollte, er repräsentiere mit seinen Schalteroffizials und Briefboten die edelste Blüte der Nation, und alles habe sich den Interessen des von ihm verwalteten Amtes unterzuordnen, und wollte er diese Ansprüche zugleich in herabsetzende Invektiven gegen die Brief- und Paketbeförderung andrer Länder kleiden, so würde ihm sehr schnell bedeutet werden, von seinem Platz zu verschwinden. Jedenfalls wäre der Zwischenfall baldigst und nicht ohne Gelächter erledigt. Nur einem bramarbasierenden Kriegsminister bleibt es vorbehalten, ernst genommen zu werden, mag er sich auch noch so absurd gebärden.

Es ist das stille Vorrecht der meisten Kriegsminister, gelegentlich den Mund etwas voll zu nehmen und sich und seine Leute als den Hort des besten und auserwähltesten Patriotismus zu feiern. Das kommt auch in Ländern mit guter demokratischer Tradition vor. Dort ist der Kampf zwischen Militär- und Zivilgewalt schon historisch geworden und zugunsten des bürgerlichen Elements entschieden. Dort ist der Patriotismus im allgemeinen bereits in eine feste Form gegossen, und selbst seine gelegentlichen Exzesse tun aus diesem Grunde nicht mehr weh. Kein Kriegsminister würde es dort wagen, Leuten, die seine Politik nicht gutheißen, die anständige nationale Gesinnung abzusprechen. Aber Deutschland ist ohne freiheitliche Tradition, ihm fehlt das wirkliche Bürgerbewußtsein, ihm fehlt der Stolz des Zivilisten gegenüber der Uniform. Immer wieder ist den deutschen Untertanen in der Kaiserzeit eingebleut worden, daß es ein Frevel am Volke sei, dem Militarismus irgend etwas zu verweigern. Das ist in der Republik um kein Jota besser geworden, im Gegenteil. Und diese Situationen benutzen nun seit zehn Jahren die Reichswehrchefs, um dem Herrschaftswillen ihres Amts immer neue Gebiete zu unterwerfen und sich in Dinge einzumischen, die sie nicht das mindeste angehen. Wir haben es zum Beispiel erlebt, daß General von Seeckt gern auf eigne Faust Außenpolitik trieb. Damals erhoben Stresemann und zahlreiche bürgerliche Politiker, denen es durchaus nicht an starkem deutsch-patriotischem Gefühl im herkömmlichen Sinne fehlte, Einspruch und wiesen den General in seine Schranken zurück. Heute jedoch kommt das nicht mehr vor, und es ist auch gar nicht mehr nötig, weil sich die Außenpolitik in aller Ruhe dem Reichswehrministerium angepaßt hat. Wir können seit Stresemanns Tode die Linie verfolgen, wie die Außenpolitik immer mehr ihren soliden Boden verließ und sich in einen Programm-Nationalismus verlor, wie er grade von der Reichswehr und ihren öffentlichen und privaten Hilfsorganen gepflegt wird. Heute sind wir so weit gekommen, daß der sogenannte Wehrgeist ausschließlich im Mittelpunkt der Politik steht; der Staatsbürger wird nicht mehr danach gefragt, wie er es mit der Republik hält, sondern ob er »wehrfreudig« ist. So sah sich also auch Herr Groener um, und obgleich auf der Linken der Nationalismus gar nicht so schlecht entwickelt ist, schien ihm doch die Rechte zu größern Hoffnungen Anlaß zu geben, auch fand er dort die »Wehrfreude« höher entwickelt. So wurde aus dem vor ein paar Jahren noch viel gefeierten republikanischen General Groener ein Minister, der die Rechte poussiert, der sich als natürliche Brücke zur Reaktion fühlt, der den Nationalsozialisten die Reichswehr öffnet und, um den neuen Freunden ein kleines Sondervergnügen zu bereiten, nicht davor zurückschreckt, die alten Verbündeten zu verunglimpfen und den Boxheimern gleichzusetzen.

Das ist ja das Eigentümliche der Diktatur Groeners. Sie ist an sich gar nicht bösartig, sie führt höchstwahrscheinlich gegen Republik und Verfassung gar nichts Übles im Schilde, denn das hieße Nachdenken voraussetzen, Pläne, also etwas, das man ihr nicht so ohne weiteres zutrauen darf. Mit solchen intellektuellen Scheußlichkeiten hat sie nichts zu tun. Sie will nicht mehr als die möglichst weitgehende Sicherung des Ressorts Reichswehr, sie sucht Alliierte, die beim Wehretat keine Sperenzien machen, sie sucht Anschluß an militärbegeisterte Schichten, die ihr für die Rekrutierung besonders geeignet erscheinen. Daß dabei in aller Ruhe der republikanische Staat seinen Feinden ausgeliefert wird, das scheint Herrn Groener, diesen jovialsten und pausbäckigsten aller Tyrannen gar nicht weiter zu stören. Hauptsache, daß sein liebes Militär das Seinige erhält. Auf diesem Wege entfernen wir uns immer weiter von den bürgerlichen Voraussetzungen unsrer Staatspolitik, geraten wir in Intrigenspiele hinein, die zu meistern der Scharfsinn der Herren Generale gar nicht imstande ist, geraten wir mit dem freundlichen Herrn Groener immer tiefer in Irrwege hinein, die mit dem Abgang Seeckts und Geßlers für erledigt gehalten wurden.

So scheint es das ewig gleichbleibende deutsche Schicksal zu sein, über die geistigen Formen des Militärstaates nicht hinauswachsen zu können. Aber trotzdem sind hier noch einige Unterschiede zu beachten. Das bismarcksche Kaiserreich ist ein Militärstaat gewesen kraft eines natürlichen Schicksals. Es ist auf dem Schlachtfelde geboren, und es setzte damit nur die alte brandenburgisch-preußische Tradition fort, deren Entwicklung nicht friedliche Politik bestimmt hat, sondern der Krieg. Die deutsche Republik aber ist aus einem entgegengesetzten Prinzip heraus entstanden. Sie ist nämlich das Produkt eines verlorenen Krieges. Sie ist errichtet auf den Trümmern eines Systems, das mitten in einer kaum zu bewältigenden kriegerischen Aufgabe zusammengebrochen war. Die Republik muß also, wenn sie leben will, diesem entgegengesetzten Prinzip Rechnung tragen. Der Kriegsminister der deutschen Republik müßte es wissen, daß die Einmauerung der kriegerisch-militaristischen Tradition in den Bau des neuen Staates ein Gegenprinzip bedeutet, das er nicht tragen kann, ohne an diesem Widerspruch zugrunde zu gehen. Weiß der Herr Minister das nicht, so ist er untauglich, die kleine in Vertragsgrenzen gehaltene Wehrmacht zu leiten, der alles zu einer kriegsfähigen Armee fehlt und die viel mehr das Symbol staatlicher Hoheit darstellt als eine zu militärischer Leistung bestimmte Truppe.

Die Reichswehr zur Verlängerung der alten Armee stempeln zu wollen, das ist ein wahrhaft strafwürdiges Vergehen gegen den Geist des neuen, des nachkaiserlichen Staates. Das heißt aber auch die Entwicklung verkennen, die Deutschland in ganz andre Bahnen gewiesen hat als in die, seine Stellung mit dem Schwerte zu behaupten oder zu vergrößern. Gemessen an den andern Institutionen Deutschlands, gemessen an den wirtschaftlichen und sozialen Aufgaben andrer Organe des Staates nimmt die Reichswehr sogar einen höchst bescheidenen Platz ein. Sie ist nicht Mittelpunkt, ist nirgendwo ausschlaggebend. Sie besitzt weder geistig noch zahlenmäßig den Rang, um eine zentrale Machtstellung zu beanspruchen. Sie ist nicht mehr als eine Nebensache.

Einer Armee, die gesiegt hat, die mit umkränzten Trophäen zurückkehrt, mag man mit einigem Recht Herrschaftsansprüche nachsehen. Vielleicht auch einer Armee, die fest in einer sichern Tradition ruht und von der man nach altem Ruhm neue Bewährung erwarten kann. Aber eine Armee, die durch einen Friedensvertrag oktroyiert ist, die die ersten Beweise ihrer Tüchtigkeit ausschließlich in Bürgerkämpfen gegeben hat, kann nicht den moralischen Anspruch erheben, Gegenstand der allgemeinen Kristallisation zu sein.

Die Reichswehr ist ein sehr neues Produkt. Kein romantischer Schimmer ist um sie, kein bißchen Glorie, kein Mythos. Kurz nichts, was eine Armee den Herzen aller Köchinnen und Zeitungsschreiber teuer macht. Ihr Geltungsbedürfnis steht in einem grotesken Mißverhältnis zu ihrer Funktion. Es ist ein Unding, daß sich Herr von Schleicher zum Lord-Protector der innern Politik aufwirft und sich jeder Schnösel von Leutnant wie ein kleiner Coriolan gebärdet.

Die Reichswehr ist nur eine Behörde wie andre auch, mehr nicht. Und eine Behörde hat sich dem Ganzen unterzuordnen und keine übertriebenen Geltungsansprüche zu stellen. Was würde man eigentlich dazu sagen, wenn eine so segensreich wirkende Einrichtung wie die Feuerwehr plötzlich politische Prätentionen anmelden wollte? Man würde wahrscheinlich ihren Chefs bedeuten, sich möglichst umgehend mit ihren eignen Kaltwasserspritzen zu behandeln. Aber die Reichswehr darf das, obgleich sie ohne Zweifel lange nicht so nützlich gearbeitet hat und lange nicht so tief in die Popularität eingegangen ist wie die Feuerwehr.

Wahrscheinlich wird man entgegenhalten, daß ein solcher Vergleich etwas despektierlich sei. Nun, demgegenüber müssen wir darauf verweisen, daß Herr Groener in seinem berühmten Erlaß ja selbst eine Analogie gefunden hat, die im Sinne des stolzen Soldatenstandes nicht besonders erhebend ist. Groener hat nämlich, um die Unabweisbarkeit der Einstellung von Nationalsozialisten in die Reichswehr kundzutun, ein Reichsgerichtsurteil herangezogen, das sich gegen eine kieler Werft richtet, die Arbeiter wegen ihres Bekenntnisses zum Nationalsozialismus vor die Tür gesetzt hatte. Wie gesagt, der Berufssoldat und namentlich der vom Leutnant aufwärts, wird den Vergleich mit einem so zivilen Erwerbsstand, wie es die Werftarbeiter sind, nicht grade mit heiterm Gesichte aufnehmen. Herr Groener hat mit einer Ironie, deren Zweischneidigkeit ihm wohl nicht recht zum Bewußtsein gekommen ist, seine tapfern Krieger mit Lohnarbeitern verglichen, und auf diesem Umwege auch so ziemlich das Richtige getroffen.

Diese ganzen Auseinandersetzungen würden unmöglich in einem Lande sein, in dem das Gefühl für bürgerliche Würde etwas verbreiteter wäre. Dort bedeutet der uniformierte Soldat kein Problem mehr. Er ist ein Diener des Staates wie andre auch, nicht ein Aspirant auf die Alleinherrschaft, nicht einer, der den Marschallstab der Diktatur im Tornister trägt. Ob Herr Groener sich heute noch für einen guten Republikaner hält, weiß ich nicht und interessiert mich auch nicht. Aber er ist im Effekt ein eben solches Unglück geworden wie seine Vorgänger Noske und Geßler. Durch sein Double im Reichsinnenministerium ist ihm eine Allmacht zuteil geworden, die den schönsten Ausblick eröffnet. Muß erst eine deutsche Dreyfus-Affäre kommen, um die politisierende Schleicher-Kamarilla in der Bendler-Straße zum Platzen zu bringen? Bereitet sich Groener auf die Rolle des Generals Mercier vor?

Die Weltbühne, 16. Februar 1932


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