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Gegen die Todesstrafe

Item so jemandt vnsern gemeynen geschriben rechten nach ... das leben verwürckt hat, soll man nach gvtter gewonheyt ... die form vnd weiß der selben tödtvng halten vnd vrtheylen. Peinliche Gerichtsordnung von 1533.

Seit einigen Jahren ist in Deutschland eine lebhafte Diskussion im Gang, ob das neue reformierte Strafgesetz auch die Todesstrafe wieder enthalten soll. Die Frage entwickelte sich aus den Verhandlungen über die Rechtsangleichung an Österreich, wo die Todesstrafe seit 1919 abgeschafft ist. Im August 1928 richtete der damalige Reichsjustizminister Koch-Weser an die Länder den Wunsch, keine Hinrichtung mehr vorzunehmen, bis die Strafgesetzreform definitiv darüber entschieden habe. Das schien damals das Ende der Todesstrafe in Deutschland vorzubereiten. Dennoch haben seitdem die Regierungen von Bayern und Württemberg den Henker wieder in Tätigkeit treten lassen, und augenblicklich drückt die gesamte Reaktion auf den preußischen Justizminister, den Düsseldorfer Lustmörder Kürten hinrichten zu lassen, so daß sich hier zwischen Anhängern und Gegnern der Todesstrafe eine richtige Kraftprobe vorbereitet.

Es bedarf keiner besonderen Hervorhebung, daß die Reaktion auch in diesem Falle mit den kräftigsten Mitteln arbeitet und die Gegner der Todesstrafe als entartete Subjekte hinstellt, die aus purer Schlappheit und Wehleidigkeit den Staat zum Verzicht auf das letzte und schärfste Mittel seiner Autorität bewegen wollen. Das sieht so aus, als ob die Abschaffung der Todesstrafe ein besonderes abenteuerliches Experiment wäre, bei dem Deutschland in der Welt vorangeht. Nun gibt es aber europäische Staaten, die schon lange ohne Galgen und Richtbeil auskommen, ohne daß deshalb ihre Kriminalstatistiken beunruhigender wären als die der anderen. Holland zum Beispiel hat die Todesstrafe schon 1870 abgeschafft, Norwegen 1902, Polen 1918 und Österreich 1919. In Sowjetrußland wird die Todesstrafe nur gegen politische Vergehen in Anwendung gebracht, was sich aus dem Existenzkampf eines Staates erklärt, der sich von Grund auf umbaut und dabei überall von Außen her bedroht ist.

Die erste wissenschaftlich begründete Ablehnung der Todesstrafe stammt aus dem Zeitalter der Aufklärung. Sie ist enthalten in dem fundamentalen Werk des italienischen Rechtsphilosophen Cesare Beccaria, »Von den Verbrechen und den Strafen«, 1764 erschienen. Die Ideen Beccarias wirkten gewaltig aufwühlend, Voltaire, Diderot und Goethe beschäftigten sich mit ihnen, und sie haben in der Folge viel zur Vermenschlichung der Justiz beigetragen. Natürlich war Beccaria selbst noch ganz in den Anschauungen seiner Zeit befangen; wenn er die Ersetzung der Todesstrafe durch lebenslängliche Sklaverei fordert, so wirkt das auf uns ebenso absurd wie barbarisch. Das hindert nicht, die historische Wirkung von Beccarias Leistung anzuerkennen, die in der Erschütterung der bis dahin allgemein gültigen Abschreckungstheorie besteht, was um so höher einzuschätzen ist, als Gerichtsbarkeit und Strafvollzug der damaligen Zeit noch durchaus von mittelalterlichen Vorstellungen beherrscht waren.

Noch zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts wurden in Deutschland Brandstiftungen mit dem Feuertode bestraft. Im Untersuchungsverfahren einiger Duodezstaaten wurde noch die Folter verwendet; in der thüringischen Großmacht Gotha z.B. bestand sie, wenigstens auf dem Papier, bis 1828. Bis tief in die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts hinein wurde noch nach den Bestimmungen der »Hals oder peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karls V.« (Constitutio Criminalis Carolina) von 1533 gerichtet. Verbrecher wurden gehängt, gerädert, verbrannt, sogar lebendig begraben. Frauen kamen nicht an den Galgen, dafür genossen sie den Vorzug, ertränkt zu werden. Enthauptet wurde nur in seltenen Fällen und dann nicht ohne vorhergehende stundenlange Marterungen. In diesem Zusammenhange begreift man erst, warum das Fallbeil des Doktor Guillotin von seinem Erfinder als ein Instrument der Humanität aufgefaßt wurde. In England gab es um 1800 herum noch zweihundert Vergehen, auf denen Todesstrafe stand. Kleine Diebstähle und Betrugsfälle mußten am Galgen bezahlt werden. In London wurden im Jahre 1773 allein 223 Personen gehängt.

Erst die französische Revolution räumte mit diesen Bestialitäten auf. Mit ihrem Siegeszug durch Europa hört die Rechtspflege auf, reine Henkersarbeit zu sein. Verstümmelung, Brandmarkung und Auspeitschung für Pfennigsdelikte scheiden aus der Reihe der Strafmittel aus. Von da an steht die Todesstrafe nur noch auf Mord. Der napoleonische Code penal von 1810 unternimmt den entscheidenden Schritt zur Zivilisierung der Justiz in Frankreich, dem im Laufe von Jahrzehnten die andern Staaten folgen.

Heute steht die Todesstrafe nur noch auf Mord, und auch hier fehlt dem Staat das gute Gewissen. Wir erklären auch den Verbrecher aus einer sozialen Gebundenheit. Der Mörder macht einen schlechten gesellschaftlichen Zustand offensichtlich, wir sehen in ihm nicht mehr den Teufel, das böse Prinzip verkörpert, sondern fühlen die Mitschuld und Mithaftung der gesamten Gesellschaft bei den Attentaten gegen sie. Die Anhänger der Vergeltungs- und Abschreckungstheorie sehen in der Gesellschaft den Kampf aller gegen alle, einen Kampf, in dem der Stärkste siegt, in dem das Untaugliche ausgemerzt, Auflehnung gewaltsam niedergeschlagen, die Strafe zugleich ein warnendes Beispiel werden muß. Oder sie argumentieren theologisch, sie behaupten, daß auch der Mörder einen freien Willen, die freie Wahl zwischen Gut und Böse hat. Sie sehen Freiheit der Entschließung und deshalb volle Verantwortlichkeit dort, wo wir die Folgen sozialer Gebrechen feststellen, oder vererbte Krankheit oder geistige Minderwertigkeit. Wären die Anhänger der Abschreckungstheorie im Recht, so dürfte eigentlich nach Jahrhunderten, wo wegen jeder Nichtigkeit ein Ohr abgeschnitten oder die Zunge ausgerissen wurde, kein Mensch mehr stehlen, trügen oder morden. Das ist keineswegs der Fall. Das Verbrechen wächst eben auf einem ökonomischen Sumpfboden, es rührt nicht von einer gottgewollten Einteilung in gute und böse Menschen her. Wir glauben nicht mehr, daß der Henker das gestörte Gleichgewicht der moralischen Welt wieder in Ordnung bringt.

Zu diesen mehr theoretischen Erwägungen kommt die eine sehr praktische hinzu, daß der Tod ein für allemal die Wiedergutmachung eines immerhin möglichen Rechtsirrtums ausschließt. Mindestens der auf Indizien beruhende Mordprozeß läßt gefährliche Justizirrtümer zu. Wir haben in den vergangenen Jahren erlebt, daß verschiedene Todesurteile in Indizienprozessen revidiert werden mußten, weil sich nachträglich die Unschuld der Verurteilten herausstellte (Diellingen, Dujardin), während an dem armen Jakubowski der Scharfrichter schnellere Arbeit geleistet hatte. Und selbst der Fall des Karlsruher Rechtsanwalts Hau, der zwanzig Jahre lang die Phantasie erregt hat, schließt mit einem Fragezeichen. Die Gefahr, daß ein Unschuldiger den Kopf verliert, ist ärger als Gnade für zehn Schuldige.

Wie aber steht es mit Gestalten wie Haarmann und Kürten, vertierte Individuen, wenn man will, jedenfalls Menschen mit krankem Triebleben –? Auch hier ist mit einem abgeschlagenen Kopf nichts geschehen, Vorbeugung ist alles. Die meisten der Verbrechen Haarmanns sind nur durch den verbrecherischen Schlendrian der Hannoverschen Polizei zu erklären, die sich den Lustmörder und Menschenfresser als Vigilanten hielt. Und auch im Falle Kürten hat die Düsseldorfer Polizei sich nicht mit Lorbeeren bedeckt. Ihre Maßnahmen zur Ergreifung des Mörders waren höchst unzulänglich, und gefangen hat sie Kürten schließlich nur, weil er in einem schwachen Augenblick seiner Frau das Geständnis gemacht hatte, der »Düsseldorfer Mörder« zu sein. Weiteres Beweismaterial steht nicht zur Verfügung, kein einzelner Fall kann nachgewiesen werden, der ganze Prozeß ruht auf dem Geständnis Kürtens. Dabei war dieser aber so geständnisfreudig, daß er noch drei weitere Morde auf sich genommen hat, die er unmöglich begangen haben kann, weil er zu dieser Zeit im Gefängnis saß. Hat die Justiz also wirklich den gesuchten Mörder in der Hand oder nur einen phantastischen Lügner und wahnsinnigen Aufschneider? Jedenfalls darf die Todesstrafe nicht dazu dienen, ein lebendiges Zeugnis des katastrophalen Versagens von Polizei und Justiz aus der Welt zu schaffen. Es bedeutet nur ein trauriges Possenspiel, wenn sich auch im Kürtenprozeß ein paar psychiatrische Sachverständige fanden, die den Angeklagten für »normal« erklärten. Ist den gelehrten Medizinern bewußt, daß sie die Menschheit dabei auf ein Niveau herabdrücken, das tief unter dem des reißenden Tieres liegt? Wenn Kürten normal ist, so möchte Schreiber dieser Zeilen sich lieber am nächsten Haken aufhängen, anstatt eine Existenz fortzusetzen, die so grauenvolle Möglichkeiten in sich birgt, wie die der Taten des Düsseldorfer Mörders.

Vor kurzem ist in Regensburg der Versicherungsmörder Tetzner hingerichtet worden; eine trübe Figur, über die sich nichts sanfter Stimmendes sagen läßt. Aber selbst dieser Unselige wird zu einem Kronzeugen gegen die Todesstrafe, wenn wir die Schilderung lesen, die ein Wiener Blatt von dieser Exekution bringt. Gewiß schreibt der Reporter unsympathisch und schleimig, aber sein Bericht ist charakteristisch für die meisten Hinrichtungen.

»Um 6 Uhr 55 Minuten öffnen sich die Tore des Gefängnisses. Alle Augen sind gespannt auf das dunkle Tor gerichtet. Tetzner erscheint, in ein schwarzes Totenhemd gehüllt, geführt von einigen Justizbeamten. Er ist totenblaß und kann nur mühsam einen Fuß vor den anderen setzen. Er soll zunächst auf einem Stuhl vor dem Schafott Platz nehmen. Er kann sich nicht setzen. Er muß niedergedrückt werden. Seine Augen suchen die Anwesenden ab, irre geht sein Blick von einem zum andern und bleibt schließlich an seinem Verteidiger Dr. Satter haften ... In diese atembeklemmende Stille fällt auf einmal der Klang der Totenglocke. Ihr helles Bimmeln dringt durch Mark und Bein. Und nun geht es rasch. Die Henkersgehilfen nehmen Tetzner den schweren Kragen ab, fesseln ihm die Hände auf den Rücken und verbinden ihm die Augen mit einer schwarzen Binde. Nun soll Tetzner den letzten Gang antreten. Er kann aber nicht aufstehen. Er versucht es und sinkt sofort in den Sessel zurück. Mit Hilfe der Henkersgehilfen steht er endlich. Kaum lassen sie ihn los, wankt er. Er kann nicht gehen. Er scheint zu Boden zu sinken. Da packen ihn die Henkersknechte unter den Armen und führen ihn auf das Schafott. Die Totenglocke läutet ununterbrochen. Neben dem Schafott steht der Scharfrichter. Er packt sofort Tetzner. Tetzner schreit auf, der Scharfrichter wirft blitzschnell Tetzner um, schnallt ihn auf ein Brett, das Brett wird unter das Fallbeil geschoben, Tetzner rührt sich nicht mehr.«

Was ist mit dieser abscheulichen Zeremonie eigentlich gesühnt? Den Teilnehmern dreht sich der Magen um, ganz zu schweigen von der moralischen Übelkeit, als Handlanger einer so barbarischen Pflicht fungieren zu müssen. Der Vorsitzende des Regensburger Schwurgerichts hat denn auch das bessere Teil erwählt: er ist, allen Gepflogenheiten zuwider, nicht auf dem Richtplatz erschienen. Er traute wohl seinen Nerven nicht. Hoffentlich wird er sich von jetzt ab öffentlich als überzeugter Gegner der Todesstrafe bekennen.

Man wird uns von reaktionärer Seite immer wieder entgegenhalten, daß in den großen Revolutionen der Weltgeschichte, allen humanen Prinzipien zum Trotz, auch viel Blut vergossen worden ist. Die Revolution aber bedeutet Durchbrechung gewohnter Zustände; aus dem Umsturz entsteht neue Macht, mit dieser Macht kommt neues Recht. Richter ist dann nicht mehr der bezahlte Beamte oder der ratlose und verschlafene Geschworene, sondern das revolutionäre Volk selbst, das die Grundlagen einer neuen Zeit schafft. Ich weiß, daß diese Frage nicht so glatt aufgeht wie ein Rechenexempel, und die ganze Schwierigkeit erhellt ja schon das eine Beispiel, daß eine der besten Reden gegen die Todesstrafe, die es überhaupt gibt, gerade von Maximilian Robespierre gehalten worden ist. Nun kann man den großen Revolutionären, die auch vor dem Terror nicht zurückschreckten, eines nicht versagen: sie haben selbst mit ihrem Blute bezahlt, sehr im Gegensatz zu den Trägern der Legitimität, die sich immer in der Stunde der Rechenschaft mit den Kronjuwelen im Koffer ins Ausland drücken. Und was vollends die vielberedeten Greuel der französischen Revolution angeht, so hat schon Michelet ausgerechnet, daß die Opfer der Guillotine nicht ein Vierzigstel von den Verlusten ausmachten, die allein die eine Schlacht an der Moskwa gekostet hat!

Zeitschrift der Universum-Bücherei für Alle, 1. Juni 1931


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