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»Der Beste seit Bismarck« / Unser Landesverrat

Die gemütliche Art, wie Herr Brüning die Heraufsetzung des Brotpreises behandelt, hat jene bürgerlich-republikanischen Blätter, die ihn sonst als Retter aus Hitlernot und Goebbelsbeben feiern, etwas stutzig gemacht. Hier und da werden kleine Zweifel laut. Aber nirgends wagt man die Äußerung wiederzugeben, die kürzlich der alte Herr von Oldenburg-Januschau in einem Gespräch getan, daß nämlich Brüning »der Beste seit Bismarck« sei. Die offizielle Feindschaft hindert nicht, daß Herr von Oldenburg ein eisernes Vertrauen in Brüning setzt. Er weiß ohne Zweifel, warum. Herr von Oldenburg sieht das große Verdienst des Kanzlers, »in seinem Willen zu führen und sich nicht vom Reichstag führen zu lassen«. Bisher habe man zwar Brünings Politik noch nicht mitmachen können, aber »die kommenden Preußenwahlen werden dem Herrn Reichskanzler Gelegenheit verschaffen, eine starke Rechte in seine Kombinationen einzuschalten«. Der Januschauer sieht einstweilen noch nicht den echten Brüning. Erst wenn die gegenwärtige Mehrheit in Preußen erschüttert ist, dann wird der Kanzler die häßliche republikanische Verpuppung abwerfen und als schöner dunkelglühender Schmetterling der Reaktion aufflattern. Brüning, die letzte Stütze der Demokratie, ist zugleich die große Hoffnung aller Reaktion, der fascistischen und der monarchistischen.

Es ist beachtlich, daß ein so handfester Menschenkenner, wie der sechsundsiebzigjährige Kammerherr Elard von Oldenburg-Januschau, sich durch die liberalen Illusionen über Brüning nicht beirren läßt. Ihm genügt es, daß dieser Kanzler den Reichstag brüskiert, wenn er ihn auch einstweilen noch als zerbrechliche demokratische Kulisse gebraucht. Das Weitere wird sich schon finden. Die Republikaner dagegen analysieren den Begriff Brüning in unendliche Teilchen, sie konstatieren am Mikroskop eine atomhafte demokratische Substanz und kommen sich dabei sehr klug vor. Der Januschauer ist nicht so gebildet wie diese Herren, aber er hat Instinkt. In den glücklichen Zeiten Wilhelms II. gab es einmal eine kleine parlamentarische Meuterei der Herren Junker gegen die Regierung Seiner Majestät; einen jungen konservativen Abgeordneten, der sich ostentativ ausschloß, zeichnete Bethmann Hollweg dafür durch ein eigenhändiges Handschreiben aus. Es wurde damals im Reichstagsrestaurant erzählt, Herr von Oldenburg habe für dies erhabene Dokument cancellarischer Huld das kraftvolle Wort gefunden: »Den Schiß kann er sich hintern Spiegel hängen!« Auch heute dürfte der juchtenlederne Greis für die Herrn Brüning von republikanischer Seite gespendeten Devotionen keine sanftern Ausdrücke zur Verfügung haben.

Die Bewunderung und Zustimmung, die Brüning auf der Linken findet, rührt ja nicht nur von einer gegebenen politischen Situation her, sondern auch von einem bis in die Wurzel falschen psychologischen Urteil. Die Verbindung des Kanzlers nach rechts hat niemals völlig aufgehört. Durch Hitlers Zeugenaussage im berliner Naziprozeß ist jetzt einwandfrei festgestellt worden, was wir immer behauptet haben, daß der so schweigsam gewordene Herr Treviranus den Liaison-Officer für die Verhandlungen mit den Nationalsozialisten spielt. Das Zentrum aber benutzt diese Periode der Unsicherheit recht gründlich. Nachdem es die gesamte Kulturpolitik unter schwarze Autorität gebracht hat, fordert es jetzt noch die offene Konfessionalisierung der Beamtenschaft. Immer höher wird der Preis, den die Sozialdemokraten für das Weiterbestehen der preußischen Koalition bezahlen müssen. Die einzige Gegenleistung dafür ist eine Politik der dürftig genug gewahrten demokratischen Fassade, die die helle Zustimmung der ›D.A.Z.‹ findet und selbst bei den Deutschnationalen die frohesten Hoffnungen weckt. Wie lange will sich die Linke noch von Brüning benebeln lassen? Wen der Januschauer für den Besten seit Bismarck hält, der muß der Schlechteste seit 1918 sein.

*

Der Termin in dem Landesverratsprozeß gegen die ›Weltbühne‹, der auf den 8. Mai angesetzt war, ist vertagt worden, weil der Sachverständige des Auswärtigen Amtes an diesem Tag verhindert war. Die Verteidigung bestand darauf, daß ein solcher Sachverständiger gehört werde, damit den Experten des R.W.M., deren fast übersinnlicher Einfluß auf den IV. Strafsenat ja hinreichend bekannt ist, eine andre amtliche Meinung entgegengestellt wird, die sich mit der in der Bendler-Straße vertretenen nicht immer zu decken pflegt.

Wie wir im vorigen Heft mitteilten, können wir mit Rücksicht auf die Bestimmungen des Gesetzes vom 3. Juni 1914 auf den Stoff des Verfahrens gegen uns nicht näher eingehen, ohne uns einem neuen Risiko auszusetzen. Das soll uns nicht an einigen grundsätzlichen Bemerkungen an dieser Art von Prozessen hindern. Da ergibt sich zunächst die ungeheuerliche Tatsache, daß jeder Deutsche, der sich für eine unbedingte Respektierung des Friedensvertrags einsetzt, in Gefahr läuft, als Verräter abgeurteilt zu werden. Trotzdem befindet sich der Missetäter dabei in der Gesellschaft der Reichsregierung, die eben dasselbe behauptet. Das Reichsgericht bringt also die ihm übergeordnete Reichsregierung ständig in den Verdacht der Illoyalität. Ein beträchtlicher Teil des Mißtrauens gegen Deutschland in der ganzen Welt ist auf diese Judikatur des höchsten deutschen Gerichts zurückzuführen. Wir haben es hier nicht mehr mit Rechtsprechung zu tun, sondern mit einem Komplott zwischen R.W.M. und Reichsanwaltschaft zur Niederhaltung der oppositionellen Presse und zur Aufrechterhaltung einer Sonderstellung der Herren Militärs.

Seit langen Jahren haben politisierende Offiziere, aktive und abgetakelte, immer wieder versucht, in London, Paris, Rom und Moskau auf eigne Faust deutsches Schicksal zu spielen oder der schwachen deutschen Wehrmacht mit schwarzen Kaders nachzuhelfen. Die ›Weltbühne‹ hat derlei Aktivismus immer als blutigen Dilettantismus bekämpft, nicht um in Paris, Warschau oder sonstwo Beifall zu ernten, sondern in der Erwägung, daß für Deutschland keine andre Politik denkbar ist als die der strikten Vertragserfüllung. Zudem liegt auch die Erfahrung vor, die leider so wenigen Deutschen geläufig ist, daß der Versailler Vertrag ja ständig revidiert worden ist, revidiert mit friedlichen diplomatischen und politischen Mitteln. Auch in Zukunft gibt es keine andre Chance, seine Schärfen und Unmöglichkeiten zu überwinden. Diese Bemühungen von Politikern und Publizisten, Deutschland vor klatschenden außenpolitischen Niederlagen zu bewahren, hat der Oberreichsanwalt immer wieder mit Landesverratsklagen honoriert. Dabei herrschte nicht einmal Einheitlichkeit. Es hat verschiedene Hochkonjunkturen in solchen Prozessen gegeben, denen dann wieder Katzenjammer folgte. Im Jahre 1927 versprach der damalige Reichsgerichtspräsident Simons sogar, daß derartige Prozesse jetzt zu Ende wären, aber sie begannen bald wieder zu florieren. Bei schnell wechselnden politischen Moden mußte der Begriff Landesverrat häufig schwanken. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die militärpolitischen Selbstverständlichkeiten von heute immer die militärischen Geheimnisse von gestern waren. Was heute das reaktionärste Provinzblatt offen diskutiert: die Zeitfreiwilligen, die Schwarze Reichswehr, die Feme, die Unternehmen der rauhen Seeleute Lohmann und Canaris, die Geschichte mit den Sowjetgranaten, alles das ist einmal finsterstes Geheimnis gewesen. Mußte nicht Geßler selbst das Geschwür der Schwarzen Reichswehr in Küstrin aufstechen und die von ihm gesammelte heimliche Heeresmacht in dem tollsten aller Communiqués als »nationalbolschewistischen Haufen« denunzieren? Und mußte nicht im vergangenen Sommer erst des Kanzlers Organ, die ›Germania‹, gewisse Cliquen im R.W.M., die sich allzu intensiv mit russischen Stellen unterhielten, öffentlich zurückpfeifen? Es hat im Großen und Kleinen manchen geheimen militärischen Unfug gegeben, und wehe dem Publizisten, der die Sache publik machen wollte. Das schwarze Rayon war für den Oberreichsanwalt sakrosankt, und der kleinste Leutnant noch, dessen Betriebseinsamkeit sich eine düstere Sinekure verschafft hatte, war für ihn mit den Interessen der deutschen Wehrmacht identisch. Jede alberne Projektenmacherei von Amateurstrategen und Fähnchensteckern am Stammtisch wurde von der obersten Anklagebehörde als »militärisches Geheimnis« anerkannt. Aber regelmäßig endeten diese Idylle damit, daß irgend einer Regierungsstelle selbst die Sache übern Kopf wuchs und daß sie vor den eignen Geheimnissen in die Öffentlichkeit floh. Womit das Mysterium auch offiziell aufhörte, eines zu sein. Aber gewöhnlich saßen dann schon ein paar Journalisten im Kasten.

Ernster wird das Landesverratsverfahren gegen die ›Weltbühne‹ allerdings dadurch, daß der Oberreichsanwalt in seine Anklage auch noch den Spionageparagraphen hineingebaut hat, und das aus keinem andern Grund, als um die öffentliche Erörterung zu verhindern, denn mit diesem freundlichen Paragraphen ist ein Schweigegebot verknüpft. Das ist in der Tat ein Ausnahmegesetz gegen die Presse, die sich weigert, nach der Militärmusik zu tanzen, und die so dreist ist, früher aufzustehen als die patriotisch verschlafenen Herren Minister. Es hat bisher kein sogenanntes militärisches Geheimnis gegeben, das nicht im Ausland von vornherein bekannt gewesen wäre, auch ohne das Zutun von Pazifisten. Woran den Herren in der Bendler-Straße und der ihnen freiwillig subordinierten Reichsanwaltschaft liegt, das ist nicht die Sorge vor dem Ausland. Viel wichtiger ist ihnen, daß der deutsche Staatsbürger, der deutsche Steuerzahler, nichts von Extragängen erfährt, deren materielle und moralische Konsequenzen er zu tragen hat.

Die Weltbühne, 12. Mai 1931


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