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D'Ormessons Vorschlag

Der französische Publizist Graf Wladimir d'Ormesson veröffentlicht ein aufsehenerregendes Projekt zur bessern Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich. Wir dürfen annehmen, daß es sich bei diesem Schritt d'Ormessons nicht um sein Privatvergnügen handelt sondern um einen vom Quai d'Orsay mindestens gebilligten Akt. D'Ormesson, früher Leitartikler des ›Temps‹, hat als politischer Schriftsteller in der Locarnoperiode eine Rolle gespielt. Später, als andre Strömungen wieder zunahmen, schrieb er zur Fortführung der alten Linie sein bekanntes Buch »Vertrauen zu Deutschland?«, das 1928 in Paris einen Preis für politische Literatur erhielt und auch deutsch erschienen ist.

Wladimir d'Ormesson, der in Frankreich viel für eine gemäßigtere Beurteilung Deutschlands getan hat, ist keiner von der Linken. Kein germanophiler Eingänger wie Fabre-Luce, auch kein Partisan der Liga für Menschenrechte, deren Pazifismus ja viel mehr aus antimilitaristischer und antiklerikaler Tradition rührt als aus klar durchdachten Prinzipien. So ist auch das Vertrauen zu Deutschland, um das d'Ormesson in seinem Buche wirbt, durch ein Fragezeichen eingeschränkt. Dieser Franzose ist ein vorsichtiger Mann, der nicht gleich mit allem und jedem fraternisiert, es muß hübsch langsam gehen, nur nicht zu viel auf einmal. D'Ormesson ist kein Kosmopolit, kein Radikaler, sondern ein Mann der großen Bourgeoisie; er glaubt felsenfest an die bestehende Weltordnung und ihre Wirtschaftsmächte, unterscheidet sich allerdings von andern seiner Schicht dadurch, daß er Krieg und Völkermorden nicht als einen wünschenswerten Zustand preist und Ausgleich schon unter den heutigen Verhältnissen für möglich hält. Kein kühner, aber ein nüchterner Kopf, den man nicht mit den paneuropäischen Zuckerbäckern vergleichen kann.

In seinem Buch appelliert er vornehmlich an die französischen Patrioten, sich doch mit den deutschen Patrioten zu vertragen. Er bleibt also allem Internationalismus sehr fern, und es fehlt ihm auch nicht an Gefühl für die schwierige Stellung der deutschen Patrioten. »Da ich selbst Konservativer bin, verstehe ich leicht die kritische Lage, in die die deutschen Konservativen seit der Einführung der Demokratie geraten sind. Ich lobe mir ihr energisches Bemühen, auch weiter an den Geschicken ihres Landes mitzuarbeiten ... Aber wenn die deutschen Konservativen auch darin recht haben, daß sie an ihrem Platz bleiben wollen, um die traditionelle Führerschicht der Nation nicht zu schwächen, so werden sie sich da doch nur halten können, wenn sie sich den Formen moderner Demokratie anpassen, Starrheit vermeiden und die Friedenspolitik mitmachen, die die Völker verlangen, weil sie leben wollen ... Das ›Vertrauen zu Deutschland‹ wird erst an dem Tage wirklich Sinn haben, an dem französische und deutsche Konservative verstehen, daß sie in ihren Anschauungen solidarisch sind und daß es der größte Fehler ist, den sie begehen können, wenn sie sich gegenseitig gegeneinander ausspielen.« Und an andrer Stelle: »Dieses halsstarrige Deutschland (das von Tirpitz), mit dem keine Möglichkeit wirklicher Verständigung besteht, müssen wir beiseite lassen. Dagegen empfiehlt es sich, mit etwas weniger ›a priori‹ gefaßten Ansichten dem ›neonationalistischen‹ Deutschland gegenüberzutreten, dem Deutschland, das zugleich konservativ und – nachdem die Republik einmal besteht – republikanisch ist.« Dieser Verständigungsfreund wendet sich also direkt an die herrschende Klasse, mit der er sich ganz solidarisch fühlt, an Hindenburg, Treviranus oder Dingeldey, an alle, die Republikaner sind, »nachdem die Republik einmal besteht«. Niemals ist den Teutonen von einem Welschen die Friedenspfeife diplomatischer überreicht worden.

D'Ormesson richtet sich an das deutsche Bürgertum, er predigt ihm Klassensolidarität. Das deutsche Bürgertum ist ökonomisch zerfallen und geistig unterhöhlt; es ist hochgradig marode. Das französische Bürgertum ist wirtschaftlich und psychisch noch sehr intakt. Es gibt wenig, was die deutsche Bourgeoisie mit der französischen verbindet. Jeder Herr Meier ist überzeugt, daß jeder Herr Dupont ein sadistischer Schuft ist, der auf seinen Goldvorräten sitzt und Deutschland malträtiert.

Der Beweis muß überhaupt noch erbracht werden, daß die Nationalisten untereinander imstande sind, sich zu vertragen. Als 1922 der Vertrag Stinnes-Lubersac geschlossen wurde, sahen deutsche Nationalistenblätter zwar bereits die neue Morgenröte ausbrechen und riefen den Erfüllungspolitikern höhnisch zu: So, jetzt nehmen wir die Sache in die Hand, und es wird besser klappen! Aber kein halbes Jahr später war der Ruhrkampf da, und alle Kooperationen deutscher und französischer Schwerindustrie seitdem haben den Chauvinismus in der von ihr selbst ausgehaltenen Presse nicht gemindert. Das Geheimnis liegt eben darin, daß ein kleiner Krieg für den Kapitalismus doch ein fetteres Geschäft ist als ein langer Friede, und selbst der Kapitalismus des unterliegenden Landes bleibt inmitten ruinierter Massen und auf den Trümmern der niedergebrochenen schwächern Konkurrenz wenigstens als Sieger übers eigne Volk zurück. Das Abenteuer lohnt sich also.

Nun kann d'Ormesson nicht ohne Fug sagen, daß er keine Patentlösung zu verabfolgen gedenkt sondern nur ein Kompromiß für eine Übergangszeit, und daß seine Thesen nur einem akuten Notstand gelten. Sein Vorschlag geht dahin, die deutschen Zahlungen für die nächsten beiden Jahre um 50 Prozent herabzusetzen, natürlich nur unter der Bedingung, daß auch die Vereinigten Staaten für diese Zeit 50 Prozent ihrer Forderungen an die Alliierten annullieren. Für den deutschen Etat würde das eine Entlastung von zirka 850 Millionen bedeuten, also eine erhebliche Kürzung der sogenannten Tribute. Zugleich aber sollen Deutschland und Frankreich sich verpflichten, ihre Heeresausgaben für die beiden Jahre um ein Zwölftel zu reduzieren. D'Ormessons Idee besteht darin, die Abrüstungs- und die Reparationsdebatten zu verknüpfen. Die eine davon ruht am toten Punkt, die andre hat noch nichts Greifbares zutage gefördert. Auf alle Fälle gibt d'Ormesson einen ersten kräftigen Impuls. Die Franzosen sind im allgemeinen nicht abgeneigt, über eine Revision der Reparationen mit sich reden zu lassen, aber ihr politisches Mißtrauen gegen Deutschland besteht weiter. Diese Nervosität sucht d'Ormesson zu beschwichtigen. Er beweist damit, daß der französische Konservatismus den deutschen an Einsicht überragt. Der außenpolitische Horizont der deutschen Konservativen wird begrenzt von vagen Vorstellungen, wie Frankreich am besten um die Reparationen zu prellen ist oder wie man sich um die Abrüstungsbestimmungen drückt. Kampf gegen Tatsachen: das ist das Gegenwarts- und Zukunftsprogramm deutscher Halb- und Ganzreaktionäre.

Ein freundliches deutsches Echo auf d'Ormessons Pläne war demnach nicht zu erwarten. Hier lautet der Schlachtruf »Aufrüstung«; statt dessen wird Herabsetzung des Heeresetats vorgeschlagen, wenn auch in Relation zum französischen. Man schreit also, daß das eine Verewigung des Versailler Vertrags und eine neue freiwillige Anerkennung der militärischen Übermacht Frankreichs bedeute. Die »Neonationalisten«, an deren Vernunft d'Ormesson zu rühren sucht, sind hartnäckiger, als er annimmt. Die äußerste wirtschaftliche Not des Volkes, das graue Elend der Staatsfinanzen bewegt sie nicht, sich mit einem Gedanken auseinanderzusetzen, der nicht einfach mit der flachen Hand fortzuwischen ist. Denn schließlich zweifelt kein vernünftiger Mensch auf der ganzen Welt mehr, daß das Deutsche Reich zwar seine Wehrmacht jetzt, nach Ende der schwarzen Ära, in den vertraglich gesetzten Grenzen hält, daß aber der hohe Stand der deutschen Industrie es im Ernstfall schnell ermöglichen würde, die Differenz einigermaßen auszugleichen. Im Zeitalter des Maschinenkrieges kommt es nicht mehr auf die Kopfzahl der Soldaten an sondern auf das gesamte technische Vermögen eines Landes.

Viel bedenklicher scheint uns zu sein, daß solche militärischen Übereinkünfte zwischen zwei Staaten sehr leicht unerwünschtes Nebenwerk beherbergen können. Eine deutsch-französische Abrüstungskonvention wäre eine Erlösung Europas von einem schrecklichen Albdruck. Würde damit allerdings ein Geheimvertrag gegen irgendwen, etwa gegen Rußland, verbunden werden, so wäre das ein verdoppeltes Unglück und nur ein etwas komplizierterer Weg in die Katastrophe hinein. Deshalb heißt es rechtzeitig aufpassen, damit nicht die Generalstäbe wieder etwas zusammenbrauen, wovon die Volksvertretungen nichts wissen, damit nicht unter der Maske des Friedens der Krieg desto intensiver vorbereitet wird. Aber ernsthaft diskutiert werden sollte dieser Vorschlag doch, der, weiß Gott, sich nicht grade durch Radikalität auszeichnet, und in seiner Begrenztheit so unendlich charakteristisch für die neue tragische Verdunkelung der deutsch-französischen Beziehungen ist. Manches daran erinnert an den letzten Versuch vor dem Weltkrieg, die deutsch-englische Spannung durch eine Verständigung über die Flottenbauprogramme zu mindern, an Haldanes berliner Mission. Damals ist die Friedensbotschaft von Tirpitz und seiner Journaille kaputt intrigiert worden. Wie wird es heute sein?

Die Weltbühne, 10. Februar 1931


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