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Eiserne Front

Ein neues Schlagwort soll jetzt, nach Beendigung des weihnachtlichen Burgfriedens, seine Wirkung erweisen. Die »Eiserne Front« der Republikaner formiert sich. Die SPD, das Reichsbanner, Gewerkschaften verschiedener Richtung, republikanische Bünde, sie alle wollen sich zur Abwehr des Fascismus zusammenschließen. Die Front ist lang, daran ist kein Zweifel, wie tief sie geht, welches ihre ideellen Reserven sind, das läßt sich noch nicht leicht abschätzen. Einige Abschnitte der Front, dort wo Arbeiter stehen, verdienen wohl wirklich eisern genannt zu werden, andre sind aus biegsamerem Stoff gemacht und einige nicht besser als Pfannkuchenteig. Auf Ausdauer, auf Nachschub kommt alles an. Die Politik steht in einer Epoche von Materialschlachten.

Es ist nicht leicht, zu einer Bewegung kritisch Stellung zu nehmen, der jedes gute Glück zu wünschen ist. Der Einzelne, der zur Aktivität gegen den Fascismus gewillt ist, darf nicht entmutigt werden. Aber grade weil der einzelne Combattant so hoch einzuschätzen ist, deshalb muß deutlich ausgesprochen werden, daß das Schwächste an der Eisernen Front die Kommandohöhen sind.

Herr Karl Höltermann, der neue Generalstabschef des Reichsbanners, gehört zu jenen Sozialdemokraten, die, pessimistisch geworden, den Glauben an das Proletariat als Klasse verloren haben. Es ist zu einfach, diese Haltung als Gesinnungslosigkeit zu denunzieren. Die Führerschicht, unter ganz andern Verhältnissen gebildet und gereift, steht müde und weise vor einem Wirtschaftswirrwarr, der die gewohnten Klassengrenzen verwischt und die erlernte Marxfibel scheinbar ad absurdum führt. Herr Hilferding zum Beispiel konstatiert allgemeine Körperschwäche des Kapitalismus, folgert daraus aber nicht etwa die Notwendigkeit, den Patienten baldigst abzusägen, sondern fordert vielmehr die Arbeiter auf, ihn hochzupäppeln, damit sie wieder mehr verdienen. Hilferding ist gewiß ein Mann von starkem theoretischem Fundament und Befähigung zu weitem weltpolitischem Blick, aber so, ohne Ziel und ohne Feuer, gleicht er allzu sehr einem hochgebauten Leuchtturm, auf dem nur eine kleine Stearinkerze steht. Der Glaube an die geschichtsbildende Kraft des Proletariats ist dahin, die eigne Mutlosigkeit der Führerkaste wird auf die ganze Klasse projiziert.

Herr Höltermann setzt also nicht auf die Arbeiterschaft sondern auf das bürgerliche Republikanertum, das gewiß noch vorhanden ist, aber auch nur zahlenmäßig nicht über die Bedeutung einer Hilfstruppe hinauslangt. Die einigende Formel Höltermanns aber ist ein sozial angehauchter Patriotismus, die Auftakelung des berühmten »Frontkämpfergeistes« als Linksparole, jetzt, nachdem nicht einmal mehr der wohltätig still gewordene Herr Treviranus damit Staat zu machen versucht. Zu diesem Programm aber gehört die Brüskierung von Pazifisten und Antimilitaristen, die ein so vaterländisch gestelltes Bild naturgemäß trüben.

Der neue Reichsbanner-Duce glaubt nicht an den Demos, aber er hat trotzdem seine Götter. Die heißen Hindenburg, Brüning, Groener, Dietrich. An diesen Vorbildern soll die republikanische Renaissance sich bilden. Das ist Höltermanns verhängnisvoller Irrtum. Denn Hitler ist nicht mit politischer Ideologie zu schlagen sondern mit der sozialen Realität. Das ist nur möglich durch sozialen Kampf, in dem der Fascismus gezwungen wird, seine Arbeiterfeindlichkeit und seine kapitalistische Hörigkeit zu entlarven. An diesem Punkt aber werden nicht nur Höltermanns bürgerliche Hilfsvölker streiken sondern mehr noch jene hohen Amtsstellen, unter deren Patronat er seine Aufgebote gern stellen möchte.

Eine republikanische Renaissance mit dem Segen der Reichsbureaukratie war in bessern Zeiten schon eine innere Unwahrhaftigkeit, aber immerhin äußerlich möglich. Inzwischen ist die Wilhelm-Straße gründlich von reaktionären Elementen durchsetzt worden; linksgerichtete Beamte haben inzwischen den Mantel nach dem Winde gekehrt, und auch mit manchen sozusagen Treugebliebenen ist es nicht weit her, wie mit Herrn Doktor Zechlin, der sich vor ein paar Tagen in einem Prozeß mit viel unfreiwilliger Komik produzierte. Herr Zechlin ist nach seiner eignen Aussage zwar Sozialdemokrat aber nicht antifascistisch und dazu »ein loyaler alter Beamter, auch noch aus der Kaiserzeit.« Es ist das Amt des Herrn Zechlin, dem Herrn Reichspräsidenten jeden Vormittag eine Viertel- bis eine Halbestunde Vortrag zu halten, besonders über die ausländische Presse. Mit berechtigtem Berufsstolz erklärt Herr Zechlin: »Ich maße mir an, daß der Herr Reichspräsident durch meine Vorträge zu den gründlichst orientierten Staatsmännern gehört. « Toi, toi, Herr Pressechef! Etwas wird der Herr Reichspräsident doch wohl aus eignem beisteuern. Aber so sieht die hohe Bureaukratie aus, auf die Höltermann seine Kirche bauen will. Ihre Loyalität stammt noch aus der Kaiserzeit. Was nicht bestritten wird.

*

Die Reichsregierung möchte Hindenburgs Amtszeit verlängern, um über die Unannehmlichkeiten eines Wahlkampfes hinwegzukommen. Die Unsicherheit der Parteien kommt diesem Wunsch entgegen. Die bürgerlichen Mittelparteien haben keinen zugkräftigen Namen; Groener, der sich selbst geschickt in den Mittelpunkt schob, ist für jeden Mann der Linken undiskutierbar. Es ist auch abwegig, anzunehmen, Sozialdemokraten und Kommunisten wären auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Die Aufstellung Thälmanns aber würde automatisch die Wahl des Kandidaten der Rechten herbeiführen. Wilhelm Sollmann gibt dem ausgesprochenen Übelbefinden der Sozialdemokratie melodisch Ausdruck: »Wir halten es für selbstverständlich, daß ein solcher Versuch gemacht werden muß, wenn der Reichspräsident sich bereit erklärt, einem solchen Rufe der Volksvertretung Folge zu leisten.« Sollmann übersieht, daß es sich nicht um die Person des Reichspräsidenten allein handelt, die Prolongation der Amtszeit Hindenburgs bedeutet ein verdoppeltes Bekenntnis zu Brüning. Denn der Name Hindenburg ist die mythische Säule, auf der das System Brüning ruht. Das Provisorium mit den »kleinern Übeln« geht weiter. Ein Prinzip gibt es überhaupt nicht mehr, nur noch das »kleinere Übel«. Ein von uns sonst hochgeschätzter Demokrat geht jetzt um, und propagiert die Kandidatur des Exkronprinzen. Auf Grund der Theorie vom »kleinern Übel«.

Die Regierung hat sich auch an Adolf Hitler gewandt, um ihn in das Kompromiß einzubeziehen. Gegen die Verhandlung mit der extremen Rechtsopposition wäre nichts einzuwenden, wenn man auch die große Partei der Linksopposition zur Besprechung eingeladen hätte. Warum also nicht auch Thälmann?

Wie diese Verhandlungen der Regierung mit Hitler auch auslaufen mögen, stärker als je wird sie von nun ab im Schatten des Nationalsozialismus stehen. Hitler ist, wenn er Gefälligkeiten erweist, nicht billig. Und selbst wenn man mit ihm diesmal nicht zu Rand kommt, wird er durch erhöhten Druck von außen desto kräftiger seine Unentbehrlichkeit beweisen. Es verdient festgehalten zu werden, daß in diesem Zusammenhang Herr Groener als Vermittler genannt worden ist. Erst das Frühstück bei Schleicher, und nun fungiert der Minister der Exekutive, der Garant für die Verfassung, für Sicherheit und Ordnung als ehrlicher Makler für die Verständigung mit dem Führer der staatsfeindlichen Partei.

Der Weg des deutschen Fascismus ist nicht der des offnen Aufruhrs. Die Selbstabdankung der Demokratie hat ihm die ersten Triumphe ermöglicht, die von Brüning jetzt vollendet werden. Was braucht Hitler legal zu werden, Brüning selbst ist es, der ihn legalisiert. Was will eine eiserne Front gegen dies System der Abmachungen hinter gepolsterten Türen ausrichten? Was bedeuten Massenaufmärsche gegen diese trockene Fascisierung? Was das national getönte Republikanertum Höltermanns gegen die frostige Kalkulation der Regierenden? Wollte das Reichsbanner sich wirklich einmal den Luxus leisten, praktische republikanische Politik zu treiben, so müßte es zunächst einmal verlangen, daß Herr Groener aus dem Innenministerium verschwindet. Bei dieser Personalunion zwischen Innenministerium und Reichswehr wird die Republik stückweise an die Generale verhandelt. Aber das hieße natürlich Stellungnahme gegen das System Brüning überhaupt und gegen alle Leute, mit denen es Höltermann nicht verderben will. So wird sich das ganze Unternehmen in dekorativen Protesten verpulvern.

Es ist eine Illusion, den Fascismus »abwehren« zu wollen. Man muß ihn auf seinem eignen sozialen Terrain angreifen. Wenn die Parteien der Arbeiterklasse das endlich begriffen haben, erst dann werden wieder proletarische Kräfte in Deutschland entstehen, die Geschichte machen, anstatt sie zu bremsen.

Die Weltbühne, 12. Januar 1932


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