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Das Hindenburg-Syndikat

Nachdem die Versuche, die Wiederwahl des Reichspräsidenten von Hindenburg auf parlamentarischem Wege zu sichern, gescheitert sind, bildet sich jetzt für die Volkswahl ein überparteiliches Syndikat, an dessen Spitze der berliner Oberbürgermeister Sahm steht, nachdem der tüchtige Propagandist Eckener schon vorher das Stichwort gegeben hat. Mit dieser Kandidatur Hindenburg, die in der Linkspresse als einziger Ausweg begrüßt wird, setzen die Republikaner die Kette ihrer Fehlhandlungen und Irrtümer entscheidend fort. Eine spätere Zeit wird über dies Kapitel die traurige Überschrift setzen: die Deutsche Republik in ihrer tiefsten Erniedrigung.

Was erwarten die Herren Republikaner, die »eisernen« und die aus weicherm Material gemachten, von einer zweiten Präsidentschaft Hindenburgs? Festen Kurs, Dauer, Stetigkeit – eben alles das, was die Linke aus eigner Kraft nicht mehr geben kann. Und aus diesem Grunde setzt sie alles auf einen einzelnen Mann in einem patriarchalischen Alter, wenn auch von selten glücklicher Konstitution. Welch eine Abdikationsstimmung bei einer Demokratie, die es lange aufgegeben hat, ihre Position zu verteidigen, die sich schutzsuchend hinter einem Dreiundachtzigjährigen verkriecht und den anstürmenden Gegnern beschwörend zuruft: »Tut uns nichts! ER ist ja so ehrwürdig!«

Es ist gewiß keine Schande, im Verlauf einer Entwicklung Personen und Dinge anders einschätzen zu lernen. Aber nicht die Merkzeichen des Regimes Hindenburgs haben sich geändert, sondern die Demokraten von einst. Es ist ein katastrophales Bild, wie diejenigen Blätter, die Hindenburg vor sieben Jahren als das trojanische Pferd verspotteten, in dem die militaristische und monarchistische Reaktion in die Stadt einzieht, heute als den letzten großen Defensor der Verfassung feiern und ihm die Bürgerkrone aufs Haupt setzen. Das ist nicht mehr Politik, sondern Byzantinismus und schlechtweg zum Kotzen.

Dabei ist nicht einmal sicher, ob diese Opfer an Charakter und Intellekt auch den gewünschten Erfolg zeitigen. Prophezeien ist eine mißliche Sache, aber noch ist der Zustrom ins fascistische Lager im Wachsen, denn noch sind die politischen und ökonomischen Bedingungen dafür reichlich vorhanden. Da die Nationalsozialisten die Verlängerung der Amtszeit Hindenburgs durch das Parlament konterkariert haben, so ist ziemlich sicher anzunehmen, daß sie für die Volkswahl von vornherein das Auftreten mit einem eignen Kandidaten im Auge hatten. Deshalb ist aber auch der Rückzug der Linken auf die innenpolitische Hindenburglinie ein grober taktischer Fehler. Die Verlängerung der präsidialen Amtsdauer durch den Reichstag wäre nur eine technische Angelegenheit gewesen, die niemand erhitzt hätte. Die Wahl durch das Volk dagegen muß grade mitten in der heutigen Zuspitzung zu einer harten prinzipiellen Auseinandersetzung führen. Wer als Demokrat oder Sozialist für Hindenburg votiert, der muß sich darüber klar sein, daß er damit auch für Brüning und Groener votiert, für die Notverordnungen, für den Lohndruck, für die Eskamotierung der Pressefreiheit, für eine verfehlte Außenpolitik, die sich von den Überbleibseln der Stresemannzeit gänzlich emanzipiert hat. Es besteht kein Zweifel, daß der Fascismus, wenn er sich entschließt, in den Wahlkampf zu gehen, das mit den schärfsten Parolen tun wird. Was bedeutet demgegenüber eine Kompromiß-Kandidatur, die sich auf keine wirklichen organisierten Kräfte stützt, sondern lediglich von einem ad hoc zusammengestellten Kuratorium getragen wird? Herr Eckener wird die Kandidatur Hindenburg mit dem besten unentzündbaren Helium füllen müssen, um sie so sicher wie seine Zeppeline durch alle sechsunddreißig Winde zu tragen.

Die republikanischen Parteien, die sich so oft über den Umfang ihrer Macht und die Wirkung ihrer Mittel getäuscht haben, sollten sich ernsthaft fragen, ob sie die Kandidatur Hindenburgs auch wirklich durchbringen werden. Sie werden nur säuseln können, während ihre fascistischen Gegner wettern. Hinzu kommt die Kandidatur Thälmann, die, ohne eigne Chance, doch viele Mißvergnügte auffangen wird. Erringt aber Hindenburg seinen Sieg nicht auf den ersten Anhieb, so ist nicht anzunehmen, daß er sich den Wechselfällen eines zweiten Wahlgangs aussetzen wird. Er wird sich wahrscheinlich mißbraucht fühlen und verärgert resignieren. Dann aber bleibt dem Syndikat nichts übrig als eine verlegene Improvisation; er wird sich irgend einen farblosen Notablen aus der rechten Mitte holen müssen, auf den sich doch unmöglich alle großen Eigenschaften übertragen lassen, die sonst Hindenburg zugeschrieben werden. Vielleicht wird auch Minister Groener selbst sich erweichen lassen – das wäre jedoch verlorenes Spiel, und als nächstes Reichsoberhaupt blühte uns Frick oder Epp oder Adolphus Rex höchstselbst.

Die Schichten, die vor sieben Jahren Hindenburg als Retter und Wundertäter auf den Präsidentensitz erhoben, sind inzwischen lange zum Fascismus übergelaufen. Sie haben den sozialen Boden unter den Füßen verloren. Daß heute wieder hübsch stramm nach bester Tradition gegen links regiert wird, bemerken sie nicht, denn das ist noch kein Ersatz für die schwindenden Subsistenzmittel. Außerdem haben es ihnen die nationalsozialistischen Agitatoren gehörig eingepaukt, daß zwischen Hindenburg und Otto Braun kein Unterschied mehr besteht, und daß der Sieger von Tannenberg völlig in dem »System« aufgegangen ist, das er zerschmettern sollte. Das verzweifelte Kleinbürgertum weiß jetzt, daß ihm nicht mehr mit einer glorreichen Gestalt aus der vaterländischen Legende zu helfen ist. Was es jetzt braucht und ersehnt, das ist ein frischer, handfester Bonapartismus, der die stark eingeschrumpften irdischen Güter neu zur Aufteilung stellt.

Die gewandten Werbefachleute, die sich um die Nominierung Hindenburgs bemühen, berauschen sich zunächst einmal an dem eignen Lärm. Ein volkstümlicher, ein spontaner Wunsch nach einer neuen Präsidentschaft Hindenburg kann kaum festgestellt werden. In dem bayrischen Komitee, das unabhängig von Herrn Sahm an die Öffentlichkeit getreten ist, sitzen lauter Honoratioren aus Politik, Verwaltung und Industrie zusammen. Die öffentliche Einflußlosigkeit solcher Gebilde ist mehr als einmal eklatant geworden. Als Wilhelm II. sich von Franz Skarbina die Ovation malen ließ, die ihm nach den Hottentottenwahlen von 1907 vor dem Schlosse dargebracht wurde, sagte er stirnrunzelnd zu dem Künstler: »Mehr Volk!« Mit dem gleichen Recht könnte der Reichspräsident das heute zu denen sagen, die ihn in ein Unternehmen treiben wollen, dessen Ausgang noch zweifelhaft erscheinen muß.

Die Frage ist die, ob Mitglieder und Wähler der Sozialdemokratischen Partei wirklich für Hindenburg an die Wahlurne gehen werden. So vergeßlich sind die Massen nicht wie ihre Führer, so leicht nicht zum Umschwenken bereit. Schon vor sieben Jahren haben sich zahlreiche Bezirke geweigert, für den katholischen Reaktionär Wilhelm Marx zu stimmen, und damals war noch die große Zeit der Koalitionen. Das hat sich gründlich geändert; es liegt jetzt durchaus im Bereiche der Möglichkeit, daß die organisierten Sozialisten, wenn es schon nicht zur offenen Revolte langt, sich doch durch Passivität für das rächen, was ihnen ihre zentrale Leitung eingebrockt hat. Die eilfertige Nominierung Thälmanns macht ihnen die Entscheidung nicht leichter, denn sie sehen darin mit Recht eine Demonstration gegen ihre Partei, einen zielsicher geführten Schlag gegen alle weitern Diskussionen über die Rote Einheit. Ein gemeinsamer sozialistischer Kandidat würde auf die Massen elektrisierend gewirkt haben. Dazu haben sich die Parteien nicht aufschwingen können. Der Effekt wird sein, daß Millionen verbittert zu Hause bleiben werden, weil sie die ihnen von den Führern aufgenötigte Alternative: Hindenburg oder Hitler? nicht anerkennen können, weil der Wahlgang damit seinen Sinn für sie verloren hat. Die gleiche Unfähigkeit bei Sozialdemokratie und Kommunistischer Partei erleichtert den Sieg des Fascismus.

In dieser Stunde sind die Verhandlungen über die Präsidentenfrage noch nicht abgeschlossen, und da unsre Politiker sich keine weitere Fähigkeit bewahrt haben, als die zu überraschen, so sind trotzdem noch neue Merkwürdigkeiten zu erwarten. Aber es bleibt Konventikelsache, und die lebendige Schwungkraft des demokratischen Staates, das Volk, hat nichts damit zu schaffen. Für die Deutsche Republik gilt heute ganz und gar, was der fränkische Chronist über die letzten Merowinger sagte: »Der König war zufrieden mit dem bloßen Namen eines Königs und hatte nichts, als daß er mit herabhängendem Haar auf dem Thron saß.« Sollte sich aber der Fascismus endlich doch zum Verzicht auf selbständiges Vorgehen entschließen – tant pis. Dann wird Hindenburg eben sein Kandidat sein, dann wird Hitler die Rechnung aufstellen.

Die Weltbühne, 2. Februar 1932


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