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Bülow III

Fürst Bernhard Bülow, lebelang ein glücklicher Mann, wird jetzt, nach seinem Tode, ernstlich von Mißgeschick verfolgt. Er, der allezeit Versöhnliche, hat plötzlich Feinde gefunden, die seinen Nachruhm mit dem Staupbesen behandeln. Abgeordnete der Rechten haben in diesen Tagen verlangt, das Bild Bülows möge aus dem Reichstag entfernt werden, weil der Mann sich in seinen Memoiren nicht nur als peinlicher Charakter enthüllt, sondern auch durch Stützung der Versailler Schuldthese dem Deutschen Reich Schaden zugefügt habe.

Als Bernhard Bülow sich auf der Höhe seiner Kanzlerschaft befand und nicht einmal im Traum an rachsüchtige Aufzeichnungen dachte, wurden die preußischen Granden durch die Publikation der Memoiren von Bülows Amtsvorgänger, dem Fürsten Hohenlohe, schwer verstimmt. Onkel Chlodwig, den man als einen schlafmützigen Greis zu betrachten gewohnt war, zeigte in seinen Erinnerungen eine bemerkenswerte Geistesfrische. Seinem Unglauben an die den Thron stützenden Mächte gab er einen nicht einmal mehr formal höflichen Ausdruck. Dem süddeutschen Grandseigneur rochen die Herren Junkers allzu stark nach Juchten, ihre politische Sturheit war ihm unleidlich, ihre deutschpatriotische Gesinnung mehr als verdächtig. »Sie pfeifen auf das Reich«, schrieb Onkel Chlodwig, und deshalb hat er bis heute kein Denkmal bekommen, obgleich er gewiß nicht dümmer war als die Leute, die gemeinhin auf Granitsockeln herumstehen.

Von Bülows Erinnerungen liegt jetzt Band III vor. Hier zeigt der Memoirenschreiber endlich, daß er mehr war als ein geschmeidiger Blagueur. Wenn dieser Band auch seinem Charakter ebensowenig Ehre macht wie die beiden vorangegangenen, so zeigt er doch seinen Verstand in besserm Lichte. Am meisten interessieren uns Bülows Glossen zum Weltkrieg, die nicht umsonst den Grafen Westarp so sehr in Harnisch gebracht haben, denn sie sind in der Tat ein harter Schlag für die Unschuldspropaganda. Viele kleine schnell hingewischte Bildchen vervollständigen diesen Eindruck. Da schildert Bülow eine Begegnung mit dem österreichischen Botschafter, Grafen Szögyényi, nach dem Attentat von Serajewo. Der Bevollmächtigte der Habsburger äußert sich also: als Christ wie als ungarischer Edelmann bedaure und beweine er das Schicksal des Erzherzogs und seiner edlen Gemahlin, politisch sehe er in dem Ausscheiden des Thronerben »eine gnädige Fügung der göttlichen Vorsehung.« Und nun bedenke man, wie grade in diesen Tagen Deutschland und Österreich chauvinistisch zerwühlt wurden, man vergleiche damit die kühle Gelassenheit, die skeptische Distanz derjenigen, für die das Theater aufgeführt wurde. Europa wird in den Tod gehetzt zur Sühnung einer Mordtat, die den Habsburgern selbst als eine besondere Liebenswürdigkeit der Vorsehung erscheint.

Vernichtend ist das Zeugnis Bülows für die deutsche Außenpolitik von 1914. Er sieht überall Dilettantismus und Neurasthenie, er verwirft das Ultimatum an Belgrad und tadelt die deutschen Staatsmänner hart, die sich vom Ballhausplatz mißbrauchen ließen:

»Bethmann und Jagow täuschten sich im Sommer 1914 in allem und jedem. Sie täuschten sich in der von ihnen vorausgesetzten Zugkraft der Mordtat von Sarajewo, die, wie sie fälschlich annahmen, alle Mächte an die Seite Österreichs führen würde. Gegenüber der russischen Mentalität war, wie ich dies Bethmann vorausgesagt hatte, diese Zugkraft von vornherein sehr gering. Und auch im Westen versagte sie, als dort die Übertreibungen, die Schroffheit und Plumpheit der österreichischen Pläne zutage traten. Die Leiter unsrer auswärtigen Politik täuschten sich in Italien und Rumänien, die sie zu übertölpeln und zu überrennen dachten, die sich aber, mit Rußland und Frankreich hinter sich und gestützt auf den Wortlaut der Dreibundverträge weder überlisten noch einschüchtern ließen. Bethmann und Jagow täuschten sich vor allem in England.«

Den ärgsten Fehler sieht Bülow in den Kriegserklärungen Deutschlands an die andern Mächte, denn es machte sich damit vor allen zum Angreifer:

»Fürst Bismarck hatte es verstanden, sowohl 1870 wie selbst 1866 dem Gegner die formale Kriegserklärung zuzuschieben ... Bethmann Hollweg war plump und unpolitisch genug, das Odium des Angriffs auf uns zu laden. Wenn es bis zu einem gewissen Grade verständlich ist, daß wir, nachdem wir uns mit Rußland im Krieg befanden, den Stoß gegen Frankreich so rasch wie möglich führen wollten, so ist es doch unverständlich und völlig unbegreiflich, warum wir Rußland von uns aus den Krieg erklärt haben. Das hat uns, mit Unrecht, aber in schwer zu widerlegender Weise, in den Augen der Welt als die Brandstifter erscheinen lassen.«

Endlich gibt Bülow noch eine Schilderung Albert Ballins wieder, der am 1. August im Reichskanzlerpalais die Abfassung der Kriegserklärung an Rußland miterlebte. Eine Komödienszene. Bethmann Hollweg läuft mit langen, erregten Schritten im Zimmer umher, vor ihm, an einem mit Folianten bedeckten Tisch, sitzt Geheimrat Kriege:

»Kriege war ein fleißiger, ein gewissenhafter, ein eifriger Beamter. Er war, um einen Bismarckschen Ausdruck zu gebrauchen, ein sattelfester Jurist. Aber seine politische Begabung stand nicht auf der Höhe seines juristischen Wissens. Bethmann, so erzählte mir Ballin, richtete von Zeit zu Zeit an Kriege die ungeduldige Frage: ›Ist die Kriegserklärung an Rußland noch nicht fertig? Ich muß meine Kriegserklärung an Rußland sofort haben!‹ Der ganz verstört aussehende Kriege suchte inzwischen nach einem Simile in den bewährtesten Lehrbüchern des Völker- und Staatsrechts von Hugo Grotius: ›De jure belli ac pacis‹ bis zu Bluntschli, Heffter und Martens.«

So eine Darstellung ist auch heute, so viele Jahre später, noch recht lehrreich, denn es gibt noch immer genug Leute, die ihre Kriegserklärung nicht schnell genug bekommen können. Was Fürst Bülow über die Entstehung des Weltkrieges und warum wir ihn verlieren mußten, sagt, ist im Grunde nicht sehr neu. Deutsche Oppositionelle haben das schon mitten im Kriege behauptet und sind dafür verfolgt und eingesperrt worden. Selbst Karl Liebknecht hat im Anfang nichts Schwereres gegen die deutsche Kriegspolitik gesagt. Fürst Lichnowsky allerdings hat das Schweigen gebrochen, und dafür ist es ihm auch schlecht gegangen. Übrigens hält auch Bülow ihm gegenüber sorgfältig Distanz, er stellt ihn als ahnungslosen Amateur hin. Wie anders wäre alles vielleicht verlaufen, wenn die Wissenden nicht aus ihrem Herzen eine Mördergrube gemacht hätten. Die Wahrheit ist nicht nur sittlich wertvoller, sie hat in der Politik auch ihren besondern Nützlichkeitsgehalt. Wäre die öffentliche Meinung in Deutschland rechtzeitig aufgeklärt worden, so hätte die Katastrophe nicht diesen Umfang angenommen. Für einen Frieden der Verständigung wären die stimmungsmäßigen Voraussetzungen dagewesen. So aber ist das deutsche Volk zwiefach belogen worden: es glaubte an die Unschuld seiner Regierung, und es glaubte an den Sieg, weil man ihm die Kriegskarte falsch deutete. Männer wie Bülow und Ballin hätten damals den Ausschlag geben können. Sie zogen es vor, zu schweigen oder ihre wirkliche Meinung für Privatgespräche und Memoiren zu reservieren. Damit hat Fürst Bülow, mögen seine Erinnerungen auch noch so aufschlußreich sein, einen Platz im Pantheon verwirkt. Wenn sich heute ein paar nationalistische Krakehler gegen ihn ereifern und den Sarg am liebsten aufreißen möchten, so kann man nur gegen die Leichenschänder einiges vorbringen, für den Toten aber wenig.

Die Weltbühne, 3. März 1931


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