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Tabula rasa

Das Jahr 1931 war das Unglücksjahr des deutschen Bürgertums. Wenn seine Außenwerke schon vorher demoliert waren, so verkrachten in diesem Jahre seine Hauptstellungen. Hatte die Krise in ihren Anfängen nur Triebsand erfaßt, Spekulationsunternehmen umgeblasen oder Altgewordenem den Rest gegeben, so drang sie 1931 in die Zentren des Wirtschaftskörpers und warf um, was durch organisierte Macht oder durch altererbte Respektabilität auch im ärgsten Feuer gehärtet schien.

Mit diesen ökonomischen Grundlagen des Bürgertums sinkt auch der bürgerliche Geist. Der fragwürdig gewordene Besitzbürger, der wenigstens noch das Gesicht zu wahren versucht, wird als Ci-devant verspottet wie vor hundert Jahren ein entwurzelter Feudaler, der noch von der Zopfzeit schwärmte. Losgelöst von Besitz und Erbe und von der Möglichkeit neu zu erwerben, torkelt der bürgerliche Mensch herum, anarchisiert und proletarisiert, unfähig, seine besten traditionellen Eigenschaften an veränderten Zeitläuften zu erproben. Der bürgerliche Geist, der hundertfünfzig Jahre lang Deutschland beherrscht und einen großartigen Kulturstandard geschaffen hat, wenn auch keine eigne politische Form – dieser Geist wird jetzt plötzlich primitiv, reizlos, knotig. Es ist kein Wunder, wenn die Ganzradikalen, die Fascisten und Kommunisten ihr Urteil über die bürgerliche Gesellschaft von heute dahin zusammenfassen: Hier sieht man ihre Trümmer rauchen, der Rest ist nicht mehr zu gebrauchen! Auf diesen Trümmerhaufen aber gedeiht eine ganz eigne Romantik. Dort haben die Propheten und Sibyllen Platz genommen und weissagen von der Auferstehung des Bürgertums.

Der Dichter Hans Grimm, der Verfasser des erfolgreichen Romans »Volk ohne Raum«, hat kürzlich in Berlin einen Vortrag gehalten, der sich im Titel »Von der bürgerlichen Ehre und bürgerlichen Notwendigkeit« eng an ältere romantische Vorbilder anlehnt, und den die ›D.A.Z.‹ jetzt ihren Lesern zum Christfest schenkt. Hans Grimm sieht mit einigem Schrecken Fascismus und Kommunismus dem gleichen Effekt zustreben: der Zerstörung aller bürgerlichen Werte und der Errichtung eines Staates, der ausschließlich auf der Autorität eines parteibestallten Funktionärstum ruht. Und daß grade die ›D.A.Z.‹ es für nötig hält, diesen Vortrag in acht langen Zeitungsspalten wiederzugeben, zeugt wohl auch davon, daß ihr Chefredakteur, der den deutschen Fascismus erst richtig hochgepäppelt hat, jetzt wenigstens seiner Hypertrophie mit einer Injektion lauwarmer Milch entgegenwirken möchte.

Hans Grimm ist ein sauberer Schriftsteller ohne Macht der Imagination oder des Wortes. Er wird einen Gegner immer von seiner Lauterkeit überzeugen, niemals von seinem Intellekt. Er hat eine Lehrzeit in Afrika hinter sich und wohnt heute in einem schönen alten Klosterhaus an der Weser, das er sich erschrieben hat. Ein tüchtiger Mann; dieses Wort, das ihn ehrt, zeichnet auch seine Grenzen. Grimm spinnt nicht einen originalen Gedankenfaden, und was er vom Bürgertum zu retten sucht, das ist nicht der Geist, sondern der höchst sterbliche Habitus und die zeitbedingten Vorurteile.

Grimm predigt das besondere »Herrentum« des deutschen Volkes. Deutschland ist »adlig«, ist auserlesen zu erhabenem geschichtlichen Beruf. Die Verheißung Fichtes oder die der ekstatischen alten Juden vom Jordan, wenn man will. Den Sozialismus verachtet Grimm als asiatisches Sklavenideal: »Der Paria will den Sozialismus vom Sklaven aus, es ist seine Art: Weil er sich schwach fühlt, möchte er, daß Schwäche Recht wird vor Kraft, mit der Folge des allgemeinen Elends und der allgemeinen Verlumpung.«

Hans Grimm will demgegenüber den Individualismus, aber nicht als Willkür, sondern als »Recht des jeweils Besten«. Als ob jemals ein System, ob individualistisch oder kollektivistisch auf die Steigerung der Leistung verzichtet hätte! Verlangen denn nicht auch die alten Demokratien von ihren Männern das Äußerste? Und sucht nicht das kommunistische Rußland bei der Durchführung seines Industrieplans jeden Betrieb, jeden Arbeiter zur höchsten Einzeltat anzuspornen? Proletarier ist für Hans Grimm, wer »die Armut aller will, um den eignen Lebensbankrott zu rechtfertigen.« Hier redet aus dem Seher vernehmlich und recht pharisäisch der erfolgreiche Bürger, der Mann, der mit einem schönen Wohnhaus sein eignes Raumproblem zufriedenstellend gelöst hat. Wie liberalistisch-manchesterlich ist es doch, Hans Grimm, das soziale Schicksal leugnen zu wollen und alles auf die Tüchtigkeit oder das Versagen des Einzelnen zu wälzen! Wie ungeheuerlich ist es, das Individuum allein gegen die anonymen Gewalten der Wirtschaft zu stellen und den, der besiegt wird, Paria zu schelten!

Es ist keine Entschuldigung, daß dieses ganze Vokabular nicht von Hans Grimm selbst stammt, sondern in seiner letzten Anwendung von Moeller van den Bruck, der es von Houston Stewart Chamberlain übernommen hat, dieser wieder von dem alten Bayreuther Kreis und dieser wieder von dem Sohn des Färbers Simon Gobineau. Diese Entwicklungsreihe zeigt zugleich in tragischer Weise die Etappen der innern Verarmung des deutschen Bürgertums an, wie kümmerlich und sektiererisch das geworden ist, was bei Nietzsche berauschendes Wort, bei Wagner betörende Musik war. Die Kontrabässe und Oboen sind verstummt, aus dem leeren Orchester von Bayreuth redet ein matter Epigone, gelegentlich von einem gespenstischen Paukenschlag interpungiert. Der Parsifal von heute wohnt im Braunen Haus.

Auch für Hans Grimm ist der Nationalsozialismus »die erste und bisher einzige echte demokratische Bewegung des deutschen Volkes«. Nationalsozialismus bedeutet ihm nicht Gleichheit sondern »Gemäßheit«, und das heißt, »sich zur Führerschaft der jeweils Besten zu bekennen«, wodurch »ganze Deutschheit« dargetan wird. Aber auch Grimm sieht erschreckt, wie der Nationalsozialismus taktische Konzessionen an die breite Masse macht, wie er das Bürgertum kaum noch zur Verschrottung gut genug hält, wie er die herkömmlichen Begriffe vom Eigentum als überlebt abtut. »Über das Eigentum führt der Weg zur Herrengesinnung«, doziert Grimm; er sträubt sich dagegen, daß man das Kind mit dem Bade, den Kapitalismus mit den Juden in die Senkgrube schüttet. Marxistische Fälscherstücke dringen in die reine Lehre ein, Bürgertum wird mit Bourgeoisie zusammengeworfen, der »Gegensatz vom nationalen Haben im bürgerlichen und vom internationalen Haben im Börsensinne mit erfolgreichem Fleiße verwischt.« Angesichts dieser grausigen Vorstellung reckt sich Grimm zur ganzen Größe eines noch halbwegs intakten Konteninhabers auf und ruft aus: »In eurem neuen Gemeinschaftsgefühle steckt eine ungeheure Gefahr, daß ihr auf einem nur umständlicheren andern Wege dem asiatischen Pariaideale selbst zuschreitet.« So endet der stolze nationale Bauchschwung. Einer der ersten und wirksamsten Künder des deutschen Nachkriegsnationalismus klappt zusammen, weil die von ihm mitgenährte Bewegung in der Agitation auf ein paar sozialrevolutionäre Grolltöne nicht verzichten mag. Weil überhaupt keine Bewegung, die heute wirken will, an der leiblichen Not der alten oder neuen Proletarier vorübergehen kann. Auch ein »adliges Volk« im Sinne Hans Grimms möchte sich gelegentlich sattessen.

Es ist indessen nicht der Zweck dieser Zeilen, gegen Hans Grimm zu polemisieren sondern ihn zu beruhigen. Hitler ist und bleibt der Condottiere des Industriekapitals. Nichts konnte bisher den Verdacht stärken, Hitler und seine Granden wollten im Grunde dasselbe wie die Roten. Das Gräßlichste an Hans Grimms herzlich magern Vision vom Dritten Reich ist doch eben, daß es ziemlich so kommen wird, wenn Hitler wirklich das Regiment ergreifen sollte. Da auch dieser säkulare Komödiant kein Zauberer ist und nicht mehr Nahrung geben kann als vorhanden ist, so wird er eben statt Brot mit Phrasen und Spielen aufwarten müssen. Diese Spiele werden vielleicht blutig sein, aber sie werden immer nur die Unfähigkeit verdecken müssen, daß sich im Grunde nichts geändert hat, nichts wandeln wird. Wir gehen ganz sicher, daß der deutsche Fascismus das Eigentum so energisch schützen wird, wie es Hans Grimm verlangt, vorausgesetzt, daß bis dahin unter dem schrumpfenden Hauch der Krise die Reste nicht mikroskopisches Format angenommen haben werden. Hans Grimms Sorgen sind ganz überflüssig, seine Nerven sind seinem hohen Apostolat nicht gewachsen, seine Verstandeskräfte nicht dem Augurengrinsen der Eingeweihten, wenn das Wort Sozialismus fällt. Es ist überhaupt etwas merkwürdig bestellt um diese Literaturbarden des Nationalsozialismus. Ihnen allen schwebt, vielleicht unbewußt, Gabriele d'Annunzio vor, wie er seine berühmten Verheißungen an Italien richtete und damit sein Volk in den Höllenkessel am Isonzo riß. Wenn Hans Grimm die Nation zur Tat aufruft und ihr adliges Vorrecht proklamiert, wird der solchermaßen nobilisierte Bürger nicht gleich wie der Römer zum Schwert greifen, sondern zunächst einmal sein Dienstmädchen anschnauzen, um sein Herrentum zu bestätigen. Die Wirkung ist also nicht so groß wie die d'Annunzios, dafür aber weit harmloser. Aber auf die Größe kommt es Herrn Grimm doch an.

Die Weltbühne, 29. Dezember 1931


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