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Braun und schwarz

Wieder sind die Besprechungen zwischen Zentrum und Nationalsozialisten ergebnislos verlaufen. Schon einmal, im Spätherbst vorigen Jahres, war man nahe daran, sich zu verständigen. Hauptmann Goehring erschien, wie jetzt, häufig als Bote in der Reichskanzlei. Dann machte sich Brüning auf die Ostreise; die Pfiffe der Hakenkreuzler begleiteten ihn von Königsberg bis Beuthen. So zerschlug sich das Geschäft. Wenn auch heute keine Einigung erzielt werden konnte, so hat doch das Zentrum bewiesen, daß es zum Verrat bereit ist. Auf diese Bereitschaft kommt es an, nicht auf den mehr oder weniger großen Effekt der Bündnisverhandlungen.

Heute, wo die letzte heilgebliebene bürgerliche Partei sich gewillt zeigt, die Republik an den Fascismus auszuliefern und nur über Formfragen noch nicht mit sich im reinen ist, fordere ich Sie auf, verehrter Leser, mit mir einen flüchtigen Blick auf jene Zeit zu tun, die uns so mythisch erscheint wie jener Tag, da Helena in Troja einzog. Ich brauche nicht zu sagen, daß ich vom 9. November 1918 spreche, dem Geburtstag der deutschen Republik. Philipp Scheidemann erzählt in seinen Erinnerungen ausführlich, wie er seinen imponierenden Wallensteinkopf im Speisesaal des Reichstags grade über eine dünne Wassersuppe geneigt hatte und wie er aufgefordert wurde, an die Menge vor dem Haus eine Ansprache zu halten. Der alte Fanfaron wirft sich in Positur, er spricht von der Balustrade und schließt die paar kühn geschmetterten Sätze mit einem Hoch auf die deutsche Republik. An seinen Tisch zurückgekehrt, findet er bei seinen Freunden geringere Begeisterung als draußen. »Ebert war vor Zorn dunkelrot im Gesicht geworden, als er von meinem Verhalten hörte. Er schlug mit der Faust auf den Tisch und schrie mich an: ›Ist das wahr?‹ Als ich ihm antwortete, daß ›es‹ nicht nur wahr, sondern selbstverständlich gewesen sei, machte er mir eine Szene, bei der ich wie vor einem Rätsel stand. ›Du hast kein Recht, die Republik auszurufen. Was aus Deutschland wird, Republik oder was sonst, das entscheidet eine Konstituante.‹« Das war die Geburtsstunde der deutschen Republik. Beschließen wir damit die rote Vision des 9. November. Die Gegenwart trägt andre Farben. 1931 geht braun und schwarz.

Das Zentrum erklärt jetzt offiziell, daß an eine Koalition mit Hitler niemand gedacht hat. Wirklich nicht? Warum dann das sehr intensiv geführte Frage- und Antwortspiel dieser letzten Woche? Es ist selbstverständlich, daß das Zentrum sich bei diesen Unterhaltungen den Rücken zu decken suchte und deshalb eine sehr salbungsvolle aber auch etwas hochmütige Sprache wählte, die den Nationalsozialisten hart an die Nieren ging. Es komme darauf an, die Hitlerpartei »durch rechtzeitige Eingliederung in die deutsche Staatsführung« unschädlich zu machen, die Partei müsse auch eine »innere Umkehr« erleben, so hieß es. Hatte das Zentrum diese Sprache mit Absicht gewählt, um sich beruhigen zu lassen, so hat ihm der Verhandlungspartner diesen Gefallen nicht getan. »Eine unverfrorene Anmaßung«, so polterte es aus dem ›Völkischen Beobachter‹, und Herr Stöhr, der neulich so bemerkenswerte Vorschläge zur Belebung der deutschen Hanfseilindustrie gemacht hat, antwortete ganz unmißverständlich, seine Partei werde legal bleiben »bis zum Tage des Sieges«. Herr Prälat Kaas, ein gebildeter und diplomatischer Kleriker, mag die Hände gerungen haben über soviel Tölpelei. Aber was durfte er denn andres erwarten? Das Zentrum behauptet, sich mit dieser Episode nichts vergeben zu haben. »Eine Diskussion mit einem Gegner ist nichts als eine Frage der allgemeinen Klärung«, schreibt die ›Germania‹. Ob an der N.S.D.A.P. noch etwas zu klären ist, bleibe dahingestellt. Aber etwas andres ist ganz gewiß geklärt worden. Über die grundsätzliche Bereitwilligkeit des Zentrums, mit dem Fascismus zu paktieren, besteht auch nicht mehr der leiseste Zweifel. Wenn die Koalition nicht zustande gekommen ist, so sind die Gründe dafür in keinem prinzipiellen Bereiche zu suchen. Das Zentrum war nur um eine anständige Drapierung verlegen. Hitlers Interessen entspricht eine solche Verkleidung kaum. Darum ging der Streit, darüber wurde man sich diesmal nicht einig.

Es ist ein gelinder Unfug, wenn von Zentrumsseite der Versuch unternommen wird, einen Unterschied zu konstruieren zwischen dem Scharfmacher Hugenberg und dem »sozial denkenden« Hitler. Fällt wirklich jemand auf eine so schwachsinnige Machination herein? Hugenberg gehört direkt zur Schwerindustrie, er ist ein Stück von ihr. Hitler ist ihr mittelbares Werkzeug. Aber beide agieren für die gleichen Kassenschränke, und ein Hitler, der heute mit den Gewerkschaften zusammen gegen seine alten Freunde und Auftraggeber Arbeiterpolitik machen wollte, täte am besten, sofort sein Testament aufzusetzen. Wenn auch die plastische Kraft der deutschen Schwerindustrie ziemlich erschöpft ist, kaputt machen kann sie noch immer. Ein von den publizistischen Hetzhunden der Schwerindustrie in die Waden gebissener Hitler hat aber für das Zentrum nicht viel Wert, das braucht für seine Zwecke den großen Tribunen in möglichst intaktem Zustand. Das Zentrum braucht Hitler nicht als sozialen Friedensfürsten, sondern um außenpolitische Verantwortung mit ihm zu teilen. Deutschland ist auf französische Hilfe angewiesen. Dank der im letzten Jahre entfalteten außenpolitischen Aktivität und dank der ewigen nationalistischen Provokationen wird diese Hilfe nur unter schwersten finanziellen und politischen Garantien gewährt werden. Für diese ungeheure Last sucht das Zentrum einen Partner, und zwar, was nicht reizlos ist, den Führer der großmäuligsten chauvinistischen Partei. Das neue Versailles soll neben der Unterschrift Brünings die Hitlers tragen.

Nun scheint gewiß die Frage berechtigt, ob Hitler wirklich dumm genug ist, eine komfortable Oppositionshaltung mit viel Mühsal und Risiko zu vertauschen. Wer diesen Einwurf macht, vergißt, daß eine so ungeheuer gewachsene Partei wie die N.S.D.A.P. nicht dauernd auf der Stelle treten kann. Sie muß ihren Leuten schließlich doch etwas mehr bieten als Skandal. Hitler muß in den Staat, schon allein deswegen, weil die finanzielle Last auf die Dauer zu groß wird und aus der Industrie keine wesentlichen Zuschüsse mehr kommen. Eroberung des Staates, das heißt die Mittel zur Subventionierung in die Hand bekommen, das heißt Stellen und Posten. Und wenn auch zunächst nur ein bescheidener Prozentsatz der Getreuen versorgt werden kann, so ist doch der ungeheure Anreiz für die andern, für die noch Wartenden, da. Die Kapitulation vor Frankreich ist natürlich sehr bitter, aber da läßt sich schon ein Dreh finden. Hitler wird eine auch noch so defaitistische Außenpolitik schlucken, wenn man ihm dafür den »innern Feind« für leichte Siege zur Verfügung stellt. Verbot der schärfsten Konkurrenz, der K.P.D., Treibjagd auf Sozis, Pazifisten und Demokraten, natürlich immer legal, straffer völkischer Kurs in der Kulturpolitik, das wären so die Surrogate für die weiter zu vertagende Vernichtung des Erbfeindes. Zu alledem braucht man keine Gewaltmaßnahmen, der Autor der Notverordnungen hat bestens vorgearbeitet, und der Staat versteht auch, ein Auge zuzudrücken. Seit langem strengt man sich doch an, der unverhüllten Rechtsdiktatur nicht mehr viel zu tun übrig zu lassen. Herr Groener zum Beispiel hat seine Tätigkeit als Reichsinnenminister damit begonnen, eine von seinem Vorgänger geschaffene Amtsstelle zur Observation der Rechtsradikalen aufzuheben. Aus Sparsamkeit natürlich. Es ist erfreulich, daß Groener als Reichsinnenminister Gelegenheit bekommt, von der Tugend der Sparsamkeit Gebrauch zu machen. Als Wehrminister mußte er sie sich leider verklemmen. Was für Torturen mag der Ärmste alljährlich vor dem Militäretat ausgestanden haben?

Es sind aber nicht nur außenpolitische Motive für die Taktik des Zentrums bestimmend, mindestens in gleichem Maße hat die Furcht der Kirche vor dem Kommunismus die Fühlungnahme mit Hitler begünstigt. Diese Furcht wird begreiflich, wenn man den Fundus der Kirche in Betracht zieht, ihren Einfluß auf den Staat, den sie sich mit den verschiedensten, mit den feinsten und gröbsten Mitteln gesichert hat. In der ›Kölnischen Volkszeitung‹ vom 31. Oktober wird eine sehr umfangreiche Aufstellung gebracht, was die Kirche in Deutschland an Unterricht, Krankenpflege und Caritas leistet und in welchem Maße der Staat dadurch entlastet wird. »Was Ordensgesellschaften und Kirche für diese Zwecke an Geld aufbringen, erspart der Staat, ganz abgesehen davon, daß in den Ordensanstalten tagtäglich Leistungen vollbracht werden, die weiterhin dem Staate ungeheure Summen ersparen. Die Beschulung von rund 30 000 Schülerinnen in höhern, von Ordensschwestern geleiteten Schulen bringt dem Staat und den Kommunen eine jährliche Ersparnis von mindestens 8 bis 9 Millionen Mark. Jede eine Ordensschule besuchende Schülerin kostet den Staat im Durchschnitt gerechnet 23,33 Mark, während das staatliche Beschulungsgeld für Volksschüler zur gleichen Zeit rund 40 Mark beträgt. Die Gesamtsumme, die der Staat an den katholischen Krankenpflegeanstalten und andern katholischen caritativen Anstalten spart, beträgt jährlich 120 bis 150 Millionen. Im Dienste dieser Caritas stehen 70 000 Ordensschwestern und 3158 Brüder ...« Auch für Armenpflege und Volksspeisung werden imponierende Ziffern genannt, und obgleich wir nicht verkennen, daß eine warme Suppe ein besseres Argument ist als eine theologische Doktrin und obgleich wir nicht den idealistischen Schwung der namenlosen Helfer dieser Werke unterschätzen, so muß doch gesagt werden, daß die Kirche als Institution dem Staat nur Arbeit und Gefahren abnimmt, um sich desto wärmer in ihm zu betten. Diese katholische Caritas ist eine höchst edle Form von Propaganda, aber doch eben Propaganda, die der Festigung irdischer Güter und irdischer Macht dient. Beide werden durch einen Vormarsch der Roten bedroht, um diese abzuwehren, ist jedes auch noch so verschmähte Mittel recht, und Adolf Hitler mit der Swastika auf der heidnischen Teutonenbrust, gestern noch ein Wechselbalg des Teufels, avanciert schnell zum Knecht Gottes und zum Defensor der sichtbaren Kirche.

Die Weltbühne, 10. November 1931


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