Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

997

Cuno und Curtius

Deutschland ist das Land, wo die großen Nieten immer wiederkommen. Der Ruhm eines Politikers wird nach dem Umfang des von ihm angerichteten Schadens bemessen. Deshalb wünschte sich auch eine Gruppe von Industriellen und Agrariern Herrn Geheimrat Cuno als Außenminister. Cuno –? Warum nicht gleich Ludendorff? Aber Ludendorff ist bei all seinen Verschrobenheiten dennoch ein bedeutender Fachmann, während Cuno nur ein gleichgültiger höherer Beamter ist, der in seiner Carriere mehr Glück gehabt hat als das deutsche Volk mit ihm. Die ›Deutsche Allgemeine Zeitung‹, die Herrn Cuno so tüchtig vorgearbeitet hat, wäre ohne die verfrühte Nennung seines Namens ohne Zweifel erfolgreich gewesen. Dieser Name aber wirkte abschreckend. So führte die Pressekampagne nur zu einer schweren Verletzung des Herrn Curtius, ohne daß die Erhebung des Herrn Cuno gelungen wäre.

Dieser harte und wirkungsvolle Vorstoß der ›Deutschen Allgemeinen Zeitung‹ zeigt wieder einmal aufs deutlichste, daß die wirkliche Macht auf der deutschen Rechten nicht bei dem lärmenden Straßenfascismus liegt, sondern bei jenen kleinen schwerindustriellen Gruppen, die sich ganz nach Bedarf auch ein liberales Air zu geben vermögen. Deren Stirnrunzeln genügt, um auch einen weniger schattenhaften Minister als Curtius zum Wackeln zu bringen. Denn Curtius ist als Außenminister erledigt, auch wenn er von Brüning noch eine Weile gehalten wird. Die Schnelligkeit, mit der die Presse aller Farben von ihm abrückte und seinen vollen Mißerfolg in Genf feststellte, bezeichnet den Grad seiner Vereinsamung. Die ›Deutsche Allgemeine Zeitung‹ hat einen guten Mann begraben, und niemandem war er mehr.

Es ist natürlich ein Unsinn zu behaupten, Curtius habe die deutsche Sache in Genf in eine Katastrophe geführt. Deutschland steht wieder einmal isoliert da, aber das liegt nicht daran, wie das Projekt der deutsch-österreichischen Zollunion vor dem Völkerbund vertreten wurde, sondern in der Existenz dieses Projektes selbst. Eine weitsichtigere und weniger von nationalistischen Strömungen abhängige deutsche Außenpolitik würde es vermieden haben, alle Welt gegen sich aufzubringen, während sie noch über dem viel schwierigeren Gedanken brütete, wie man in absehbarer Zeit eine aussichtsreiche Debatte über die Youngzahlungen eröffnen könne. Die deutsche Außenpolitik hat, wie so oft, das Lebenswichtige einer nutzlosen patriotischen Spielerei geopfert. So kam Curtius nach Genf, umrauscht von nationalistischen Fanfaren, die er gewiß weder gewünscht noch bestellt hatte, die aber seine Sache noch mehr diskreditierten. Deutschland blieb ohne Genossen, ohne Verteidiger; es stand einer Wand von Ablehnung und Zweifeln gegenüber. Die freundliche Geste, die Arthur Henderson im Namen Englands fand, hat auch etwas fatales an sich: es war die des alles verstehenden Onkels, der selbst vor den ärgsten Exzentrizitäten der lieben Kleinen den Humor behält.

Curtius wird es als ein bitteres Schicksal empfinden, daß der Überfall auf ihn grade von denen inszeniert wurde, die seinerzeit nicht genug tun konnten, ihn zur Zollunion zu beglückwünschen und die ihn seither aufs heftigste angespornt haben. Curtius ist im besten Bewußtsein in eine Falle gerannt, er glaubte an seine Zollunion, an ihre deutsche und europäische Bedeutung. Die guten Leute jedoch, die ihn immer wieder ermahnten, sie wie eine magna Charta zu verteidigen, glaubten nicht so fest daran. Ihnen war sie höchst belanglos. Sie sahen in ihr nur einen Sprengstoff für die genfer Verhandlungen, den idealen Anlaß zum Krach. Die deutsche Reaktion lebt seit Jahren von den außenpolitischen Niederlagen Deutschlands, aus ihnen leitet sie ihre These von der angeblichen Pariastellung Deutschlands her. Sie hat grade jetzt Grund genug, einen neuen Schulfall für ihre Behauptungen zu wünschen. Denn je geknechteter, je ärger beleidigt Deutschland erscheint, desto besser gehen die Geschäfte der von der Schwerindustrie und ihren Banken ausgehaltenen Revancheparteien. So hat man den bemitleidenswerten Curtius wie einen Urias grade dorthin geschickt, wo die Pfeile am dichtesten fallen. Von der Zollunion, die jetzt in Genf still beigesetzt worden ist, wird bald niemand mehr reden. Sie hat ihren Dienst, Unruhe zu stiften, hinreichend erfüllt. Wir haben das, im Gegensatz zu den meisten republikanischen Blättern, lange vorausgesagt. Von der liberalen Presse hat nur das ›Berliner Tageblatt‹ dem törichten Projekt gegenüber eine ehrenvolle Skepsis bewahrt.

Den großkapitalistischen Verschwörern kommt es selbstverständlich nicht nur auf eine innenpolitische Machination an. Ihre Ziele reichen weiter. Der Frühjahrskrach in Genf soll nur den Austritt aus dem Völkerbund im Herbst vorbereiten. Deutschland soll wieder »freie Hand« bekommen, es soll aufhören, Reparationen zu zahlen. Das ist der Inhalt der sogenannten außenpolitischen Aktivität, wobei auf die Unterstützung Rußlands und Italiens gerechnet wird. Man unterschätze die Gefahr solcher Gedankengänge nicht; wenn sich auch die Politiker noch recht zurückhaltend zeigen, so ist ihnen wenigstens literarisch schon sehr kräftig vorgearbeitet worden. Die ›Deutsche Allgemeine Zeitung‹ schreibt noch sehr behutsam, nicht nationalistischer Machtrausch treibe sie, es sei aber »Überprüfung des deutschen Verhältnisses zum Völkerbund« erforderlich. Da hierzu schlechterdings kein Anlaß vorhanden ist, so mußte einer geschaffen werden. Das Beispiel der französischen Reaktion, die dem pazifistischen Außenminister unmittelbar vor seiner Reise nach Genf den Todesstoß versetzte, ermutigte die deutschen Confratres, auch gleich mit Briands deutschem Kollegen aufzuräumen. In der ›Deutschen Allgemeinen Zeitung‹ war dies Geschäft besonders gut aufgehoben, denn deren Chefredakteur, Herr Doktor Klein, eine Begabung, die der berliner Publizistik aus Siebenbürgen zugewandert ist, hat auf Curtius einen besondern persönlichen Pique. Im vergangenen Sommer, als Herr Treviranus noch der große Mann war, richtete Herr Doktor Klein seinen Ehrgeiz darauf, Pressechef in der Wilhelm-Straße zu werden oder richtiger, eine Art von Reichspropaganda-Chef. In der Umgebung des Außenministers jedoch empfand man Herrn Doktor Klein als aufdringlichen Wichtigtuer. Der deutsche Patriot aus Siebenbürgen blitzte ab. Er hat diese Kränkung nicht vergessen.

Wenn auch die Schilderhebung Cunos diesmal mißglückt ist, die von Curtius schwach genug verwalteten Reste Stresemannscher Politik sind schwer lädiert. Es braucht ja nicht Herr Cuno zu sein, der die neue Linie der Außenpolitik beginnt. Für die ›Deutsche Allgemeine Zeitung‹ lag der Herr Geheimrat natürlich am nächsten, weil er zum engern Kreise ihrer Ernährer zählt, für die Herren von der Schwerindustrie, weil er der Reichskanzler der Inflation war, der Deutschland schon einmal an den Bettelstab gebracht hat, und weil unter seinem Regime mitten im allgemeinen Elend die Schwerindustrie verdient hat wie noch nie. Herr Cuno ist nicht die einzige staatsmännische Potenz dieser Art, es laufen noch andre beschäftigungslos herum, und ihre Chance steigt, je geringere Aussicht die Reichsregierung hat, noch weiter auf Tolerierung durch die Sozialdemokratie zu zählen, je mehr sie sich auch offen der radikalen Rechten verschreiben muß.

Die Weltbühne, 26. Mai 1931


 << zurück weiter >>