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Ein Kapitel Außenpolitik

In der ›Frankfurter Zeitung‹ hat neulich deren außenpolitischer Redakteur, Herr Wolf von Dewall, eine kritische Betrachtung über das geringe außenpolitische Verständnis in Deutschland veröffentlicht. Der Verfasser sieht die meisten außenpolitischen Erörterungen bei uns von Parteipolitik und Radikalismus zerfressen. Die Bürgerkreise sind bis heute unbelehrbar geblieben – die deutsche Außenpolitik lebt isoliert, sie ist ohne Volk.

Die Diagnose des Herrn von Dewall ist richtig aber noch lange nicht trübe genug. Beinahe jede außenpolitische Erörterung bei uns steht unter der Diktatur des völkischen Botokudentums. Es fällt schwer, selbst unter politisch Interessierten und nicht ganz Ahnungslosen ein Gremium für eine außenpolitische Unterhaltung zu finden, in der nicht die offenbaren Phantastereien überwiegen. Dabei ist noch in Betracht zu ziehen, daß wir in Deutschland über eine ziemlich verbreitete Kenntnis fremder Länder verfügen. Wir treffen überall weitgereiste Mitbürger, die über die Verflechtung politischer und wirtschaftlicher Dinge auf dem Balkan, in Indien oder Südamerika gut und unterrichtet zu sprechen vermögen, deren Urteil aber sofort versagt, wenn die Rede auf Deutschland kommt. Dann tritt an die Stelle von Fingerspitzengefühl und Wissen sofort die ordinärste Phrase.

Herr von Dewall macht für diesen Zustand vor allem den Radikalismus verantwortlich, der unbefangene Meinungsbildung verhindert. Das ist richtig, bedeutet dennoch eine Überschätzung der gegenwärtigen politischen Saison; die Ursachen liegen tiefer. Die außenpolitische Ignoranz in Deutschland war schon in den fettern Zeiten vor dem Kriege nicht kleiner als heute. Der Obrigkeitsstaat nahm auch diese Seite seiner Aufgabe selbstherrlich in Regie und hielt alle unzünftigen Begabungen sorglich fern. Die öffentliche Meinung aber plapperte die ausgegebenen Parolen gehorsam und gedankenlos nach. Wir hatten ein starkes, natürlich unbesiegbares Heer, und einen Kaiser, der persönlich eingriff, wenn die Zivilfritzen zu viel Kohl machten. Schwarzseher wurden nicht geduldet. Unkontrolliert und wegen ihres Säbelgerassels eher noch beklatscht, so torkelte die wilhelminische Außenpolitik von Niederlage zu Niederlage und via Marokko und Balkan endlich in die Katastrophe. Für den deutschen Untertan war seit Bismarcks Tagen Außenpolitik gleichbedeutend mit Machtpolitik und diese wieder gleichbedeutend mit auf den Tisch schlagen. Und noch heute hält der Bürger der Republik Auftrumpfen und Frechwerden für die einzige mögliche nationale Haltung. Alles Andre gilt als würdelos, als vaterlandslos. Es ist eine ziemlich simultane deutsche Auffassung, die auch von der Ära Stresemann nicht abgetan werden konnte, daß die Diplomaten eigentlich nur stören, daß die Außenpolitik am besten bei den Generalen aufgehoben ist, daß die Außenpolitik im Grunde keinen weitern Zweck haben darf als die möglichst gediegene Vorbereitung des nächsten Krieges respektive die richtige Auswahl des Augenblicks zum Losschlagen. Überall sind die Ansätze zum vernünftigen außenpolitischen Denken militärpolitisch unterhöhlt. Früher besorgten das die Generale vom Alldeutschen Verband, heute Herr von Seeckt und seine Schüler. Andre Länder weisen ungleich stärkere Rüstungen als Deutschland auf, und es fehlt auch dort nicht an Exaltados, die zu deren möglichst fleißigem Gebrauch aufmuntern, aber die Vorstellung, daß friedliche Mittel von vornherein unwürdig und unmännlich sind, die gibt es in dieser Verbreitung und Intensität nur in Deutschland. Herr von Dewall meint hier tadelnd, daß manche Vertreter der deutschen Linken ihre Zuhörer dadurch abstoßen, daß sie deren nationale Regungen nicht genügend berücksichtigten. Das ist sehr schön und gut – aber man nenne mir ein Land außer Deutschland, von dem verrückt gewordenen Ungarn abgesehen, wo jemand schon deswegen als ein der nationalen Zugehörigkeit unwürdiges Subjekt betrachtet wird, weil er militärische Mittel nicht in jedem Falle für zweckmäßig hält!

Nun kann auch der deutschen Linkspresse der Vorwurf nicht erspart bleiben, daß sie den sehr vagen Proteststimmungen eines außenpolitisch wenig durchgebildeten Publikums noch bei jeder Gelegenheit ihre Reverenz erweist, anstatt sie zu bekämpfen. Es gibt keine populäre nationalistische Dummheit, vor der die republikanische Presse nicht eine, wenn auch steife und formale Verbeugung macht. Kein republikanisches Blatt, das auf sich hält, sollte heute noch die Kriegsschuldfrage als den Hebel betrachten, mit der man den Versailler Vertrag aus den Angeln hebt. Ebenso sollten die ewigen Minoritätsbeschwerden nicht weiter ungebührlich aufgebauscht werden. Wir haben doch allmählich erfahren, daß nur in Italien die deutsche Minderheit einem wahrhaft barbarischen Unterdrückungssystem ausgesetzt ist, während in den Sukzessionsstaaten, gegen die am meisten gewettert wird, die Deutschen es nur mit jener administrativen Borniertheit zu tun haben, unter der Oppositionelle aller Art heute überall leiden müssen. Jede realistische Außenpolitik wird Bagatellen nur das sein lassen, was sie sind, und wer sich mit der Notverordnung des Herrn Brüning abfindet, die fünfzig Millionen Deutschen die politische Mündigkeit raubt, der hat auch das Recht auf Verwahrung verwirkt, wenn eine Million Deutscher außerhalb der Grenzen um die verbürgten konstitutionellen Garantien geprellt wird. Charity begins at home, nicht in der Slowakei.

Hier wird die Sache aber kribblig, und hier hört auch die Toleranz der Freunde des Herrn von Dewall auf. Wenn es mir gefiele, ein paar ketzerische Thesen aufzustellen, etwa, daß die französische Auffassung vom potentiel de guerre richtig ist, daß die deutsch-österreichische Zollunion einen europäischen Hausfriedensbruch darstellt, daß Österreichs Schicksal überhaupt zu den Donaustaaten tendiert und nicht zum Reich, oder daß die deutschen Bemühungen um die Abrüstung nicht mehr als Camouflage sind und nur vom Interesse diktiert, hunderttausend Mann mehr herauszuschlagen, so wird die ›Frankfurter Zeitung‹ sich zwar etwas höflicher ausdrücken als der ›Völkische Beobachter‹, aber sie wird in ihr Verdammungsurteil nicht geringere Energien legen.

Und doch mußte in der Außenpolitik der Republik immer das realisiert werden, was gestern noch das Verketzerte, Verlästerte, ja Lebensgefährliche war. Erzberger und Rathenau mußten unter Mörderhand fallen, weil sie eine Politik verfolgten, die heute lange verwirklicht ist und deren Änderung nicht einmal einem Kabinett Hitler-Hugenberg-Schacht im Traume einfallen würde.

An diesem Punkt aber ist ein grundsätzliches Versagen der liberal-demokratischen Presse zu konstatieren. Anstatt ihren Einfluß aufklärend und kritisch zu gebrauchen, beschränkt sie sich im allgemeinen darauf, die Weisheiten des Auswärtigen Amtes zustimmend zu kommentieren, und erst wenn das Unglück geschehen ist, beginnt sie nach dem Verantwortlichen zu suchen. Der nationalistische Extremismus hat gewiß viel verschuldet, aber die Unschlüssigkeit und Doppeldeutigkeit der Mittelparteien und ihrer Presse trägt keinen geringern Schuldanteil. Der Kollege von der andern Redaktion weiß sehr wohl, mit welcher innern Unsicherheit und mit wieviel Bedenken mancher sehr emphatische und vor Protesten nahezu berstende außenpolitische Artikel geschrieben ist und wie eine kleine Wendung zwischen ein paar Kraftstellen schon den Umfall von morgen andeutet, aber der Leser weiß das nicht. Er ist erschreckt, wenn plötzlich Kapitulation dort vertreten wird, wo eben noch Widerstand bis zum letzten proklamiert wurde, er verliert das Vertrauen – der Radikalismus hat einen neuen Gläubigen gefunden. So war es beim Ruhrkampf, und so wird morgen das ganze Brimborium mit der Zollunion enden. Wieder liest man in keiner deutschen Zeitung, daß Deutschland in dieser Frage ganz und gar isoliert ist, daß es in diesem Frühjahr entweder einer ganz großen Niederlage entgegengeht oder die Blamage erleben wird, daß Österreich, das heute schon unsicher gewordene, plötzlich abschwenkt und eine weniger gefährliche und dafür nahrhaftere Partie eingeht.

Es wäre die Pflicht einer Presse, die auf gewissenhafte Behandlung der Außenpolitik Wert legt, künftige Entwicklungen vorzubereiten, Enttäuschungen, die sie mit pupillarischer Sicherheit kommen sieht, rechtzeitig vorauszusagen. Außenpolitik ohne Volk, das ist eine gute Formel, aber die Außenpolitik hat in Deutschland leider auch keine Presse, wie etwa in England, die ein beratendes und warnendes Amt ausüben könnte. Die von rechts wollen alles mit Gebrüll machen, darüber ist kein Wort zu verlieren; die von links dagegen beschränken sich darauf, die von der Wilhelm-Straße ausgegebenen Lesarten zu kolportieren. So ist es kein Wunder, daß eine öffentliche Meinung in außenpolitischen Dingen nicht entstehen kann und daß die Mehrzahl der sich immer wieder gefoppt fühlenden Zeitungleser schließlich die hohe und vornehme Kunst der Außenpolitik für eine Häufung grober Pferdehändlertricks hält, und das Hetzvokabular der Innenpolitik bricht durch alle Türen ein. So wird die Außenpolitik eines der finstersten deutschen Kapitel, und man muß Herrn von Dewall dankbar sein, daß er es freimütig aufgeschlagen hat. Wir brauchen eine außenpolitische Vernunftpartei, die sich in die Öffentlichkeit gestellt nun aber auch ihrer Vernunft nicht gleich schämt. Es gilt eine Riesenmauer von jener Dummheit abzutragen, der Adolf Hitler jetzt im frankenthaler Separatistenprozeß so mustergültig formuliert Ausdruck gegeben hat: »Ich habe mit Engländern, Amerikanern, Italienern politische Fühlung gehabt. Der Verkehr mit Frankreich ist nach meiner Auffassung für den Deutschen vollkommen unmöglich.« Niemals hat der große Tribun so sehr aus der Seele seines Volkes gesprochen, niemals aber auch ist gewollte Blindheit mit so viel Selbstverständlichkeit als politisches Axiom verkündet worden.

Die Weltbühne, 28. April 1931


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