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Abschied von Briand

Die Geschichte wird den 13. Mai 1931 mit einem schwarzen Kreuz registrieren. An diesem Tage hat der europäische Gedanke in Versailles eine entscheidende Niederlage erlitten. Die deutsche Presse hält sich mit gutem Grund an die Oberfläche der Geschehnisse, wenn sie den plötzlichen Absturz Briands auf Intrigen und Unstimmigkeiten innerhalb der französischen Linken zurückzuführen sucht. Aber Briands Kandidatur ist nicht von Franklin-Bouillon und Louis Marin ruiniert worden, sondern von Curtius und Schober. Mit seinen giftigsten Gegnern in der Kammer konnte Briand in offener parlamentarischer Feldschlacht fertig werden. Seine vorsichtige und immer ein wenig nachgebende Taktik in der Behandlung Deutschlands fand dagegen in den Reihen der Linken bis zum Kreise des Herrn Paul-Boncour immer weniger Mitgänger. Die erste geheime Abstimmung mußte also dazu dienen, sich eines Staatsmannes zu entledigen, dessen liebenswürdige Geduld und wachsende Versöhnlichkeit auch manchen seiner engern Freunde zuletzt als die Vorboten unbarmherzig heranziehenden Greisenschwachsinns erschienen waren. Deutschland verdankt Aristide Briand viel. Von Poincaré wund und lahm geprügelt jammerte es im Winkel der Weltpolitik, als Briand es wieder in den Rat der Völker holte. Seit dem Tode Stresemanns stand er verwaist, er hatte keinen deutschen Gegenspieler mehr. Die feinen Herren in der Wilhelm-Straße gerieten immer mehr unter die Fuchtel der nationalistischen Gosse. Anstatt den Mann in Paris nach besten Kräften zu stützen, unterhöhlten sie den Boden, auf dem er stand. Schließlich überrumpelten sie Briand und die ganze Welt mit dem Projekt der Zollunion und versetzten ihm damit den Coup de Jarnac, den kurzen Messerstoß in den Rücken.

Das französische System der Präsidentenwahl vereinigt beide Kammern zu einer Wahlkörperschaft. Das führt naturgemäß zu einem Übergewicht des rechten Flügels, da auf den Radikalismus der Senatsradikalen nicht grade viel Verlaß ist. So gelang es vor sieben Jahren dem Linksblock der Kammer zwar, den Präsidenten Millerand mit glänzendem Elan aus dem Elysée zu fegen, aber in der darauf folgenden Neuwahl konnte er seinen Kandidaten Paul Painlevé nicht gegen Gaston Doumergue, den Mann der Gemäßigten, durchbringen. Doumergue war gewiß immer ein äußerst korrekter Präsident, und auch Paul Doumer, das neue Oberhaupt der Republik, wird kein persönliches Regiment pflegen. Aber durch eine Art Tradition ist der Präsident immer mehr zu einem Hüter der »nationalen Einigkeit«, das heißt der bürgerlichen Sammlung geworden. Der Präsident wacht auch darüber, daß die nationalistische Terminologie nicht völlig von freundlicheren Tönen verdrängt wird. Es ist noch in frischer Erinnerung, wie Präsident Doumergue in einer in Nizza gehaltenen Rede sein außenpolitisches Testament niederlegte, und dabei zeigte sich, wie viel Groll gegen Briands weichere Tendenzen der ewig lächelnde Präsident im Herzen trug. Auch gegen einen andern Mann der Linken als Briand hätten Kammer und Senat wohl einen Präsidenten vorgezogen, der sichere Gewähr gegeben hätte, als konservative Hemmung zu wirken. Da Briand, die Festigkeit seiner Position verkennend, sich selbst nominiert hatte, so bot sich der offenen und maskierten Reaktion die einzigartige Gelegenheit, nicht nur eine Kandidatur sondern gleich ein Programm zu erledigen.

Die deutschen Zeitungen stehen neben diesem traurigen Resultat wie das Kind beim Dreck und bohren sich verlegen die Nase. Sie haben nach mehr »außenpolitischer Aktivität« gerufen. Nun, das Trümmerfeld legt beredtes Zeugnis von der angewandten Energie ab. Die französische Linke hat gewiß nicht klug getan, ihren ohnehin schwachen Zusammenhalt durch falsche Manöver noch fragwürdiger zu machen. Aber ist die gouvernementale Presse in Berlin der Platz, ihr deswegen Vorwürfe zu machen? Wenn Briand auch von falschen Freunden in den Abgrund gestoßen wurde, deutsche Kräfte sind es gewesen, die ihn dem Abgrund so nahe gebracht haben. Welch ein Gemengsel von Torheiten bedeutet nicht die deutsche Außenpolitik seit Stresemanns Tod! Das immer in falscher Situation neu einsetzende Revisionsgeschrei, die kadettenhaften Renommistereien des Herrn Treviranus, die Tumulte am Rhein unmittelbar nach dem Abzug der Besatzungsarmee, das alles verböserte die deutsch-französischen Beziehungen, wobei allerdings die elastische Hand Briands die endgültige Wendung zum Nochschlimmern verhinderte. Dann kam die harte Belastungsprobe der Hitlerwahlen. Die Marins schrien nach der Wiederbesetzung der Rheinlande; der Außenminister wehrte ruhig ab und mahnte zur Geduld. Und dann kam als glorreicher Abschluß der schlechte dilettantische Hinterhaltsstreich der Zollunion, der von der überwiegenden Mehrzahl der deutschen Blätter als erlösende Tat für Deutschland und Österreich, und nebenbei auch für Europa, gefeiert wurde. Soviel Unverstand mußte der französische Friedensminister erliegen.

Ein nicht wieder gutzumachender Schaden ist angerichtet worden. Die deutschen und die französischen Nationalisten triumphieren. Wenn unsre Außenpolitik noch ein Quentchen Vernunft bewahrt hat, so zieht sie wenigstens jetzt endlich das Unionsprojekt zurück. Engländer und Italiener werden es doch mit Einwänden und Gegenentwürfen ins Ungewisse zurückschieben, und nachdem neuerdings die zerbrechliche Wirtschaftslage Österreichs bei einer eben verhinderten Bankkatastrophe wieder offensichtlich geworden ist, beantwortet sich auch die Frage von selbst, ob Deutschland imstande sein wird, zu seiner eignen auch noch die österreichische Misere in Generalregie zu nehmen. Es glaubt schon heute niemand mehr, daß das Projekt jemals effektiv werden wird. Ein genfer Rückzugsgefecht nimmt sich also ziemlich überflüssig aus. Was zu beweisen war, ist auch gegenüber dem hartgesottensten Zweifler erwiesen: daß nämlich ein altgedienter habsburgischer Hofrat und ein vor seiner eignen Bureaukratie kuschender Provinzadvokat, daß zwei mäßig begabte außenpolitische Amateure es in zielbewußter Zusammenarbeit zu erreichen vermögen, den besten Außenminister Europas von seinem legitimen Amtsstuhl zu stoßen. Der Nachweis ist zum Weinen gut geglückt. Jetzt gebt endlich Frieden und laßt diesen unseligen Popanz von einer Zollunion nicht als Fliegenden Holländer durch eine Reihe weiterer Konferenzen spuken.

Die Weltbühne, 19. Mai 1931


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