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Armer Curtius!

In kaum zwei Wochen sollen Briand und Laval nach Berlin kommen. Noch sind nicht alle Formalitäten erledigt und selbst wenn sich jetzt alles schnell abwickelt, so möchten wir doch an diesen Besuch erst dann glauben, wenn die französischen Gäste am Bahnhof Friedrichstraße aussteigen. Es sind noch vierzehn Tage bis dahin, und was kann in dieser Zeit nicht alles passieren!

Es ist auch keine besonders glückliche Geste gegen die französischen Minister, daß man grade jetzt Herrn Doktor Curtius in die Wüste schickt, weil er in Genf davon abgesehen hat, den Verzicht auf die Zollunion mit einem überflüssigen Protest, mit einem bombastischen Appell an die Rechte, die unveräußerlich dort droben hangen, zu begleiten. Ein solcher Auftritt als knalliger Abschluß einer ohnehin unvermeidlichen Niederlage würde die französische Regierung nur unnütz gereizt haben. Mit etwas Krach in Genf, mit einer französischen Absage in der Tasche hätte Herr Curtius auf Ovationen am Potsdamer Bahnhof rechnen können, und er wäre wieder ein gemachter Mann gewesen. Wenn man bei uns populär sein will, muß man Unheil angerichtet haben. Weil sich Curtius nach dem traurigen Effekt der Zollunion zu keiner neuen Provokation entschließen konnte, deshalb hacken jetzt alle deutschen Adler nach seinem schwachen Fleisch; die Treviranen, die eigne Partei, die ›Germania‹, das Organ des Reichskanzlers, sie alle schnappen nach ihm, und sogar die Staatspartei, der lächerliche alte Pleitegeier, wagt ein mißgünstiges Gekrächze.

Zwischen zwei ausgezeichneten demokratischen Publizisten, die von Anfang an Gegner der Zollunion waren, ist ein Streit entbrannt, ob Curtius zu verteidigen sei oder nicht. Seltsamer Zwist, denn wie kann man verteidigen, was es gar nicht gibt? Dieser Außenminister ist in seiner fast zweijährigen Amtszeit niemals vorhanden gewesen. Schattenhaft saß er im Reichskabinett, gewichtlos thronte er in seinem Amtszimmer. Seine eignen Bureaukraten handelten über seinen Kopf hinweg, stellten ihn immer vor fertige Tatsachen, und auch die fatale Zollunion mit Herrn Schober soll ihn ebenso überrascht haben wie etwa die französische Regierung. Auch der freundlichste Beurteiler muß feststellen, daß die Protestrede, die er in Genf nicht gehalten hat, eine Unterlassung also, die ihm nun den Hals kostet, seine einzige staatsmännische Leistung war. Dieser Nachfolger Stresemanns wird jetzt zum ersten Mal sichtbar, wo er höflich und diskret, den Zylinder auf dem Kopf, durch die Gasse der johlenden Patrioten zum tarpejischen Fels schreitet. Wie kann man für jemanden die Hand ins Feuer legen, von dessen Personalität man nicht überzeugt ist? Herr Curtius war als Amtsperson wirklich nur ein Nichts, oder, wie ein witziger Beobachter sagte, eine Mappe auf zwei Beinen.

Die Gerechtigkeit gebietet hinzuzufügen, daß im gegenwärtigen Kabinett noch ein paar andre Nullen sitzen, die sich durch nichts auszeichnen als durch ihre Geduld, das Elend des deutschen Volkes zu ertragen. Und wozu braucht man heute auch Politiker von Format und Talent? Die Staatsgeschäfte werden durch Notverordnungen geregelt, konstitutionelle Faktoren, deren Behandlung besonderes Geschick erforderte, gibt es nicht mehr. Der gegenwärtige Zustand beruht auf einem Bündnis zwischen Reichspräsident, Reichswehr und Schwerindustrie, das Volk hat nicht mitzureden, dafür ist die Polizei da, die Presse hat nicht zu mucksen, dafür ist die Zensur da. Die wirklichen Träger der Macht bleiben im Dunkeln, es ist ziemlich gleichgültig, wer im Vordergrund agiert.

Dasselbe gilt auch für die Außenpolitik. Sie ist ebenso unpersönlich geworden wie die andern Ressorts. Deshalb ist es auch nicht sehr aufregend, ob Herr Curtius einen nominellen Nachfolger erhält oder ob der Reichskanzler selbst einstweilen ins Außenamt geht. Denn auch die Außenpolitik kann in dieser Zeit nicht mehr zu den hohen politischen Künsten gerechnet werden, in denen Geist, Menschenkenntnis und Weitläufigkeit oft genug Resultate über den Tag hinaus errangen. Wenn Talleyrand und Bismarck heute wiederkämen, würden sie sich sehr wundern, was aus ihrem Metier geworden ist. Für Deutschland und viele andre Länder auch bedeutet Außenpolitik nur noch Geld pumpen. Wer den großen Pump nach Hause bringt oder wenigstens eine Fristverlängerung erreicht, der ist das Staatsgenie, der Vater des Vaterlands.

Unter diesen Umständen verliert der Besuch der französischen Staatsmänner die epochale Bedeutung, die er hätte haben können. Es werden Komplimente gewechselt werden, und im ganzen dürfte sich die Unterhaltung darauf beschränken, das Thema der nächsten Unterhaltung festzulegen. Deutschland, vom Nationalismus durch und durch vergiftet, sieht in Frankreich den Urheber aller seiner Nöte, und in Frankreich selbst gesellt sich zu dem vorhandenen politischen Mißtrauen die argwöhnische Vorsicht des reichen Besitzers, der sein Geld nicht gern riskiert. Wie schnell sind die schönen Beschwörungen des gemeinsamen europäischen Geistes verraucht! Frankreichs neuer Mann in Berlin, Herr François-Poncet, bringt das Programm einer industriellen Allianz mit, also einer Allianz der beiden Schwerindustrien gegen ihre Völker. Wird ein solches Projekt Wirklichkeit, so erhält der deutsche Nationalismus noch ein gefährliches soziales Motiv, auf alle Fälle eine Verstärkung. Die pariser Friedensboten kamen sonst von der Linken. Herr François-Poncet, ein entschlossener Karrierist, macht aus seiner Verachtung von Demokratie und Sozialismus kein Hehl, er entspricht in seiner Denkungsart etwa den Industriesyndici, die sich in der ›Deutschen Allgemeinen Zeitung‹ auslassen. Das ist die einzige zur Zeit mögliche Verständigung mit Frankreich. Welch ein trauriger Ausblick! Aristide Briand, heute alt und krank, macht den Eindruck des Mannes, der weiß, daß seine Zeit vorüber ist. Die Zollunion hat ja auch die Nebenwirkung gehabt, Briands Stellung in Frankreich zu demolieren. »Wie konnten Sie mir das antun?« soll er verzweifelt gerufen haben, als ihm Herr v. Hoesch die angenehme Neuigkeit notifizierte. Mit was für Gefühlen mag der alte Mann nach Deutschland kommen, dessen Tapsigkeit seine Europapläne und seine Aussichten auf die Präsidentschaft zerstört hat?

Einstweilen gehen die Paktverhandlungen zwischen Paris und Moskau weiter. Damit öffnet sich für die französische Politik eine neue Aufgabe, hinter der Deutschland zurücktritt. Frankreich hat einige Einfuhrverbote erlassen, was in der deutschen Wirtschaft grade jetzt vor dem Ministerbesuch als besondere Unfreundlichkeit empfunden wird, was aber nur bedeutet, daß man sich in Paris die Hände für das Russengeschäft freihalten will. Der rote Handel lockt eben mehr als die Plänkelein mit einem Nachbarn, der ständig sagt: Ich brauche Geld, Du mußt mich retten!, der aber trotzdem nicht auf Demonstrationen, nicht auf Feindseligkeiten verzichten will. Wenn man eine Diagnose der deutsch-französischen Beziehungen in diesem Augenblick geben will, so kann sie nur lauten: Höflich aber hoffnungslos.

Die Weltbühne, 15. September 1931


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