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Die beiden Groener

Bei dem braunschweiger Hitlertag vom 18. Oktober sind von den Nationalsozialisten drei Personen getötet, über achtzig schwer verletzt worden. Einen ganzen Tag lang wütete Schreckensherrschaft in den Arbeiterquartieren. Konrektor Klagges, der Polizeiminister, rief triumphierend, daß der »marxistische Mob« sich nicht aus seinen Schlupfwinkeln traue. Es ist gleichgültig, ob Herr Klagges seinen Freunden das Stichwort gab oder selbst der Gefangene ihrer Raserei war. Von Belang ist nur, wie sich das Reich zu diesem Polizeiminister stellt, welche Maßnahmen der neue Reichsinnenminister ergreift, um den braunschweiger Brand nicht weiter greifen zu lassen.

Die bange Frage, wie wir ohne blutige Gewalt durch die nächsten Monate kommen sollen, hat ein Mann von rechts, Herr Doktor Fritz Klein, der Chefredakteur der ›Deutschen Allgemeinen Zeitung‹, in einer Broschüre zu beantworten versucht, die sich »Auf die Barrikaden –?« betitelt. Diese paar Druckbogen sind äußerst lesenswert, weil darin ein paar Erkenntnisse zu finden sind, gegen die sich namentlich die sozialdemokratische Presse mit Entschiedenheit sträubt. Warum eigentlich Revolution? fragt der Verfasser. So ein Kraftaufwand ist doch ganz überflüssig geworden. Die Kommunisten? »Sie werden sich, wenn sie es wünschen, sehr schnell nochmals blutige Köpfe holen. Es ist, außer für die Polizei, uninteressant, was sie planen, und der deutsche Staat wird ihnen niemals gehören.« Und dann wendet sich Herr Klein, der den Block Brüning-Hitler-Hugenberg lebhaft befürwortet, an die Freunde von rechts, die dem »System« mit aller Gewalt den Garaus machen wollen. Was ist denn von dem verschrienen System noch übrig? »Niemals mehr werden wir uns an dem Gift parlamentarischer Konjunkturen berauschen ... Wir leben in einer halb fascistischen Regierungsform, die bessere Möglichkeiten für die Staatsführung eröffnet als die westländische Formaldemokratie, von der sich die denkenden Deutschen in Scharen abwenden. In das öffentliche Wesen finden heute auf diktatorialem Wege Eingriffe statt, die noch vor kurzem als Verräterei und Utopie verschrien worden waren.« Das »System« lebt nur noch auf Abruf: »Das Provisorium der halbfascistischen Diktatur der Bureaukratie wird nicht mehr lange vorhalten können. Dann ist der Augenblick da, um die neue Form der Staatsführung zu schaffen, unblutig, ohne Nahkampf auf der Straße, aber des Erfolges trotzdem gewiß.« Hier spricht nicht der versagende, der absackende Teil des Bürgertums, der sich in seinem Elend in sozialrevolutionäre Phraseologie stürzt, hier spricht der nervenstarke, der gesund gebliebene Großbürger aus der Welt der Industrie und Banken, der die Macht will und sich seiner Mittel sicher weiß. Und wenn er auch mit etwas zweifelhafter Generosität auf den Nahkampf verzichtet, so doch nur, weil er gewiß ist, daß die Stellung des Gegners, schon unter dem Trommelfeuer erschüttert, inzwischen von selbst geräumt wird.

Auch General Groener, obgleich seit fünfzehn Jahren von dem Ludergeruch des Demokratismus umwittert, hat sich in entscheidenden Augenblicken immer als ein handfester Verfechter bürgerlicher Interessen bewährt. »Welcher Hundsfott wagt zu streiken, wenn Hindenburg befiehlt?« so rief er im Januar 1918 den streikenden Munitionsarbeitern zu. Zu Beginn des Novembersturms schloß er als frischgebackener Republikaner das historische Bündnis mit Ebert, das jeden revolutionären Impetus zertreten hat und als tiefste Ursache dafür anzusehen ist, daß aus der Republik nichts andres werden konnte als ein neumodisch angestrichenes Kaiserreich. Der Unnachgiebigkeit des spätern Verkehrsministers Groener gelang es, einen allgemeinen Eisenbahnerstreik hervorzurufen, und der Reichswehrminister im Kabinett Hermann Müller, gleichfalls Groener mit Namen, zwang den sozialdemokratischen Kollegen den Panzerkreuzer auf, womit die Krise in der Partei, die jetzt zur Spaltung geführt hat, zuerst akut wurde. Wie entsetzlich unsicher muß die Partei sich fühlen, wenn sie einer Regierung ihr Vertrauen ausdrückt, in der dieser Mann, der so eng und so unheilvoll mit ihrem Schicksal verbunden ist, alle wichtigen Machtmittel des Reiches in der Hand hält! Militär und Polizei, Verfassungsschutz, Beamtenpolitik, Schutz oder Knebelung der Geistesfreiheit, das alles liegt bei General Groener, durch Personalunion Inhaber der Ressorts Inneres und Krieg.

Natürlich wäre es unsinnig, aus Groener einen besondern Freund des Rechtsradikalismus zu machen. Das ist er nicht, und er wird von der Rechten ehrlich gehaßt. Dieser General hat in seiner wechselvollen Karriere immer nur eine Farbe getragen: die des überparteilichen Fachmanns, der sich den einmal gegebenen Verhältnissen anpaßt und eine eigne scharfe Note nur dann betont, wenn die kapitalistische Ordnung in Gefahr kommt. Damit hat er sich frischer gehalten als Herr von Seeckt, der heute, gemeinsam mit Hjalmar Schacht, endgültig auf die Ludendorff-Tour gerät.

Wie Herr Groener sein neues Amt auffaßt, hat er vor wenigen Tagen in einem Interview dargelegt. Es ist selbstverständlich, daß bei einem schwierigen Debut die beiden Rollen noch gelegentlich ineinander verfließen und der Kriegsgroener den innern Groener rücksichtslos in die Ecke schiebt. Der Reichsinnenminister verspricht, daß die personelle Verbindung mit der Reichswehr deren überparteiliche Linie nicht verändern soll. Das wirkt sehr beruhigend, denn wir sahen in der Tat schon die Gefahr nahe, daß die Ministerialräte vom Platz der Republik in der Bendler-Straße herumwirtschaften könnten. Dafür ist aber bereits von einem liberalen Blatt gejammert worden, daß sich Herr General von Schleicher, die rechte Hand des Kriegsgroener, allzu lebhaft um das Ressort des innern Groener bekümmere. Ausschließlich der Militärminister ist es jedoch, der diese Sätze formuliert: »Unsre Ehre erfordert die Bekämpfung von Versuchen, die durch Denunziationen und böswillige Diffamierung das Ansehen des Deutschen Reiches herabsetzen.« Das Reichswehrministerium fordert, wie hier neulich dargelegt wurde, schon lange ein Ausnahmegesetz gegen unbequeme Militärkritiker, das bisher an Ressortstreitigkeiten scheiterte. Wird der Zivilgroener nun endlich dem Kriegsgroener das lang ersehnte Geschenk machen?

Voran geht eine kleine Elegie über die leidige politische Uneinigkeit, über »die Spaltung des Volkes in zwei Lager«. Leider wird nicht verraten, um welche Lager es sich handelt. Es gibt gewiß viele Parteifahnen in Deutschland aber nur zwei wirklich große Lager: das kapitalistische und das antikapitalistische. Die Regierung, der Herr Groener angehört, hat sich durch den Mund des Reichskanzlers unumwunden für die Erhaltung der Privatwirtschaft ausgesprochen. Wenn Groener weiter meint, es komme darauf an, »alle aufbauwilligen Kräfte zu positiver Mitarbeit heranzuziehen«, so ist das, mit Verlaub gesagt, eine Rede aus dem hohlen Faß. Denn wo gibt es noch eine Möglichkeit zur Mitarbeit, seit Deutschland durch Notverordnungen regiert und die Meinungsfreiheit immer mehr eingeengt wird? Ist das alles bisher noch etwas allgemein gehalten, so wird endlich doch der böse Feind sichtbar, der bezwungen werden muß: »der Bolschewismus«. Zwar ist die Kommunistische Partei eine beträchtliche und noch immer wachsende Macht, aber sie kann und will nicht marschieren, ehe sie nicht die Mehrzahl der Arbeiterschaft hinter sich hat. Der Fascismus dagegen ist eine aktuelle Gefahr, bereit zur Übernahme der Gewalt, und seiner wird in Groeners Erklärungen nicht Erwähnung getan. Bolschewismus, das ist ein leicht zu handhabender, ein höchst flexibler Begriff. Bolschewismus kann morgen ein spontaner Hungeraufruhr sein, dessen Teilnehmer sich dann als christlich organisierte Arbeiter oder als stellungslose deutschnationale Handlungsgehilfen erweisen. Als Bolschewismus gilt im Unternehmertum schon lange die Verteidigung von Gewerkschaftsrechten, die Abwehr des schwerindustriellen Einbruchs in den Lohntarif.

Aber Groener verheißt auch schärfste Maßnahmen gegen Terrorakte, er will da selbst vor drakonischen Ausnahmebestimmungen nicht zurückschrecken. Die erste Gelegenheit dazu wäre jetzt in Braunschweig gegeben gewesen. Unter dem Eindruck der alarmierenden Nachrichten forderte Groener zunächst Bericht von dem Garnisonältesten, Oberst Geyer, der denn auch den Nationalsozialisten sofort ein günstiges Führungszeugnis ausstellte und sich großartig über die Bagatelle hinwegsetzte, daß drei Menschen zu Tode gekommen sind, die nicht zur Nationalsozialistischen Partei zählten. Wir kennen diese militärischen Berichte über Zusammenstöße zwischen rechts und links zur Genüge. Der Schuldige steht links! das ist der Refrain. Der Reichswehrminister aber sollte von dem Reichsinnenminister die Belehrung entgegennehmen, daß der Herr Garnisonälteste keine in der Verfassung vorgesehene Informationsquelle ist, denn noch haben wir nicht den militärischen Ausnahmezustand, wo die alleinige Vollzugsgewalt bei den Gruppenkommandeuren der Reichswehr liegt. Und wir wenden uns aufs entschiedenste gegen alle Versuche, diesen Zustand ohne offizielle Bekanntmachung durch eine Hintertür einzuführen. Der vorschriftsmäßige Weg wäre gewesen, einen Beamten des Reichsinnenministeriums zur Untersuchung nach Braunschweig zu entsenden oder von dem zuständigen Minister Klagges Bericht zu verlangen. Drako Groener fängt es zum mindesten etwas umständlich an, den Nationalsozialisten seine volle Schrecklichkeit zu beweisen.

Nach einer Zeitungsmeldung beabsichtigt die Regierung, ein allgemeines Verbot öffentlicher Demonstrationen für den ganzen Winter zu erlassen. Ebenso soll durch eine besondere Notverordnung ein generelles Verbot des Tragens von Uniformen aller Art ausgesprochen werden. Diese Verbote würden sich demnach auch auf das Reichsbanner und etwaige andre republikanische Organisationen erstrecken. Armes Reichsbanner! Die Regierung dankt freundlichst für deine jahrelangen Vorbereitungen, die Republik zu retten, sie lehnt dies Monopol ab. Ihr ist es nicht um die Republik zu tun sondern um die brave bürgerliche Ordnung. Von welcher Seite sie im Notfall Sukkurs einfordert, von Hitler oder von Hörsing, das hängt ganz von der jeweiligen politischen Konstellation ab. Es hat eine Zeit gegeben, wo republikanische Verbände mit dem Reichsinnenministerium engstens verbündet waren. Joseph Wirth, der inzwischen still von der Säule gefallene Heilige der schwarzrotgoldenen Demokratie, hat da schon kräftig abgebaut, und dem heutigen Reichswehrminister des Innern fällt es zu, die kümmerlichen Reste schmerzlos zu liquidieren. Wenn der Wunsch nach einem allgemeinen Demonstrationsverbot, wie behauptet wird, von der preußischen Regierung ausgeht, so kann das an der Beurteilung nichts ändern. Das würde nur beweisen, daß Braun und Severing die Stärke ihrer Position überschätzen.

Wäre es der Regierung Brüning mit der Abwehr des Fascismus ernst, so würde sie beherzigen, daß in seinem Existenzkampf gegen eine Umsturzwelle der Staat nicht als Abstraktum über den Wolken schweben kann, sondern sich auf organisierte Volksmassen stützen muß. Aber grade das wird von dem heutigen Regime mindestens ebenso verabscheut, wie der leibhaftige Bolschewismus. Wenn sozialistische Arbeiter sich gegen Übergriffe des Nationalsozialismus zur Wehr setzen, dessen Führer unentwegt ihre Legalität beteuern, so sind sie Friedensstörer, gegen die der Staat seine Machtmittel einsetzt. Und inzwischen vollendet sich in aller Ruhe der Prozeß, den der Chefredakteur der ›D.A.Z.‹ viel besser durchschaut und schildert, als es der Chefredakteur des ›Vorwärts‹ jemals getan hat. Aus dem »Provisorium der halb fascistischen Diktatur« wird ein Definitivum. Der Umsturz von rechts wird überflüssig, weil andre Leute das viel ruhiger und systematischer getan haben. Man kann dieser Konzeption nicht die Gediegenheit absprechen, aber die soziale Wirklichkeit steht ihr dennoch entgegen. Der politische Kalkül ist kein Allheilmittel gegen hungernde Magen, der Begriff der bürgerlichen Ordnung kein Sanktissimum, vor dem sich alle beugen, während überall die ökonomischen Grundfesten zusammenkrachen. Nachdem Brüning seine Sache auf die Notverordnungen gestellt hatte, war es nur folgerichtig, einen Mann mit diktatorischen Vollmachten zu ernennen, der das Fluten der Massen gegen die immer schwächer werdenden Dämme der Gesetzmäßigkeit zu hemmen hat. Aber Brüning hat sich nicht nur in der Person, sondern auch im Ressort vergriffen. Was not tut, ist nicht ein drakonischer Ordnungskommissar sondern ein Sozialminister mit umfassenden Vollmachten, die selbst das heilige Privateigentum nicht schonen, wenn das Leben des ganzen Volkes es erfordert. Daß die Regierung die soziale Initiative zu ergreifen versteht, hat sie bisher noch nicht bewiesen. Statt dessen präsentiert sie uns die Personalunion von Gendarm und Soldat; Groener in doppelter Ausfertigung. Den Mann, der durch weise Wirtschaftsmaßnahmen die Ursache jeglichen Aufruhrs beseitigt, bleibt sie uns schuldig. An seine Stelle tritt ein energischer General, der in einem aufgewühlten Volk nur eine disziplinlose Rotte sehen kann, die zum Parieren gebracht werden muß. Die Präponderanz der Militärs wird neu gestärkt, die innere Politik zieht endgültig nach der Bendler-Straße. Die Vereinigung aller Macht in Groeners Hand ist ein Irrtum, der sich bitter rächen wird.

Die Weltbühne, 27. Oktober 1931


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