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[Antworten] Dr. Hammer

Dr. med. et phil. et jur. et med. dent. et med. vet. Hammer, qualifiziert zum preußischen Kreis- und Gerichtsarzt.

»Nicht Fanatismus sondern nüchterne Erwägungen sprechen für Beibehaltung der körperlichen Züchtigung«, so beginnen Sie eine Erwiderung auf den Artikel von Bruno Frei »Der unauffällige Gummiknüppel« in Nr. 46. Unser Mitarbeiter hatte dort eine Broschüre von Ihnen – »Ärztliches zur körperlichen Züchtigung« – behandelt, worin eine sehr gediegene Theorie der Prügelstrafe enthalten ist, »ein konsequentes Ritual der Auspeitschung«. Sie schreiben also gegen Bruno Frei: »Im Aufsatz von Bruno Frei kommt der Verfasser erst jetzt zu der durchaus richtigen Erkenntnis, daß die berliner prügelfreien Anstalten zufolge ihrer Ersatzmittel rauher sind als die offen die Prügelstrafe anwendenden Anstalten. Dabei kann sich der Verfasser nicht enthalten, mich, der ich seit Jahrzehnten diese selbe Erkenntnis habe und verbreite, einen Prügelfanatiker zu nennen und meine Empfehlungen als Auswüchse einer Psychopathenphantasie zu geißeln. Ich habe vor einem Vierteljahrhundert ein Lehrbuch für Mädchennacherziehungsanstalten geschrieben, das in zweihundert Anstalten Eingang fand und von der gesamten Presse einschließlich der sozialdemokratischen belobt wurde. Nichts habe ich empfohlen, was ich nicht aus eigner Anschauung kannte, und gewarnt habe ich dringendst vor allen Ausschweifungen, sowohl denen der Prügelanhänger wie denen der Prügelgegner. Leider habe ich in prügelgegnerischen Anstalten, die alle Arten Zöglinge aufnahmen und nicht eine Auswahl trafen, ausschließlich derart trostlose Zustände gesehen, daß ich sie nicht empfehlen konnte. So behandelte die frankfurter Psychopathenstation (Leiter Professor Sioli, Frankfurt am Main, Oberarzt Dr. Waßmuth) einen Knaben im halbwüchsigen Alter wegen Wandertriebs mit einjähriger Bettruhe, das heißt also mit Verlust eines ganzen Jahres und Anleitung zur ausschweifenden Selbstbefleckung. Die Anstalt empfahl sich als Musteranstalt zum Besuch von Kongreßteilnehmern. In andern Anstalten wurden Dauerbäder bis zum Entstehen von Pilzeiterungen in der Haut und Ohreneiterungen Wochen hindurch verabfolgt. In noch andern Anstalten entarteten die Zöglinge in so weitgehendem Maße gleichgeschlechtlich zufolge grundsätzlicher Nichtzüchtigung, daß ich eine eigne Tochter, wenn sie entgleisen sollte, diesen prügelfreien Anstalten keinesfalls anvertrauen würde. Ein neuer Leiter einer bis dahin prügelnden Knabenanstalt entließ etwa zehn vom Hundert der Zöglinge in eine Irrenanstalt und schränkte dadurch die körperliche Züchtigung stark ein beim Reste der Zöglinge, wohl gemerkt, beim übrig gebliebenen Reste. Andrerseits ist selbstverständlich die Prügelstrafe nicht die Hauptsache in der Erziehung, sondern gutes Beispiel, Liebe und Furcht müssen zusammenwirken und das gute Beispiel ist das beste dieser drei Mittel einer guten Erziehung. Allein mit Hilfe der Prügelstrafe kann man den Anstaltsaufenthalt, der an sich eine sehr große Gefahr darstellt, wesentlich kürzen, und solange die Rauhigkeiten der Prügelgegner härter sind als diejenigen der Prügelanhänger, muß ich als nüchtern abwägender Mensch zwar die Ausschreitungen der Prügelanhänger bekämpfen, nicht aber die Prügelstrafe als solche. Als ich begann, die zweite Auflage meines Lehrbuchs drucken zu lassen, wandte ich mich an das preußische Ministerium mit der Bitte, mir prügelfreie Musteranstalten für Mädchen zu nennen. Der Herr Minister verzichtete hierauf. Wenn mir von irgendwelcher Seite prügelfreie Anstalten genannt werden, die alle Zöglinge aufnehmen und milder sind als die prügelnden Anstalten, dann bin ich gern bereit, deren Verfahren zu prüfen, und wenn es sich als milder und in den Erfolgen gleichwertig dem Prügelverfahren herausstellt, zu empfehlen. Dasselbe gilt von all den Fällen, in denen ich das Schlagen als ärztliche Behandlung nicht unempfohlen lassen kann, solange es derart augenfällige Erfolge zeitigt, wie ich sie in einem Teile der Fälle von Bettnässen oder von Schmerzlüsternheit oder von Weißfluß oder andern Leiden beobachtet habe, Erfolge, die in ähnlicher Weise nur noch von einem andern Mittel zu beobachten waren, nämlich der Vorhautbeschneidung nach jüdischer Art. Grade daraus, daß ich auch diese Beschneidung mitempfohlen habe in geeigneten Fällen, mußte Bruno Frei annehmen, daß ich alles andre eher bin als ein Fanatiker. Ich habe nur die Erkenntnis der bewußten Heuchelei eines großen Teils der sogenannten Prügelgegner ein Vierteljahrhundert vor Erscheinen des Gummiknüppelaufsatzes und früher gehabt, und mich zu meinen Erfahrungen bekannt.« Wenn ich ein besserer Mensch wäre, als ich bin, so hätte ich dem Herrn Einsender dringend abgeraten, auf der Veröffentlichung dieser Zuschrift zu bestehen. Ich fand es aber nützlich, daß sich hier einmal der Verfasser eines in zweihundert Anstalten gebrauchten Handbuches über Zwangserziehung selbst produziert. Man wird sich danach über die in diesen Anstalten beliebten Methoden nicht mehr wundern. Ich weiß nicht, ob Sie, verehrter Herr Doktor, jemals als praktischer Arzt gearbeitet haben, aber ich möchte doch Zweifel darüber ausdrücken, ob Sie auch Ihren Privatpatienten gegen körperliche Leiden Prügel verordnet haben. In Ihrer wissenschaftlichen Garderobe hängen fünf Doktorhüte. Bitte, wählen Sie zu Ihrer weitern Betätigung den, der mit der Behandlung von Mensch und Tier nichts zu tun hat. Es wird für alle Beteiligten am besten sein.

Die Weltbühne, 13. Januar 1931


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