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Volksentscheid

Zwei Drittel aller preußischen Staatsbürger begegnen sich in dem Wunsch, etwas zu unterlassen. Das ist der dürre Sinn der Ablehnung dieses Volksentscheids. Wie wäre das Resultat gewesen, wenn die Regierung Braun mehr gefordert hätte als ein Bleibenlassen, als eine Unterlassungstugend? Die Herren Hugenberg und Seldte sind doch sonst keine so langsträhnigen Theoretiker, sondern intime Kenner der deutschen Volksseele. Hätte das Begehren schlankweg gelautet: Die preußische Staatsregierung ist unverzüglich aufzuhängen! – es hätten sich zwanzig Millionen eingeschrieben. Wer interessiert sich denn bei uns für formale Demokratie?

Schon die bruchweisen Resultate, die jetzt, Montag Nacht, vorliegen, zeigen das Steckenbleiben des Volksentscheids. In den meisten Wahlkreisen sind nicht mehr als einige dreißig Prozent erreicht worden, nur die pommersche Vendée kommt, wie nicht anders zu erwarten war, über fünfzig Prozent hinaus. Es ist den Rechtsparteien nebst Dingeldey nicht gelungen, einen zweiten 14. September in Szene zu setzen. Die Wähler sind müde geworden und glauben nicht mehr an die Heilkraft parlamentarisch-legaler Mittel, am allerwenigsten, daß durch ein innenpolitisches Partialunternehmen viel gebessert werden könnte. Das Ergebnis ist kein Vertrauensvotum für die preußische Regierung, sondern ein Zeugnis wachsender Passivität.

Auf beiden Seiten ist die Bedeutung dieser Abstimmung erheblich überschätzt worden. Der preußische Landtag wird sowieso im nächsten Frühjahr neu gewählt werden. Seine Zusammensetzung wird in jedem Fall eine ganz andre werden, da die meisten bürgerlichen Parteien, die im Landtag noch in alter Stärke sitzen, im Reiche inzwischen zusammengebrochen sind. Der Ausgang des Volksentscheids besagt gar nichts über das künftige Kräfteverhältnis; es liegt auch noch ein Winter wachsender Arbeitslosigkeit und neuer Verelendung zwischen heute und dem Wahltermin. Namentlich das allzu erregte Ausland irrt, wenn es von einem Entscheidungskampf zwischen Demokratie und Reaktion spricht. Die Demokratie hat ihre Marneschlacht schon hinter sich und ist in einen Stellungskrieg gedrängt worden, über dessen Ausgang sich kein Kenner Deutschlands im unklaren sein sollte. Den Block Brüning-Braun, von dem schlecht unterrichtete ausländische Pressevertreter in Berlin phantasieren, gibt es nicht. Es gibt einen Block Hindenburg-Brüning-Reichswehr, das ist die machtpolitische Grundlage der gegenwärtigen Diktaturwirtschaft. Die Legende, daß Brüning und Braun, ein katholischer und ein sozialistischer Demokrat, das deutsche Weltgebäude gemeinsam auf starken Schultern tragen, ist ein frommer Irrtum, der dem Reichskanzler indessen zurzeit aus außenpolitischen Gründen zustatten kommt, weil er ihm in London und Paris eine liberale Aura sichert. In Wahrheit wird die Regierung Otto Braun in Preußen nur durch die bedingungslose Kapitulation der Sozialdemokratie im Reiche erkauft. Die früher sehr tätige preußische Koalitionsregierung besitzt heute auch nicht mehr den Schatten ihrer einstigen Autorität und Selbständigkeit. Die ahnungslosen Toren, die noch immer an das Bündnis zwischen Reichsregierung und Preußenregierung glauben, wurden rauh aus ihren Träumen gerissen, als unmittelbar vor der Volksabstimmung vom Reichspräsidenten-Palais aus versucht wurde, Herrn Otto Braun wegen der Zwangsveröffentlichung der allerdings unsagbar schlechten preußischen Regierungsproklamation ein Bein zu stellen. Dieser Zwischenfall zeigt allzu deutlich, daß die engern Berater des Reichspräsidenten mit den sozialdemokratischen Ministern in Preußen schon jetzt gern reinen Tisch gemacht hätten, ohne viel nach der Außenwirkung zu fragen. »Mich wird man nicht an der Wahlurne sehen«, sagte Herr Brüning in seiner Rundfunkrede. Dafür hat man aber Herrn Schiele gesehen, Hindenburgs Ziehkind.

Es mutet etwas komisch an, wenn das Hugenbergsche Montagsblatt in der ersten Bestürzung über die kargen Ziffern den Kommunisten die Schuld in die Schuhe schiebt. Erwägt Hugenberg etwa eine Schadenersatzklage gegen Thälmann? Ein festes Abkommen bestand doch nicht. Die Kommunisten hatten doch ihren Kampf auf eigne Faust und unter eigner Parole geführt. Es ist Heuchelei und Unsinn obendrein, wenn die Sozialdemokraten behaupten, die KPD habe als Verbündete der Rechten mitgewirkt. Einig waren die Parteien des Volksentscheids nur in der Forderung nach Neuwahlen, sonst lag weder in Programm noch Ziel eine Gemeinsamkeit vor. Die Sozialdemokratie ist am wenigsten legitimiert, solche Anklagen zu erheben, nachdem sie seit 1914 mit jeder Reaktion durch Dick und Dünn gegangen ist. Erst bei der Beratung des letzten Reichswehretats hat ihr Redner Schöpflin das provozierende Wort gebraucht: »Lieber mit Gröner als mit den Kommunisten!« was auch nicht grade von proletarischer Solidarität durchtränkt ist. Der Abgeordnete Münzenberg ist durchaus im Recht, wenn er in einem seiner Blätter schreibt: »... es gibt keine Partei in Deutschland, die soviel ihrer besten Kämpfer, Funktionäre und Mitglieder im Kampfe gegen den Fascismus verloren hat wie die KPD.« Leider unternimmt es der rote Zeitungslord in diesem Artikel, die Stellung der ›Weltbühne‹ zu den Kommunisten in der Frage des Volksentscheids in rüdester Weise zu verfälschen, sehr im Gegensatz zu seinem eignen Zentralorgan, das unsre Meinung richtig ausgelegt hat.

Trotzdem sollte die Tatsache, daß unzählige kommunistische Wähler ferngeblieben sind, der Zentrale ernsthaft zu denken geben. Die Partei hat im letzten Jahr allzu viel experimentiert, allzu viel abwegige Versuche gemacht, die Abgesplitterten von rechts aufzufangen. Darüber hat sie die Massen vergessen, die ihr von Links zuströmen können. Es wird für die KPD Zeit, aus den Illusionen einer Selbstzweck gewordenen Propaganda, aus den abgründigen Bezirken des skrupellosen Seelenfangs in die wirklichen Sachwerte zurückzukehren. Die deutsche Arbeiterschaft ist für Militarismus und Nationalismus nicht einzuspannen. Das hat sich auch hier wieder spontan gezeigt.

Die Regierungspresse ist schon daran, uns zu belehren, daß dieser Volksentscheid in erster Linie als ein Votum für die Politik Brünings aufzufassen sei, als ihre Rechtfertigung nicht durch das Parlament, das ja nach Hause geschickt ist, sondern durch das unendlich größere Forum des Plebiscits. So hätten also die sozialdemokratischen Arbeiter die Notverordnungen, den Lohnabbau, die Reduzierung der Sozialpolitik legalisieren wollen? Das wird doch nur ein gottverlassener Narr behaupten wollen. Und Herr Severing ist auch kein solcher Volksheld mehr, als daß seine von der Polizei verprügelten Untertanen ihm damit seine selbstgeflochtenen Lorbeerkränze hätten bestätigen wollen. Nein, dieser 9. August hat keinen Sieg gebracht, dazu ist das Ergebnis zu zweischneidig, die Wirkung zu zwitterhaft. Mögen die, die nicht alle werden, Fahnen heraushängen und Freudenfeuer abbrennen. Was gibt es da viel zu heroisieren? Dieser Sieg der Demokratie ist nur möglich geworden, weil die preußische Regierung das Zuhausebleiben als höchste staatsbürgerliche Pflicht proklamierte. Was wäre aber geworden, wenn sie selbst von ihren Leuten Aktivität gefordert hätte? Was? frage ich.

Die Weltbühne, 11. August 1931


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