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Menschewiken

Die moskauer Götter dürsten wieder. Diesmal sind es nicht Ingenieure und gelehrte Techniker, die Staatsanwalt Krylenko zusammengetrieben und unter Anklage gestellt hat, sondern Intellektuelle, die der alten Menschewikenpartei angehören, seit Jahren aber ihren Frieden mit den neuen Herren gemacht haben und bei ihnen in Lohn und Brot stehen. Das erste Opfer des Verfahrens ist Rjasanow vom Marx-Engels-Institut, ein sozialistischer Forscher von internationalem Ansehen. Er ist abgesägt worden, weil unter ihm Rubin arbeitete, der jetzt auf der Anklagebank sitzt, gleichfalls ein berühmter Theoretiker. Parteigänger und Freunde des russischen Kommunismus sind es, die über Krylenko den Kopf schütteln. Sie kennen die Angeklagten und wissen, daß sie nicht zum konspirativen Typus gehören und daß sie für Sabotage oder gar für interventionistische Pläne nicht zu haben sind, auch wenn sie den gegenwärtigen Kurs Stalins ablehnen. Kenner halten also die Schuld der Angeklagten mindestens für psychologisch unmöglich. Hinzukommt noch, daß Abramowitsch triftig nachgewiesen hat, er könne zu dem von Krylenko behaupteten Zeitpunkt gar nicht in Rußland gewesen sein. Die Grundlagen dieses Prozesses sind schwach, seine Motive ganz nebelhaft. Klar ist nur der Ausgang. (Wer sich über die Anklage genau informieren will: die ›Moskauer Rundschau‹ Nr. 10 enthält das ziemlich vollständige Dokument Krylenkos.)

Dennoch bringen die deutschen Blätter nicht die gleiche schön flammende Entrüstung wie beim Ramsinprozeß auf. Denn augenblicklich will grade eine deutsche Industriedelegation in Moskau Geschäfte machen, und da kommt es eben auf ein bißchen Terror nicht an. Man kann sich noch immer entrüsten, wenn aus der finanziellen Ausbeute des freundnachbarlichen Besuchs nichts werden sollte. Das Ressort Entrüstung bleibt also der Sozialdemokratie überlassen, und sie tut, was sie kann. So wenig anheimelnd die Art der Herren im Kreml, mit wirklichen und eingebildeten Gegnern umzuspringen, auch sein mag, so muß doch gesagt werden, daß die Zweite Internationale, und die deutsche Sozialdemokratie besonders, an den tiefern Ursachen dieses Prozesses nicht unbeteiligt ist, wenn auch in andrer Weise als Krylenko annimmt. Sie hat allzuviel getan, Moskaus Nervosität zu nähren. Es ist ein grundsätzlicher Fehler der Sozialdemokratie, in russischen Fragen ausschließlich Männer der Emigration herauszustellen und sich deren Anschauungen unbesehen zu eigen zu machen. Die Sozialdemokratie braucht und soll ihre alten Freunde nicht aufgeben, aber sie dürfte deren Bild von Rußland, das naturgemäß von schweren Ressentiments getrübt ist, nicht ungeprüft akzeptieren. Es ist doch ein ganz unmöglicher Zustand, daß über wichtige russische Dinge ein Mann wie Alexander Kerenski in sozialistischen Blättern leitartikeln darf. Denn mögen diese russischen sozialistischen Politiker auch sehr achtenswerte Personen sein und ihr Bestes getan haben, ihre Namen sind jedenfalls mit einer welthistorischen Niederlage verknüpft, die nicht dadurch wettgemacht werden kann, daß sie immer wieder erklären, sie wären bessere Menschen als die Bolschewiken und Lenin hätte sich überall geirrt. Selbst die deutschen Monarchisten vermeiden es heute sorgfältig, Wilhelm II. an ihren Flaggenmast zu nageln, nur die Sozialdemokratie schreckt nicht zurück, sich mit dem Kadaver der Emigration zu verbünden. Diese Allianz hat ihr jeden eignen Blick für Rußland genommen, sie sieht nur mit den Gläsern Kerenskis, Tschernows oder Dans. Damit humpelt sie weit hinter der bürgerlichen Welt her, die es gut versteht, ihre antibolschewistischen Komitees zum Schweigen zu bringen, wenn ernste Interessen auf dem Spiel stehen. Sowjetrußland ist eine lebendige Tatsache, deren Einzelheiten man sehr verschieden, sehr kritisch, sehr skeptisch beurteilen kann, aber die Tatsache als solche läßt sich nicht bestreiten. Gegen diese Tatsache aber stemmt sich die Sozialdemokratie mit Leibeskräften. Seit vielen Jahren war in ihrer Presse keine objektive Darstellung russischer Verhältnisse zu finden, dagegen jede und auch die dümmste Falschmeldung groß aufgemacht, und ihre menschewikischen Sachverständigen haben dazu die Kommentare geschrieben. Es wird Zeit, deren Einfluß abzubauen, denn von allem politischen Schaden abgesehen haben sie sich immer als herzlich schlechte Propheten erwiesen. Eine große Partei kann sich nicht dauernd von Politikern beraten lassen, die so gründlich durchgefallen sind, als sie selbst dran waren zu handeln. Und eine große Partei kann erst recht nicht für die wichtigste Frage der Gegenwart die gewollte Blindheit zum alleinigen Prinzip erheben. Die kapitalistische Presse aller Länder rechnet bereits mit dem Gelingen des Fünfjahresplans. Nur die Leser sozialistischer Blätter bekommen noch ein Bild Rußlands vorgesetzt, das etwa dem Zustand von 1920 entspricht. Einmal wird die Wahrheit doch gesagt werden müssen, und dann wirds schwerer sein als jetzt.

Die Weltbühne, 10. März 1931


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