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Brünings schwarze Woche

Auch wer niemals daran gedacht hat, den Reichskanzler Brüning mit liberaler Gemütlichkeit zu behandeln, wird ihm doch in bestimmten Augenblicken ein Mitgefühl nicht versagen können angesichts der furchtbaren Belastungsproben, denen seine Nerven oft in einem kleinen Zeitraum ausgesetzt sind. Dieser Kanzler, der die Demokratie so ruhig und zielsicher abgebaut hat, wird von denen immer am heftigsten bedroht, für die er arbeitet. Der Machtdünkel und die Tolpatschigkeit dieser Schwerindustriellen und Agrarier bedeuten die ärgste Gefährdung für den jesuitisch geschliffenen Kanzler, der Klamauk verabscheut, an seine Wirkung nicht glaubt.

Was hat die vergangene Woche Herrn Brüning nicht alles beschert! Am Sonntag die Stahlhelmparade von Breslau, eine herausfordernde Schaustellung von ehemaligen Potentaten und triumphierend grinsenden Generalsfratzen. Sofort entsteht das Gerücht von einem Plan des Exkronprinzen, im nächsten Jahre als Präsidentschaftskandidat aufzutreten, und diese Kundgebung sei nur die Vorbereitung der Schilderhebung. Dann wird in Rom der Konflikt zwischen Fascismus und Vatikan akut, und Mussolini scheint plötzlich zu den »Gottlosen« gegangen zu sein. Die Rückwirkung auf die deutschen Nationalsozialisten, die schon bereit waren, vor dem Zentrum zu Kreuze zu kriechen, ist offenkundig. Und nun wird auch die Schwerindustrie wieder mobil. Wie vor kurzem gegen Curtius fliegt jetzt gegen den Finanzminister Dietrich eine Mine auf. Der Langnamverein, »die Union der festen Hand«, fordert auf der düsseldorfer Tagung die offene Diktatur, ein regierendes Direktorium als Exekutivorgan der schwerindustriellen Wünsche. Zugleich kündet der volksparteiliche Führer Dingeldey Opposition gegen die neuen Notverordnungen an, weil sie ihm allzusehr nach Marxismus riechen. Das ist etwas zu viel für eine Woche, und vor allem zu viel für einen Kanzler, der von dem englischen Ministerpräsidenten zu einer Unterhaltung eingeladen worden ist, bei der ein Staatsmann mit beschädigter Autorität es doppelt schwer hat. Es ist ein schwacher Trost nur für Brüning, daß die Sozialdemokratie sich auf ihrem Parteitag so gouvernemental wie nur möglich gezeigt hat. Aber die Sozialdemokratie zählt nicht mehr als Machtfaktor. Sie hat in Leipzig soeben mit erschütternder Majorität ihren Selbstmord beschlossen.

Als die Einladung nach Chequers erging, stand die Regierung im Zenith ihres Ansehens. Damals wurde in der ganzen Welt die Behauptung unsrer Linkspresse geglaubt, Brüning habe die Demokratie gerettet und Hitler zersprengt. Damals war eben der schwere Winter überstanden, man fühlte sich wieder konsolidiert und träumte von bessern Zeiten. Es ist kein Wunder, daß sich Ramsay MacDonald einmal mit bürgerlichen Politikern aussprechen wollte, die mit dem Fascismus so glänzend fertig geworden waren.

Seitdem hat sich alles wieder gründlich verschlechtert. Hitler hat sich wieder erholt und beweist von neuem seine Werbekraft. Die Reaktion erhebt sich wieder ungestümer als zuvor; die Leute, die nicht warten können, fordern die Diktatur, um die Reste sozialer Einrichtungen zu zerschlagen und den Arbeitern die Lohntarife auf der Bajonettspitze zu präsentieren. Vor ein paar Wochen noch wäre Brüning wie ein stolzer Sieger nach England gekommen. Heute erscheint ein abgekämpfter, bekniffener Mann, der alle Mühe hat, sich seiner Haut zu wehren. Auch die meisten der liberalen Blätter, die den Ruhm des Kanzlers erst gemacht haben, finden die neuen Notverordnungen antisozial und erwarten bösartige Folgen. Diese Phase seines Kampfes hat Brüning verloren.

Es wird trotzdem nicht seine letzte sein. Im Grunde können ihn die aufgeblasenen Langohren vom Langnamverein ebensowenig entbehren wie Hitler. Aber grade die Ereignisse dieser letzten Wochen zeigen, über wie wenig politische Potenz die deutsche Rechte bei aller wirtschaftlichen Macht verfügt, was für ein trübseliges Bierphilistertum in diesen gewaltigen Herren von Kohle und Eisen doch steckt. Wenn Brüning im Endspurt dennoch straucheln sollte, dann gewiß nicht über die Sozialisten, sondern über die Unzulänglichkeit der eignen Hilfstruppen.

Die Weltbühne, 9. Juni 1931


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