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Vierundzwanzigstes Kapitel.

Wie O'Brien sagt: 's ist eine langweilige Gasse, die keine Wendung hat. Ich werde wieder losgelassen und das Glück stürmt eben so schnell auf mich ein, als mich früher das Unglück überwältigte.

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Der Schlag war zu heftig – ich fiel besinnungslos auf mein Kissen zurück. Wie lange ich dalag, weiß ich nicht, aber als ich wieder zu mir kam, war der Wärter fortgegangen, und neben meinem Bette stand ein Krug Wasser mit etwas Brot. Ich trank das Wasser, und die Wirkung, die es auf mich hervorbrachte, war ganz erstaunlich. Ich fühlte, daß ich aufstehen konnte, und erhob mich; während meiner Ohnmacht hatte man mir meine Arme losgeschnürt. Ich stellte mich auf die Füße und schwankte dem Fenster zu. Ich blickte hinaus, sah die helle Sonne, die Vorübergehenden, die Häuser auf der andern Seite – alles schien munter und froh, aber ich war Gefangener in einem Irrenhause. War ich verrückt gewesen? Ich dachte nach und vermutete, daß es wohl so sein müsse und daß mich Leute, die mich nicht kannten, hierher gebracht hätten. Es kam mir keineswegs in den Sinn, daß mein Oheim dabei beteiligt sein könne. Ich warf mich auf mein Bett hin und eine Flut von Thränen erleichterte meine Brust.

Es war etwa Mittag, als die Ärzte des Hauses, begleitet von den Wärtern, in mein Zimmer traten.

»Ist er ganz ruhig?«

»O Gott! ja, Sir, so ruhig wie ein Lamm«, antwortete der Wärter, der schon früher bei mir gewesen war.

Ich redete nun den Arzt an, und bat ihn, mir zu sagen, weshalb und auf welche Weise ich hierher gebracht worden sei. Er antwortete mir sanft und milde. Es sei der Wunsch meiner Freunde gewesen, und es solle mir jegliche Sorgfalt erwiesen werden; er wisse, daß meine Anfälle nur periodisch seien, und ich solle während meiner ruhigen Stunden jede Freiheit erhalten, die man mir gestatten könne; auch hoffe er, daß ich bald wieder völlig hergestellt sein würde, um das Hospital verlassen zu können. In meiner Antwort sagte ich ihm, wer ich sei und wie ich erkrankt wäre. Er schüttelte den Kopf, riet mir so viel als möglich liegen zu bleiben, und verließ mich hierauf, um die andern Patienten zu besuchen.

Wie ich später erfuhr, hatte mich mein Onkel hierher gebracht, unter dem Vorgeben, ich sei ein junger Mann, der die verrückte Grille habe, daß er Simpel heiße und Erbe des Titels und der Güter des Lord Privilege sei; bisweilen sei ich ein Störenfried, indem ich mit Gewalt in sein Haus eindringe und die Dienerschaft beschimpfe, sonst aber sei mein Benehmen in jeder andern Beziehung harmlos: meine Anfälle enden in der Regel mit heftigem Fieber, und es sei mehr die Besorgnis, daß mir ein Leid widerfahren möge, als irgend eine unfreundliche Gesinnung gegen den jungen Mann, die ihn wünschen lasse, daß ich im Hospitale aufgenommen und verpflegt würde.

Der Leser wird auf einmal das Arglistige dieser Angabe durchschauen; es war vorauszusehen, daß ich, der ich keinen Gedanken davon hatte, warum ich eingesperrt war, natürlich fortfahren würde, mir meinen wirklichen Namen beizulegen, und daß man, so lange ich dies that, mich für verrückt halten werde. Es darf also den Leser auch nicht befremden, daß ich ein Jahr und acht Monate in Bedlam zubrachte. Der Doktor kam noch mehrere Tage zu mir, und da er fand, daß ich ruhig war, so gestattete er mir Bücher, Tinte und Papier zu meinem Zeitvertreibe, aber jeder Versuch zu einer Erläuterung war unfehlbar ein Zeichen für ihn, mein Zimmer zu verlassen. Ich merkte somit nicht bloß an ihm, sondern auch an dem Wärter, der allem, was ich sagte, nicht die mindeste Aufmerksamkeit schenkte, daß ich keine Hoffnung hatte, angehört zu werden und meine Befreiung zu erhalten.

Nach Ablauf des ersten Monats besuchte mich der Doktor nicht mehr: ich war ein ruhiger Patient und er empfing den Bericht durch den Wärter. Man hatte mich, mit jedem zum Beweise meines Wahnsinnes erforderlichen Dokumente versehen, hierher gesandt, und obgleich nur sehr wenig dazu gehören mag, Verrücktheit zu beweisen, so gehört doch in der That sehr viel dazu, darzuthun, daß man bei gesundem Verstande ist. In Bedlam fand ich dies ganz und gar unmöglich. Ich wurde gleichwohl gut behandelt, erhielt jede mögliche Bequemlichkeit, sowie diejenige Unterhaltung, die Bücher etc. geben konnten. Ich hatte keine Ursache, mich über den Wärter zu beklagen – ausgenommen, daß er zu sehr beschäftigt war, um seine Zeit mit Anhörung von Dingen zu verschwenden, die er ja doch nicht glaubte. Während der ersten zwei oder drei Monate meines Aufenthaltes schrieb ich mehrere Briefe an meine Schwester und an O'Brien, und bat den Wärter, sie auf die Post zu bringen. Er weigerte sich nie, versprach mir vielmehr stets, dies zu thun; sie wurden übrigens samt und sonders vernichtet. Einige Zeit lang gab ich gleichwohl die Hoffnung zu meiner Befreiung nicht auf; aber bisweilen bemächtigte sich meiner, wenn ich die Lage meiner armen Schwester bedachte, eine so lebhafte Angst, und bei dem Gedanken an Celeste und O'Brien ein so schmerzliches Gefühl, daß ich beinahe rasend wurde, und dann mochte der Wärter wohl melden, ich hätte einen meiner Anfälle bekommen. Nach sechs Monaten wurde ich ganz tiefsinnig und zehrte förmlich ab. Ich versuchte nicht länger mich zu zerstreuen, sondern saß den ganzen Tag da, die Augen auf einen Fleck gerichtet. Auch auf meinen Körper verwandte ich keine Sorgfalt mehr; ich ließ meinen Bart wachsen – mein Gesicht wurde nicht mehr gewaschen, außer wenn es auf Befehl meines Wärters ganz mechanisch geschah, und wenn ich noch nicht wahnsinnig war, so hatte ich alle Aussicht, es bald zu werden. Das Leben verstrich mir wie eine leere Öde – ich war ganz gleichgültig gegen alles – beachtete keine Zeit mehr – bemerkte nichts vom Wechsel der Jahreszeiten – selbst Tag und Nacht folgten auf einander, ohne daß ich darauf achtete.

Ich befand mich in dieser unglücklichen Lage, als eines Tages die Thür geöffnet wurde und, wie das während der Zeit meiner Einsperrung häufig geschah, Fremde herumgeführt wurden, welche ihre Neugierde befriedigen und die geistige Gesunkenheit der armen Pfleglinge dieser Anstalt mit ansehen, oder aber ihnen ihre Teilnahme bezeugen wollten. Ich schenkte ihnen gar keine Aufmerksamkeit und schlug sogar nicht einmal die Augen auf. »Dieser junge Mann«, sagte der Arzt, der die Gesellschaft geleitete, »ist von dem sonderbaren Wahne befallen, daß sein Name Simpel, und er der rechtmäßige Erbe des Titels und der Besitzungen von Lord Privilegs sei.«

Einer der Besucher trat zu mir her und blickte mir ins Gesicht. »Und er ist es auch«, rief er dem ganz erstaunten Doktor zu. »Peter erkennen Sie mich nicht?«

Ich schrak auf; es war General O'Brien. Ich stürzte in seine Arme und zerfloß in Thränen.

»Sir«, sprach General O'Brien, der mich zu einem Stuhle führte und mich sanft darauf niedersetzte, »ich sage Ihnen, dieses ist Herr Simpel, der Neffe des Lord Privilege und, wie ich glaube, auch der Erbe des Titels. Wenn also diese Behauptung seines Namens den einzigen Beweis seines Wahnsinns bildet, so ist er ungesetzlicher Weise hier eingesperrt. Ich bin zwar ein Fremder hier und ein Gefangener auf Ehrenwort, aber dessenungeachtet nicht ohne Freunde. Lord Belmore«, sagte er, sich zu einem Mitgliede der Gesellschaft wendend, »ich verpfände Ihnen mein Ehrenwort, daß meine Angabe richtig ist, und bitte Sie, die unverzügliche Freilassung dieses armen jungen Mannes zu verlangen.«

»Ich versichere Ihnen, Sir, daß ich Briefe von Lord Privilege besitze«, bemerkte der Doktor.

»Lord Privilege ist ein Schurke«, erwiderte General O'Brien. »Aber noch ist Gerechtigkeit in diesem Lande zu erlangen, und für diesen lettre de cachet soll er schwer büßen. Mein lieber Peter, welch' ein Glück, daß ich diesen schrecklichen Ort besuchte. Ich hatte so viel von den trefflichen Einrichtungen dieser Anstalt gehört, daß ich mich auf Lord Belmore's Vorschlag entschloß, dieselben zu besichtigen, finde aber, daß das Lob unverdient ist.«

»Ich bitte um Entschuldigung, General O'Brien, ich bin in der That gütig behandelt worden«, antwortete ich, »und insbesondere von diesem Herrn. Es war nicht seine Schuld.«

General O'Brien und Lord Belmore befragten hierauf den Doktor, ob er etwas dagegen habe, wenn ich freigelassen würde.

»Nicht im entferntesten, mein Lord – selbst, wenn er wirklich geisteskrank wäre; ich sehe übrigens nun deutlich ein, wie sehr ich hintergangen worden bin. Wir gestatten den Freunden eines Kranken, ihn fortzunehmen, wenn sie glauben, ihm mehr Aufmerksamkeit schenken zu können. Herr Simpel kann sogleich mit Ihnen gehen.«

Ich fühlte nun, wie mein Gehirn durch den plötzlichen Übergang von der Verzweiflung zum freudigen Hoffen erschüttert wurde, und sank auf meinen Stuhl nieder. Sobald der Doktor meinen Zustand sah, ließ er mir stark zur Ader und brachte mich zu Bette, wo ich, bewacht von General O'Brien, über eine Stunde verblieb. Dann stand ich dankerfüllt, aber ruhig auf. Der Barbier der Anstalt rasierte mich, wusch mich, kleidete mich an, und dann wurde ich, gestützt auf des Generals Arm, hinausgeführt. Ich richtete meine Blicke auf die zwei berühmten steinernen Statuen des trübsinnigen und rasenden Wahnsinnes; als ich daran vorüber ging, zitterte ich und hing mich noch fester an des Generals Arm, mit dessen Hilfe ich eine Kutsche bestieg, um dem Wahnsinn und dem Elend Lebewohl zu sagen.

Der General sprach nichts, bis wir uns dem Hotel, worin er wohnte, in Dover Street, näherten; dann fragte er mit leiser Stimme, ob ich eine weitere Aufregung ertragen könne.

»Meinen Sie Celeste, General?«

»Allerdings, mein lieber Junge«, sagte er, mir die Hand drückend, »sie ist hier.«

»Ach Gott!« rief ich, »welche Hoffnungen habe ich nun auf Celestes Besitz?«

»Mehr als je zuvor«, erwiderte der General; »sie lebt nur für Sie, und selbst wenn Sie ein Bettler sind, so besitze ich ein hinreichendes Einkommen, um es Ihnen behaglich genug zu machen.«

Ich erwiderte des Generals Händedruck, konnte aber keine Silbe sprechen. Wir stiegen aus, und nach einer Minute wurde ich von dem Vater in die Arme der erstaunten und überglücklichen Tochter geführt.

Ich übergehe die Geschichte einiger Tage, während deren ich mich geistig und körperlich allmählich wieder erholte und dem General und Celeste meine Erlebnisse erzählte. Meine erste Aufgabe war, meine Schwester ausfindig zu machen. Ich wußte nicht, was aus der armen Ellen in dem verlassenen Zustande, in dem sie sich befunden hatte, geworden war, und beschloß daher, nach dem Pfarrhause zu gehen und Nachfrage anzustellen. Ich reiste übrigens nicht ab, bevor O'Brien einen Rechtsfreund kommen und durch diesem dem Lord Privilege die Anzeige machen ließ, daß sofort eine Klage gegen ihn, wegen Gefangenhaltens unter lügnerischen Vorwänden, anhängig gemacht werden solle.

Ich fuhr auf der Post ab und traf am nächsten Abend in der Stadt *** ein. Ich eilte nach dem Pfarrhause, und Thränen standen in meinen Augen, als ich an meine Mutter, an meinen armen Vater, an die eigentümliche und höchst zweifelhafte Lage meiner lieben Schwester dachte. Ein Bedienter in Livree gab mir Antwort und führte mich zu dem gegenwärtigen Bewohner des Hauses. Dieser empfing mich höflich, hörte meine Erzählung an, und erwiderte hierauf, meine Schwester sei den Tag nach seiner Ankunft nach London abgegangen, ohne jedoch irgend jemand etwas über ihre Pläne mitgeteilt zu haben. So war also jede Spur verloren. Ich begab mich schleunigst wieder in die Stadt, um mich auf die Post zu setzen, und traf am andern Abend wieder bei Celeste und dem General ein; diesen teilte ich die unerfreuliche Nachricht mit und besprach mich mit ihnen, was nun anzufangen sei. Am andern Morgen ließ sich Lord Belmore melden, und auch mit diesem beriet sich der General. Der Lord zeigte die größte Teilnahme für mich und erteilte mir den Rat, ehe ich irgend etwas anderes thue, seine Kutsche zu besteigen und ihm zu erlauben, meine Sache dem ersten Lord der Admiralität mitzuteilen. Dies geschah sofort, und da ich nun Gelegenheit hatte, frei und offen mit dem ersten Lord zu sprechen, so setzte ich ihm das Benehmen des Kapitän Hawkins, seine Verbindung mit meinem Oheim, sowie den Grund, warum mich der letztere verfolge, auseinander. Da er mich unter dem mächtigen Schutze des Lords Belmore traf, und wohl auch ein Auge auf meine künftigen Ansprüche warf, die er nach dem Benehmen meines Oheims für wohlbegründet zu erachten alle Ursache hatte, so war er äußerst artig und sagte, ich werde in paar Tagen von ihm hören. Er hielt sein Wort, denn schon am dritten Tage nach meiner Unterredung mit ihm empfing ich eine Note, worin mir meine Beförderung zum Range eines Kommandeurs angezeigt wurde. General O'Brien und Celeste teilten meine Freude über dieses gute Glück.

Als ich auf der Admiralität war, fragte ich auch nach O'Brien und hörte, daß er jeden Tag zurückerwartet werde. Er hatte sich großen Ruhm in Ostindien erworben und in Führung des Oberbefehls bei Eroberung mehrerer Inseln ausgezeichnet; man sagte sogar, er solle für seine Dienste zum Baronet ernannt werden. Alles gestaltete sich nun günstiger, und das einzige Traurige blieb das Verschwinden meiner Schwester; dies lag fortwährend schwer auf meinem Gemüte.

Doch ich hatte vergessen, dem Leser zu sagen, auf welche Weise General O'Brien und Celeste zu so guter Zeit nach England kamen. Martinique war vor etwa sechs Wochen von unsern Truppen genommen worden, wobei sich die ganze Garnison als kriegsgefangen ergab. General O'Brien wurde nach England geschickt und erhielt Freiheit auf Ehrenwort; obgleich Franzose von Geburt, besaß er sehr hohe Verbindungen in Irland, zu denen auch Lord Belmore gehörte. Bei ihrer Ankunft hatten sie sogleich alle möglichen Erkundigungen nach mir angestellt, doch ohne Erfolg; sie wußten, daß ich vor ein Kriegsgericht gestellt und von meinem Schiffe entlassen worden war, aber von da an konnte auch keine weitere Spur zu meiner Entdeckung aufgefunden werden.

Celeste befürchtete, daß mir irgend ein schweres Unglück zugestoßen sein möge, und ihre Gesundheit hatte infolge dessen außerordentlich gelitten. Da General O'Brien sah, wie sehr das Wohl seiner Tochter auf ihrer Liebe zu mir beruhe, beschloß er bei sich selbst, uns zu vereinigen, sobald ich aufgefunden sein würde. Ich habe kaum nötig zu sagen, wie erfreut er war, als er mich, wenn auch in einer so ganz und gar nicht beneidenswerten Lage, wieder sah.

Die Geschichte meiner Einsperrung, die Klage gegen meinen Oheim, so wie die Kunde über den betreffs der Erbfolge verübten Verrat hatte sich unterdessen schnell unter dem ganzen Adel des Landes verbreitet; ich sah, daß mir jede Aufmerksamkeit erwiesen wurde, und erhielt als ein Gegenstand der Neugierde und der Spekulation vielfache Einladungen. Auch der Verlust meiner Schwester erregte große Teilnahme, und manche Leute stellten in wohlwollender Gesinnung Nachforschungen an, um sie ausfindig zu machen. Als ich eines Tages von dem Anwalt, der einen Aufruf bezüglich meiner Schwester, wiewohl vergeblich, in die Zeitung hatte einrücken lassen, zurückkehrte, fand ich ein Schreiben für mich, das durch das Admiralitäts-Bureau eingelaufen war, auf meinem Tische liegend. Ich öffnete dasselbe, der Umschlag war von O'Briens Hand, der soeben in Spithead Anker geworfen und gebeten hatte, den Brief, wenn man meine Adresse kenne, an mich zu befördern. Folgendes ist der Inhalt desselben:

 

» Mein lieber Peter!

Wo bist Du und was ist aus Dir geworden? Ich habe seit den letzten zwei Jahren keine Briefe von Dir erhalten und mich darüber fast zu Tode gehärmt. Dein Schreiben über das verfluchte Kriegsgericht erhielt ich, aber Du hast vielleicht nicht gehört, daß der Spitzbube tot ist. Ja, Peter, er brachte Dein Schreiben auf seinem eigenen Schiffe mit, und das war sein Todesurteil. Ich traf ihn in einer Privatgesellschaft. Er nannte Deinen Namen – ich ließ ihn über Dich schimpfen, und dann sagte ich ihm, er sei ein Lügner und ein Schurke. Hierauf forderte er mich – gewiß mit großem Widerwillen, aber der Schimpf war so öffentlich, daß er nicht umhin konnte. Ich schoß ihn nun mit dem besten Willen von der Welt nieder, und wenn er, wie der Hanswurst auf der Bühne, zwanzigmal wieder hätte aufspringen können, so würde ich ihm jedesmal wieder zu Leibe gegangen sein. Der niederträchtige Schurke! aber 's ist jetzt aus mit ihm. Niemand bedauerte ihn, weil ihn jedermann haßte; und sah auch der Admiral etwas ernst drein, so war er mir doch sehr verpflichtet, daß ich für seinen Neffen eine Stelle in Erledigung gebracht hatte. Weil ich gerade daran bin – von einer unbekannten Hand, aber wie ich glaube, von einem Offizier des Schiffes, erhielt ich ein Paket mit Briefen, die zwischen Kapitän Hawkins und Deinem würdigen Oheim gewechselt wurden; das ist nun so 'n hübsches Stück von Schurkerei, als je eines zwischen zwei Spitzbuben aufgeführt wurde: aber das ist noch nicht alles, Peter. Ich habe eine junge Frau für Dich aufgetrieben, die Dein Herz froh machen wird – nicht Fräulein Celeste, denn von der weiß ich nicht, wo sie ist – sondern die Säugamme, die nach Indien ging. Ihr Mann wurde als Invalide nach Hause geschickt, und sie erhielt die Erlaubnis, mit ihm auf meiner Fregatte nach England zu fahren. Da ich fand, daß er zu dem fraglichen Regimente gehörte, sprach ich mit ihm über einen gewissen O'Sullivan, der sich in Irland verheiratet habe, und nannte ihm den Namen des Mädchens; als er sah. daß sie eine Landsmännin von mir war, sagte er mir, er heiße allerdings eigentlich O'Sullivan, habe aber stets unter dem Namen O'Connell gedient, und seine Frau an Bord sei die fragliche junge Weibsperson. Hierauf ließ ich sie rufen und sagte ihr, daß ich die Geschichte ganz genau kenne, und als ich Ella Flanagan und ihre Mutter als diejenigen nannte, die mir die Nachricht gegeben hätten, war sie ganz erstaunt. Auf meine Frage, was aus dem Kinde, welches sie gegen das ihrige eingetauscht habe, geworden sei, antwortete sie mir, daß es in Plymouth ertrunken, und daß ihr Mann bei derselben Veranlassung von einem jungen Offizier gerettet worden sei, »dessen Namen ich hier habe«, sagte sie; und dann zog sie aus ihrem Busen Deine Karte, auf der Peter Simpel stand. »Nun«, sagte ich, »wißt Ihr auch, gute Frau, daß Ihr bei dem Helfen zu dem spitzbübischen Kinder-Austausch gerade denselben jungen Herrn ins Elend gestürzt habt, der Euren Mann rettete? denn Ihr habt ihn um seine Titel und seine Besitzung gebracht.« Als ich dies sagte, machte sie Augen wie ein gestochenes Schwein, und dann verfluchte und verschwor sie sich und beteuerte, sie wolle Dir zu Deinem Rechte verhelfen, sobald sie nach Haus komme; und es ist ihr sehr darum zu thun, denn sie liebt Dich und Deinen Namen außerordentlich. Du siehst also, Peter, eine gute Handlung findet bisweilen in dieser Welt schon ihren Lohn, und eine schlechte ebenfalls, wenn Du bedenkst, daß ich den verfluchten Schurken niedergeschossen habe, der es wagen wollte, übel von Dir zu reden.

Ich habe Dir noch sehr viel zu sagen, Peter, aber ich schreibe nicht gerne Briefe, die vielleicht nie gelesen werden, und deshalb will ich warten, bis ich von Dir höre; dann aber wollen wir uns sogleich nach Erledigung meiner Geschäfte aufmachen und den Schurken von Oheim züchtigen.

Ich habe zwanzigtausend Pfund in den Consols zusammengescharrt, außer dem Guthaben für die Gewürzinseln, was auch einen hübschen Pfennig ausmachen wird; und jeder Heller davon soll darauf gehen, Dir zu Deinem Rechte zu verhelfen, Peter, und einen Lord aus Dir zu machen, wie ich Dir es oft versprochen habe. Wenn Du gewinnst, so sollst Du mich bezahlen; kommst Du aber nicht durch, dann zum Henker mit dem Glück und dem Gelde dazu.

Ich bitte Dich, Fräulein Ellen meine besten Empfehlungen auszurichten und ihr zu sagen, wie glücklich es mich machen wird, zu hören, daß sie sich wohl befindet; aber auf dem Herzen hat es mir immer gelegen, Peter, daß Dein Vater nicht zu viel hinterlassen haben mag, und ich wünsche deshalb sehr zu wissen, wie ihr beide fortkommt. Bei meinen Agenten ließ ich carte blanche für Dich, und ich hoffe nur, daß Du davon Gebrauch gemacht hast, wenn's nötig war; wenn nicht, so bist Du auch der Peter nicht mehr, den ich zurückließ. Nun lebe wohl und vergiß nicht, meinen Brief schleunigst zu beantworten. Immer

Dein Terenz O'Brien

 

Dies war nun in der That eine höchst erfreuliche Nachricht. Den Brief übergab ich dem General O'Brien, und während ihn dieser durchlas, blickte ihm Celeste mitlesend über die Schulter.

»Das ist gut«, sagte der General. »Peter, ich wünsche Ihnen Glück; und auch Dir, Celeste, muß ich Glück wünschen zu Deinen Aussichten für die Zukunft. Es wird mir ein hohes Vergnügen gewähren, wenn ich Dich einmal als Lady Privilege begrüßen darf.«

»Celeste«, hub ich an, »Du hast mich nicht verschmäht, als ich arm und im Unglück war. O, meine arme Schwester Ellen! wenn ich nur Dich auffinden könnte, wie glücklich würde ich sein!«

Ich setzte mich sogleich hin, um O'Brien zu schreiben und ihm alles, was vorgefallen war, sowie den Verlust meiner teuren Schwester mitzuteilen. Den Tag nach Empfang meines Schreibens stürzte er ins Zimmer. Sobald die ersten Begrüßungen vorüber waren, sagte er: »Mein Herz ist gebrochen, Peter, wegen Deiner Schwester Helene. Ich muß sie finden. Mein Schiff werde ich aufgeben, denn so lang' ich lebe, will ich nicht aufhören, sie zu suchen.«

»Thu' doch das, mein lieber O'Brien, und ich wünsche nur –«

»Was wünschest Du, Peter? soll ich Dir sagen, was ich wünsche? – daß Du sie, wenn ich sie finde, für meine Mühe und Sorgen mir giebst.«

»So weit es mich betrifft, O'Brien, könnte mir nichts größere Freude machen; aber Gott weiß, wozu Mangel und Elend sie gezwungen haben.«

»Schande über Dich, Peter, so von Deiner Schwester zu denken. Meine Ehre setze ich für sie zum Pfande. Arm, elend und unglücklich mag sie sein – aber nein – nein, Peter – Du kennst sie nicht – Du liebst sie nicht, wie ich, wenn Du Dir solche Gedanken in den Kopf kommen lassen kannst.«

Dieses Gespräch wurde am Fenster geführt, dann wandten wir uns um zu General O'Brien und Celeste.

»Kapitän O'Brien«, sagte der General.

»Sir Terenz O'Brien, wenn's Ihnen gefällig ist, General. Seine Majestät hat mir eine Handhabe zu meinem Namen gegeben.«

»Ich wünsche Ihnen Glück, Sir Terenz«, erwiderte der General, ihm die Hand drückend. »Was ich sagen wollte – ich hoffe, daß Sie in unserem Hotel Ihre Wohnung nehmen, damit wir alle zusammenleben. Hoffentlich werden wir auch Helenen bald finden: unterdessen aber haben wir auch mit der Überführung des Lords Privilege keine Zeit zu verlieren. Ist die Frau hier?«

»Ja, unter Schloß und Riegel; aber zum Teufel, von ihr ist nichts zu fürchten. Millionen würden sie nicht bestechen, demjenigen Unrecht zu thun, der für ihren Mann sein Leben wagte. Sie ist 'ne Irländerin. General, bis zum Rückgrat. Nichtsdestoweniger, Peter, müssen wir zu Deinem Advokaten gehen und ihm von der Sache Kunde geben, damit er die nötigen Schritte thut.«

Drei Wochen lang war O'Brien mit seinen Nachforschungen nach Ellen auf eifrigste beschäftigt; er wandte alle Mittel zur Auskundschaftung an, jedoch ohne Erfolg; wir, der General und ich, verfolgten einstweilen die Klage gegen den Lord Privilege.

Eines Morgens besuchte uns Lord Belmore und fragte den General, ob er ihn nicht ins Theater begleiten wollte, um der Aufführung zweier gepriesenen Stücke beizuwohnen. In dem zweiten, welches eine komische Oper war, sollte eine neue Künstlerin auftreten, über deren Leistungen man sich viel Gutes sagte.

Celeste willigte ein; wir speisten früh und begaben uns mit dem Lord in seine Privatloge, die über der Bühne im ersten Range war. Das erste Stück ging über die Bretter, und Celeste, die Young noch nicht gesehen hatte, war ganz entzückt. In dem zweiten Stück wurde die neue Künstlerin, eine Miß Henderson, durch den Direktor auf die Bühne geführt; sie war augenscheinlich befangen und aufgeregt, aber ein dreimaliger allgemeiner Applaus gab ihr Mut, und sie begann mit dem Gesange. Bei den ersten Tönen ihrer Stimme war ich ganz erstaunt, und auch O'Brien, der hinten stand, legte sich vor, um nach ihr zu sehen; weil wir aber fast gerade über ihr waren, und sie ihr Gesicht nach der andern Seite gewendet hatte, konnten wir ihre Züge nicht genau unterscheiden. Im Fortgange ihres Gesanges gewann sie immer mehr Mut, ihr Gesicht war gegen uns gerichtet, sie schlug ihre Augen auf – sah mich – das Wiedererkennen war gegenseitig – ich streckte meine Arme aus, konnte aber kein Wort sprechen – sie schwankte und fiel ohnmächtig nieder.

»Das ist Ellen!« rief O'Brien, stürzte über mich hin, setzte mit einem Sprunge von der Loge auf die Bühne und trug sie fort, ehe jemand anders zu ihrem Beistande herbeikommen konnte. Ich folgte ihm und fand Ellen noch in seinen Armen, während die Schauspielerinnen ihr die geeignete Hilfe leisteten.

Der Direktor trat vor, entschuldigte sich und sagte, die junge Dame sei zu krank, um ihre Rolle fortsetzen zu können; und die Zuschauer, welche gesehen hatten, was O'Brien und ich vornahmen, waren durch diesen im wirklichen Leben aufgeführten Roman befriedigt. Ellens Rolle wurde von einer andern gesungen, aber das Stück erregte keine große Aufmerksamkeit, da jedermann die Veranlassung dieses ungewöhnlichen Ereignisses ausfindig zu machen bemüht war. Unterdessen wurde Ellen von O'Brien und mir in einen Fiaker gebracht, und wir fuhren nach dem Hotel, wo auch der General und Celeste bald zu uns kamen.

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