Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

.

Drittes Buch.

—————

Erstes Kapitel.

Pomphafte Beerdigung. – Verlesen des Testaments, nicht ganz nach Willen. – Ich bin mit einem Legat bedacht. – Was daraus wird. – Mein Vater ist im Eifer und schreibt eine Predigt, um sich abzukühlen. – Ich begebe mich nach O'Briens Brigg und treffe mit Swinburne zusammen.

—————

 

Eine Woche später begleitete ich meinen Vater nach Adlerpark, um Lord Privileges Begräbnis beizuwohnen. Wir wurden in das Zimmer geführt, wo die Leiche schon drei Tage auf dem Paradebette lag. Die schwarzen Behänge, die wallenden Federn, die reichen Verzierungen des Sarges und die Anzahl von Wachskerzen, welche das Gemach erhellten, übten eine feierliche und großartige Wirkung aus. Als ich mich gegen die Balustrade vor dem Sarg lehnte, konnte ich mich der Rückerinnerungen nicht erwehren, wie die Gefühle meines hier liegenden armen Großvaters zu meinen Gunsten aufzutauen schienen, als er mich »sein Kind« nannte, und daß er, ohne den spät gebornen Sohn meines Onkels, wahrscheinlich in meinen Armen gestorben wäre, abgesehen von allen weltlichen Rücksichten mich um meiner selbst willen liebend. Ich fühlte, daß er mir, wenn ich ihn länger gekannt hätte, teuer geworden wäre, und daß er auch mich geliebt haben würde; dabei stellte ich Betrachtungen an, wie wenig ihn nach seinem Hinscheiden die eitlen Ehren der Welt schadlos halten konnten für den Verlust jener wechselseitigen Zuneigung, die so viel zur Erhöhung seines Glücks im Leben beigetragen haben würde. So aber hatte ihn stets Pomp und Eitelkeit umgeben, und sollte ihm auch zu Grabe folgen. Ich dachte an meine Schwester Ellen, an O'Brien, und nahm die Überzeugung mit mir weg, Peter Simpel sei doch ein beneidenswerter Gegenstand im Vergleich mit dem verstorbenen hochgebornen Lord Viscount Privilege, Baron Corston, Lord-Leutnant der Grafschaft und Seiner Majestät geheimem Rate. Sobald die ebenso langweilige als prunkvolle Beerdigungs-Feierlichkeit vorüber war, fuhren wir nach Adlerpark zurück, wo mein Onkel, der natürlich den Titel angenommen hatte und als Hauptleidtragender die Honneurs machte, uns erwartete. Wir wurden in die Bibliothek gewiesen und der neue Lord saß in dem Lehnsessel, den erst kürzlich noch mein Großvater seit so langer Zeit eingenommen hatte. Neben ihm befanden sich die Advokaten mit Pergamentblättern vor sich. Als wir eintraten, winkte er uns mit der Hand nach den unbesetzten Stühlen, um uns damit anzudeuten, daß wir Platz nehmen sollten, sprach aber kein Wort, ein gelegentliches Flüstern mit den Rechtsgelehrten ausgenommen. Sobald alle Mitglieder der Familie bis zum vierzigsten oder fünfzigsten Vetter hinab beisammen waren, setzte der Anwalt, der meinem Onkel zur Rechten saß, seine Brille auf, entrollte das Testament und begann den letzten Willen des Hingeschiedenen zu verlesen. Ich war anfangs sehr aufmerksam, aber die juristischen Kunstausdrücke verwirrten mich, und ich dachte an andere Gegenstände, bis ich, nach einem halbstündigen Vorlesen durch das Nennen meines Namens aufgeschreckt wurde. Ich war infolge eines Kodicills mit der Summe von zehntausend Pfund bedacht. Mein Vater, der neben mir saß, stieß mich an, um meine Aufmerksamkeit rege zu machen, und ich bemerkte, daß sein Gesicht nicht mehr ganz so traurig aussah wie zuvor. Ich freute mich über diese unerwartete Nachricht, und rief mir ins Gedächtnis zurück, was mir mein Vater auf dem Rückwege von Adlerpark mitgeteilt hatte, »daß nämlich meines Großvaters Aufmerksamkeit gegen mich so gut sei als zehntausend Pfund in seinem Testament«; dabei wunderte ich mich nicht wenig, daß er so genau die Summe erraten hatte. Auch entsann ich mich dessen, was mein Vater von seinen eigenen Angelegenheiten gesprochen, und wie er mir mitgeteilt, daß er nichts für seine Kinder erspart habe; ich wünschte mir daher Glück, jetzt, falls meinem Vater ein Unglück zustoßen sollte, imstande zu sein, meine liebe Schwester Ellen unterstützen zu können Da wurde meines Namens ein zweites Mal gedacht. Die Rede war von einem spätern Kodicill, das sich erst von einer Woche her datierte, und in welchem mein Großvater, nicht zufrieden mit meinem Benehmen, die erstere Verfügung widerrief und mir nichts hinterließ. Ich wußte wohl, woher dieser Schlag kam, und sah meinem Onkel ins Gesicht. Ein Strahl boshafter Freude leuchtete aus seinen Augen, die er auf mich geheftet hielt, um zu sehen, wie ich die Nachricht aufnehme. Ich erwiderte seinen Blick mit einem Lächeln der Verachtung, und sah dann auf meinen Vater, der sich sehr unglücklich zu fühlen schien. Sein Kopf war auf die Brust herabgesunken und seine Hände verklammerten sich. Obgleich auch ich mich erschüttert fühlte, denn ich wußte, wie sehr wir des Geldes benötigt waren, so war ich doch zu stolz, um es mir anmerken zu lassen. In der That hätte ich nicht um die Welt meine Stellung, geschweige denn meine Empfindungen mit denen meines Onkels tauschen mögen; denn wenn man zusammenkommt, um die letzte Willensverfügung eines Menschen zu vernehmen, der vor den Richterstuhl des Ewigen abgerufen wurde, so sollten wohl die vergänglichen Erdendinge, welche er zurücklassen mußte, wenigstens für den Augenblick nicht Haß oder bösen Willen wecken, sondern den Gefühlen der Liebe und Nachsicht gegen das Andenken eines »hingeschiedenen Bruders« Raum geben. Ein kurzes Nachdenken reichte hin, um mich in eine Stimmung zu versetzen, daß ich auch meinem Onkel hätte verzeihen können.

Nicht so verhielt sich's mit meinem Vater. Das Kodicill, welches mich meiner Erbschaft beraubte, war das letzte im Testament. Der Advokat rollte das Pergament zusammen, und nahm seine Brille ab. Alle Anwesenden erhoben sich. Mein Vater ergriff seinen Hut und befahl mir in barschem Tone, ihm zu folgen; zuvor aber riß er den Trauerflor ab und warf ihn auf den Boden. Auch ich steckte den meinigen los, legte ihn auf den Tisch und ging ihm nach. Mein Vater rief seinen Wagen, wartete in der Halle, bis er vorfuhr, und sprang hinein. Ich stieg nach, worauf er die Blende herunterließ und Befehl erteilte, nach Hause zu fahren.

»Nicht ein Sechspencestück! Beim allerheiligsten Gott, nicht ein Sechspencestück! Mein Name nicht einmal erwähnt, als höchstens wegen eines armseligen Trauerringes! Und der Deinige – sage einmal, Mensch, was hast Du getrieben, die gute Meinung Deines Großvaters zu verscherzen, nachdem er Dir eine solche Summe hinterlassen hatte? He, Bursche, willst Du augenblicklich sprechen?« fuhr er fort, sich wütend gegen mich umwendend.

»Nichts, mein lieber Vater, was ich mir zum Vorwurf machen könnte. Mein Onkel ist augenscheinlich mein Feind!«

»Und warum sollte er vorzugsweise Dein Feind sein? Peter, es muß irgend ein Grund vorhanden sein, der Deinen Großvater veranlassen konnte, seine Verfügung zu Deinen Ungunsten abzuändern. Ich bestehe darauf, daß Du mir's augenblicklich mitteilst.«

»Mein lieber Vater, wenn Sie ruhiger sind, will ich über die Sache mit Ihnen sprechen. Ich hoffe, Sie betrachten es nicht als Mangel an Achtung, wenn ich sage, daß Sie, als ein Geistlicher der Kirche von England« –

»Zum Teufel mit der Kirche von England und all denjenigen, die mich bei ihr untergebracht haben!« entgegnete mein Vater in tobendem Zorne.

Ich fühlte meinen Atem benommen und schwieg. Auch mein Vater schien über seine vorschnelle Äußerung verwirrt zu sein. Er sank in seinen Wagen zurück und bewahrte ein düsteres Schweigen, bis wir zu Hause anlangten. Sobald wir eintraten, eilte mein Vater nach seinem Zimmer, und ich begab mich zu Schwester Ellen, die sich in ihrem Schlafgemache befand. Ich teilte ihr alles Vorgefallene mit, und beriet mich mit ihr, ob es passend sei, dem Vater die Gründe mitzuteilen, welche mir die außerordentliche Abneigung meines Onkels zugezogen hatten. Nach langem Erwägen kam sie mit mir überein, daß die Enthüllung jetzt notwendig geworden sei.

Sobald nach dem Diner der Tisch abgeräumt war, verließ meine Schwester das Zimmer und ging nach dem ihrigen, worauf ich meinem Vater die Umstände eröffnete, die hinsichtlich des Onkels Haushalt in Irland zu unserer Kenntnis gekommen waren. Er hörte mir sehr aufmerksam zu, nahm seine Schreibtafel heraus und machte seine Bemerkungen.

»Nun, Peter«, sagte er nach einer kurzen Pause, »ich sehe jetzt klar in der ganzen Sache, und zweifle nicht, daß ein Kind unterschoben wurde, um Dich und mich unserer gerechten Erbansprüche an den Titel und die Güter zu berauben. Ich will indessen gleich ans Werk gehen, und versuchen, ob ich dem Geheimnis nicht auf die Spur kommen kann. Unter Kapitän O'Briens und Pater M'Graths Beihilfe sollte dies nicht ganz unmöglich sein.«

»O'Brien wird alles thun, was in seinen Kräften steht«, versetzte ich, »und ich hoffe bald von ihm zu hören. Er muß nun schon eine Woche in Irland sein.«

»Ich begebe mich selbst an Ort und Stelle«, entgegnete mein Vater, »und will alle Mittel aufbieten, um dieses schändliche Komplott zu enthüllen. Nein«, rief er, mit der Faust auf den Tisch schlagend, daß zwei von den Weingläsern in Scherben zerbrachen, – »kein Mittel will ich unversucht lassen.«

»Das heißt, mein lieber Vater«, erwiderte ich, »kein Mittel, das sich mit Ihrem Stande verträgt.«

»Ich sage Dir, kein Mittel, das von einem Menschen in Anwendung gebracht werden kann, wenn es gilt, Rechte wieder zu erringen, die ihm abgegaunert worden sind! Sprich mir nicht von standesgemäßen Mitteln, wenn ich Titel und Eigentum durch einen untergeschobenen Wechselbalg verlieren soll! Beim ewigen Gott, ich will der Hinterlist mit Hinterlist begegnen, falschen Eiden falsche Eide entgegensetzen, und im Notfalle Blut für Blut in die Wagschale legen! Mein Bruder hat alle Bande vernichtet und ich will mein Recht haben, selbst wenn ich ihm dafür eine Pistole ans Ohr setzen müßte.«

»Um's Himmels willen, mein teurer Vater, seien Sie nicht so ungestüm; bedenken Sie doch Ihren Stand.«

»Wohl bedenke ich diesen«, versetzte er bitter, »und wie ich gegen meinen Willen zu demselben gezwungen wurde. Noch tönen mir die entsetzlichen kalten Worte meines Vaters ins Ohr, als er zu mir sagte, ich habe die Wahl zwischen der Kirche oder dem Hungertode. Doch ich habe mich auf meine morgige Predigt vorzubereiten und kann nicht länger hier bleiben. Sage Ellen, sie solle mir etwas Thee schicken.«

Ich war zwar der Meinung, mein Vater befinde sich nicht in der geeignetsten Stimmung, um eine Predigt zu schreiben, behielt sie aber für mich. Meine Schwester kam herein, und wir sahen ihn erst am andern Morgen beim Frühstück wieder. Vorher aber erhielt ich noch einen Brief von O'Brien:

 

» Mein lieber Peter!

Ich eilte nach Plymouth hinunter, hißte mein Wimpel, schaffte mir meine Bursche aus dem Seearsenale herbei und trug meinem ersten Leutnant auf, Ballast und Wasser einzunehmen. Dann brach ich nach Irland auf, und wurde als Kapitän O'Brien von meiner Familie, die sich in den gedeihlichsten Umständen befindet, sehr gut ausgenommen. Mein Vater und meine Mutter sind, da nun meine zwei Schwestern so gute Partieen gemacht haben, sehr glücklich, nur etwas vereinsamt, denn ich habe Dir, glaube ich, schon früher gesagt, daß es dem Himmel gefallen hat, alle meine Schwestern und Brüder zu sich zu nehmen, die beiden jetzt verheirateten und eine dritte ausgenommen, welche in ein Nonnenkloster ging, um Gott ihre Dienste zu weihen, nachdem sie die Pocken so übel zugerichtet hatten, daß keine Mannsperson mehr nach ihr sehen mochte. Solange sie beisammen waren, lamentierten meine Eltern ohne Unterlaß, daß man keines der Familienglieder aus dem Hause bringen könne, und nun alle auf die eine oder die andere Weise fort sind, ist wieder den lieben langen Tag das Gejammer, sie seien jetzt so allein und niemand da, um ihnen Gesellschaft zu leisten, als Pater M'Grath und die Schweine. Nie kann man's uns in dieser Welt recht machen, das ist gewiß. Hat man's in jedem Betracht gut, so ist einem doch nicht wohl dabei. Und erreicht man seine Wünsche, so möchte man alles wieder haben wie es vorher war, aber, wie der alte Maddocks zu sagen pflegte, bei einigen Leuten ist ein gutes Brummen bester als ein schlechtes Essen, und so finden eben jetzt Papa und Mama gleichfalls ihr einziges Vergnügen darin, zu murren; wenn sie's glücklich macht, so müssen sie die ganze Zeit über sehr glücklich sein, denn sie lassen keinen Augenblick davon ab, vom Morgen bis in die Nacht.

Mein erster Schritt bestand darin, daß ich nach Pater M'Grath schickte, der nicht mehr so häufig im Hause ist – vermutlich, weil er's nicht mehr ganz so gemächlich findet, als es sonst war. Er sagte mir, er habe Pater O'Toole getroffen und einen kleinen Wortwechsel mit demselben gehabt, der mit ein bischen Balgerei endete; er hatte Pater O'Toole tüchtige Maulschellen gegeben, ihm den Rock vom Leibe gerissen und in Stücke zerfetzt; darauf sei Pater O'Toole bei dem Bischof klagbar geworden, und dies sei der gegenwärtige Stand der Sache. ›Aber‹, sagte er, ›der Schnapphahn hat die Gegend verlassen, und was noch mehr ist, Ella samt ihrer Mutter mitgenommen. Das Schlimmste dabei ist, daß niemand auffinden kann, wo sie sich hingezogen, aber man glaubt, sie seien alle über's Wasser geschickt worden.‹ Du siehst also, Peter, in einem Punkte ist es ein schlimmes Geschäft: man hat nämlich keine Aussicht, die Wahrheit aus dem alten Weibe heraus zu kriegen, denn wer will ihr folgen, da wir Krieg mit Frankreich haben? Andererseits ist die Neuigkeit nicht übel, denn sie hindert mich, das arme junge Mädchen wieder zu verlocken und sie etwas glauben zu machen, was nie geschehen wird. In diesem Betracht bin ich recht froh, denn Pater M'Grath erfuhr von ihrer Umgebung, daß sie zwei Tage vor ihrer Abreise in einem fort weinte und stöhnte, trotz der Scheltworte ihrer Mutter und der Drohungen jenes schuftigen O'Toole. Ich meine, alle unsere Hoffnungen beruhen jetzt darauf, daß wir den Soldaten und sein Weib, die Säugamme auffinden, die nach Indien geschickt wurden – ohne Zweifel in der Hoffnung, das Klima und die Fieber möchten ihnen den Garaus machen. Dein Onkel ist ein großer Halunke – jedes Haar an ihm. In drei Tagen breche ich von hier auf, und Du wirst in Plymouth mit mir zusammentreffen.

Empfiehl mich Deinem Vater, namentlich aber Deiner Schwester, die alle Heiligen bewahren mögen! Gott segne sie für immer und ewig. Amen.

Stets
Dein
Terence O'Brien

 

Sobald mein Vater aus seinem Zimmer kam, überreichte ich ihm diesen Brief.

»Es ist ein tief angelegtes Komplott«, sagte er, »und ich denke, wie müssen alsbald thun, was O'Brien anrät, nämlich in der Armee nachforschen, die nach Westindien geschickt wurde. Kennst Du das Regiment, zu welchem ihr Gatte gehört?«

»Ja«, versetzte ich, »es ist das dreiunddreißigste, und dies segelte vor ungefähr drei Monaten nach Indien.«

»Du sagtest, glaube ich, sie heiße O'Sullivan?« entgegnete er, seine Schreibtafel herausziehend. »Gut; ich will augenblicklich an den Kapitän Fielding schreiben und ihn bitten, die umständlichsten Erkundigungen einzuziehen. Auch Deiner Schwester Lucy will ich Nachricht geben, denn Frauen sind in derartigen Angelegenheiten viel scharfsinniger als Männer. Ist das Regiment nach Ceylon beordert, um so besser – wo nicht, so muß er Urlaub nehmen, um seine Nachforschungen zu verfolgen. Wenn dies geschehen ist, gehe ich nach Irland und versuche, ob wir die übrigen Beteiligten aufzuspüren imstande sind.«

Mein Vater verließ sodann das Zimmer und ich schickte mich mit Ellen an, Vorbereitungen für meine Abreise nach Plymouth zu treffen. Meine Ernennung war mir brieflich gemeldet worden, und ich hatte schriftlich gebeten, man möchte meine Bestallung an den Sherif nach Plymouth schicken, damit mir eine nutzlose Reise nach London erspart würde. Am andern Morgen trennte ich mich von meinen Angehörigen und gelangte ohne weiteres Abenteuer nach Plymouth-Dock, wo ich mit O'Brien zusammentraf. Noch am selbigen Tage meldete ich mich bei dem Admiral und begab mich auf meine Brigg, welche neben dem Holk lag, durch den ihre Stengen durchschienen. Von der Brigg zurückkehrend, ging ich Fore-Street hinauf und bemerkte einen schönen, kräftigen Seemann, dessen Rücken mir zugekehrt war; er las den an allen Ecken verbreiteten Anschlagszettel, daß die Klapperschlange, Kapitän O'Brien, welche nach der Westindien-Station bestimmt sei, wo es so viele Dublonen gebe, daß man die Dollars bloß als Ballast benütze – noch einige tüchtige Matrosen brauche. Man hätte sagen dürfen, viele, denn wir hatten kein halb Dutzend Leute in die Liste eingetragen, und mußten alles nötige mit den Marinesoldaten und den Arsenalarbeitern beschicken; indessen ist's in dieser Welt nicht üblich seine Armut zu zeigen, handle es sich um Geld oder Matrosen. Ich machte Halt und hörte ihn sagen: »Ja wohl da, Dublonen, das zieht nicht. Ich habe lange genug in Westindien gedient, um mich zum Narren halten zu lassen. Möchte doch übrigens wissen, ob Kapitän O'Brien der nämliche ist, der zweiter Leutnant auf dem Sanglier war. In diesem Falle machte ich mir nichts daraus, einen Zug mit ihm zu versuchen.« Ich meinte die Stimme zu erkennen und klopfte den Mann auf die Schulter; als er sich umwandte, fand ich, daß es Swinburne war.

»Wie, Swinburne?« rief ich, denn ich war hocherfreut, ihn zu sehen. »Sie sind's?«

»Ei, Herr Simpel! Nun, da werd' ich wohl recht haben, daß Herr O'Brien dieses Fahrzeug kommandiert. Sie wissen, wo man den Pilotenfisch trifft, ist auch der Hai nicht weit.«

»Allerdings haben Sie recht, Swinburne«, entgegnete ich, »nur darin nicht, daß Sie Kapitän O'Brien einen Haifisch nennen. Das ist er nicht.«

»Nein, das will ich nicht sagen; er ist's höchstens in einer Weise – ich meine nämlich, daß ich von ihm erwarte, er werde bald den Franzosen die Zähne weisen. Aber ich bitte um Pardon –« damit nahm Swinburne seinen Hut ab.

»Oh, ich verstehe; Sie haben vorhin nicht bemerkt, daß ich Epauletten aufgesetzt habe. Ja, ich bin Leutnant auf der Klapperschlange, Swinburne, und hoffe, Sie werden mit uns ziehen.«

»Da ist meine Hand darauf, Herr Simpel«, sagte er, seine breite Hand in die meinige schlagend, daß sie prickelte und brannte. »Ich bin zufrieden, wenn ich weiß, daß der Kapitän ein guter Offizier ist; wenn man aber gar ihrer zwei hat, so darf man sich glücklich schätzen. Ich will jetzt ein Boot nehmen und meinen Namen in die Bücher eintragen lassen, dann aber ans Land gehen, um mein Geld vollends zu verthun, und versuchen, ob ich nicht etliche Freiwillige auflesen kann, da ich weiß, wo sich die Bursche versteckt halten. Habe mir diesen Morgen das Fahrzeug betrachtet, und eine eigentliche Zuneigung dazu gefaßt. Es hat einen verteufelt hübschen Schnitt, aber ich hoffe, Kapitän O'Brien wird den Geigenbogenschnabel abnehmen und einen geschnitzten aufsetzen lassen; ich habe nie ein Schiff mit einem Geigenbogenschnabel viel ausrichten sehen.«

»Ich glaube fast, Kapitän O'Brien hat sich deshalb bereits an die Kommission gewendet«, versetzte ich; »auf alle Fälle aber wird es nicht schwer sein, wenn wir selbst die Änderung vornehmen.«

»Natürlich nicht«, entgegnete Swinburne. »Eine Rolle vierzölliges wird den Leib der Schlange machen; ich kann den Kopf schnitzen, und was die Klapper betrifft – hole mich dieser und jener, wenn ich nicht heute Nacht noch einem dieser bettelhaften Nachtwächter die seinige stehle. Nun, Gott befohlen, Herr Simpel, bis wir uns wieder sehen.«

Swinburne hielt Wort; er kam denselbigen Nachmittag aufs Schiff und brachte am andern Tage sechs gute Matrosen mit, die sich durch seine Vorstellungen für die Brigg hatten anwerben lassen.

»Sagen Sie zu Kapitän O'Brien«, bemerkte er gegen mich, »er solle sich mit der Bemannung des Schiffes nicht zu sehr beeilen; ich weiß, wo Leute in Hülle und Fülle zu haben sind, will aber zuvor den gütlichen Weg versuchen.

Er hielt Wort und brachte uns fast jeden Tag einen neuen Matrosen; die von ihm Angeworbenen waren lauter gute, tüchtige Seeleute. Auch andere Freiwillige fanden sich ein, und wir hatten bald über die Hälfte Bemannung. Da wir jetzt fahrtfertig waren, so erteilte der Admiral die Erlaubnis zu einem Preßgange.

»Herr Simpel«, sagte Swinburne, »ich habe alles aufgeboten, ein Häuflein tüchtiger Burschen zum Eintritt zu bewegen, aber sie mochten nicht. Nun habe ich mir aber vorgenommen, daß meine Brigg gut bemannt sein soll, und wenn die Halunken nicht wissen, was für sie gut ist, so weiß ich's, und bin daher entschlossen, sie alle mit Mann und Maus abzufangen.«

Dieselbige Nacht musterten wir alle von Swinburne beigebrachten Leute, und begaben uns ans Land nach dem Hause eines ihnen bekannten Matrosenmäklers. Wir ließen die Wohnung von unseren in blaue Jacken gesteckten Marinesoldaten umzingeln, und hoben dreiundzwanzig tüchtige Matrosen auf, welche beinahe unsere Zahl voll machten. Die noch fehlende Mannschaft ergänzten wir von dem Admiralsschiff, und ich glaubte nicht, daß je ein Fahrzeug, welches den Plymouthhafen verließ und im Sunde ankerte, besser bemannt war, als die Klapperschlange. Ich muß ihr diese Gerechtigkeit widerfahren lassen; denn ein solches Zeugnis ist bei den Matrosen nie verloren.

O'Brien war bei denjenigen, welche mit ihm segelten, allgemein beliebt, und Swinburne, der ihn gut kannte, überredete viele, oder zwang sie, sich ihm anzuschließen, mochte es ihnen nun gefallen oder nicht. In der Folge gefiel's ihnen übrigens wohl an Bord, und wir hatten durchaus keine Deserteure, mit Ausnahme einiger, die von dem Flaggenschiffe bezogen worden waren. Überhaupt wünschten wir auch der? artige Leute nicht zu behalten, und die erledigten Stellen wurden bald mit besseren Leuten ausgefüllt.

.


 << zurück weiter >>