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Erstes Buch.

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Erstes Kapitel.

Der große Vorteil, der Dummkopf der Familie zu sein. – Mein Los wird entschieden – ich werde einem Aktienhändler als Quote von Seiner Majestät Seekapital überlassen. – Zum Unglück für mich ist Herr Handycock ein Baissespieler und ich bekomme sehr schmale Kost.

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Kann ich auch kein Leben voll kühner Abenteuer erzählen, so habe ich glücklicherweise doch keine schweren Verbrechen zu bekennen; und steige ich auch nicht in der Achtung des Lesers durch Thaten der Tapferkeit und Aufopferung, im Dienste meines Landes vollbracht, so darf ich doch wenigstens das Verdienst des Eifers und der Beharrlichkeit in meinem Berufe in Anspruch nehmen. Wir alle sind von oben verschieden begabt, und wer zufrieden auf dem ihm vorgezeichneten Wege dahinwandelt, anstatt zu laufen, hat, wenn er gleich nicht so schnell das Ziel erreicht, den Vorteil, nicht außer Atem anzukommen. Nicht, als ob mein Leben keine Abenteuer aufzuweisen hätte – ich will damit nur sagen, daß ich bei allem, was mir begegnete, mehr eine leidende als thätige Rolle gespielt habe, und wenn interessante Ereignisse zu berichten sind, so war nicht ich es, der sie aufsuchte.

So viel ich mich erinnere und meine früheren Neigungen erforschen kann, hätte ich mich, wäre mir die Wahl meines Berufes frei gestanden, sehr wahrscheinlich bei einem Schneider als Lehrjungen verdungen; denn ich bewunderte stets ihren behaglichen Sitz auf der Werkstatt und ihre erhabene Stellung, welche sie instand setzte, die ununterbrochene Reihe der Müßiggänger oder Geschäftigen zu beobachten, welche in der Hauptstraße des Landstädtchens, in dessen Nähe ich die ersten vierzehn Jahre meines Lebens zubrachte, vor ihnen Revue passierte.

Allein mein Vater, ein Geistlicher der Hochkirche, und der jüngste Bruder einer adeligen Familie, hatte eine einträgliche Pfründe und eine über »Knöpfe erhabene Seele«, d. h. war über das Nichtige erhaben. wenngleich dies bei seinem Sohne nicht der Fall war. Es herrschte seit undenklicher Zeit die heidnische Sitte, den größten Dummkopf der Familie der Wohlfahrt und der See-Oberherrlichkeit unseres Vaterlandes zu weihen, und in einem Alter von vierzehn Jahren wurde ich zum Opfer auserkoren. Ob das Herkommen gerecht war – ich hatte keinen Grund, darüber zu klagen. Keine Stimme war dagegen, als die Sache vor der ganzen Sippschaft meiner Vettern und Basen in Vorschlag kam, welche zu unserm Neujahrsfest eingeladen waren. Ich wurde unter allgemeinem Beifall für gedachten Beruf erkoren. Durch solch einstimmige Anerkennung meiner Befähigung, sowie ein Streicheln meines Hauptes von Vaters Hand, geschmeichelt, fühlte ich mich so stolz und ahnte so wenig von dem, was mir bevorstand, als das Kalb mit vergoldeten Hörnern, welches mit den Blumen seines Kranzes, der jedermann, nur ihm selbst nicht, sein Geschick verkündigt – spielt und daran knaupelt. Ich fühlte sogar, oder glaubte wenigstens, einen geringen Grad kriegerischer Brunst zu empfinden, und hatte eine Art Vision, indem ich in der Ferne einen Wagen mit vier Pferden und ein silbernes Tischgerät erblickte. Das verschwand jedoch, ehe ich es recht erkennen konnte, vor einem wirklichen körperlichen Schmerze, mir von meinem älteren Bruder Tom verursacht, der auf Geheiß meines Vaters die Lichter putzen sollte und meine Zerstreutheit benutzte, mir ein Stückchen von dem noch brennenden Docht in mein linkes Ohr zu legen.

Da jedoch meine Geschichte nicht sehr kurz ist, so darf ich mich nicht so lange beim Anfang aufhalten. Ich muß deshalb dem Leser berichten, daß mein Vater, der im Norden Englands lebte, es nicht für recht hielt, mich in dem Landstädtchen, in dessen Nähe wir wohnten, auszurüsten, sondern vierzehn Tage nach dem erwähnten Beschlusse mich auf dem Kutschbock mit meinem besten flaschengrünen Anzuge und einem Halbdutzend Hemden nach London befördern ließ. Um Mißverständnissen vorzubeugen, ward ich in die Personenliste eingetragen mit der Bemerkung: »Soll an Herrn Thomas Handycock Nummer vierzehn St. Clementsstraße abgeliefert werden – Fuhrlohn bezahlt.« Mein Abschied von der Familie war sehr rührend; meine Mutter weinte bitterlich, denn wie alle Mütter liebte sie den größten Dummkopf, welchen sie meinem Vater geschenkt hatte, mehr als alle übrigen; die Schwestern weinten wegen meiner Mutter, und Tom heulte eine Zeitlang lauter als alle, denn der Vater hatte ihn gezüchtigt, weil er in dieser Woche schon zum viertenmal ein Fenster zerbrochen. Mittlerweile ging mein Vater ungeduldig im Zimmer auf und ab, weil er von seinem Mittagessen abgehalten war und, wie alle orthodoxen Geistlichen, auf den sinnlichen Genuß, der seinem Stande erlaubt war, etwas hielt. Zuletzt riß ich mich selbst los. Ich hatte geweint, bis meine Augen so rot und geschwollen waren, daß man kaum noch die Pupille unterscheiden konnte, auch hatten Thränen und Schmutz meine Wangen wie den Marmor des Kaminsimses geädert. Mein Taschentuch war noch vor Ablauf der Scene vom Abtrocknen der Augen und vom Schneuzen ganz durchweicht. Mein Bruder Tom wechselte mit einer Zartheit, welche seinem Herzen Ehre machte, das seinige für meines aus und sagte mit brüderlicher Teilnahme: »Hier, Peter, nimm das meinige, es ist strohtrocken.« Mein Vater wollte nicht auf ein zweites Taschentuch warten, um seiner Pflicht nachzukommen. Er führte mich durch die Halle, und indem ich allen männlichen Hausgenossen die Hand schüttelte, sowie alle weiblichen, welche mit ihren Schürzen vor den Augen dastanden, küßte, verließ ich das väterliche Dach.

Der Kutscher begleitete mich an den Platz, von wo der Postwagen abfahren sollte. Als er mich zwischen zwei fetten alten Frauen eingekeilt sah, desgleichen auch mein Bündel untergebracht war, nahm er Abschied, und in wenigen Minuten befand ich mich auf der Straße nach London.

Ich war zu niedergeschlagen, um auf der ganzen Reise von etwas Notiz zu nehmen. Als wir in London anlangten, ging's nach dem blauen Eber (in einer Straße, deren Namen ich vergessen habe). Ich hatte nie von einem solchen Tiere etwas gesehen noch gehört, und es kam mir mit seinem offenen Rachen und seinen großen Zähnen wahrhaft furchtbar vor. Am meisten wunderte mich, daß Zähne und Klauen von reinem Golde waren. Wer weiß, dachte ich, ob ich nicht in einem von den fremden Ländern, welche ich zu sehen bestimmt bin, mit einem dieser schrecklichen Ungeheuer zusammentreffe und es erlege? Wie rasch will ich ihm nicht diese köstlichen Teile abnehmen, und mit welcher Freude dieselben bei meiner Rückkehr als eine Gabe kindlicher Liebe meiner Mutter in den Schoß legen! Und als ich an die Mutter dachte, traten wieder Thränen in meine Augen.

Der Kutscher warf dem Wirte seine Peitsche zu und die Zügel über den Rücken der Pferde, stieg ab und rief mir zu: »Nun, junger Herr, Ihnen aufzuwarten.« Er stellte eine Leiter für mich zum Herabsteigen auf und wandte sich dann an einen Gepäckträger mit den Worten: »Bill, du mußt diesen jungen Herrn da und sein Bündel nach dieser Adresse hier bringen. – Denken Sie gefälligst an den Kutscher, mein Herr.« Ich erwiderte, ich wollte es gewiß thun, wenn er es wünschte, und ging mit dem Packträger fort, wobei der Kutscher bemerkte: »Das ist ein rechter Simpel!« Ich kam glücklich in der St. Clements-Straße an, wo der Packträger für seine Bemühungen von dem Mädchen, welches mich hineinführte, einen Schilling empfing, worauf ich ins Wohnzimmer gewiesen wurde, um Frau Handycock vorgestellt zu werden.

Frau Handycock war ein mageres Weibchen, welches nicht sehr gut englisch sprach und, wie mir schien, den größten Teil ihrer Zeit damit zubrachte, von der Treppe nach den Dienern zu rufen. Ich sah sie nie ein Buch lesen, noch mit Nähterei beschäftigt, so lange ich im Hause war. Sie hatte einen großen, grauen Papagei, aber ich kann in der That nicht sagen, welches von beiden Geschöpfen am häßlichsten kreischte; doch war sie artig und freundlich gegen mich und fragte zehnmal des Tages, wann ich zuletzt von meinem Großvater, Lord Privilege, gehört habe. Ich bemerkte, daß sie es stets that, so oft während meines Aufenthaltes in ihrem Hause ein Besuch einsprach. Ehe ich zehn Minuten da war, sagte sie mir, sie liebe die Seeleute mit Begeisterung; sie seien die Verteidiger und Beschirmer ihrer Könige und Länder; Herr Handycock werde um vier Uhr nach Hause kommen, und dann würden wir speisen. Nun sprang sie von ihrem Stuhl auf und schrie der Köchin von der Stiege aus zu:

»Jemima, Jemima, wir wollen die Weißfische gesotten, statt gebraten,« worauf Jemima erwiderte:

»Kann nicht sein, Ma'am, sie sind schon aufgezweckt und paniert, den Schwanz im Maul.«

»Wohl denn, laß es gut sein, Jemima,« entgegnete die Lady. »Stecken Sie Ihren Finger nicht in des Papageis Käfig, mein Lieber, er versteht mit Fremden keinen Spaß. Herr Handycock wird um vier Uhr nach Hause kommen, und dann werden wir unsere Mahlzeit halten. Lieben Sie Weißfische?«

Da ich lebhaft wünschte, Herrn Handycock zu sehen, auch eben so sehr, mein Essen zu bekommen, so war es mir gar nicht unlieb, zu hören, daß die Uhr auf der Treppe die vierte Stunde schlug. Nun sprang Frau Handycock wieder auf und rief, indem sie ihren Kopf über das Geländer streckte:

»Jemima, Jemima, 's ist vier Uhr.«

»Ich höre es,« erwiderte die Köchin und drehte die Bratpfanne, wodurch das Zischen und der schmorende Geruch in das Wohnzimmer drang, was mich hungriger machte als je.

Tapp, tapp, tapp!

»'s ist unser Herr, Jemima,« kreischte die Dame.

»Ich höre ihn,« entgegnete die Köchin.

»Gehen Sie hinunter, mein Lieber, und lassen Sie Herrn Handycock herein,« sprach Madame; »er wird erstaunt sein, Sie die Thür öffnen zu sehen.«

Ich beeilte mich, Frau Handycocks Wunsch zu erfüllen, und öffnete die Hausthür.

»Wer Teufel ist das?« rief in rauhem Tone Herr Handycock, ein Mann von ungefähr sechs Fuß Höhe, in blaukattunenen Hosen und Suworow-Stiefeln, mit schwarzem Rock und Weste. Ich muß es gestehen, daß ich ein wenig verblüfft war, erwiderte jedoch, ich sei Mr. Simpel.

»Um Gotteswillen, Mr. Simpel, was würde Ihr Großvater sagen, wenn er Sie nun erblickte! Ich habe Diener genug, mir die Thür zu öffnen, und das Besuchzimmer ist der eigentliche Platz für junge Gentlemen.«

»Handycock,« rief sein Weib von der Treppe herab, »wie kannst Du so wunderlich sein? Ich sagte ihm, er solle die Thür öffnen, um Dich zu überraschen.«

»Du hast mich,« erwiderte er, »mit Deiner verfluchten Dummheit überrascht.«

Während Herr Handycock seine Stiefel an der Matte rieb, ging ich die Treppen hinauf – ich muß es gestehen, um so niedergeschlagener, als mein Vater mir gesagt hatte, Handycock sei sein Börsenmakler, und würde alles thun, um es mir bequem zu machen; wirklich hatte er in dieser Absicht einen Brief geschrieben, welchen mein Vater mir zeigte, bevor ich meine Heimat verließ. Als ich in das Besuchzimmer zurückkehrte, lispelte mir Frau Handycock zu:

»Lassen Sie es gut sein, mein Lieber, es ist nur, weil es auf der Börse nicht richtig steht. Mr. Handycock ist gerade jetzt ein Bär Ein Wortwitz: »Bär« heißt im Englischen zugleich der Baissier, der Baissespieler, der die Preise der Aktien niederdrückt.

Ich dachte ebenso, antwortete aber nicht; denn Handycock kam die Treppen herauf, ging mit zwei Schritten von der Thür des Besuchszimmers bis zum Kamin, wandte diesem den Rücken zu, hob seine Rockschöße auf und fing zu pfeifen an.

»Bist Du zum Essen bereit, mein Lieber?« fragte die Dame fast zitternd.

»Wenn das Essen für mich bereit ist. Ich glaube, wir speisen gewöhnlich um vier Uhr,« antwortete ihr Ehegemahl verdrießlich.

»Jemima, Jemima, decke auf! Hörst Du, Jemima?«

»Ja, Ma'am,« erwiderte die Köchin; »gerade habe ich die Butter eingedickt.«

Hierauf faßte sich Frau Handycock wieder und fing an:

»Nun, Herr Simpel, wie befindet sich Ihr Großvater, Lord Privilege?«

»Ganz wohl, Ma'am,« gab ich wenigstens zum fünfzehnten Male zur Antwort.

Das Essen machte dem Stillschweigen, welches auf diese Bemerkung folgte, ein Ende. Herr Handycock ließ seine Rockschöße fallen und ging die Treppen hinab, indem er es mir und seiner Frau überließ, nach unserem Belieben zu folgen.

»Verzeihen Sie, Ma'am,« fragte ich, sobald er außer Hörweite war, »was ist denn mit Mr. Handycock, daß er so barsch gegen Sie ist?«

»Ach, mein Lieber, es gehört zu den Leiden des Ehestandes, daß das Weib auch seinen Teil bekommt, wenn's dem Manne schief geht. Mr. Handycock muß auf der Börse Geld verloren haben, und dann kommt er allemal mürrisch heim. Wenn er gewinnt, ist er so lustig wie ein Heimchen.«

»Kommt, Ihr Leute, herab zum Essen,« schrie Mr. Handycock von unten herauf.

»Ja, mein Lieber,« erwiderte die Dame, »ich dachte, Du wüschest Deine Hände.«

Wir gingen nun in das Speisezimmer hinab, wo wir fanden, daß Herr Handycock bereits zwei Weißfische verschlungen und nur einen für seine Frau und mich auf dem Tische gelassen hatte.

»Belieben Sie ein bischen Weißfisch, mein Lieber,« sprach die Dame zu mir.

»Es ist nicht der Mühe wert, daß man ihn teilt,« bemerkte der Gentleman in saurem Tone, nahm den Fisch zwischen Messer und Gabel und legte ihn auf seinen eigenen Teller.

»Ach, wie freut es mich, mein Schatz, daß es Dir schmeckt,« erwiderte die Dame schmeichelnd und wandte sich dann mit den Worten gegen mich: »'s kommt noch ein köstlicher Kalbsbraten nach, mein Lieber.«

Der Braten erschien und zum Glücke für uns konnte Mr. Handycock ihn nicht ganz verschlingen. Doch nahm er des Löwen Teil, schnitt alles Braune ab, und schob dann die Schüssel seiner Frau zu, damit sie sich und mich bediene. Ich hatte noch nicht zwei Stückchen im Munde, als Mr. Handycock mich bat, ihm den Porterkrug zu langen, der auf dem Seitentische stand. Ich dachte, hat es sich für dich nicht geschickt, die Thür zu öffnen, so ist es auch nicht recht, bei Tische aufzuwarten; doch gehorchte ich, ohne eine Bemerkung zu machen.

Nach dem Essen ging Mr. Handycock nach einer Flasche Wein in den Keller.

»O meine Güte,« rief seine Frau aus, »er muß gewaltig viel Geld verloren haben; wir thun besser, wir gehen hinauf und lassen ihn allein, vielleicht wird er nach einer Flasche Portwein umgänglicher.«

Ich ging sehr gern fort und, obwohl sehr ermüdet, ohne Thee zu Bett, denn Frau Handycock durfte es nicht wagen, ihn zu bereiten, bevor ihr Mann heraufkam.

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