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Zweites Kapitel.

Ausrüstung in der kürzesten Frist. – Zum Glück für mich ist Mr. Handycock diesen Tag ein Bär, und ich fahre ganz wohl dabei. – Ich reise nach Portsmouth ab. – Hinter der Kutsche treffe ich einen Mann vor dem Maste. Er ist von Schnaps berauscht, aber es ist nicht der einzige Rausch, welchem ich auf meiner Reise begegne.

—————

 

Den nächsten Morgen schien Mr. Handycock etwas besser gelaunt. Es wurde nach einem Leinwandhändler geschickt, welcher Kadetten und ähnliche Leute in der kürzesten Frist ausrüstete, und Befehl zu meiner Equipierung gegeben. Mr. Handycock bestand darauf, sie sollte am folgenden Tage fertig sein, oder die Sachen würden nicht angenommen, wobei er bemerkte, daß mein Platz in dem Portsmouther Wagen bereits bestellt sei.

»In der That,« bemerkte der Mann, »ich fürchte, in gar so kurzer Frist –«

»Ihre Karte besagt: in der kürzesten Frist,« erwiderte Mr. Handycock mit der Zuversicht und dem Gewichte eines Mannes, der sich fähig fühlt, einen Andern mit seinen eigenen Behauptungen zu schlagen. »Wenn Sie nicht wollen, so giebt es einen Andern.«

Dies brachte den Mann zum Schweigen; er versprach es, nahm mir Maß und entfernte sich; bald nachher verließ auch Handycock das Haus.

Während Frau Handycock von meinem Großvater und mit dem Papagei sprach, Mutmaßungen aufstellte, wie viel Geld ihr Mann verloren, dann wieder zur Treppenbrüstung rannte, um mit der Köchin zu sprechen, verfloß der Tag so ziemlich gut bis vier Uhr. Da, als eben Frau Handycock, die Köchin und der Papagei unter einander kreischten, klopfte Mr. Handycock an die Thür und wurde eingelassen – aber nicht von mir. Er sprang in drei Sätzen die Treppe hinauf ins Besuchzimmer und schrie:

»Nun, Nannette, meine Liebe, wie geht's?« Dann beugte er sich über sie her. »Gieb mir einen Kuß, Liebe! Ich bin so hungrig wie ein Jagdhund. Ach, Herr Simpel, wie befinden Sie sich? ich hoffe, Sie haben den Morgen angenehm zugebracht. Ich muß die Stiefel wechseln, mein Schatz; in diesem Aufzuge kann ich nicht mit Euch zu Tische sitzen. Nun, Polly, wie steht's?«

»Mich freut es, daß Du hungrig bist, mein Lieber; ich habe so ein köstliches Essen für Dich,« erwiderte seine Frau voll Freundlichkeit. »Jemima, tummle Dich und decke auf; Mr. Handycock ist so hungrig.«

»Ja, Ma'am,« gab die Köchin zur Antwort, und Frau Handycock folgte ihrem Manne in das Schlafzimmer auf demselben Gange, um ihm bei seiner Toilette zu helfen.

»Beim Jupiter, Nannette, die Bullen Die Haussiers, welche durch Verkaufen die Kurse emportreiben. sind schön angeführt,« begann Mr. Handycock, als wir uns zum Essen niedersetzten.

»Wie bin ich vergnügt,« erwiderte die Frau kichernd, und ich glaube, sie war es auch, aber warum, konnte ich nicht begreifen.

»Herr Simpel,« hob er an, »belieben Sie etwas Fisch?«

»Wenn Sie selbst nicht alles brauchen,« war meine höfliche Antwort. Frau Handycock runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf, während ihr Mann mich bediente.

»Mein Täubchen, ein wenig Fisch.«

Wir beide erhielten heute unsern Teil, und ich sah nie einen Mann so höflich als Herrn Handycock. Er scherzte mit seiner Frau, forderte mich zwei- oder dreimal auf, mit ihm Wein zu trinken, sprach von meinem Großvater, – kurz, wir hatten einen sehr vergnügten Abend.

Den andern Morgen kamen alle meine Kleider an; allein Mr. Handycock, der noch seinen rosenfarbenen Humor hatte, sagte, er lasse mich nicht bei Nacht reisen, ich solle hier schlafen und erst am nächsten Morgen aufbrechen. Dies that ich auch um sechs Uhr, und kam vor acht Uhr bei dem »Elefanten mit dem Turme« an, wo wir eine Viertelstunde hielten. Ich betrachtete eben das Schild, welches dies Thier mit einem Turme auf dem Rücken vorstellte, und indem ich mir jenen von Alnwick, welchen ich gesehen, vorstellte, um die Größe und das Gewicht dessen so ungefähr zu schätzen, was er trug, strengte ich mein Vorstellungsvermögen möglichst an, um den gewaltigen Umfang des Elefanten zu begreifen, als ich an der Ecke einen Haufen Leute versammelt sah. Ich fragte einen Gentleman, welcher neben mir in einem schottischen Mantel saß, was es denn Ungewöhnliches gäbe, das so viel Volk herbeiziehe. Er erwiderte: »Nichts gerade Ungewöhnliches; es ist nur ein betrunkener Matrose.« Ich sprang von meinem Sitze, welcher auf dem hintern Teile der Kutsche war, auf, um ihn zu sehen, denn es war für mich etwas Fremdes und erregte meine Neugierde, als er zu meinem Erstaunen aus dem Gedränge herwankte und schwor, er wolle auch mit nach Portsmouth. Sodann kletterte er am Wagenrade hinauf und setzte sich neben mich. Ich glaube, daß ich ihn sehr lange anstarrte, denn er sagte zu mir: »Was gafft Ihr, junger Maulaffe; wollt Ihr Feigen fangen, oder habt Ihr noch nie einen Burschen ›halb über See‹ d. h. angetrunken, beschwipst. gesehen?«

Ich entgegnete, ich sei niemals in meinem Leben zur See gewesen, stehe aber nun im Begriffe, es zu thun.

»Nun, dann gleicht Ihr einem jungen Bären; alle Eure Sorgen werden kommen, mein Junge,« gab er zur Antwort. »Wenn Ihr an Bord kommt, werdet Ihr Affenkost finden, und mehr Fußtritte als Groschen. He, Du Kannenschlepper, bring uns noch eine Halbmaß Bier.« Der Kellner, welcher die Kutsche bediente, brachte das Bier; der Matrose trank davon die Hälfte und schüttete ihm die andere ins Gesicht mit den Worten: »das ist Dein Teil, und nun, was bin ich schuldig?« Der Kellner, welcher äußerst unwillig aussah, aber sich doch zu sehr zu fürchten schien, um etwas zu sagen, antwortete: »Vier Pence.« Während aber der Matrose eine Hand voll Banknoten, mit Gold, Silber und Kupfermünze untermischt, herauszog, und das Geld zusammen suchte, um sein Bier zu zahlen, fuhr der Kutscher, der nicht so lange warten mochte, davon. »Da heißt's: Auf und davon!« rief der Matrose, indem er all sein Geld in die Hosentasche steckte. »Dies werdet Ihr lernen, mein Geselle, ehe Ihr zwei Fahrten zur See gemacht habt.« Mittlerweile schmauchte der Gentleman im schottischen Mantel, welcher neben mir saß, seine Cigarre, ohne ein Wort zu sprechen. Ich fing eine Unterhaltung mit ihm an, die sich auf meinen Stand bezog, und fragte ihn, »ob dies Geschäft nicht schwer zu erlernen sei.« »Zu lernen?« schrie der Matrose, uns unterbrechend, »nein; für solche Bursche, wie ich, mag es schwer sein, vor dem Maste Die Leute »vor dem Maste« sind die gemeinen Matrosen, im Gegensatz zu »hinter dem Mast«, wo der Aufenthalt der Offiziere und Passagiere 1. Klasse ist. zu lernen, aber Ihr seid, wie ich glaube, ein Reffer, d. i. Midshipman, Seekadett. und diese haben nicht viel zu lernen; von wegen was? sie kreiden ihre wöchentlichen Berichte hin und gehen mit den Händen in der Tasche auf und ab. Ihr müßt Tabak kauen und Grog trinken lernen, und wie man die Katze einen Bettler nennt, dann wißt Ihr alles, was man heutzutag von einem Midshipman erwartet. Hab' ich nicht recht, Herr?« fuhr der Matrose fort und wendete sich an den Gentleman im spanischen Mantel; »ich frag' Euch, weil ich an dem Schnitt Eures Klüvers sehe, daß ihr ein Seemann seid. Bitte um Verzeihung,« setzte er hinzu, indem er an seinen Hut langte, »hoffentlich nichts für ungut.«

»Ich fürchte, Ihr habt nah ans Ziel getroffen, mein guter Geselle,« erwiderte der Gentleman.

Der betrunkene Bursche ließ sich nun in ein Gespräch mit ihm ein und erzählte, er sei vom Audacious zu Portsmouth ausbezahlt worden und nun nach London gekommen, um mit seinen Kameraden sein Geld zu verputzen; aber gestern habe er entdeckt, daß ein Jude zu Portsmouth ihm für fünfzehn Schillinge ein Petschaft als golden verkauft, das in der That nur Kupfer sei, und nun wolle er nach Portsmouth zurück, um dem Juden für seinen Schurkenstreich ein Paar blau unterlaufene Augen zu geben; wenn er dies gethan, werde er zu seinen Kameraden zurückkehren, welche ihm versprochen hätten, im ›Hahn und Flasche‹, St. Martinsstraße, auf den guten Erfolg seiner Unternehmung zu trinken, bis er zurückkomme. Der Gentleman im schottischen Mantel lobte ihn wegen seines Entschlusses: denn, sagte er, obschon die Reise nach Portsmouth hin und her zweimal so viel kostet, als ein goldenes Petschaft, so ist sie doch am Ende ein Judenauge wert. Im Englischen sprichwörtlich für: sehr wertvoll. Was er damit meinte, verstand ich nicht.

So oft die Kutsche anhielt, verlangte der Matrose Bier, und den Rest, welchen er nicht trinken konnte, schüttete er stets dem Manne, der es ihm brachte, ins Gesicht, gerade, wenn die Kutsche am Abfahren war; den zinnernen Krug warf er zu Boden. Auf jeder Station wurde er betrunkener. Da er auf der letzten Station sein Geld herauszog und kein Silber finden konnte, gab er dem Kellner eine Banknote zum Wechseln hin. Dieser knitterte sie zusammen, steckte sie in die Tasche und gab dann dem Matrosen auf eine Pfundnote Münze heraus; allein der Gentleman im Mantel hatte bemerkt, daß es eine Fünfpfundnote war, welche der Matrose herausgegeben, und bestand darauf, der Kellner sollte sie hervorziehen und wechseln, wie es sich gehörte. Der Matrose nahm sein Geld, welches ihm der Kellner einhändigte, indem er wegen des Irrtums um Verzeihung bat, wiewohl er sehr darüber errötete, daß er entdeckt worden war.

»Ich muß wirklich um Verzeihung bitten,« begann er wieder, »es war blos ein Irrtum,« worauf der Matrose mit den Worten: »ich bitte auch um Verzeihung,« den zinnernen Krug nach dem Kellner warf, und zwar mit solcher Gewalt, daß er auf dem Kopf des Mannes platt geschlagen wurde, und dieser sinnlos auf die Straße fiel. Der Kutscher fuhr davon, und ich hörte nimmer, ob der Mann tot war oder nicht.

Während die Kutsche dahinrollte, beguckte der Matrose den Gentleman im schottischen Mantel ein paar Minuten und sagte dann: »Da ich Euch zuerst ansah, nahm ich Euch für einen Offizier in Mufti, nun da ich bemerke, daß Ihr so scharf aufs Bare sehet, denke ich, Ihr seid so ein armer Teufel von Schotte, vielleicht ein Untersteuermann auf einem Kauffahrteischiffe – hier ist eine halbe Krone für Eure Bemühung. Ich würde Euch mehr geben, wenn ich dächte, Ihr wolltet es durchbringen.« Der Gentleman lachte und nahm die halbe Krone, welche er, wie ich später beobachtete, einem grauköpfigen Bettler am Fuße von Portsdown-Hill gab. Ich fragte ihn, wann wir in Portsmouth sein würden, worauf er zur Antwort gab, daß wir eben die Linien passierten; allein ich sah keine Linien, und schämte mich, meine Unwissenheit merken zu lassen. Er erkundigte sich, für welches Schiff ich bestimmt sei; ich konnte mich aber nicht auf seinen Namen erinnern, sondern sagte ihm, er sei auf die Außenseite meines Koffers gemalt, welcher mit dem Wagen kommen werde; alles wessen ich mich noch entsinnen konnte, war, daß der Name französisch sei. »Haben Sie kein Empfehlungsschreiben an den Kapitän?« fragte er. »Ja wohl,« entgegnete ich und zog meine Brieftasche heraus, in welcher der Brief lag. »Kapitän Savage, Seiner Majestät Schiff Diomede,« fuhr ich fort, indem ich es ihm vorlas. Zu meinem Erstaunen wollte er ganz kaltblütig das Schreiben öffnen, welches mich veranlaßte, es ihm sogleich aus der Hand zu reißen, wobei ich zugleich äußerte, daß dies nicht ehrenhaft und er nach meiner Meinung kein Gentleman sei. »Wie es beliebt, junger Herr,« erwiderte er. »Vergessen Sie nicht, daß Sie gesagt haben, ich sei kein Gentleman.« Er wickelte sich in seinen Mantel und sprach nichts mehr; und ich war nicht wenig erfreut, ihn durch mein entschlossenes Benehmen zum Schweigen gebracht zu haben.

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