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Fünftes Kapitel.

O'Brien trennt sich von mir. um auf Lebensmittel Jagd zu machen, und ich kriege infolge einer anderen Jagd Gesellschaft. – O'Brien beweist pathetisch meinen Tod und findet mich lebendig. – Entkommen.

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Am anderen Morgen sahen wir besorgt der versprochenen Hilfe entgegen; denn wir hatten nur einen kleinen Vorrat von Lebensmitteln, wiewohl das, was wir besaßen, sehr gut war. Erst gegen drei Uhr nachmittags sahen wir ein kleines Mädchen, von einem großen Kettenhund gefolgt, auf uns zukommen. Als sie bei der Baumgruppe anlangte, in der wir verborgen lagen, rief sie dem Hunde in holländischer Sprache etwas zu, worauf dieser sogleich den Wald durchstöberte, bis er an unser Versteck kam; da legte er sich am Eingange nieder und jagte uns durch sein wildes Bellen nicht geringen Schrecken ein, daß er uns anpacken würde. Aber das kleine Mädchen rief ihm wieder zu, und so verblieb er in der gleichen Stellung, sah uns an, wedelte mit dem Schwanze, mit der Unterlefze im Schnee liegend. Bald kam auch das Mädchen zu uns her, sah unter die Decke und stellte, indem sie mit dem Kopfe nickte, einen Korb herein. Wir öffneten denselben. O'Brien zog einen Napoleon heraus und wollte ihn ihr zum Geschenke geben; sie weigerte sich ihn anzunehmen, aber O'Brien drückte ihn ihr mit Gewalt in die Hand; nun redete sie wieder den Hund an, der hierauf so heftig gegen uns zu bellen anfing, daß wir jeden Augenblick befürchteten, er werde auf uns losgehen. Jetzt zeigte uns das Mädchen den Napoleon und deutete auf den Hund; ich bog mich deshalb vorwärts und nahm ihr das Goldstück wieder ab, worauf sie sofort das ungestüme Tier zum Schweigen brachte und uns auslachend davoneilte.

»Beim Allmächtigen, das ist 'n herrlich' Mädchen,« sagte O'Brien; »auf sie und ihren Hund will ich gegen jeden parieren. Fürwahr, nie noch wurde ein Hund gegen mich gehetzt, weil ich Geld gab, aber wir leben, um zu lernen. Jetzt laß uns sehen, Peter, was sie in dem Korb gebracht hat.«

Es fanden sich in demselben hart gesottene Eier, Brot, eine geräucherte Hammelskeule und eine große Flasche Wein.

»Welch köstlich Mädchen! Ich hoffe, sie wird uns oft die Gunst ihres Besuches schenken. Ich denke, Peter, wir befinden uns hier ganz so wohl wie in der Schlafstätte eines Seekadetten.«

»Du vergißt, daß Du Leutnant bist.«

»Ganz richtig, Peter, ich dachte nicht daran, aber das thut eben die Macht der Gewohnheit. Jetzt wollen wir uns zum Essen hinlegen. Es ist zwar eine neue Methode, auf dem Boden liegend sein Essen zu halten; übrigens ist es sehr ökonomisch, denn man braucht längere Zeit, um die Lebensmittel zu verschlucken.«

»Die Römer hatten auch, wie ich gelesen habe, die Gewohnheit, ihre Mahlzeit liegend einzunehmen.«

»Ich könnte nicht sagen, daß ich dies je hätte in Irland erzählen hören; aber das ist kein Beweis, daß es nicht so gehalten wurde, und ich will Dein Wort dafür annehmen. Mord und Todschlag! Wie stark es wieder schneit. – Ich möchte nur wissen, was mein Vater im jetzigen Augenblicke denkt.«

Diese Bemerkung O'Briens führte uns auf ein Gespräch über unsere Freunde und Verwandten in England, und erst nach einer längeren Unterredung schliefen wir ein. Am nächsten Morgen sahen wir, daß in der Nacht ein etwa acht Fuß hoher Schnee gefallen war, der unsere obere Decke so sehr herabdrückte, daß wir hinausgehen und Stecken schneiden mußten, um sie von innen zu stützen. Während wir uns damit beschäftigten, gewahrten wir einige Männer, die, wie wir deutlich sehen konnten, bewaffnet und von Hunden gefolgt waren und stracks dem Teile des Gehölzes zuliefen, in dem wir uns gelagert hatten. Wir gerieten hierüber in nicht geringen Schrecken und glaubten schon, man suche uns auf; plötzlich aber schlugen sie eine andere Richtung, und zwar mit derselben Eile wie bisher, ein.

»Was mag es wohl gewesen sein?« sagte ich zu O'Brien.

»Ich kann's nicht genau sagen, Peter; aber ich glaube, daß sie irgend eine Jagd hielten. Das einzige Wild übrigens, das es nach meiner Ansicht in einer Gegend, wie diese ist, geben dürfte, sind Fischottern.«

Ich war derselben Ansicht. Wir erwarteten nun das junge Mädchen; dieses kam aber nicht, und nachdem wir bis zum Eintritt der Dunkelheit nach demselben ausgespäht hatten, krochen wir in unsere Höhle hinein und hielten das Abendessen mit den Überbleibseln unseres Mundvorrates.

Am folgenden Tag waren wir, wie man sich leicht denken kann, sehr besorgt um ihre Ankunft; aber sie erschien zur erwarteten Zeit nicht. Die Nacht stellte sich wiederum ein und wir mußten zu Bett gehen, ohne irgend etwas gegessen zu haben, als ein übrig gebliebenes Stück Brot und ein wenig Genever, der noch in der Flasche war.

»Peter,« sagte O'Brien, »wenn sie morgen wieder nicht kommt, so will ich zusehen, was ich ausrichten kann; denn ich hab' durchaus nicht im Sinn, hier selbander, wie die zwei Kinder im Walde, vor Hunger zu sterben, um dann unter dem Laube aufgefunden zu werden. Wenn sie bis drei Uhr nicht erscheint, so gehe ich nach Lebensmitteln aus; und viel Gefahr kann ich dabei nicht finden, denn in diesem Kleide seh' ich, so gut als irgend ein Mann in Holland, wie ein Bauernkerl aus.«

Wir verbrachten eine unruhige Nacht, weil wir uns überzeugt hielten, daß entweder die Gefahr so groß sei, daß sie es nicht wagen durften, uns Hilfe zu leisten, oder daß sie verleitet worden seien, uns zu verraten, und nun uns selbst überließen, uns fortzubringen wie wir könnten. Am anderen Morgen kletterte ich auf den einzigen hohen Baum in dem Gehölze und spähte herum, besonders nach dem Meierhause hin, das der Frau gehörte, welche uns dieses Versteck angewiesen hatte; aber es war nichts zu sehen als ein großer Strich flachen, mit Schnee bedeckten Landes und hier und da in einiger Entfernung ein Gefährt auf der Middelburger Straße. Als ich herabkam, fand ich O'Brien schon bereit, fortzugehen. Er war sehr trüb gestimmt und sagte zu mir:

»Peter, wenn ich ergriffen werde, so mußt Du auf alle Gefahr hin Deine Weiberkleidung anlegen und Dich nach Vließingen in das Wirtshaus begeben. Die Frau dort wird Dich, wie ich bestimmt glaube, beschützen und nach England zurückschicken. Ich brauche nur zwei Napoleons; behalte alles Übrige, Du wirst dessen bedürfen. Wenn ich bis heute Nacht nicht zurück bin, so mach' Dich morgen früh nach Vließingen auf den Weg.«

O'Brien blieb noch einige Zeit, im Gespräche mit mir, da; als es aber vier Uhr vorbei war, drückte er mir die Hand und ging, ohne ein Wort zu sprechen zum Walde hinaus.

Seit der ganzen Zeit unserer Gefangennehmung in Toulon hatte ich mich noch nie so elend gefühlt als in diesem Augenblicke, und als O'Brien etwa hundert Ellen von mir weg war, kniete ich nieder und betete.

Als er etwa zwei Stunden fort und es schon ganz dunkel geworden war, hörte ich in einiger Entfernung ein Geräusch, das jeden Augenblick näher und näher kam. Auf einmal vernahm ich ein Rauschen im Gebüsch und flüchtete mich nun eilends unter meine mit Schnee überladene Decke, in der Hoffnung, daß der Eingang nicht bemerkt werden würde; aber ich war kaum hinunter, als ein ungewöhnlich großer Wolf nach mir hereinstürzte. Ich schrie auf, denn ich glaubte, jeden Augenblick in Stücke zerrissen zu werden; aber das Tier lag auf seinem Bauch mit weit aufgesperrten Rachen und funkelnden Augen, die Zunge hing ihm lang aus dem Hals hervor; aber obgleich er mich berührte, war er doch zu erschöpft, um mich anzugreifen. Der Lärm nahm zu und ich merkte nun alsbald, daß er von den Jägern, die auf der Verfolgung des Wolfes begriffen waren, herrührte.

Ich war mit den Füßen zuerst hineingekrochen, der Wolf aber rannte mit dem Kopfe zuvörderst herein, so daß wir, Kopf und Schweif aneinander, dalagen. Jetzt kroch ich, so schnell ich konnte, heraus und sah Leute und Hunde, keine zweihundert Ellen mehr entfernt, in voller Jagd heransprengen. Ich eilte dem großen Baume zu und war kaum sechs Fuß hinaufgeklettert, als sie auf den Platz kamen; die Hunde stürzten in die Höhle hinein und in ganz kurzer Zeit war der Wolf getötet. Die Jäger waren zu beschäftigt, um mich zu sehen; ich kletterte indessen auf den Stamm des Baumes hinauf und verbarg mich da, so gut ich konnte. Weil ich nur fünfzehn Ellen von ihnen entfernt war, so vernahm ich recht gut den Ausdruck ihres Erstaunens, als sie die Decke aufhoben und den getöteten Wolf hervorzogen; da aber das Gespräch in holländischer Sprache geführt wurde, so konnte ich es nicht verstehen, bin jedoch gewiß, daß sie das Wort »Engländer« gebrauchten.

Jäger und Hunde verließen das Gehölz, und ich war eben daran, herabsteigen, als einer der ersteren zurückkehrte, die Decken wegnahm, sie zusammenrollte und dann damit fortging. Glücklicherweise hatte er bei dem schwachen Lichte des Mondes unsere Bündel nicht gesehen.

Jetzt wartete ich noch einige Zeit und stieg dann herunter; aber was ich nun thun sollte, wußte ich nicht. Wenn ich nicht da blieb und O'Brien zurückkehrte, was mußte er denken? Wenn ich aber blieb, so mußte ich, noch eh' der Morgen herankam, vor Kälte sterben. Ich sah mich nach unseren Bündeln um und fand, daß sie bei dem Kampf zwischen den Hunden und dem Wolf unter das Laubwerk verscharrt worden waren. Nun dachte ich an O'Briens Rat und zog die Mädchenkleidung an; aber es wollte mir gar nicht in den Kopf, daß ich nach Vließingen gehen sollte. Ich beschloß deshalb, mich nach dem Pachthause zu begeben, und da dies nahe an der Straße lag, so hatte ich auch Aussicht, O'Brien zu begegnen. Ich kam bald dort an und streifte einige Zeit rings umher; aber die Thüren und Fenster waren dicht geschlossen, und anzuklopfen durfte ich nach dem, was mir die Frau über den eingewurzelten Haß ihres Mannes gegen die Engländer gesagt hatte, nicht wagen. Als ich zuletzt, ganz verlegen umherspähte, schien mir, als ob ich in einiger Entfernung eine Person dem Gehölz zulaufen sähe; ich eilte ihr schnell nach und fand, daß sie in dasselbe hineinging. Jetzt schritt ich sehr behutsam vorwärts, denn obgleich ich dachte, daß es O'Brien sei, so konnte es auch einer der Wolfsjäger sein, der noch mehr Beute suchte; aber ich hörte bald O'Briens Stimme und ging ihm rasch nach. Ich war schon ganz nahe bei ihm, ohne daß er mich gewahrte; er saß da und hatte sein Gesicht mit beiden Händen bedeckt. Endlich rief er aus:

»O Peter! mein armer Peter! bist Du denn gefangen genommen worden? Könnt' ich Dich nicht eine Stunde in Sicherheit verlassen? O weh, o weh! warum ging ich denn von Dir fort? Mein armer, armer Peter! simpel bist Du, ganz gewiß, und das ist's auch, warum ich Dich liebte; aber, Peter, ich würde einen Mann aus Dir gemacht haben, – denn Du besitzest alle Eigenschaften dazu, das ist die Wahrheit – und zwar einen trefflichen Mann. Was soll ich nach Dir sehen, Peter? Wo werde ich Dich finden, Peter? Du bist jetzt eingesperrt und all mein Sorgen ist umsonst. Aber ich will gleichfalls eingesperrt sein. Wo Du bist, will auch ich sein, und wenn wir nicht mit einander nach England gehen können, so gehen wir mit einander in das Hundeloch nach Givet zurück. O weh, o weh!«

O'Brien sprach nichts weiter, brach aber in Thränen aus. Ich war sehr gerührt von diesem Beweis seiner aufrichtigen Zuneigung, trat zu ihm hin und schloß ihn in meine Arme. Er sah mich starr an und sagte:

»Wer seid Ihr, Ihr häßliches holländisches Weibsbild?«

Denn er hatte in diesem Augenblick den Weiberanzug, den wir besaßen, ganz vergessen; bald aber entsann er sich dessen wieder und drückte mich in seine Arme.

»Peter, Du erscheinst hier, so gut Du kannst, in einer Engelsgestalt, denn Du kommst da als ein Frauenzimmer, um mich zu trösten; aber, die Wahrheit zu sagen, ich war sehr betrübt, Dich nicht mehr hier anzutreffen, und auch die beiden Decken sind fort. Was ist denn vorgefallen?«

Ich setzte ihm das Geschehene, so gut ich konnte, mit einigen Worten auseinander.

»Gut, Peter; ich bin vergnügt, Dich wieder ganz wohl zu treffen, noch mehr aber freue ich mich, zu finden, daß ich Dir vertrauen darf, wenn ich Dich verlasse, denn Du hättest nicht klüger handeln können. Jetzt will ich Dir aber auch erzählen, was ich machte, wiewohl es nicht viel ist, was mir begegnete. Ich wußte, daß sich zwischen hier und Vließingen kein Wirtshaus befindet, denn ich gab auf dem Wege hierher genau acht; deshalb schlug ich die Straße nach Middelburg ein, wo ich aber nur eines traf, das voll von Soldaten war. Ich ging an demselben vorüber, fand aber kein zweites. Als ich auf dem Rückweg an demselben Wirtshaus vorbeiging, kam einer der Soldaten zu mir heraus, aber ich setzte meinen Weg fort. Er verdoppelte seine Schritte und ich that das Gleiche; denn ich erwartete nichts Gutes. Endlich kam er zu mir und redete mich holländisch an, worauf ich ihm jedoch keine Antwort gab. Nun faßte er mich am Kragen, und da hielt ich es für zweckmäßig, mich für taubstumm auszugeben. Ich zeigte auf meinen Mund mit einem Au – au, dann an meine Ohren und schüttelte den Kopf; aber er wollte sich dadurch nicht überzeugen lassen und ich hörte, daß er etwas von »Engländer« sprach. Nun sah ich ein, daß keine Zeit mehr zu verlieren war; ich brach zuerst in ein lautes Gelächter aus und blieb stehen. Aber wie er sich meiner zu bemächtigen suchte, gab ich ihm mit dem Fuß einen Tritt und er fiel mit so heftigem Sturz auf das Eis hin, daß ich zweifle, ob er sich bis jetzt wieder erholt hat. Dann ging ich von ihm fort und lief, so schnell ich konnte, wieder zurück, ohne irgend etwas für meinen Peter mitzubringen, womit er seinen hungrigen Magen sättigen könnte. Nun, Peter! was meinst Du? denn aus dem Munde der Kinder, sagt man, komme Weisheit; und obgleich ich nie etwas anderes als saure Milch daraus kommen sah, so dürfte ich doch vielleicht diesmal glücklicher sein; nun wohlan, Peter, Du bist jetzt ein Kind!«

»Und zwar kein kleines, O'Brien, wenn auch nicht ganz so groß wie Fingals Kind, von dem Du mir erzähltest. Mein Vorschlag ist der: laß uns auf alle Fälle nach dem Pachthause hingehen. Sie haben uns Beistand geleistet und werden geneigt sein, es wieder zu thun; sollten sie sich aber dessen weigern, so müssen wir uns nach Vließingen aufmachen und dort unser Glück versuchen.«

»Gut«, sagte O'Brien nach kurzem Bedenken, »ich glaube, daß wir nichts Besseres thun können, und so wollen wir uns denn auf den Weg machen.«

Wir gingen nach dem Pachthause und stießen, als wir uns der Thür näherten, auf den großen Kettenhund. Ich sprang zurück, O'Brien aber schritt herzhaft vorwärts.

»'s ist ein pfiffiger Hund, der uns vielleicht wieder erkennt. Ich will auf ihn zugehen«, sagte O'Brien, ohne während seiner Rede stehen zu bleiben, »und ihn auf den Kopf klopfen. Wenn er auf mich losspringt, werde ich nicht schlimmer daran sein, als ich es schon bin; denn verlaß Dich darauf, wieder fortgehen wird er uns doch nicht lassen.«

O'Brien war unterdessen zu dem Hunde, der ihn ganz ernsthaft und bös ansah, hingekommen. Er pätschelte ihn auf den Kopf; der Hund knurrte, aber O'Brien schlang den Arm um dessen Hals, pätschelte ihn wieder, pfiff ihm und kam so an die Thür des Pachthauses. Der Hund folgte ihm stillschweigend, aber dicht auf den Fersen. O'Brien klopfte an der Thür, und das kleine Mädchen öffnete dieselbe. Der Hund sprang zu dem Mädchen hin, drehte sich herum und sah O'Brien an, als wollte er fragen: »Darf er hereinkommen?« Diese sprach den Hund an und ging zur Thür wieder hinein; während ihrer Abwesenheit legte sich der Hund auf der Schwelle nieder. Nach wenigen Sekunden kam die Frau, die uns von Vließingen hergebracht hatte, heraus und hieß uns hereinkommen. Sie sprach sehr gut Französisch und sagte uns, ihr Mann sei glücklicherweise abwesend; der Grund, warum wir keine Lebensmittel erhalten hätten, sei folgender: ein Wolf sei ihrem jungen Mädchen auf dem Rückwege begegnet, er sei zwar von dem großen Hunde verjagt worden, aber sie selbst habe sich gefürchtet, das Kind wieder hingehen zu lassen; sie habe nun gehört, daß der Wolf diesen Abend getötet worden sei, und deshalb beabsichtigt, ihr Mädchen morgen in aller Frühe hinauszuschicken. Wölfe, sagte sie ferner, seien in dieser Gegend kaum gekannt, aber durch den strengen Winter seien sie ins tiefer liegende Land gekommen: ein ganz seltener Fall, der vielleicht in zwanzig Jahren nicht einmal eintrete.

»Aber wie kamen Sie denn an dem Hunde vorbei?« fragte sie; »darüber haben wir, meine Tochter und ich, uns gewundert.«

O'Brien erzählte ihr nun, wie es zugegangen, worauf sie sagte:

»Die Engländer sind in der That herzhaft. Das hat noch kein anderer gethan.«

So dachte ich auch, denn nichts hätte mich bewegen können, das zu thun. O'Brien erzählte ihr nun die Geschichte von der Tötung des Wolfes mit allen Einzelnheiten, und teilte ihr sodann unsern Entschluß mit, wieder nach Vließingen zurückzukehren, wenn wir nichts Besseres thun könnten.

»Wie ich höre, ist Peter Eustache gestern nach Hause gekommen«, antwortete die Frau, »und ich glaube, daß Sie dort sicherer sein werden, als hier; denn niemand wird daran denken, Sie zwischen den Kasernen, an die das Wirtshaus stößt, zu suchen.«

»Wollen Sie uns helfen, daß wir hineinkommen?«

»Ich will sehen, was ich thun kann. Aber sind Sie nicht hungrig?«

»Etwa so hungrig wie Leute, die seit zwei Tagen nichts gegessen haben.«

» Mon Dieu! c'est vrai. Ich dachte nicht, daß es schon so lang ist, aber die Leute mit dem vollen Magen vergessen die mit dem leeren. Möge uns Gott besser und mildthätiger machen!«

Sie sprach zu dem kleinen Mädchen einige Worte auf Holländisch, worauf diese eiligst den Tisch mit Speisen belud, den wir dann unsererseits abzuleeren uns beeilten. Das kleine Mädchen sah erstaunt unserem gierigen Verschlingen zu; am Ende brach sie in ein Gelächter aus, klatschte bei jeder frischen Mundladung, die wir nahmen, in die Hände und drang in uns, noch mehr zu essen. Sie ließ sich von mir küssen, bis ihr die Mutter sagte, daß ich kein Frauenzimmer sei; nun schmollte sie mit mir und wehrte mich ab.

Vor Mitternacht schliefen wir auf den Bänken bei dem Küchenfeuer fest ein, und wurden bei Tagesanbruch von der Frau aufgeweckt, die uns etwas Brot und Branntwein anbot; dann gingen wir zum Hause hinaus, wo die Karre, mit Gemüsen für den Markt beladen, schon zur Abfahrt bereit stand. Die Frau, das kleine Mädchen und ich stiegen hinein; O'Brien leitete wie früher das Fuhrwerk und der Hund folgte nach. Wir hatten nun auch seinen Namen erfahren; er hieß Achille und schien uns sehr zugethan zu sein. Durch das gefürchtete Thor kamen wir auch diesmal ohne Störung und traten nach zehn Minuten in Eustaches Wirtshaus; wir gingen sogleich mitten durch einen Haufen Soldaten, von denen mich ein paar unter dem Kinn anfaßten, nach dem kleinen Zimmer, und trafen auch da den Lotsen Eustache im Gespräch mit seiner Frau. Wie es schien, sprachen sie gerade von uns; sie mußte ihm dringend zugeredet, er aber erklärt haben, daß er mit der Sache sich durchaus nicht befassen wolle.

»Nun ja, da sind sie jetzt selbst, Eustache; die Soldaten, die sie hereingehen sahen, werden nicht glauben, daß sie zum erstenmale da seien, auch wenn Du sie angiebst. Ich geh' nun fort und sie mögen den Handel mit Dir selbst abschließen. Versteh' mich wohl, Eustache, ich habe mich Tag und Nacht in diesem Wirtshause für Deinen Vorteil abgemüht; wenn Du aber mir und meiner Familie keine Gefälligkeit erweisen magst, so will ich auch nicht länger eine Wirtschaft für Dich halten.«

Mit diesen Worten ging Madame Eustache mit ihrer Schwägerin und dem kleinen Mädchen zum Zimmer hinaus; O'Brien redete ihn an und sagte zu ihm:

»Ich verspreche Ihnen hundert Louisd'ors, wenn Sie uns an irgend einem Teile von England ans Ufer setzen oder uns an Bord eines englischen Kriegsschiffes bringen; und wenn dies binnen einer Woche geschieht, so will ich diese Summe um zwanzig Louisd'ors erhöhen.«

Hierauf zog er die fünfzig Napoleons, wie sie uns Celeste gegeben hatte (denn unser eigenes Geld war sogar noch nicht alles ausgegeben), heraus und legte sie auf den Tisch.

»Da haben Sie dies zum voraus, als Beweis meiner Ehrlichkeit; sagen Sie, ist der Handel geschlossen oder nicht?«

»Ich habe noch nie gehört, daß ein armer Mann den Beweisgründen seiner Frau widerstehen konnte, wenn sie mit hundertundzwanzig Louisd'ors unterstützt wurden«, sagte Eustache schmunzelnd und strich das Geld vom Tische ein.

»Sie haben vermutlich nichts dagegen, heute Nacht noch abzugehen? Das wird Ihnen zehn Louisd'or weiter eintragen«, sagte O'Brien.

»Die will ich verdienen«, erwiderte Eustache; »je früher ich mich aufmache, desto besser ist's, denn lange würde ich Sie hier nicht verbergen können. Das junge Frauenzimmer bei Ihnen ist wohl Ihr Gefährte, von dem mir meine Frau erzählte? Er hat früh angefangen, schwere Strapazen auszustehen. – Jetzt setzen Sie sich und wir wollen uns miteinander im Gespräch unterhalten; denn geschehen kann in der Sache doch nichts, bevor es dunkel ist.«

O'Brien erzählte ihm nun die Geschichte unserer Flucht, worüber Eustache herzlich lachte, besonders aber über das Mißverständnis, in welchem sich seine Frau, hinsichtlich der Verbindlichkeiten gegen uns, befand.

»Hätte ich auch vorher keine Neigung verspürt, Ihnen beizustehen, so wär' ich doch jetzt dazu bereit, hauptsächlich, um meine Frau recht auszulachen, wenn ich zurückkomme; und wenn sie jetzt wieder einmal meine Hilfe um ihrer Verwandten willen in Anspruch nimmt, so will ich sie an diese Geschichte erinnern; sie ist 'ne gute Hausfrau und 'n braves Eheweib zugleich, nur etwas zu anhänglich an ihre Schwestern.«

Als es dunkel war, zog er uns beiden Matrosenkleidung an und forderte uns auf, ihm nun dreist zu folgen. Er kam an der Wache vorbei, die ihn gut kannte.

»Was, schon wieder zur See?« sagte einer. »Ihr habt mit Eurem Weibe Streit gehabt.«

Die ganze Mannschaft brach hierüber in ein lautes Gelächter aus, dem auch wir uns anschlossen.

Wir erreichten glücklich den Strand, sprangen in das kleine Boot unseres Wirtes hinein, ruderten auf dessen Pilotenschiff zu und in wenigen Minuten waren die Anker gelichtet. Bei starker Strömung und günstigem Winde kamen wir bald über die Schelde hinab und erblickten schon am nächsten Morgen einen englischen Kutter. Wir steuerten demselben zu, liefen unter seine Lee, O'Brien rief nach einem Boote, und Eustache, der nun meine Anweisung für den Rest seines Geldes empfing, wünschte uns viel Glück. Wir drückten ihm die Hand und nach einigen Minuten schon befanden wir uns wieder unter britischer Flagge.

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