Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

.

Achtes Kapitel.

Die Verheerungen des Sturms – Peter macht sich Freunde – Gilt's Zerstören oder Retten, so gleicht doch nichts den britischen Seeleuten. – Peter trifft, sehr zu seiner Freude, mit General O'Brien zusammen. – Eine andere Begegnung ist ihm noch erfreulicher. – Viel Händedrücken »und dergleichen«, wie Pope sagt.

—————

 

Nun wir die Brigg geborgen wußten, dachten wir an uns selbst. Meine erste Aufmerksamkeit galt den Leichen, und ich dankte dem Himmel für meine wunderbare Erhaltung, wenn ich auf ihre verstümmelten Gliedmaßen blickte. Wir ließen dann unsere Blicke längs der Küste hingleiten, um zu sehen, ob wir nicht Reste von den andern Booten entdecken konnten. Wir waren ungefähr drei Meilen von der Stadt, welche, wie wir bemerken konnten, beträchtlich Schaden gelitten hatte; auch war das Ufer unten mit Bruchstücken und Trümmern besäet. Ich sagte nun den Leuten, es sei wohl das Beste, wenn wir in die Stadt gingen und uns selbst als Gefangene auslieferten. Sie waren damit einverstanden, und wir machten uns mit dem Versprechen auf den Weg, diejenigen holen zu lassen, welche zu sehr beschädigt waren, um uns begleiten zu können.

Als wir die Felsen hinaufkletterten und das Binnenland erreichten, bot sich uns ein schrecklicher Anblick dar. In allen Richtungen lagen mit der Wurzel ausgerissene Bäume, totes Vieh, da und dort die Überreste eines Hauses, dessen übrige Teile meilenweit fortgefegt waren. Was nicht ganz feste Mauern hatte, war verschwunden. Wir kamen an eine Stelle, wo eine Reihe von Negerhütten gestanden hatte, aber sie waren jetzt dem Erdboden gleich. Die Neger suchten emsig ihre Habe unter den Trümmern, während die Weiber ihre Säuglinge in den Armen hielten und ihre übrigen Kinder um sich versammelt hatten. Da und dort wehklagte eine Mutter über der Leiche eines armen kleinen Wesens, das unter den Bruchstücken seinen Tod gefunden hatte. Sie achteten nicht auf uns.

Eine Meile weiter innen trafen wir zu unserer großen Freude auf die Mannschaft von den andern Booten, die am Wege saß. Sie waren sämtlich unverletzt entkommen: ihre Boote waren so viel leichter als das unsrige, daß sie weit hinan auf das Trockene geworfen wurden; sie schlossen sich uns an, und wir setzten unsern Weg fort. Wir begegneten einem umgestürzten Karren, unter dessen Rad das Bein des Negers lag, der ihn geführt hatte. Wir befreiten den armen Burschen, aber der Knochen war zerbrochen, weshalb wir ihn an der Straße in den Schatten legten, und unsern Marsch fortsetzten. Wo wir hinkamen, erblickten wir nur einen Schauplatz von Jammer und Verheerung, der sich übrigens noch steigerte, als wir die Stadt erreichten. Unter drei Häusern stand kaum eines noch ganz – das Ufer war mit Leichen und Schiffstrümmern bedeckt, und Masten, in drei oder vier Stücke zerbrochen, steckten mehrere Fuß tief im Sande. Soldatenabteilungen waren geschäftig, die Toten wegzuschaffen und die wenigen wertvollen Gegenstände zu bergen. Wir gingen in die Stadt hinauf, denn niemand hielt uns an oder achtete auf uns; aber hier war der Anblick sogar noch schrecklicher. In einigen Straßen grub man Verschüttete aus, deren Geschrei man unter den Trümmern hervor hörte, in andern führte man die Leichen fort. Die Wehklage der Verwandten – das Heulen der Neger – das Geächz der Verwundeten – das Fluchen der französischen Soldaten, und die von berittenen Adjutanten fortwährend erteilten Befehle, dazu noch die Verwirrung unter dem schreienden Zuschauerhaufen, all dies bot einen ebenso neuen als erschütternden Anblick.

Nachdem wir eine Weile zugesehen, ging ich auf einen berittenen Offizier zu und sagte ihm in französischer Sprache, daß ich mich als Gefangener stelle.

»Wir haben jetzt keine Zeit Gefangene zu machen«, versetzte er. »Hunderte liegen unter den Ruinen begraben, und wir müssen versuchen, wen wir retten können. Die Ansprüche der Menschlichkeit gehen allem anderen vor.«

»Wollen Sie meinen Leuten erlauben, Ihnen Beistand zu leisten?« entgegnete ich. »Es sind besonnene und kräftige Burschen.«

»Sir«, sagte er, seinen Hut abnehmend, »ich danke Ihnen im Namen meiner unglücklichen Landsleute.«

»So zeigen Sie uns, wo wir uns am meisten nützlich machen können.«

Er wandte sich um, und deutete nach einem weiter oben gelegenen Hause, dessen Geschäftslokale eingestürzt waren.

»Es sind noch Lebende unter jenen Trümmern.«

»So kommt, meine Jungen«, sagte ich; und trotz ihrer eigenen Beschädigungen eilten sie doch mit der größten Behendigkeit ans Werk. Da mich meine Seite schmerzte, so konnte ich nicht selbst Hand anlegen, indessen blieb ich bei ihnen stehen und erteilte ihnen Anweisung.

In einer halben Stunde hatten wir so weit abgeräumt, daß wir auf ein armes Negermädchen stießen, dessen Geschrei wir deutlich gehört hatten. Wir arbeiteten sie frei und legten sie auf die Straße, aber sie wurde ohnmächtig. Ihre linke Hand war furchtbar zerquetscht. Ich leistete ihr allen in meinen Kräften liegenden Beistand, und die Matrosen arbeiteten rüstig weiter, das Gebälk auf die Seite werfend, als ein Offizier heranritt. Er machte Halt und fragte mich, wer wir wären. Ich sagte ihm, wir gehörten zu der Brigg und seien gestrandet, jetzt aber leisteten wir nach Kräften Beistand, bis man Muße habe, uns ins Gefängnis zu schicken.

»Ihr Engländer seid brave Bursche«, versetzte er und ritt weiter. Unsere Leute fanden noch einen anderen Unglücklichen, einen alten grauköpfigen Neger, der aber zu sehr verstümmelt war, um seine Verletzungen überleben zu können. Wir brachten ihn heraus und legten ihn neben das Negermädchen. In demselben Augenblicke ritten mehrere Offiziere die Straße herunter. Der vorderste darunter trug eine Generalsuniform und ich erkannte in ihm alsbald meinen alten Freund, den vormaligen Oberst O'Brien. Sie machten Halt und sahen uns an. Ich gab die betreffende Auskunft. General O'Brien nahm vor den Matrosen den Hut ab und dankte ihnen.

Er erkannte mich nicht und wollte schon weiter reiten, als ich ihm in englischer Sprache zurief:

»General O'Brien, Sie haben mich zwar vergessen, aber ich werde stets Ihrer Güte eingedenk sein.«

»Mein Gott!« versetzte er, »sind Sie's, mein lieber Freund?«

Damit sprang er vom Pferde und drückte mir mit Wärme die Hand.

»Kein Wunder, daß ich Sie nicht erkannte. Sie sind nun eine ganz andere Person, als der kleine Peter Simpel, der sich in Mädchenkleider steckte und auf Stelzen tanzte. Aber ich bin Ihnen sehr zu Dank verpflichtet für die Freundlichkeit, die Sie Celesten erwiesen haben, und auch sie wird Ihrer nicht vergessen. Ich will Sie nicht auffordern, von Ihrem Werke der Barmherzigkeit abzulassen, aber wenn Sie gethan haben, was Sie können, so kommen Sie nach meinem Hause. Jedermann kann's Ihnen weisen, und wenn ich auch abwesend bin, werden Sie doch Celeste finden, denn Sie sehen wohl, daß ich bei diesem traurigen Anlasse alle Hände voll zu thun habe. Gott behüte Sie!«

Dann ritt er in Begleitung seines Stabes von hinnen. »Nun, meine Jungen«, sagte ich, »verlaßt Euch darauf, wir werden nicht sehr grausam behandelt werden. Arbeitet nur wacker und thut, was Ihr könnt; die Franzosen werden's uns eingedenk sein.«

Wir hatten nun das Haus abgeräumt und gingen nach der Stelle zurück, wo die übrigen Leute unter der Aufsicht des berittenen Offiziers arbeiteten. Ich ging auf ihn zu und sagte ihm, daß wir zwei Menschen geborgen hätten; wenn er nichts dagegen habe, so wollten wir jetzt dieser Partei Beihilfe leisten. Er nahm dankbar unsere Unterstützung an.

»Und nun, meine Jungen«, sagte Swinburne, »laßt uns unsere Beulen vergessen, und diesen Franzmännern zeigen, wie man arbeiten muß.«

Und sie erwiesen sich mannhaft. Das Gebälk flog mit einer solchen Schnelligkeit und Gewandtheit nach rechts und links, daß der Offizier und die übrigen Einwohner, welche zusahen, sich nicht genug wundern konnten. In einer halben Stunde war mehr geleistet, als man nur für möglich gehalten haben würde; mehrere Menschenleben wurden gerettet und die Franzosen drückten ihre Bewunderung über das Benehmen unserer Matrosen aus; sie brachten ihnen auch etwas zu trinken, was die armen Bursche recht gut brauchen konnten. Nun fuhren sie mit doppelter Kraft zu arbeiten fort, und wurden unstreitig das Mittel, viele Unglückliche zu retten, die sonst zu Grunde gegangen wären. Das durch den Orkan angerichtete Unglück war um so größer, da er in der Nacht gewütet hatte, während die meisten Einwohner in ihren Betten schliefen. Ich ließ mir sagen, die Holzhäuser hätten dem Orkan keine fünf Minuten standgehalten. Gegen Mittag war die Arbeit abgethan, was ich durchaus nicht bedauerte. Meine Seite schmerzte mich sehr und die sengende Glut der Sonne verursachte mir Schmerzen und Übelkeit.

Ich fragte einen achtbar aussehenden alten Franzosen nach der Wohnung des Generals. Er wies mich zurecht und ich begab mich mit meinen Leuten dahin. Als ich anlangte, fand ich, daß die Ordonnanz eben das Pferd des Generals, der kurz zuvor angelangt war, wegführte. Ich bat einen Sergeanten, der an der Thür auf Befehle harrte – dem General zu melden, daß ich unten sei. Er kehrte zurück und hieß mich, ihm zu folgen. Ich wurde in ein großes Gemach geführt, wo ich den Herrn des Hauses nebst einer Anzahl von Offizieren fand. Er begrüßte mich abermals mit Wärme und stellte mich den Anwesenden als den Offizier vor, der den gefangenen Damen gestattet habe, ans Land zu gehen.

»So habe ich Ihnen also im Namen meiner Gattin zu danken«, sagte ein Offizier, auf mich zutretend und mir die Hand reichend.

Dann kam ein anderer, der mir sagte, ich hätte auch seine Frau in Freiheit gesetzt. Wir ließen uns nun in ein Gespräch ein, in welchem ich den Grund unseres Schiffbruchs samt allen Einzelheiten berichtete; auch sagte ich ihnen, daß ich am Morgen die Brigg abgetakelt gesehen, daß sie aber die Spitze umluvt habe und nun geborgen sei.

»Ich muß Ihnen das Kompliment machen, daß uns Ihre Brigg sehr lästig gewesen ist. Mein Namensvetter ist achtsamer auf die Batterien, als ich je sein könnte«, sagte General O'Brien. »Ich glaube nicht, daß es einen über fünf Jahre alten Neger auf der Insel giebt, dem diese Brigg nicht bekannt wäre.«

Wir sprachen dann von dem Angriff auf den Kaper, in welchem wir zurückgeschlagen worden waren. »Ah!« versetzte der Adjutant, »den haben Sie nicht übel zugerichtet. Er ist seit vier Monaten ausgefahren. Kapitän Carnot that einen Eid darauf, Sie sollen ihm dafür Rede stehen, wenn er mit Ihnen zusammentreffe.«

»Er hat sein Wort gehalten«, versetzte ich.

Und nun erzählte ich ihm unser Gefecht mit den drei französischen Kapern und die Wegnahme des Schiffes, was sie sehr überraschte, und wie ich mir wohl denken konnte, nicht wenig ärgerte.

»Nun, mein Freund«, sagte General O'Brien, »so lange Sie auf der Insel weilen, sind Sie mein Gast. Wenn Sie etwas brauchen, so lassen Sie mich's wissen.«

»Ich fürchte, daß ich eines Wundarztes benötigt bin, denn meine Seite schmerzt mich so sehr, daß ich kaum atmen kann.«

»Wie, so sind Sie verwundet?« fragte General O'Brien mit besorgter Miene.

»Nicht gefährlich, glaube ich, aber ziemlich schmerzlich«, lautete meine Antwort.

»Lassen Sie mich sehen«, sagte ein vortretender Offizier; »ich bin Militärarzt und vielleicht vertrauen Sie sich meinen Händen an. Legen Sie Ihren Rock ab.«

Ich that es, aber nicht ohne große Schmerzen.

»Sie haben zwei Rippen zerbrochen«, sagte er, meine Seite befühlend, »und eine bedeutende Quetschung davon getragen. Sie müssen einige Tage das Bett hüten oder auf einem Sofa liegen. In einer Viertelstunde komme ich zurück, um Sie zu verbinden. Ich verspreche Ihnen, Sie in zehn Tagen herzustellen – zum Dank, daß Sie mir meine Tochter gegeben haben, die mit den übrigen Damen an Bord der Viktorine war.«

Die Offiziere verbeugten sich und ließen mich mit General O'Brien allein.

»Lassen Sie sich's ein für allemal gesagt sein«, begann er, »daß Ihnen meine Börse und alles zu Diensten steht. Wenn Sie Bedenken tragen, von meinem Anerbieten Gebrauch zu machen, so werde ich glauben, daß Sie uns nicht lieben, 's ist ja nicht das erste Mal, Peter, und Sie haben mich ehrlich wieder bezahlt. Indessen war ich natürlich bei jener Angelegenheit nicht beteiligt; sie ging bloß von Celeste aus«, fügte er lachend bei. »Ich hätte mir nimmermehr vorgestellt, daß Sie sich als Frauenzimmer verkleiden und so unverschämt auf Stelzen durch Frankreich tanzen könnten. Aber ich muß gelegentlich alle Ihre Abenteuer hören. Celeste ist sehr begierig, Sie zu sehen. Wollen Sie ihr jetzt einen Besuch machen, oder wollen Sie warten, bis der Arzt da gewesen ist?«

»Wenn Sie erlauben, gleich jetzt, General. Aber darf ich vorerst bitten, daß man meinen armen Leuten einige Pflege angedeihen lasse? Sie haben seit gestern nichts gegessen, sind beim Stranden sehr beschädigt worden und haben hart gearbeitet. Auch liegen mehrere verstümmelt am Ufer, die eines Wagens bedürfen.«

»Ich sollte früher daran gedacht haben«, versetzte er. »Ich will übrigens der Mannschaft, durch welche ich die Geretteten holen lasse, zugleich Befehl erteilen, die andern armen Bursche, welche tot am Ufer liegen, zu beerdigen. Kommen Sie jetzt, ich will Sie zu Celeste führen.«

.


 << zurück weiter >>