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Siebzehntes Kapitel

Kapitän Kearney's Krankheit. – Er macht sein Testament und verteilt unterschiedliche Schlösser in Spanien an die betreffenden Erben. – Die Legatarspflichten werden in diesem Falle nicht verderblich. – Er unterzeichnet, siegelt und stirbt.

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Der Kapitän ging, wie das seine Gewohnheit war, ans Land und nahm seine Wohnung in dem Hause eines Freundes; das heißt, in dem Hause eines alten Bekannten oder irgend eines gebildeten artigen Mannes, der ihn einladen mochte, Tisch und Bett bei ihm zu nehmen. Dies war für Kapitän Kearney völlig genug, der dann in einem solchen Falle ohne weiteres seinen Mantelsack füllte und seine Wohnung bezog, ohne daran zu denken, dieselbe zu verlassen, ehe das Schiff wieder absegelte, außer wenn ihm irgend eine andere vorteilhaftere Einladung zu teil wurde. Ein solches Benehmen würde in England gegen unsere Begriffe von Gastfreundschaft sehr verstoßen haben; aber in unsern fremden Niederlassungen und Kolonieen, wo die Gesellschaft sehr klein und das Erfahren von Neuigkeiten immer höchst erwünscht ist, war ein so unterhaltender Mann wie Kapitän Kearney im allgemeinen stets willkommen, er mochte bleiben so lange er wollte. Alle unsere Seeleute stimmen darin überein, daß Halifax einer der angenehmsten Häfen zum Ankern ist. Jedermann dort ist gastfreundlich, fröhlich, und ebenso bereit andern Freude zu machen, als sich selbst zu vergnügen. Deshalb ist auch der Ort gar nicht gut gewählt, wenn man ein Schiff dorthin schickt, das man schnell wieder ausgebessert wünscht, wofern sich nicht der Admiral selbst an Ort und Stelle befindet, um den täglichen Fortschritt der Arbeiten zu überwachen, oder ein strenger Kommissionär da ist, der die Verrichtungen im Seemagazin befördert. Der Admiral war gerade da, als wir einliefen, und wir hätten nicht lauge vor Anker liegen dürfen, wenn nicht der Gesundheitszustand des Kapitäns, gerade als wir zur Abfahrt bereit waren, so bedenklich geworden wäre, daß der Doktor den Ausspruch that, er könne nicht unter Segel gehen. Eine andere Fregatte wurde mit dem uns zugedachten Kreuzen beauftragt, und wir lagen nun müßig im Hafen. Wir trösteten uns übrigens, denn wenn wir auch keine Prisengelder machten, so waren wir doch ganz glücklich und die Offiziere zum größern Teile sehr verliebt.

Wir befanden uns ungefähr drei Wochen im Hafen von Halifax, als in dem Unwohlsein des Kapitäns Kearney eine wesentliche Verschlimmerung eintrat; Unwohlsein konnte es. übrigens kaum mehr genannt werden. Er hatte lange unter den tückischen Einwirkungen eines heißen Klimas gelitten, und obgleich ihm zu wiederholten Malen der Rat gegeben worden, sich auf die Invalidenliste setzen zu lassen, so wollte er sich doch dazu nicht verstehen. Er schien nun seiner Auflösung entgegen zu gehen. In einigen Tagen schon war er so krank, daß er auf die Vorstellungen der Schiffsärzte einwilligte, sich ins Hospital bringen zu lassen, wo ihm mehr Bequemlichkeiten zu Gebot standen, als in irgend einem Privathause. Er war kaum zwei Tage im Spital, als er nach mir schickte und den Wunsch ausdrückte, ich möchte bei ihm bleiben.

»Sie wissen, Peter, daß Sie ein Vetter von mir sind, und man hat gerne einen Verwandten um sich, wenn man krank wird; deshalb schaffen Sie Ihr Gepäck ans Land. Der Doktor hat mir ein hübsches kleines Zimmer für Sie versprochen; jetzt kommen Sie nur her und bleiben Sie immer bei mir.«

Ich machte natürlich keinerlei Einwendungen dagegen, denn ich hielt es sogar für meine Pflicht; auch muß ich gestehen, daß ich mich nie damit zu bemühen brauchte, ihn zu unterhalten, da im Gegenteile er mich immer unterhielt. Ernste Betrachtungen aber mußte ich darüber anstellen, und sehr unangenehm mußte es mich berühren, wie ein Mann, der sich in einem so gefährlichen Zustande befand – denn die Ärzte hatten seine Wiedergenesung für unmöglich erklärt – fortwährend den ganzen Tag hindurch und ohne Unterbrechung so systematisch im Lügen beharren konnte. Es schien ihm in der That angeboren zu sein, und wie Swinburne sagte, wenn er die Wahrheit sprach, so geschah es ganz aus Versehen.

»Peter«, sagte er eines Tags, »es zieht hier stark. Machen Sie die Thür zu und legen Sie noch etwas mehr Kohlen nach.«

»Das Feuer hat keinen guten Zug, Sir«, antwortete ich, »wenn die Thür nicht offen ist.«

»Es ist erstaunlich, wie wenig Leute Kenntnisse von dem Wesen solcher Dinge besitzen. Als ich mein Haus, Walcot Abbey genannt, baute, wollte kein einziger Kamin ziehen; ich ließ den Baumeister kommen und machte ihm Vorwürfe deshalb; aber er konnte da nicht helfen, und ich mußte es selbst thun.«

»Konnten Sie das, Sir?«

»Ob ich's konnte? – ich glaube wohl. Als ich dann zum ersten Male Feuer anmachte, hatte ich die Thür geöffnet, und der Zug war so stark, daß mein kleiner Knabe, William, der im Luftzuge stand, geradewegs in den Kamin hinaufgenommen worden wäre, wenn ich ihn nicht noch am Rocke gefaßt hätte; – so aber wurde nur der letztere durch das Feuer beschädigt.«

»Dieser Luftzug, Sir, muß so stark gewesen sein wie ein Orkan.«

»Nein, nein, nicht ganz so, aber er zeigte, was ein bischen Kenntnis von einer auf philosophischen Grundsätzen beruhenden baulichen Einrichtung vermag. In England, Peter, haben wir keine Orkane, aber einen ganz heftigen Wirbelwind habe ich einmal während meines Aufenthaltes in Walcot-Abbey erlebt.«

»In der That, Sir?«

»Ja wohl, er schnitt mir viereckige Heustöcke ganz rund, ich verlor dadurch zwanzig Tonnen Heu; den eisernen Lampenpfosten am Eingange drehte er, gerade wie das Meerschwein eine Harpune dreht; auch ein Schwein, das sich mit seiner Brut von Ferkeln etwa hundert Ellen hinter dem Hause befand, wurde über das Haus hinaufgehoben und an dessen Front ohne weitere Beschädigung wieder abgesetzt; nur das alte Schwein hatte die Schulter verrenkt.«

»Ist's möglich, Sir?«

»O ja, aber das sonderbarste begegnete mir mit einer Menge Ratten, die sich in dem Heuschober befanden und mit dem Heu hinaufgehoben wurden. Nun mußten allerdings, Peter, nach dem Gesetz der Schwere, diese vor dem Heu herabfallen und auf die Erde kommen; ich ging damals gerade mit meinem Windhunde, oder vielmehr Dachshunde spazieren, und als eine derselben, die er auch gleich tötete, dicht vor ihn hinfiel, so war es höchst belustigend anzusehen, wie er in die Luft hinaufschaute und auf die andern paßte.«

»Windhund sagten Sie, Sir, oder Dachshund?«

»Beides richtig: die Sache ist nämlich die, er war ursprünglich ein Windhund, aber da er einmal im Sprung das Vorderbein gegen einen Baumstumpf brach, so ließ ich ihm auch die drei andern Vorderbeine abnehmen, und dann gab's einen Kapital-Dachshund. Er war ein besonderer Liebling von mir.«

»Etwas Ähnliches«, bemerkte ich hier, »habe ich schon in Freiherrn von Münchhausens Erzählungen gelesen.«

»Herr Simpel«, sagte der Kapitän, seinen Ellbogen aufstemmend und mir ernsthaft ins Gesicht sehend, »was wollen Sie damit sagen?«

»Gar nichts, Sir, ich habe nur einmal eine ähnliche Geschichte gelesen.«

»Wohl möglich; die große Kunst der Dichtung besteht darin, sich auf Thatsachen zu stützen; es giebt Leute, die aus einem Maulwurfhügel einen Berg machen, und Thatsachen und Dichtung sind heutzutage so miteinander verschmolzen, daß selbst die Wahrheit ein Gegenstand des Zweifels wird.«

»Ganz richtig, Sir«, erwiderte ich; und da er jetzt ein paar Minuten lang schwieg, so erlaubte ich mir, mich mit der Bibel in der Hand an sein Bett zu setzen, als ob ich darin läse.

»Was lesen Sie da, Peter?« fragte er.

»Nur ein Kapitel in der Bibel, Sir«, antwortete ich. »Wünschen Sie, daß ich laut lese?«

»Ja, ich bin ein großer Verehrer der Bibel – sie ist das Buch der Wahrheit. Peter, lesen Sie mir die Geschichte von Jakob, wie er den Esau mit einem Gericht Linsen übertölpelte und seines Vaters Segen empfing.«

Es mußte mir höchst sonderbar erscheinen, daß er gerade eine Stelle wählte, wo aus göttlichen Gründen eine Lüge mit Belohnung und Erfolg gekrönt wird. Nachdem ich damit zu Ende war, bat er mich, noch etwas anderes zu lesen; ich ging nun zur Apostelgeschichte über, und nahm das Kapitel vor, in welchem Ananias und Sapphira um einer Lüge willen tot zu Boden stürzen. Als ich hier zu Ende gelesen hatte, sagte er ganz ernsthaft:

»Das ist eine sehr gute Lehre für junge Leute, Peter, und zeigt deutlich, daß man nie von der Wahrheit abweichen soll. Merken Sie sich's, Peter, als Ihren Wahlspruch: ›Die Wahrheit sagen und den Teufel beschämen.‹«

Nach dieser Bemerkung legte ich das Buch weg, denn es schien mir nun, daß er sich seiner unglücklichen Passion zu lügen gar nicht bewußt war; und wie durfte man da, wo keine Erkenntnis der Fehler ist, auf Reue und Besserung hoffen? Er wurde mit jedem Tage schwächer und erschöpfter, so daß er sich zuletzt kaum noch im Bette aufrichten konnte. Eines Abends sagte er:

»Peter, ich will mein Testament machen, nicht daß ich im Sinne hätte, den Eimer jetzt gleich umzustürzen; aber es ist immerhin die Pflicht eines jeden Mannes, sein Haus zu bestellen, und es wird mir Unterhaltung gewähren. Also nehmen Sie Feder und Papier und setzen Sie sich zu mir her.«

Ich that was er wünschte.

»Schreiben Sie, Peter, daß ich, Anton George William Charles Huskisson Kearney (Anton war meines Vaters Name, Peter; George wurde ich nach dem gegenwärtigen Regenten getauft; William und Charles nach den Herren Pitt und Fox, die meine Taufpaten waren; Huskisson ist der Name meines Großoheims, dessen Besitzung auf mich übergeht; er ist dreiundachtzig jetzt und kann's nicht mehr lange treiben). – Haben Sie das geschrieben?«

»Ja, Sir.«

»Bei gesundem Verstande hiermit meinen letzten Willen und Testament mache, und alle früheren testamentarischen Verfügungen aufhebe.«

»Gut, Sir.«

»Ich vermache meiner geliebten Ehefrau, Auguste Charlotte Kearney (ihre Namen hat sie nach der Königin und der Prinzeß Augusta, die sie über die Taufe hielten) mein gesamtes Mobiliarvermögen, Bücher, Gemälde, das Silbergerät und Häuser zu ihrem eigenen Gebrauch und Willen, und um darüber bei ihrem Absterben nach ihrem Belieben zu verfügen. – Haben Sie das geschrieben?«

»Ja, Sir.«

»Ferner die Zinsen aus allen meinen Fonds in den reduzierten Dreiprozentigen und an den langen Annuitäten, so wie mein bei meinen Bankiers stehendes Guthaben zu lebenslänglicher Nutznießung. Bei ihrem Absterben soll es gleichmäßig zwischen meinen zwei Kindern, William Mohamed Potemkin Kearney und Karoline Anastasia Kearney geteilt werden. – Ist das geschrieben?«

»Ja, Sir.«

»Gut also, Peter, jetzt zu meinem Realvermögen. Meine Besitzung in Kent (lassen Sie mich doch sehen, wie sie heißt) – Walcot Abbey, meine drei Pachthöfe in dem Thal von Aylesbury und die Marschländer in Norfolk vermache ich meinen zwei vorgenannten Kindern mit der Bestimmung, daß der Ertrag dieser Güter nach Abzug aller für die Erziehung meiner Kinder erforderlichen Ausgaben zu deren ausschließlichem Nutzen und Vorteil auf Zinsen angelegt werde. – Haben Sie das?«

»Noch nicht, Sir – ›angelegt werde‹. Jetzt, Sir.«

»Bis sie das Alter von einundzwanzig Jahren erreichen; oder aber in betreff meiner Tochter verfüge ich, daß, wenn sie sich mit Zustimmung meiner Testamentsvollstrecker vermählt, alle Besitzungen ehrlich und redlich abgeschätzt und zu gleichen Teilen zwischen ihnen verteilt werden sollen. Sie sehen, Peter, ich mache durchaus keinen Unterschied zwischen Mädchen und Knaben – ein guter Vater wird das eine Kind so sehr lieben als das andere. Jetzt will ich aber ein wenig ausruhen.«

Ich war ganz erstaunt; denn man wußte allgemein und genau, daß Kapitän Kearney nichts besaß außer seinem Sold, und daß nur die Hoffnung, Prisengeld zur Unterstützung seiner Familie zu machen, ihn bewogen hatte, so lange in Westindien zu bleiben Es war lächerlich, und doch konnte ich nicht lachen. Ein Gefühl der Wehmut beschlich mich bei einer solchen Erscheinung eigentlicher Geistesverwirrung.

»Jetzt, Peter, wollen wir wieder fortfahren«, sagte Kapitän Kearney nach einer Pause von wenigen Minuten. »Ich habe einige Legate zu vermachen. Zuerst allen meinen Dienern fünfzig Pfund jedem und zwei Traueranzüge; meinem Neffen, Thomas Kearney von Kearnyhall, Yorkshire, vermache ich den mir vom Großsultan geschenkten Degen. Ich habe ihm denselben versprochen, und obgleich wir uns entzweit und seit Jahren einander nicht gesprochen haben, so will ich doch immerhin mein Wort halten. Das Silbergeschirr, das mir die Kaufleute und Unterzeichner von Lloyds zum Präsent gemacht haben, überlasse ich meinem lieben Freunde, dem Herzog von Newkastle. – Haben Sie das?«

»Ja, Sir.«

»Gut; meine Schnupftabaksdose, die ich vom Prinzen Potemkin verehrt bekommen, vermache ich dem Admiral Sir Isack Koffin, und zugleich entbinde ich ihn von der hypothekarischen Verschreibung, welche ich über seine Güter aus den Madeleine-Inseln in Nordamerika besitze. Da fällt mir ferner ein, ich vermache ihm auch den Schnupftabak, den mir der Dey von Algier schenkte; weil er die Dose hat, so mag er eben sowohl auch den Schnupftabak bekommen. – Steht das?«

»Ja, Sir.«

»Aber jetzt, Peter, muß ich auch Ihnen etwas vermachen.«

»O denken Sie nicht an mich«, antwortete ich.

»Nein, nein, Peter, meinen Vetter darf ich nicht vergessen. Warten Sie einmal; Sie sollen mein Schlachtschwert haben – ein ganz vortreffliches, kann ich Ihnen wohl sagen. Ich bediente mich desselben einmal bei einem Duelle in Palermo, und rannte es einem sizilianischen Prinzen ganz rein durch den Leib, und es saß so fest, daß wir ein paar Postpferde kommen lassen mußten, um es wieder herauszuziehen. Schreiben Sie das als ein Legat für meinen Vetter Peter Simpel. Ich glaube, das ist alles. Jetzt zu meinen Testamentsvollstreckern; ich bitte meine besondern Freunde, den Grafen von Londonderry, den Marquis von Chandos und den Herrn Bankier John Lubbock, Vollzieher meines Testamentes zu werden, und vermache jedem von ihnen für ihre Bemühung und zum Zeichen meiner Achtung eintausend Pfund. Jetzt ist es also fertig, Peter. Da ich aber über so viel wirkliches Vermögen verfügt habe, so ist die Anwesenheit von drei Zeugen notwendig; also holen Sie noch zwei Personen herbei, dann will ich in ihrer Gegenwart unterzeichnen.«

Diesem Willen wurde entsprochen und das seltsame Testament durch Zeugenunterschrift gehörig beurkundet; kaum habe ich nötig, noch zu sagen, daß sogar die Gegenstände, die er als Geschenke erhalten zu haben vorgab, von ihm selbst zu verschiedenen Zeiten erkauft waren; aber so stark blieb die Macht seiner herrschenden Leidenschaft selbst bis auf den letzten Augenblick. Herr Phillott und O'Brien besuchten ihn öfters, wie auch bisweilen einige von den andern Offizieren, und da war er immer munter und lustig, und schien ganz gleichgültig in betreff seines Zustandes zu sein, obgleich er ihn genau kannte. Seine Erzählungen wurden, wenn dies irgend möglich, noch wunderbarer, weil niemand einen Zweifel gegen deren Glaubwürdigkeit aussprechen mochte.

Ich hatte mich nun ungefähr eine Woche im Spital befunden, als Kapitän Kearney augenscheinlich dem Tode entgegenging: der Doktor kam, fühlte seinen Puls und erklärte, er würde den Tag nicht überleben. Dies war an einem Freitag, und unstreitig waren alle Symptome der Auflösung vorhanden. Er war so erschöpft, daß er kaum eine Silbe hervorbringen konnte; seine Füße waren kalt, die Augen erschienen gläsern und stierten aufwärts. Der Doktor blieb eine Stunde bei ihm, fühlte den Puls wieder, dann schüttelte er den Kopf und sagte leise zu mir: »es ist mit ihm jetzt zu Ende.« Sobald der Doktor zum Zimmer hinaus war, schlug Kapitän Kearney die Augen auf und winkte mir, zu ihm hinzukommen: »er ist 'n verfluchter Narr, Peter«, sagte er, »er glaubt, ich verliere jetzt meinen Wind – aber ich weiß es besser; fort muß ich, das ist richtig – doch nicht vor nächstem Donnerstag.« Und sonderbar genug erholte er sich auch von diesem Augenblick an, und obgleich man ihn schon für tot gemeldet, und der Admiral bereits die Ernennung seines Nachfolgers unterzeichnet hatte, so war doch zum allgemeinen Erstaunen Kapitän Kearney am nächsten Morgen noch fortwährend am Leben. In diesem Zustande, zwischen Leben und Tod, verblieb er bis zum nächsten Donnerstag, dem Tage, an welchem er, wie er sagte, sterben sollte – und am Morgen desselben eilte er auch sichtlich immer mehr den Armen des Todes entgegen. Gegen Mittag wurde sein Atem sehr beklommen und unregelmäßig, und man sah, daß er in den letzten Zügen lag. Das Röcheln in der Kehle begann; ich stand an seinem Bette, um seinen letzten Atemzug abzuwarten, als er noch einmal die Augen aufschlug und mir mit Anstrengung winkte, meinen Kopf dicht heranzuhalten, damit ich hören könne, was er mir sage; dies geschah, und mit großer Anstrengung bemühte er sich, in einer Art gurgelnden Flüsterns mir zu sagen: – »Peter, ich muß jetzt fort – nicht daß dieses Röcheln in meiner Kehle – ein Anzeichen des Todes wäre: – denn ich kannte einmal einen Mann – der – mit dem Röcheln in seiner Kehle – noch sechs Wochen lebte.« Damit sank er zurück und verschied, nachdem er vielleicht in seinem letzten Atemzuge noch die größte Lüge seines ganzen Lebens ausgesprochen hatte.

So endete dieser Mann von höchst außerordentlichem Charakter, der fast in jeder anderen Beziehung Achtung einflößte: denn er war ein freundlicher Mann und ein tüchtiger Offizier; aber infolge der Idiosynkrasie seiner Geistesrichtung, mochte dieselbe nun durch Gewohnheit angenommen oder von Natur angeboren sein, konnte er durchaus nicht die Wahrheit reden. Ich spreche von angeboren, denn ich habe eine eben so ausfallende Erscheinung von dem Laster des Diebstahls getroffen, die gleichfalls durchaus nicht ausgerottet werden konnte. Dies war der Fall bei einem jungen Seekadetten aus guter Familie, der Geldzuschüsse erhielt, so viel er nur bedurfte; er war einer der freigebigsten und offenherzigsten jungen Leute, die ich je kennen lernte, und während seine Börse, oder der Inhalt seines Koffers, jedem seiner Kameraden zur Verfügung stand, stahl er gleichwohl alles, was er nur in die Hände bekommen konnte. Ich habe beobachtet. wie er Stunden lang auf der Lauer stand, um etwas zu stehlen, das er gar nicht gebrauchen konnte, wie einmal einen einzelnen Schuh, der noch dazu zu klein für seinen Fuß war. Was er gestohlen hatte, gab er den anderen Tag wieder weg; aber es war unmöglich, ihm Einhalt zu thun. Wir kannten diese Sache schon so genau, daß wir, wenn irgend etwas vermißt wurde, zuerst in seinem Koffer nachzusuchen pflegten, und in der Regel fand sich auch der fragliche Gegenstand darin vor. Er schien in dieser Beziehung der Scham ganz unzugänglich, obgleich er sonst in allem durchaus keinen Mangel von Ehrgefühl an den Tag legte; auch suchte er – sonderbar genug – nie den Diebstahl durch eine Lüge zu verheimlichen. Nach vergeblichen Bemühungen, ihn von dieser Leidenschaft zu heilen, wurde er als unverbesserlich aus dem Dienste entlassen.

Kapitän Kearney wurde mit den üblichen militärischen Ehrenbezeugungen auf dem Kirchhofe beerdigt. In seinem Schreibpult fanden sich eigenhändige Bestimmungen von ihm über sein Leichenbegängnis sowohl als über die Inschrift seines Grabsteines. In letzterer gab er sein Alter auf einunddreißig Jahre an. Wenn dies richtig gewesen wäre, hätte Kapitän Kearney, nach der Zeit, die er im Dienste des Landes gestanden, gerade vier Monate vor seiner Geburt auf die Flotte kommen müssen. Unglücklicherweise begann die Inschrift mit den Worten: »Hier liegt Kapitän Kearney etc.«; und kaum war der Leichenstein vierundzwanzig Stunden aufgestellt, als jemand, der des Kapitäns Charakter genau kennen mußte, mit einem Zuge an einem einzigen Worte eine solche Veränderung der Inschrift vornahm, daß sie eben so auffallend als richtig lautete: »Hier lügt Kapitän Kearney.«

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