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Siebentes Kapitel.

Ich ziehe auf Prisen aus und treffe mit einem Sturm zusammen. – Ich werde auf die Küste geworfen und verliere mehr als die Hälfte meiner Mannschaft. – Wo ist die Klapperschlange?

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In drei Wochen waren wir wieder segelfertig und der Admiral schickte uns nach der alten Station auf die Höhe von Martinique. Wir hatten vierzehn Tage vor Saint Pierre gekreuzt und wenn ich nachts auf dem Deck auf und abging, blickte ich oft nach den Lichtern der Stadt, neugierig, welches davon wohl für Celeste brenne. Da bemerkten wir eines Abends, ungefähr sechs Meilen vom Lande ab, zwei Schiffe, welche in Ufernähe die Negerspitze umfuhren. Es herrschte Windstille und die Boote hatten die beiden Fahrzeuge im Schlepptau.

»In einer halben Stunde ist's dunkel, Peter«, sagte O'Brien, »und ich denke, wir können an sie kommen, ehe sie ankern; oder, wenn sie Anker werfen, so wird's weit außen sein. Was hältst Du von der Sache?«

Ich war mit ihm einverstanden, denn es kam mir in Wahrheit vor, als sei ich viel glücklicher, wenn die Brigg mehr in der Nähe der Küste, folglich auch Celeste näher lag, während ich immer melancholischer wurde, je weiter sie in die offene See hinein stach. Ich dachte ohne Unterlaß an sie, und ihr Anblick nach so vieljähriger Trennung hatte meine jugendliche Zuneigung in eine kräftige Leidenschaft umgewandelt. Ich darf wohl sagen, daß ich bis über die Ohren verliebt war; deshalb machte mir der Gedanke, in den Hafen einzulaufen, Freude, und ich würde überhaupt jede Thorheit begangen haben, um nur die Mauern anzusehen, die den ausschließlichen Gegenstand meiner Gedanken bargen. Freilich waren dies wilde und träumerische Vorstellungen, ohne Aussicht auf einstige Erfüllung, aber mit einundzwanzig Jahren baut man gern Luftschlösser und verliebt sich leicht, ohne die Zukunft zu berücksichtigen. Ich sagte, daß ich das Unternehmen für sehr leicht ausführbar halte, und äußerte den Wunsch gegen ihn, er möchte mir den Versuch übertragen; ich wolle wieder umkehren, wenn ich finde, daß die Gefahr zu groß sei.

»Ich weiß, daß ich auf Dich bauen kann, Peter«, versetzte O'Brien, »und es ist eine Freude, wenn man weiß, daß man einen zuverlässigen Offizier hat: aber bist Du nicht aus meiner Zucht und habe nicht ich Dich zum Manne gemacht, wie ich Dir versprochen habe, als Du noch eine kleine Rotznase warst und Beine hattest wie ein paar gelbe Rüben? So hisse denn die Lansche hinaus und halte die Boote bereit – je schneller, desto besser. Was das für ein heißer Tag gewesen ist – nicht einmal die leiseste Kräuselwelle auf dem Wasser und der Himmel voll Nebel. Sieh nur die Sonne an, wie sie niedergeht, zu ihrem dreifachen Umfange aufgedunsen, als sei sie in schrecklichem Zorne. Ich vermute, wir bekommen tüchtigen Landwind.«

Eine halbe Stunde später fuhr ich mit den Booten ab. Es war nun ganz dunkel und ich ruderte auf den Hafen von Saint Pierre zu. Die Hitze war übermäßig und ganz unerklärlich; nicht das leiseste Lüftchen rührte sich hoch oder tief am Himmel. Keine Wolke war zu schauen und die Sterne wurden durch eine Art von Nebel verhüllt. Es schien ein völliger Stillstand in den Elementen eingetreten zu sein. Die Leute in den Booten warfen ihre Jacken ab, da sie dieselben nach kurzem Rudern nicht mehr auf dem Leibe tragen konnten. Als wir in den Hafen hineinkamen, wurde die Atmosphäre noch dunstiger und die Finsternis dichter. Wir meinten an dem Eingänge des Hafens zu sein, konnten aber nichts sehen, was über drei Ellen von unserem Boote lag. Swinburne, der stets zu meinem Geleite gehörte, steuerte das Boot und ich machte ihn auf das ungewöhnliche Aussehen der Nacht aufmerksam.

»Hab' schon darauf acht gegeben«, versetzte Swinburne, »und kann Ihnen sagen, Herr Simpel, daß wir am besten thäten, wenn wir alsbald wieder an Bord der Brigg gingen, vorausgesetzt, daß wir sie wieder auffinden können. Ich müßte mich sehr irren, wenn sie heute Nacht nicht alle ihre Hände brauchen könnte.«

»Wie muß ich das verstehen?« versetzte ich.

»Nun, ich meine, oder möchte vielmehr mit Bestimmtheit sagen, daß wir noch vor morgen einen Orkan haben, 's ist nicht das erste Mal, daß ich in diesen Breiten gekreuzt habe. Ich erinnere nur an das Jahr vierundneunzig –«

Ich fiel ihm jedoch ins Wort.

»Swinburne«, sagte ich, »ich glaube, daß Sie recht haben Jedenfalls will ich umkehren. Vielleicht erreichen wir die Brigg, noch ehe es so weit kommt. Sie führt ein Licht und wir können sie auffinden.«

Ich drehte dann das Boot um und steuerte nach bestem Gutdünken in die Richtung der Brigg. Wir hatten aber noch keine zwei Minuten den Hafen im Rücken, als wir in der Atmosphäre ein dumpfes Stöhnen vernahmen – bald hier, bald dort – und es kam uns vor, als drängen wir, wenn ich mich des Ausdrucks bedienen darf, in eine feste Finsternis ein. Swinburne blickte umher und deutete über den Steuerbordbug.

»'s kommt, Herr Simpel, Sie können sich drauf verlassen. Manches lebende Wesen wird morgen sich nicht mehr auf seine Beine stellen können. Sehen Sie, Sir.«

Ich folgte der angedeuteten Richtung, und trotz der Dunkelheit gewann es den Anschein, als ob eine Art schwarzer Mauer über das Wasser hin gerade auf uns zufegte. Das Stöhnen steigerte sich allmählich zu einem betäubenden Gebrülle, und dann brach es mit einem Getöse auf uns ein, mit dem sich nicht einmal der Donner vergleichen ließ. Die See war noch ganz eben, kochte aber und war mit weißem Schaum bedeckt, so daß es in der Nacht aussah, als schwämmen wir auf Milch. Die Ruder wurden vom Winde mit solcher Gewalt gefaßt, daß die Leute unter die Duchten vorwärts geschleudert, und viele davon schwer verletzt wurden. Zum Glück ruderten wir mit Pflöcken und Klampen, sonst hätten Schanddeck und Planken abgerissen werden und wir versinken müssen. Der Wind faßte das Boot bald von der Seite, und wäre die See auch nur im mindesten bewegt gewesen, so würde es unfehlbar umgestürzt worden sein; aber Swinburne drückte das Steuer nieder, und so fiel es vor dem Orkane ab, mit der Geschwindigkeit von zehn Meilen in der Stunde durch das kochende Wasser schießend. Die Matrosen waren voll Schrecken; sie hatten ihre Sitze wieder eingenommen, sahen sich aber genötigt, sie zu verlassen und sich auf dem Boden an den Duchten zu halten. Das schreckliche Brüllen des Orkans hinderte jede andere Mitteilung, als die durch Gebärden. Die andern Boote waren verschwunden; leichter als das unsrige, waren sie schneller vor dem einherfegenden Elemente dahingeflogen. Wir waren jedoch kaum eine Minute vor dem Winde, als sich die See in ganz unerklärlicher Weise wie unter dem Einflüsse einer Zaubergewalt hob.

Alle Schrecken, die ich bis jetzt erlebt hatte, waren nichts im Vergleich mit der Scene dieser Nacht. Wir konnten nichts sehen und hörten nichts als den Wind, vor dem wir wie ein Pfeil fortschossen, ohne zu wissen wohin, höchst wahrscheinlich aber einem sichern Tode entgegen. Swinburne steuerte das Boot, hin und wieder auf die steigenden Wellen zurückblickend. Nach kurzer Frist befanden wir uns in einem ungestümen Wogengetümmel, das uns in der einen Minute hoch in die Höhe warf, in der nächsten aber vor dem Orkane schützte. Die Atmosphäre war jetzt mit ganzen Schauern von Sprühe erfüllt, denn der Wind schnitt die Wellenspitzen wie mit einem Messer ab, und führte sie, so zu sagen, in seinen Armen mit fort.

Das Boot füllte sich mit Wasser und schien schnell sinken zu wollen. Die Matrosen öhsten eben schweigend mit ihren Hüten, als eine ungeheure Woge sich über dem Sterne brach und das Boot bis zu unsern Duchten füllte. Im nächsten Augenblick erhielten wir alle eine so heftigen Stoß, daß wir von unsern Sitzen geworfen wurden. Swinburne flog mir über den Kopf. Sämtliches Gebälke des Bootes löste sich mit einem Schlage, schien sich unter uns abzubröckeln und ließ uns in den tobenden Wassern schwimmen. Wir alle kämpften um unser Leben, obschon mit geringer Aussicht es zu erhalten: aber die nächste Welle schleuderte uns an die Felsen, die bereits ihre Gewalt an dem Boote geübt hatten. Diese Welle brachte den einen Leben, den andern Tod. Ich wurde durch Gottes Barmherzigkeit erhalten, aber so hoch hinaufgeworfen, daß mir zwei Rippen zerbrachen, obgleich ich nur die Spitze des Felsens streifte. Swinburne und acht andere entkamen gleichfalls, aber nicht unverletzt: zweien waren die Beine, dreien die Arme gebrochen, die übrigen hatten mehr oder minder bedeutende Quetschungen erlitten. Swinburne blieb durch ein wahres Wunder unbeschädigt. Wir waren unserer achtzehn in dem Boot gewesen, von denen sich zehn retteten: die übrigen wurden vor unsere Füße hingespült, und am nächsten Morgen fanden wir sie schrecklich verstümmelt. Zweien waren die Schädel im buchstäblichen Sinne des Wortes an den Felsen in Stücke zerschellt. Ich fühlte, daß ich gerettet war, und schickte mein Dankgebet zum Himmel; aber noch immer heulte der Orkan, noch immer flogen die Wellen über uns hin. Ich kletterte weiter am Ufer hinauf und fand Swinburne, welcher da saß, die Augen seewärts gerichtet. Er erkannte mich, faßte meine Hand, drückte sie und hielt sie in der seinigen fest. Wir verblieben eine Weile in dieser Lage, aber nun wuchsen die Wellen, die mit jedem Momente an Massenhaftigkeit zunahmen, bis zu uns herauf, und zwangen uns, weiter in die Höhe zu kriechen. Dann blickte ich umher; der Orkan tobte in gleicher Wut fort, aber die Atmosphäre war nicht mehr so finster. Aus dem Schaumgürtel an der Küste konnte ich auf einige Entfernung den Umriß des Hafens unterscheiden, und jetzt dachte ich zum ersten Male an O'Brien und die Brigg. Den Mund dicht an Swinburnes Ohr legend, rief ich: »O'Brien!« Swinburne schüttelte den Kopf und sah wieder nach der hohen See hinaus. Ich machte mir Gedanken, ob es der Brigg wohl möglich geworden sein möchte, zu entkommen. Sie war jedenfalls sechs, wo nicht sieben Meilen weit entfernt, und der Orkan wütete nicht gerade gegen die Küste hin. Vielleicht war sie um zehn Meilen abgetriftet; aber was war das gegen eine so furchtbare Gewalt? Ich betete für die an Bord Befindlichen, und dankte Gott für meine eigene Erhaltung. Ohne Zweifel wurde ich bald zum Gefangenen gemacht, wenn ich es jetzt nicht schon war, aber was brauchte ich mich darum zu kümmern? Ich dachte an Celeste, und fühlte mich fast glücklich.

Nach ungefähr drei Stunden legte sich die Gewalt des Windes. Es blies zwar noch immer eine heftige Bö, aber der Himmel klärte sich auf, die Sterne blinkten wieder, und wir konnten auf eine beträchtliche Ferne sehen.

»Jetzt bricht sich's«, sagte Swinburne endlich; »er ist zufrieden mit dem gewiß nicht geringen Unheile, das er angerichtet hat, – das war schlimmer als Anno vierundneunzig.«

»Ich wollte gerne meinen Sold und mein Prisengeld hingeben, wenn es nur Tag wäre, und ich erfahren könnte, was aus der armen ›Klapperschlange‹ geworden ist. Was meinen Sie, Swinburne?«

»Alles hängt davon ab, ob sie unvorbereitet überrascht wurden, oder nicht. Kapitän O'Brien ist ein so guter Seemann, als nur je einer über eine Schiffsplanke ging, hat aber nie einen Orkan mitgemacht, und ist vielleicht unbekannt mit den Anzeichen, welche uns Gott in seiner Gnade als warnende Vorboten schickt. Die schnellen Schiffe füllen sich leicht – aber wir wollen das Beste hoffen.«

Mit Todesängsten sahen wir dem Tag entgegen, der nimmer kommen zu wollen schien. Endlich dämmerte es, und wir entsandten unsere Blicke nach jedem Teile der See, ohne jedoch die Brigg entdecken zu können. Die Sonne ging auf, und alles war hell und klar; wir schauten aber nicht um uns, sondern unverwandt in die Richtung, wo wir die Brigg gelassen hatten. Die See ging noch immer hoch, aber der Wind legte sich schnell.

»Gott sei Dank!« jubelte Swinburne, als er die Augen nach der Küste richtete. »Sie ist doch jedenfalls noch über Wasser.«

Ich folgte seinem Fingerzeige, und bemerkte die Brigg zwei Meilen vom Ufer, wie sie abgetakelt von den Wellen hin und her gestoßen wurde. »Ich sehe sie«, versetzte ich mit vor Freude verhaltenem Atem, »aber – dennoch – ich glaube, sie muß ans Land gehen.«

»'s kommt darauf an, ob sie nicht noch ein bißchen Segel aufzusetzen hat, um an der Spitze vorbei zu kommen«, entgegnete Swinburne; »und verlassen Sie sich darauf, Kapitän O'Brien weiß dies so gut als wir.«

Nun schlossen sich auch die anderen, die sich gerettet hatten, an uns an. Wir drückten uns gegenseitig die Hände. Sie zeigten uns die Leichen unserer umgekommenen Schiffsgefährten. Ich wies sie an, sie weiter heraufzuholen und nebeneinander zu legen, dabei fuhr ich aber fort, mit Swinburne die Brigg zu beobachten. In einer halben Stunde sahen wir, wie ein Triangel aufgerichtet wurde; zehn Minuten nachher erhob sich hinten ein Notmast, an den ein Versuchssegel gehißt wurde. Dann gewahrten wir vorn die Scheren, und kurze Zeit darauf breitete sich ein anderes Versuchssegel und ein Sturmklüver im Winde aus.

»Das ist alles, was er jetzt thun kann, Herr Simpel«, bemerkte Swinburne; »auf dies und auf die Vorsehung müssen sie sich verlassen. Sie sind nicht weiter als eine Meile von der Küste – giebt's da einen Anprall, so ist's alle.«

Wir sahen wohl eine halbe Stunde in größter Angst zu; die anderen kehrten zurück, und teilten uns ihre Mutmaßungen mit. Das eine Mal hielten wir's für unmöglich, ein andres Mal glaubten wir ganz gewiß, daß die Brigg um die Spitze luven werde. Als sie derselben endlich nahe kam, machte sie nach vorn eine falsche Wendung, und meine Angst wurde fast unerträglich. Ich stand, vor Beklommenheit atemlos, bald auf dem einen, bald auf dem andern Beine. Sie schien an der Spitze zu sein – die Felsen wirklich zu berühren. – »Gott! sie ist angerannt!« rief ich.

»Nein!« versetzte Swinburne.

Und dann sahen wir sie an der andern Seite des äußersten Felsens vorbeikommen und verschwinden.

»Sie ist geborgen, Herr Simpel! Hat die Spitze umluvt, bei Gott!« rief Swinburne, voll Freude seinen Hut schwenkend.

»Gott sei Dank!« entgegnete ich im Übermaße meines Entzückens.

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