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Neunzehntes Kapitel.

Wir kommen in sehr unangenehmes Quartier. – Vögel von gleichen Federn vertragen sich nicht immer miteinander. – O'Brien trifft einen Kutterkadetten und kriegt französisches Eisen zu kosten. – Ein Gang ins Innere.

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Sobald ich mich wohl genug befand, um mich meiner kleinen Wärterin aufmerksam erzeigen zu können, wurden wir, wie zu erwarten, ganz vertraut miteinander. Unsere Hauptbeschäftigung war, uns gegenseitig Französisch und Englisch zu lehren. Da sie den Vorteil vor mir hatte, daß sie schon, bevor wir zusammenkamen einige Kenntnisse besaß, so fing sie lange vorher an, geläufig englisch zu sprechen, ehe ich mich noch ein wenig im Französischen ausdrücken konnte. Da es übrigens unser Hauptgeschäft und uns beiden sehr darum zu thun war, uns miteinander zu unterhalten, so lernte auch ich schnell. In fünf Wochen war ich wieder aus dem Bette und konnte im Zimmer herumhinken; und ehe zwei Monate entschwunden, war ich wieder ganz hergestellt. Der Oberst wollte jedoch noch nicht über mich berichten; den Tag über blieb ich auf dem Sofa, wenn es aber dunkelte, stahl ich mich aus dem Hause und ging mit Celeste spazieren. Ich hatte nie eine so glückliche Zeit verlebt, als die letzten vierzehn Tage; den einzigen Abbruch that der Gedanke, daß ich dieses Verhältnis bald gegen ein Gefängnis vertauschen müsse. Wegen meiner Eltern war ich beruhigter, da O'Brien ihnen geschrieben und versichert hatte, daß ich mich wohl befinde. Überdies war auch einige Tage nach unserer Gefangennehmung die Fregatte herbei gekommen und hatte ein Boot mit der Parlamentärsflagge ans Land geschickt, um nachzufragen, ob wir noch am Leben und zu Gefangenen gemacht seien; zu gleicher Zeit sandte Kapitän Savage alle unsere Kleider ans Ufer und zweihundert Dollars in Barschaft für unsern Gebrauch. Ich wußte nun, daß, selbst wenn O'Briens Brief bei meinen Eltern nicht eintraf, sie doch gewiß von Kapitän Savage erfahren würden, daß ich mich wohl befinde. Aber der Gedanke, von Celesten zu scheiden, gegen die ich so viele Dankbarkeit und Zuneigung fühlte, war sehr schmerzlich, und wenn ich mit ihr davon sprach, weinte die arme Celeste so heftig, daß ich mich selbst der Thränen nicht erwehren konnte, obgleich ich die ihrigen hinwegküßte. Am Ende der zwölften Woche konnte der Wundarzt seinen Bericht nicht länger zurückhalten, und wir wurden beordert, uns bereit zu halten, in zwei Tagen nach Toulon zu marschieren, wo wir zu einer andern Abteilung von Gefangenen stoßen sollten, um mit diesen in das Innere des Landes gebracht zu werden. Ich muß über unsern Abschied hinweggehen, denn der Leser kann sich vorstellen, daß er höchst schmerzvoll war. Ich versprach Celesten, ihr zu schreiben, und sie gab mir dagegen die Zusage, daß sie meine Briefe beantworten wolle, wenn es ihr gestattet würde. Wir drückten dem Oberst die Hand und dankten ihm für seine Güte; er bedauerte es sehr, als wir von zwei französischen Kürassieren, die an der Thür warteten, in Empfang genommen wurden. Da wir vorgezogen hatten, bis zu unserer Ankunft in Toulon Gefangene auf Ehrenwort zu bleiben, so bewachten uns die Soldaten nicht besonders; wir saßen zu Pferde, O'Brien und ich ritten voraus und die französischen Kürassiere folgten uns hinten nach.

Auf der Reise ritten wir ganz behaglich im Trab oder im Schritt. Das Wetter war köstlich; wir waren munteren Sinnes und vergaßen beinahe, daß wir uns in Gefangenschaft befanden. Die Kürassiere folgten uns in einer Entfernung von zwanzig Ellen, und O'Brien bemerkte, es sei erstaunlich artig von dem französischen Gouverneur gewesen, uns mit zwei Dienern in so hübschen Livreen zu versehen. Am Abend des zweiten Tages trafen wir in Toulon ein, und sobald wir zu den Thoren hineinkamen, wurden wir an einen Offizier mit einem ganz schlimmen Gesichte abgeliefert, der uns nach kurzer Unterredung mit den Kürassieren einem Korporal übergab, mit dem Auftrag, uns in das Gefängnis beim Arsenal zu bringen. Wir beschenkten jeden der Kürassiere mit vier Dollars für ihr höfliches Benehmen, und wurden dann nach unserem Gefängnisorte abgeführt. Gegen O'Brien sprach ich die Befürchtung aus, daß wir nun allem, was einem Vergnügen gleich sehe, Lebewohl sagen müßten.

»Bist ganz recht daran, Peter«, erwiderte er, »aber 's giebt 'n gewisses Juwel, Hoffnung genannt, das einer auf dem Boden seiner Kiste fand, als sie ganz leer war. Dieses müssen wir ganz außer Augen lassen, sondern zu entfliehen versuchen, sobald wir können; doch – je weniger wir darüber reden, desto besser ist es.«

Nach einigen Minuten kamen wir an unserem Bestimmungsorte an. Das Thor ward geöffnet und wir und unsere Bündel (wir hatten nur einige Gegenstände für die Reise ausgewählt, weil uns der Oberst das Zurückgelassene nachzuschicken versprach, sobald wir ihm geschrieben und ihn benachrichtigt haben würden, in welches Depot wir konsigniert seien) wurden auf eine rauhe Weise hineingestoßen. Als die Thür wieder zugemacht und die schweren Riegel vorgeschoben waren, fühlte ich ein schleichendes Gefühl des Schauers durch meinen ganzen Körper.

Sobald wir zu sehen vermochten (denn obgleich das Gefängnis nicht sehr dunkel war, so konnten wir doch – jetzt so plötzlich nach dem Glanz eines sonnenhellen Tages hier hereingeworfen – zuerst nichts unterscheiden), fanden wir uns in Gesellschaft von etwa dreißig englischen Matrosen. Die meisten derselben saßen auf dem steinernen Fußboden, auf Kisten oder auf den Bündeln, in denen sie ihre Kleider verwahrten; sie sprachen miteinander oder spielten Karten und Damenbrett. Unser Eintritt schien wenig Aufsehen zu erregen; nachdem sie die Augen aufgeschlagen, um ihre Neugierde zu befriedigen, setzten sie ihre bisherige Unterhaltung fort. Ich habe oft darüber nachgedacht, welch ein Gefühl von Selbstsucht sie alle zu durchdringen schien. Damals war ich ärgerlich, weil ich augenblickliche Teilnahme und Mitleiden erwartete; später aber wunderte ich mich nicht mehr. Manche dieser armen Gesellen waren Monate lang im Gefängnisse, und schon eine kurze Haft bringt jene Gleichgültigkeit gegen das Mißgeschick anderer, welche ich hier bemerkte, hervor. Einer indessen, der Karten spielte, sah bei unserem Hereinkommen einen Augenblick auf und rief dann: »Hurrah, Jungens! Je mehr, desto lustiger!« als wäre er wirklich vergnügt darüber gewesen, zu finden, daß es noch andere gab, die ebenso unglücklich waren wie er selbst. Wir hatten etwa zehn Minuten in Betrachtung der Gruppen dagestanden, als O'Brien sagte: »wir sollten doch wohl vor Anker gehen; schlechter Grund ist besser als kein Grund;« wir setzten uns demgemäß in einer Ecke auf unsere Bündel nieder, wo wir länger als eine Stunde verblieben und die Scene übersahen, ohne ein Wort miteinander zu reden. Ich konnte nicht sprechen – so ganz elend fühlte ich mich. Ich dachte an meine Eltern in England, an meinen Kapitän und meine Kameraden, die jetzt so glücklich auf der Fregatte segelten, an den guten Oberst O'Brien und die liebe kleine Celeste, und Thränen rannen meine Wangen herab, als diese Scene früheren Glückes mir in rascher Aufeinanderfolge im Geiste vorschwebte. O'Brien sprach bloß einmal, und da sagte er mir: »Das ist 'ne langweilige Arbeit, Peter!«

Wir waren ungefähr zwei Stunden im Gefängnis, als ein junger Mann in zerlumpter und höchst schmutziger Jacke, mit bleichem, abgemagertem Gesichte auf uns zukam und uns folgendermaßen anredete:

»Ich ersehe aus Ihren Uniformen, daß Sie beide Offiziere sind, wie ich auch.«

O'Brien starrte ihn eine kleine Weile an und antwortete dann: »Auf meine Seel' und Ehre, dann haben Sie einen Vorteil vor uns, denn das ist mehr, als ich Ihnen ansehen kann; doch, ich will Ihr Wort dafür annehmen. Bitte, welches Schiff hat wohl das Unglück gehabt, solch einen gewichtigen Mann im Dienste zu verlieren.«

»Ich gehörte zum Kutter Snapper«, erwiderte der junge Mann; »ich wurde auf einer Prise gefangen genommen, die mir der kommandierende Offizier übergeben hatte, um sie nach Gibraltar zu bringen; aber hier wollten sie nicht glauben, daß ich ein Offizier bin. Ich habe um die Behandlung als ein solcher, sowie um die Offiziers-Rationen nachgesucht, und sie wollen mir's nicht zugestehen.«

»Nun ja, aber daß wir Offiziere sind, wissen sie doch«, sagte O'Brien; »warum wirft man uns hier herein zu gemeinen Matrosen?«

»Ich vermute, Sie sind bloß für den Augenblick hierher gebracht worden«, meinte der Seekadett vom Kutter; »weßhalb aber kann ich nicht sagen.«

Wir konnten es eben so wenig, bis später, als wir, wie unsere Geschichte zeigen wird, herausfanden, daß der Offizier, der uns von den Kürassieren in Empfang nahm, einmal mit dem Oberst O'Brien Streit gehabt hatte, der ihn zuerst an der Nase zupfte und ihm dann den Degen in den Leib rannte. Da er von den Kürassieren erfuhr, daß wir von Oberst O'Brien sehr geschätzt wurden, so beschloß er, uns so viel als ihm möglich zu placken; demgemäß ließ er in dem Rapport, der unsere Ankunft meldete, das Wort »Offiziere« aus, und brachte uns so in gemeinsame Haft mit den Matrosen.

»Es ist wirklich hart für mich, meine regelmäßige Offiziersverpflegung nicht zu bekommen«, fuhr der Seekadett fort. »Sie geben mir nur ein schwarzes Brot und drei Sous täglich. Wenn ich meine beste Uniform angehabt hätte, so würden sie mir meinen Rang als Offizier durchaus nicht streitig gemacht haben, aber die Schurken, welche die Prise wieder wegnahmen, stahlen alle meine Kleider, und ich habe gar nichts, als diese alte Jacke.«

»Na«, erwiderte O'Brien, »so werden Sie wohl für die Zukunft den Wert der Kleidung würdigen. Ihr Seekadetten von Kuttern und Kanonenbriggen, ihr geht in so unsauberer Kleidung umher, daß ihr von uns, die wir zu Fregatten gehören, kaum als Offiziere, viel weniger aber als Gentlemen erkannt werdet. Ihr seht so unreinlich und so schmutzig aus, daß wir euch bei einer Begegnung auf dem Seemagazin weit ausweichen; wie könnt ihr daran denken, Fremde sollen euch glauben, ihr seiet Offiziere oder Gentlemen? Auf mein Gewissen, ich spreche die Franzosen von jedem Vorurteile, frei, denn dafür, daß Sie Offizier sind, haben wir Engländer nichts als Ihr bloßes Wort.«

»Nun, das ist denn doch hart«, sagte der junge Mann, »von einem Waffenbruder auf eine solche Weise angelassen zu werden. Ihr Kleid wird, noch ehe sie lange hier sind, eben so schäbig sein, als das meinige.«

»Ganz richtig, mein Lieber«, erwiderte O'Brien, »aber ich habe wenigstens das Bewußtsein, daß ich als ein Gentleman hereinkam, wenn ich auch beim Hinweggehen nicht gerade wie ein solcher aussehen werde. Gute Nacht und lassen Sie sich etwas Gutes träumen.«

Ich dachte, O'Brien sei hierbei fast etwas zu weit gegangen, aber er war selbst immer eben so ausgezeichnet hübsch und sorgfältig gekleidet, als er von Person schön und gut gebaut war.

Glücklicherweise waren wir nicht dazu bestimmt, lange in dieser abscheulichen Höhle zu bleiben. Nach einer elenden Nacht, während der wir auf unseren Bündeln sitzen blieben und, wie wir eben konnten, mit dem Rücken an die feuchte Wand gelehnt schliefen, wurden wir bei Tagesanbruch durch das Öffnen der Thore geweckt, worauf wir den Befehl erhielten, in den Hof hinaus zu kommen. Gleich einer Herde Schafe wurden wir an einer Abteilung von Soldaten mit geladenen Gewehren vorübergetrieben, und als wir im Hofe anlangten, zu zwei und zwei aufgestellt. Derselbe Offizier, der uns ins Gefängnis beordert hatte, befehligte das Detachement, das uns eskortieren sollte. O'Brien trat aus den Reihen heraus, redete ihn an und sagte, wir wären Offiziere, und es sei nicht recht, daß wir wie gemeine Matrosen behandelt würden. Der französische Offizier erwiderte: Er sei besser unterrichtet und wir trügen Kleider, die nicht uns gehörten; hierauf geriet O'Brien in große Wut, nannte den Offizier einen Lügner und forderte Genugthuung für diese Beleidigung; dann wandte er sich zu den französischen Soldaten und erzählte ihnen, daß der Oberst O'Brien in Cette sein Landsmann sei und daß dieser ihn zwei Monate als Gefangener auf Ehrenwort in sein Haus aufgenommen habe, was doch gewiß genüge, darzuthun, daß er Offizier sei. Die französischen Soldaten zeigten sich zu Gunsten O'Briens gestimmt, nachdem sie seine Erklärung gehört hatten, indem sie sagten, ein gemeiner englischer Matrose könne nicht so gut französisch sprechen, und sie seien Zeugen, daß man uns auf Ehrenwort hierher geschickt habe; sie fragten nun den Offizier, ob er Satisfaktion zu geben beabsichtige. Da wurde dieser ganz wütend, zog seinen Degen aus der Scheide und schlug O'Brien mit der flachen Klinge, indem er ihn verächtlich ansah und wieder in die Reihen treten ließ. Ich konnte nicht umhin, zu bemerken, daß während dieser Scene die unter den Gefangenen befindlichen Matrosen von Kriegsschiffen höchst entrüstet waren, die auf Handelsschiffen Gefangenen aber an dieser Insultation O'Briens ein Vergnügen zu finden schienen.

Einer der französischen Soldaten machte die sarkastische Bemerkung, der Offizier müsse den Namen O'Brien nicht gut leiden können. Dies brachte den Offizier so außer sich, daß er auf O'Brien zustürzte, ihn in die Reihen zurückstieß, und eine Pistole herauszog mit der Drohung, ihn durch den Kopf zu schießen. Den französischen Soldaten muß ich die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie alle ausriefen: »O Schande!« Sie schienen nicht die gleiche Mannszucht oder nicht den gleichen Respekt vor einem Offizier zu haben, wie die Soldaten in unserem Dienste, sonst würden sie sich nicht so frei ausgesprochen haben: übrigens befolgten sie gleichwohl alle seine Befehle im Dienste stillschweigend.

Als O'Brien in die Reihen zurücktrat, blickte er den Offizier verächtlich an mit den Worten: »er wolle die Beschimpfungen sorgfältig in die Tasche stecken, indem er gedenke, sie bei einer späteren und günstigeren Gelegenheit wieder heraus zu nehmen.«

Wir marschierten jetzt in Reih und Glied, je zwei und zwei; auf der Straße kamen zwei Trommelschläger, sowie eine Menge Volkes hinzu, die sich versammelt hatte, um Zeuge unseres Abganges zu sein. Die Trommel schlug und wir zogen ab. Der Offizier, dem wir übergeben waren, bestieg ein kleines Pferd und ritt lärmend und fluchend mit gezogenem Schwerte in den Reihen auf und ab, wobei er, wenn gerade einer der Gefangenen nicht an seinem bestimmten Platze war, mit der flachen Klinge zuschlug. Nahe am Thor stieß eine andere Abteilung Gefangener zu uns; wir wurden beordert, Halt zu machen und dann bedeutet, daß wenn irgend einer zu entweichen versuchte, ein solcher sofort erschossen würde, worauf wir unsern Marsch fortsetzten.

Am ersten Marschtage fiel nichts Bemerkenswertes vor, ausgenommen etwa ein eigentümliches Gespräch zwischen O'Brien und einem französischen Soldaten, welche über die Tapferkeit ihrer Nation im Vergleiche gegen die andere lebhaft mit einander stritten. O'Brien führte in seinen Beweisgründen gegen den Franzosen an, daß seine Landsleute gegen einen Angriff englischer Bajonette nicht stand halten könnten. Der Franzmann sagte hierauf, die Franzosen seien ohne Zweifel eben so tapfer als die Engländer, ja noch tapferer; und was das Nichtstandhalten gegen den Bajonett-Angriff anbelange, so liege der Grund nicht in einem Mangel an Tapferkeit, sondern darin, daß sie so kitzlich seien. Beim Haltmachen wurde Schwarzbrot und saurer Wein ausgeteilt, uns zu erfrischen. O'Brien beredete einen Soldaten, uns etwas Schmackhafteres zu verschaffen, aber der französische Offizier hörte es, war sehr ungehalten darüber und beorderte den Soldaten zum Nachtrab.

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